„DAS NEUE ALBUM IST WIE EINE SESSION“ – FREISCHWIMMA IM MICA-INTERVIEW

„Ruhe“ heißt das neue Album von FREISCHWIMMA – und das nach einer Phase, in der die Band gleichsam im Ruhemodus war. Jürgen Plank hat mit Bandleader FLO KARGL über den aktuellen Neustart genauso gesprochen wie über eine Konzertserie, die FREISCHWIMMA zurzeit im Café Carina spielen, jeweils mit musikalischen Gästen wie etwa MARY BROADCAST oder FRANK ELSTER. FLO KARGL spricht außerdem vom Einfluss seiner eigenen Vaterschaft auf sein Musikhören und erzählt, warum er beim Frühstück keine Radio-Nachrichten mehr hört.

„Trumpf“, die erste Nummer am neuen Album, hat mich natürlich an Trio erinnert. Du singst auch die Zeile „Herz ist Trumpf“, das Riff hat aber Neil Young-Qualitäten.

Flo Kargl: „Trumpf“ ist eigentlich der letzte Song, den wir für das Album geschrieben haben. Der Song ist am Volksstimme-Fest passiert, als noch eine Zugabe gefordert wurde und wir schon alles gespielt gehabt haben. Ich habe zur Band gesagt, dass ich da noch so ein Riff habe und dass sie sich einfach anhängen soll. Mit diesem Riff haben wir gejammt, das war recht laut und wild und ich habe irgendwelche Zeilen mit dem Wort Herz gebrüllt. In einer Probe haben war dann diesen rohen Song arrangiert und beschlossen, ihn möglichst roh und dann im Studio im Moment passieren zu lassen. Den Text habe ich noch ein wenig vorbereitet.

Ja, es stimmt, irgendwo im Hinterkopf hatte ich das Lied von Trio, das habe in meiner Kindheit im Radio gehört. Das Riff ist naheliegend, es war ein einfaches Riff und da landet man schnell bei Neil Young. Wir haben es schon darauf angelegt, dass das ordentlich krachen soll.

Das angesprochene Riff erinnert an jenes in „Rockin’ in the free world“. Was bedeutet Neil Young für dich?

Flo Kargl: Welche Musik hört man, wenn man Vater geworden ist und sich viel mit dem Kind beschäftigt? Ich habe mich komplett entkoppelt vom Streaming- und vom Radiohören. In den letzten Jahren bin ich sehr auf Neil Young hineingekippt und habe mir eine Membership auf seiner Website gekauft und sehr viel seiner Musik gehört. Und viele alte Sachen, die mir Spaß machen, wie etwa Bluesrock. Das ist schon ein Einfluss für mich, das kann man schon sagen.

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Weil du das Thema Familie ansprichst: ein Lied am Album heißt „Mama want“, das habe ich als eine Aufarbeitung, eine Art Trauma-Geschichte gehört.

Flo Kargl: Ja, das ist dieses Lied auch. In meiner eigenen Familiengeschichte gibt es einige Eckdaten, wie den Selbstmord meines Großvaters und die Flucht meiner Mutter, die im Jahr 1968 aus der Tschechoslowakei geflohen ist. Da gibt es einige Geschichten. Das ist ein sehr persönliches Lied. Ich kenne die Bilder, die da entstehen, selbst. Vieles, was ich mit der aktuellen Freischwimma-Band mache, kommt aus dem Unterbewusstsein, aus dem Herz, aus dem Bauch heraus.

Ich hatte den Eindruck, dass du auf diesem Album ziemlich frei agierst, auch in den Texten.

Flo Kargl: Ich denke nicht mehr viel über das nach, was ich schreibe. Ich wiederhole mich in der Sprache, live schreie ich viel. Mit vielen Wiederholungen und das passt mit der Musik gut zusammen. Und dann kommen natürlich, und du hast das vorhin schon angesprochen, wenn man selbst die Seiten wechselt und nicht mehr Kind ist und die eigene Vaterschaft und Erziehung ein Thema werden, auch alte Geschichten wieder hoch. Geschichten, in denen man sich erkennt, aber eben auf der anderen Seite stehend. Meiner Mutter habe ich „Mama want“ noch nicht vorgespielt. Mir geht es mit dem Lied ja nicht schlecht, ich kann mich ja freispielen, wie sie das macht, ist ein anderes Thema.

Wie hat sich das Wiederholen einzelner Textzeilen ergeben?

Bild Freischwimma
Freischwimma (c) Rahel Golzner

Flo Kargl: Durch das Livespielen passiert etwas mit den Liedern. Am Album gibt es zum Beispiel die Nummer „Ufa“, die keinen fertigen Text hat. Da gibt es einige musikalische Passagen, bei denen nicht klar ist, wie lange jetzt das Solo ist und wann der nächste Wechsel kommt oder wie wir das jetzt anlegen. Ähnlich ist das beim Text auch, wenn man ein wenig während des Konzerts in sich hineinspürt: was will man jetzt eigentlich sagen? Und welche Aussage ist die, die man gerade wiederholen will? Bei „Ufa“ ist es so, dass ich öfters den Satz „Freund oder Teufel“ wiederhole oder den nur kurz bringe und dafür einen anderen Satz öfters wiederhole oder überhaupt nur das Wort Liebe schreie. Die Aufnahme im Studio ist dann eine Momentaufnahme der Session, bei der der Text eben so ist, wie er ist.

„WENN EIN TON EIN WENIG FALSCH IST, ABER DIE ENERGIE PASST, DANN LASSEN WIR IHN“

Wie ist das etwa im Vergleich zu deiner Band Prater WG?

Flo Kargl: Wir improvisieren jetzt nicht alles komplett frei, andere Lieder haben schon einen klareren Ablauf und schon eine Geschichte, die sie erzählen. Aber ich habe mich da in den letzten Jahren ein bisschen mehr gehen lassen. Ich wollte mich weniger festlegen. Das ist vielleicht auch der Unterschied zu dem, was ich vorher mit der Prater WG gemacht habe: da war das Ziel, so richtig Pop-Musik zu machen, konzentriert auf einen Pop-Song hinzuarbeiten. Und Freischwimma ist jetzt das komplette Gegenteil: wir arbeiten aus dem Bauch heraus. Wie’s kommt, so kommt’s. Wenn ein Ton ein wenig falsch ist, aber die Energie passt, dann lassen wir ihn.

Wie war das beim Aufnehmen?

Flo Kargl: Wir haben im Studio auch nie etwas geändert, weil wir komplett live auf Tonband aufnehmen. Im Studio von Thomas Pronai, in Oslip. Es gibt keine Overdubs und kein Schneiden. Das neue Album ist wie eine Session: so klingt die Band, so klingt es im Studio, im Endeffekt wie bei einem Konzert. Da sind vielleicht ein paar falsche Töne dabei und ein paar Text-Hacker. Aber das ist gut, das ist rau, das ist irgendwie wie das Leben.

„DAS ALBUM IST KEIN BEWUSSTES STATEMENT GEGEN ETWAS, SONDERN EIN BEWUSSTES STATEMENT FÜR ETWAS“

Ihr habt auch ziemlich lange Lieder am Album, die sich nicht an Pop-Vermarktungskriterien halten. Lieder mit freieren musikalischen Strukturen, mit mehr Teilen als in der Popmusik üblich. Oder es gibt auch mal ein langes Intro oder ein langes Solo, wie es das eher in den 1960er oder 1970-Jahren gegeben hat. Inwiefern ist das Album auch ein Statement gegen diese Vermarktungslogik?

Albumcover Ruhe
Albumcover “Ruhe”

Flo Kargl: Das Album ist kein bewusstes Statement gegen etwas, sondern ein bewusstes Statement für etwas. Ich verwende Musik dafür, um etwas loszulassen. Um etwas hinaus zu lassen und da möchte ich mich nicht in einen Rahmen zwängen. Da brauche ich Platz. Ich mag es einfach nicht mehr, mich in einem Kompromiss wieder zu finden, der immer gleich klingt. Ich habe es gerne ein bisschen freier, das ist in den letzten Jahren ganz wichtig für mich geworden. Jetzt passt der Name Freischwimma auch perfekt, so gut wie noch nie, nämlich auch wegen des musikalischen Zugangs.

Die beiden in der Rhythmussektion sind so super zusammengespielt und lassen mich einfach tun. Das macht sehr viel Spaß, als ob wir schon ewig zusammenspielen würden. Das sind beide studierte Musiker. Ich habe ja keine Ahnung von dem, was ich da tue. Aber es funktioniert einfach und das ist super.

Ein Track, den ich noch ansprechen möchte, ist „Wiad Wieda Wean“. „Es wird wieder werden“, singst du da. Ist das für dich eher ein Liebeslied oder eine Durchhalteparole angesichts der komplizierten Weltlage?

Flo Kargl: Das kannst du hören, wie du möchtest. Ich finde diese Aussage „Es wird wieder werden“ wichtig, weil nicht alles immer endgültig ist, was man sieht oder hört oder spürt. Ich will nicht immer nur Negatives oder Trauriges besingen, ich will mir auch einreden, dass es wieder werden wird. Ja, wenn du dir die Weltlage anschaust und siehst, was auf einen so einprasselt: wir haben früher gerne beim Frühstück die Radio-Nachrichten gehört. Seit der Ukraine-Krieg begonnen hat, haben wir damit aufgehört. Das ist für mich nicht mehr gegangen. Krieg ist furchtbar und das ist so mit so vielen wichtigen Themen, auch das ganze Klima-Ding. Diese Dickköpfigkeit einer Generation, die einfach wegen des Profits nichts bewegen will, ist furchtbar. Und das macht etwas mit einem, wenn man immer diese negativen Dinge hört, das macht mit allen etwas. Das gibt es natürlich auch in Beziehungen, etwa in Momenten des Streits.
Man versucht sich halt als Mantra zu sagen: es wird nicht so schlimm werden und irgendwie wird es wieder gut. Vielleicht fehlt noch ein Song, der das Mantra auflöst und sagt: jetzt ist es wirklich wieder gut.

Ihr bespielt heuer mit einer Konzertreihe das Café Carina in Wien. Was macht ihr dort?

Flo Kargl: Ich bin irgendwann letztes Jahr aufgewacht und habe mir gedacht: super, wir machen irgendwo eine steady-gig-Geschichte. Wir nennen das Freischwimma-Reigen und haben dafür das Café Carina ausgewählt, weil das für mich eine Super-Location ist, wo technisch alles top ist und man auch einen Mitschnitt mit mehreren Spuren machen kann. Dort läuft alles sehr familiär. Die Idee dahinter ist die: wir haben uns den Montag für 20 Termine gewählt und spielen jeweils mit Gästen. Vor kurzem etwa mit Mary Broadcast in voller Bandbesetzung, das war ein Super-Abend. Die Challenge ist, dass die Gäste mit uns Songs von Freischwimma spielen. So passiert immer etwas Einzigartiges im Moment. Wir proben mit den Gästen nämlich nicht, sondern es passiert alles live auf der Bühne. Und bisher hat das immer gut funktioniert. Wir versuchen auch, die Abende zu dokumentieren, machen Videos und Live-Mitschnitte. Einige Leute waren auch schon bei allen Konzerten und machen eine Stricherl-Liste, eine Art Sammelpass. Das geht nun das ganze Jahr so, mit dem Ziel, dass wir nächstes Jahr ein richtig fettes Live-Album haben. Dass Bands immer wieder im selben Club spielen, hat es ja schon immer gegeben. Das ist nur in Österreich ein wenig verloren gegangen, weil man so das Gefühl hat, dass man nur als Musiker Erfolg hat, wenn man in zehn verschiedenen Locations im Monat spielt.

Herzlichen Dank für das Interview.

Jürgen Plank

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Konzertreihe „Reigen 2023“, Cafe Carina (Wien)
17.04.2023: Freischwimma Reigen 2023 mit Frank Elster
08.05.2023: Freischwimma Reigen 2023 mit Somerset Barnard
17.05.2023: Gürtelconnection, Cafe Carina, Wien
alle weiteren Termine auf der Band-Webseite

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Link:
Freischwimma (Facebook)