„Das Land im Aufbruch und wir mitten drin! – Verdammt, wer hier zu leben hat“

Die kommende Saison der Bregenzer Festspiele wird durch ein ganz besonderes Projekt bereichert. Peter Herbert komponiert das Musiktheater „Trans-Maghreb“ nach der gleichnamigen Novelle des Autors und Musikers Hans Platzgumer. SängerInnen aus der Crew der Seeproduktion der „Zauberflöte“ übernehmen einige Vokalspartien und neben dem Koehne Quartett wirken auch herausragende Musiker aus Vorarlberg mit. Der Plot zum Musiktheater beruht auf einer wahren Begebenheit. „Mein Schwager war 2010/11 als Ingenieur an einem Eisenbahnprojekt in Libyen stationiert“, erzählt Hans Platzgumer. „Seine Kollegen und er waren in einem Camp untergebracht und bauten die Schnellstrecke für Gaddafi, bis der heute als ‚Arabischer Frühling’ bezeichnete Aufstand gegen das Regime begann und die ausländischen Arbeiter sich unter großen Schwierigkeiten außer Landes retten mussten.“

Die Dramatik des Stoffes erkannt

Platzgumers Novelle ist 2012 im Limbus Verlag erschienen und wurde von der Kritik hoch gelobt. Bei einer inszenierten Lesung an der Neuköllner Oper in Berlin erkannte Bernhard Glocksin, Leiter des Opernhauses, die Dramatik des Stoffes und initialisierte eine Operninszenierung. Bei der Erstellung des Librettos wandte sich Hans Platzgumer an die ORF Journalistin Ingrid Bertel, die mit ihren Vorschlägen der Umarbeitung „tolle neue Türen“ öffnete. „Als Prosa-Autor funktionierte ich zu ruhig, zu sehr innerlich reflektierend, zu subtil. Eine Oper ist kein Roman, keine fragile Literatur.“

Abgeschottet im Wüstencamp

„Mir ging es bei Trans-Maghreb hauptsächlich um das gegenseitige Unverständnis westlicher und arabischer Kultur. Beide schaffen es kaum, sich aufeinander zuzubewegen. So sitzen die westlichen Männer, die die Hochgeschwindigkeitsstrecke durch Libyen bauen, abgeschottet in ihrem Wüstencamp und verzweifeln. Ihre Umgebung bietet ihnen keinerlei Ablenkung, verweigert sich ihnen in ihrer Fremdartigkeit und jagt ihnen schließlich Todesängste ein“, so der Autor. Ingrid Bertel hat in enger Zusammenarbeit mit ihm ein operntaugliches Libretto geschaffen.

Eine Frauenfigur als Spiegelbild des Landes

Dazu wurde auch eine neue Figur eingeführt. Dialoge sowie Songs und Chorpassagen schrieb Hans Platzgumer unter anderem in türkischer und russischer Sprache. „Ich hab alle Passagen rausgenommen, die in Österreich spielen“ erklärt Ingrid Bertel. „Es gibt also nur diesen einen Schauplatz, Ras Lanuf. Ich hab die Frauenfigur eingefügt, die ein Spiegelbild des Landes abseits der politischen Revolte sein soll, eine reflektierende Gestalt, die über den Tellerrand hinausschaut. Sonst ist an der Handlung nicht viel verändert. Es ging mehr darum, aus dem Bericht eines Ich-Erzählers eine Aktion unter mehreren Männern zu erzeugen, also den auf dieser Baustelle arbeitenden Menschen individuelle Profile zu verleihen. Die in der Novelle nur angedeuteten Konflikte sollten sich als Aktion äußern. Es geht um das Eingeschlossensein der Männer, darum, dass sie keine Ahnung davon haben, was wirklich im Land passiert. Sie haben Angst, drehen allmählich durch. Vieles am Alltag in diesem Land verstehen sie einfach nicht, es stößt sie zum Beispiel ab, wie die Wüste zugemüllt wird.

Die Männer haben ganz unterschiedliche Charaktere – aber alle miteinander können nicht begreifen, dass es auf den Straßen keine Frauen gibt, dass die so weggesperrt werden. Und sie vermissen auch den Sport und den Alkohol. Die Wüste bedeutet ihnen nichts. Sie sind Techniker ohne Beziehung zur Natur. Die Frau hingegen verkörpert das Wissen um die Einzigartigkeit dieser Naturlandschaft; sie ist auch sehr verwurzelt in den lokalen Kulturen. Und sie ist natürlich eine Projektionsfläche für die Männer. Dass sie sich den Projektionen entzieht, ist aber auch klar.“

David Pountney und die Bregenzer Festspiele als Partner

Mit dem Projekt wendete sich Ingrid Bertel an David Pountney, den Intendanten der Bregenzer Festspiele. Dieser reagierte begeistert. „Er gab allerdings zu bedenken, dass seine Intendanten-Tätigkeit ja bald zu Ende gehe und er auch nicht wisse, ob er eine Finanzierung auf die Beine stellen könne. Als er sich dann meldete, war klar: Er hat das Geld aufgetrieben, und sein Interesse ist seriös“, freut sich Ingrid Bertel. „Schon beim allerersten Zusammentreffen – damals gab es weder ein Libretto noch einen einzigen Ton Musik – war klar, dass er uns vertraut  und dass er alles Notwendige in die Wege geleitet hat. Ab diesem Zeitpunkt gab es eine zielgerichtete, sehr konstruktive und angenehme Zusammenarbeit.“

Ein israelischer Regisseur und arabische Musiker

Nun ist das Projekt auf Schiene und die Musik im Entstehen. Als Regisseur schlug David Pountney Ran Arthur Braun vor, mit dem alle drei Initiatoren sofort einverstanden waren. Ein brisantes Detail liegt auch in den Biografien der beteiligten KünstlerInnen begründet, denn bei „Trans-Maghreb“ wirken der israelische Regisseur und arabische Musiker zusammen.
Konzepte zur Inszenierung sind in Planung. „Die Inszenierung bezieht auch das Publikum aktiv ein und die ganze Werkstattbühne wird bespielt mit sich veränderndem Bühnenbild und viel Aktion“, fasst Peter Herbert die Intentionen zusammen.

MusikerInnen, die die Klangsprache des Komponisten kennen

Hans Platzgumer ist nicht nur als Autor, sondern auch als Musiker bekannt. Als Theaterkomponist war er bereits bei über sechzig Produktionen unter anderem auch als Sounddesigner beteiligt. Aktiv fließt dieses Wissen in das geplante Musiktheater mit ein. Ingrid Bertel kennt die Musik von Peter Herbert gut und weiß, welche Ansprüche seine Klangsprache an die MusikerInnen stellt. Aus diesem Grund war und ist sie maßgeblich daran beteiligt, KünstlerInnen für dieses Projekt zu engagieren. „Ich denke, dass wir eine gute Mischung von Leuten haben, die Peters Musik nicht erst von Grund auf ‚lernen’ müssen, sondern schon einen gewissen Groove haben und auch improvisieren können“, ist Ingrid Bertel überzeugt.

Improvisierte und notierte Musik

Spannend wird die Art und Weise, wie Peter Herbert die zugrundeliegende Geschichte kompositorisch verarbeitet. Lieder und Chöre in türkischer Sprache werden zu hören sein. „Die Songs basieren auf den Texten im Libretto und werden zwischen Sprechen, Sprechgesang und auskomponierten Melodien changieren“, verrät Peter Herbert. Über die Musik zu „Trans-Maghreb“ wird in einer der kommenden Ausgaben der Kulturzeitschrift noch genauer berichtet.

Zur Mitwirkung eingeladen ist das renommierte Koehne Quartett Wien, mit dem Peter Herbert schon einige Projekte realisiert hat. Am Klavier wird David Helbock zu hören sein, die E-Gitarre spielt Kenji Herbert, den Trompetenpart übernimmt Martin Eberle und am Kontrabass wirkt der Komponist selbst mit. Farbe bringt Loy Ehrlich mit der Kastenhalslaute, die in den Maghrebländern Marokko, Tunesien und Algerien sehr verbreitet ist, ins Geschehen. An den Percussions werden Firas Hassan und Claudio Spieler zu erleben sein.
Wenn man bedenkt, dass etwa ein Drittel der Musik improvisierend erklingt, wird die Erwartung noch einmal gesteigert.
Silvia Thurner

Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, Dezember 2013/Jänner 2014 erschienen.

Facbox
„Trans-Maghreb“ Musiktheater von Peter Herbert
Donnerstag, 21. August 2014, UA im Rahmen der Bregenzer Festspiele, eine weitere Aufführung am 23. August.
Buchtipp
Hans Platzgumer: Trans-Maghreb, Limbus Verlag, Innsbruck 2012.

Peter Herbert © Gerhard Klocker
Hans Platzgumer © Gerhard Klocker
Foto Koehne Quartett © Koehne Quartett