Mit der mehrstufigen Arbeit „Piano Sublimation“ verbindet die Komponistin, Pianistin und Performancekünstlerin JUUN visuelle und auditive Ebenen. Anlässlich der Uraufführung von „Piano Sublimation #3“ im Rahmen des Linzer BRUCKNERFESTES sprach die Künstlerin mit Ruth Ranacher über die intensive Zusammenarbeit mit dem bildenden Künstler MICHAEL WEGERER, die Akustik von Räumen, das Hören und das Sehen.
Zum Einstieg möchte ich über Ihren Umgang mit dem Klavier im Allgemeinen sprechen. In Ihren Werken scheinen Pianoguts bei der Instrumentation auf. Wie geht man mit Pianoguts um?
JUUN: Pianoguts sind einzelne Teile des Klaviers. Dazu habe ich Wandklaviere mit Kettensäge und Flex zerlegt und zerschnitten. Übrig bleiben Klavierskelette, die aus Resonanzböden, Metallverstrebungen und Saiten bestehen. Diese Teile lassen sich ganz gut transportieren. Vorher habe ich gerne im Innenraum eines Flügels gespielt, was aber von vielen Konzertveranstaltern nicht gerne gesehen wurde. Mit den Pianoguts bin ich davon nun unabhängig und kann auch ohne Rücksicht auf Schäden mit lustvoller Brutalität spielen. Durch das Zerschneiden verschieben sich bei den Pianoguts allerdings die Spannungen, wodurch andere Klangqualitäten entstehen. Man muss sehr wach bleiben, um auf die Veränderungen eingehen zu können. Jetzt könnte ich das, was ich auf einem Pianogut mache, nur mehr bedingt auf einen Flügel umlegen.
Einige Ihrer Werke basieren auf Fotografien und Zeichnungen. Wie beschreiben Sie die Transformation einer Fotografie oder Zeichnung zur Komposition?
JUUN: Das erste Stück, das ich mit Fotografien entwickelte, trägt den Titel „außen, von innen“ [2007; Anm.]. Ich fotografierte aus dem Inneren kanadischer Coffeeshops durch die Fensterscheibe Personen, die auf der Straße vorbeigingen, -schlenderten, -eilten. Daraus entstand die Porträtserie „Thirsty Camel“. Von diesen Gesichtern und deren unterschiedlichen Zügen fertigte ich Tuschezeichnungen an, die ich schließlich zum Komponieren verwendete. Der Titel „außen, von innen“ beschreibt den kompositorischen Prozess: Indem ich die Fotografien und Zeichnungen als grafische Partituren verwendet habe, kann die Komposition als ein Versuch gehört werden, etwas Abgestopptes, Fixiertes wieder in Bewegung zu setzen. Ich zeige ein Äußeres durch mein Inneres kommend.
Für „wall studies I – III“ [2008–2011; Anm.] ließ ich mich hingegen vom Londoner Mauerwerk inspirieren und suchte nach Strukturen und Rissen, die ich fotografierte. Davon habe ich dann wieder Tuschezeichnungen angefertigt, die „London Wall Studies“. Diese ordnete ich den Instrumenten zu und es entstanden drei Solostücke für Klarinette, Englisch-Horn und Fagott. Für „zone3“ [2010; Anm.] fotografierte ich Passantinnen und Passanten an einer Londoner Bushaltestelle. Im Fokus standen hier nicht mehr individuelle Gesichter, sondern anonyme Schrittfolgen. Dazu flossen das Tempo der Personen und die Struktur des Bodens ein.
Für „Piano Sublimation – Object/Sound/Graphics“ arbeiten Sie mit dem bildenden Künstler Michael Wegerer zusammen. Welche Verbindungen ermöglicht Ihnen speziell diese Arbeit?
JUUN: Michael Wegerer und ich pflegen bereits einen mehrjährigen und regen Gedankenaustausch über mögliche Verknüpfungen von visuellen und auditiven Ebenen. Für „Piano Sublimation“ ist unser gemeinsames Ausgangsobjekt ein Ehrbar-Konzertflügel aus dem Jahr 1860. Dass unsere Zusammenarbeit mit einem Klavier begann, hatte vor allem diese beiden Gründe: Das Klavier steht einerseits für das gutbürgerliche Instrument, ein Umstand, der dazu führt, dass ich Klaviere gerne kaputt mache, aber auch gerne etwas Neues daraus entwickle. Zum anderen hat das Klavier auch eine tolle Objekthaftigkeit.
Zu Beginn schnitten wir also aus dem Flügel ein Klavierteilstück – wie eine Art Tortenstück. Wegerer leitete daraus Formen ab und fertigte Skizzen an, mit denen ich komponierte. Musikalisch bildeten diese Aufnahmen davon die erste akustische Ebene von „Piano Sublimation“, die ich wiederum an Wegerer weitergab. Aus diesen Soundfiles entstanden die ersten Grafiken und Siebdrucke. Nach dem ersten Teil schnitten wir ein weiteres Stück heraus. Es entstanden weitere Grafiken und visuelle Muster basierend auf den zweiten Tonaufnahmen, diesmal auf Glas und Tapete, sowie eine weitere Soundebene usw. Diese Soundfiles, die während des Arbeitsprozesses entstanden, habe ich übereinandergeschichtet, die Komposition verdichtet sich zunehmend.
Ursprünglich dachten wir, dass am Ende dieses Prozesses nichts mehr von dem Klavier übrig bleibe. „Piano Sublimation“ hat sich dahingehend anders entwickelt. Wir haben nun fünf Einzelteile, die parallel bespielbar sind.
Wie entstehen die Soundgrafiken?
JUUN: Wegerer entwickelte verschiedene Übersetzungsmethoden und Algorithmen, um meine Kompositionen grafisch darzustellen. Er transformierte beispielsweise Zeitabstände, die Anzahl der gespielten Aktionen oder Rhythmen in visuelle Elemente. Die Soundgrafiken entstehen somit durch die exakte Übersetzung der digitalen Aufnahme meiner Musik in Formen und Flächen. Mithilfe eines Grafikprogramms gestaltet Wegerer aus den errechneten Formen komplexe visuelle Kompositionen, welche die musikalischen Daten der einzelnen Soundfragmente repräsentieren. Eine der zentralen Grafiken ist beispielsweise die Form eines Kreises. Rückblickend ist diese Form auch für mich sehr schlüssig, da wir von Anbeginn auch die Herausgabe einer LP geplant hatten.
Für die Liveperformances gestalten Sie den jeweiligen Raum als Ganzes. Folgt danach immer eine Ausstellung?
JUUN: Wir konzipieren immer für den jeweiligen Raum. Der Startpunkt für „Piano Sublimation“ kam 2012, als Wegerer und ich den Auftrag erhielten, einen achteckigen Raum im Künstlerhaus zu bespielen. In der Herangehensweise bezüglich Raumgestaltung müssen wir sehr flexibel bleiben, da jeder Raum seine Eigenheiten hat. Wir haben mittlerweile eine Anzahl an Siebdrucken, Glasgrafiken, großflächigen Tapeten und Skulpturen, um Räume zu gestalten, und sogar ein Performance-Video produziert. Dazu kommt eine 4-Kanal-Anlage, da ich bei den Livekonzerten mit Zuspielung arbeite. Sobald das Konzert vorbei ist, geht der Abend in eine Soundinstallation über.
Für das Brucknerhaus wenden wir dasselbe Prinzip an. Das Besondere ist, dass ich zwei Konzerte gebe und dazwischen eine mehrtätige Klanginstallation läuft. Das erste Konzert geht direkt im Anschluss in die Klanginstallation über. Wenn das Publikum den Raum für das Folgekonzert betritt, endet diese Klanginstallation und ich spiele die Komposition noch mal. Das bildet gleichzeitig den Abschluss des Projekts. Für die Ausstellung entwickeln wir ein finales Gesamtkonzept für den Konzertsaal.
„Jeder Raum klingt anders.“
Sie geben Einblicke in den Kompositions- und in den Visualisierungsprozess. Betrachtende werden zu Hörenden und umgekehrt. Welche Sichtweisen werden dem Publikum dadurch ermöglicht?
JUUN: In Ausstellungen mit zeitgenössischer Kunst wird gelegentlich auch mit Musik gearbeitet. Dabei vermisse ich oft eine Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Musik oder einen bewussten Umgang mit den akustischen Bedingungen von Räumen. Jeder Raum klingt anders. Durch das Hören wird ja auch Information transportiert. Das ist ein Grund, warum ich Interesse habe, mit bildenden Künstlerinnen und Künstlern zusammenzuarbeiten.
Bei der Ausstellungseröffnung war es sehr laut und für mich als Performerin war es schwierig, die Konzentration zu halten. In der Komposition gibt es Passagen, in denen Musik nur durch die Zuspielung zu hören ist oder überhaupt Stille herrscht, während derer ich mich nicht bewege. Es passierte also nichts und manche Besucherinnen und Besucher begannen zu plaudern. Ganz anders das Publikum in der Strengen Kammer des Porgy & Bess: Menschen, die völlig staunend auf die Ausstellung reagierten oder sich überhaupt nicht für das Visuelle interessierten, die „nur“ das Konzert hören wollten. Unsere Hoffnung ist, dass Besucherinnen und Besucher dafür interessiert werden, sich auf beides, das Auditive und das Visuelle, als etwas, was für uns gleichwertig ist, einzulassen. Wir versuchen immer, auch einen Einblick zu geben, wie unsere Zusammenarbeit funktioniert.
Für mich ist es faszinierend, zu sehen, wie bildende Künstlerinnen und Künstler arbeiten, und die Raumperspektive miteinbeziehen. Allein arbeite ich ganz anders.
„Ich vertraue seinen Augen, er vertraut meinen Ohren.“
Was ist bei „Piano Sublimation“ anders?
JUUN: Normalerweise ziehe ich mich zum Komponieren zurück. Für „Piano Sublimation“ haben Wegerer und ich im wechselseitigen Dialog intensiv und kooperativ zusammengearbeitet. Ich bekam beispielsweise eine Grafik von Wegerer, deren Impuls mich in eine andere Richtung drängte. Oder: Für das Performance-Video wollte Wegerer, dass an einer bestimmten Stelle Kabel liegen, die audiotechnisch nicht notwendig waren, aber für die visuelle Darstellung der Information wichtig sind. Für Wegerer sind die Klavierteile Objekte und Skulpturen und als bildender Künstler würde er sie im Rahmen einer Ausstellung anders als ich arrangieren. Ich muss darauf auch spielen können. Da greife ich dann in sein Metier ein und sage, was ich gerne hätte. Diese gemeinsame organische Entwicklung funktioniert sehr gut. Ich vertraue seinen Augen, er vertraut meinen Ohren. Ein Sichhineindenken in die Gedankengänge des Künstlers gegenüber – um diese Gedanken gemeinsam zu denken – führt zu anderen Ergebnissen.
Wird es im Rahmen des Brucknerfestes, wo die finale Komposition von „Piano Sublimation“ uraufgeführt wird, ein Vermittlungsprogramm geben?
JUUN: Ein Einführungsgespräch mit Wegerer und mir ist geplant. Parallel veröffentlichen wir ein Buch, in dem wir über den Prozess reflektieren. Es werden viele der Skizzen einfließen, um den Prozess fassbarer zu machen. Für den Einband werden Originalgrafiken verwendet. Auch die LP wird dort in verschiedenen Ausführungen zu erstehen sein. Wir wollen so unsere beiden Zugangsweisen und das Grafisch-Haptische nochmals hervorheben.
Die Beschreibung „Ehrbar Konzertflügel, zerschnitten“ ruft Assoziationen zu Fluxus und Namen wie Nam June Paik hervor. Haben Sie Anleihen an dieser Bewegung genommen?
JUUN: In der Kunstgeschichte wurden Klaviere zwar schon oft kaputt gemacht, aber es wurde kaum etwas Neues daraus entwickelt. Die Aktionen selbst waren historisch bahnbrechend. Aus dem Kontext herausgenommen sind die Audiomitschnitte aber oft uninteressant. Mein Interesse bei diesem Projekt galt, dass man durch die Dekonstruktion etwas Neues erschafft, das qualitativ so gut ist, dass es als Musikstück eigenständig für sich stehen kann.
Vielen Dank für das Interview.
Ruth Ranacher
Links:
JUUN
Judith Unterpertinger (mica-Datenbankeintrag)
Michael Wegerer