ISABEL BIEDERLEITNER ist die neue künstlerische Geschäftsführerin des OESTERREICHISCHEN ENSEMBLES FÜR NEUE MUSIK (OENM). Dieses feiert heuer sein 50-jähriges Bestehen. Warum sie weiter in der Musikgeschichte zurückgehen möchte, wie sie noch mehr Menschen für die Arbeit des Ensembles begeistern will und was zum Jubiläum geplant ist, erzählt Biederleitner im Interview mit Theresa Steininger.
Sie starten als künstlerische Geschäftsführerin im Jubiläumsjahr des 1975 gegründeten oenm und betonen Ihren Innovationswillen. Inwiefern soll das Ensemble eventuell anders positioniert werden?
Isabel Biederleitner: Ich spüre eine große Aufbruchstimmung und einen positiven Spirit – und das schon jetzt in der Einarbeitungsphase. Das Ensemble zeichnet sich ja dadurch aus, dass es sich ständig wandelt. Nicht von ungefähr wird es 50 Jahre alt, was in diesem Genre nicht oft der Fall ist. Dabei spielt sicher die Neugierde mit – und dass man mit der Zeit geht und Neues ausprobiert. So habe ich das Ensemble kennengelernt. Offenheit für Veränderung ist zu spüren. Dabei möchte ich nun den nächsten Schritt gehen. In den vergangenen Jahren hat sich das oenm sehr auf Musik aus der aktuellen Zeit konzentriert und viele Uraufführungen gebracht. Das schätze ich auch wert und möchte ich weiterhin forcieren. Zugleich ist es mir aber auch wichtig, eine Einbettung zu schaffen und in der Historie zu schauen, wie sich Neue Musik entwickelt hat. Neue Musik, wie wir sie nennen, gibt es seit 100 Jahren. Ich möchte, auch, weil ich mit Musik aus dem 20. Jahrhundert bisher noch mehr zu tun hatte als mit jener von heute, einen Schritt zurück machen und den Weg aufzeigen, den die Musik gegangen ist. Wenn wir Linien in die Vergangenheit ziehen, wollen wir außerdem keine Scheu davor haben, auch mal bei Mozart und Bach zu laden.
Abgesehen von den Konzerten in Salzburg sind Gastspiele in Wien, Dresden und Berlin geplant. Was vom Kommenden ist schon von Ihnen programmiert?
Isabel Biederleitner: Dieses Jahr wurde noch durchwegs von meinem Vorgänger geplant, wobei das Berlin-Gastspiel aufgrund der finanziellen Situation dort doch noch verschoben werden muss. Wo ich aber schon in diesem Jahr Akzente setzen kann, ist das Revival Konzert am 14. Juni in Salzburg. Bei dieser Jubiläumsveranstaltung laden wir in unser Atelier und präsentieren Werke, die teils einen Bezug zum Start des oenm im Jahr 1975 haben. Ein Geburtstagsständchen von Herbert Grassl wird auch dabei sein. Zusätzlich planen wir ein großes Festkonzert im Oktober in der Szene Salzburg, bei dem es auch eine Uraufführung eines Werks von Clemens Gadenstätter geben wird.
Sie haben innovative Konzertformate angekündigt, wie stellen wir uns das vor?
Isabel Biederleitner: Ja, ein Konzert muss nicht zwingend ein oder zwei Stücke im ersten Teil, dann eine Pause und dann einen zweiten Teil mit ein oder zwei Stücken bringen. Das klassische Konzertformat entspricht ja Neuer Musik oft gar nicht. Es geht wirklich darum, die Anforderungen der Werke einzubeziehen und offen zu sein, auch einmal ein anderes Setting zu wählen. Ich bin dafür auch auf der Suche nach neuen Spielstätten. Und hoffe, dass mir auch so tolle Entdeckungen gelingen wie vor zwei Jahren meinem Vorgänger mit der Sternwarte, wo man ein tolles Konzert geboten hat, das auch programmatisch perfekt gemacht war. So können wir auf besondere Art und Weise punkten und auffallen. Zusätzlich ist mir Vermittlung ganz wichtig. Wir haben ja den Luxus, die Komponistinnen und Komponisten, die wir aufführen, großteils unter uns zu haben. Daher möchte ich über klassische Einführungen hinaus auch Gespräche initiieren und den Kontakt zum Publikum noch mehr suchen. Das soll Hürden nehmen, aber gleichzeitig nicht heißen, dass die Werke, die wir spielen, ohne Einführungen nicht zu verstehen sind. Keinesfalls. Wir wollen in vielen Belangen in die Breite gehen.
„Zu zeigen, wie sich Musikströmungen entwickelt haben, ist ja spannend.“
Wie kann man Menschen noch mehr für Neue Musik begeistern?
Isabel Biederleitner: Ich denke, indem wir auch programmatisch überraschen und unter anderem in die Musikgeschichte blicken. Dabei wollen wir ein gemischtes Programm anbieten und auch Klassiker der Modernen Musik aufführen. Zu zeigen, wie sich Musikströmungen entwickelt haben, ist ja spannend. Was außerdem einzigartig ist, sind unsere Atelierkonzerte, bei denen komplett niederschwellig, ohne Bühne und bei freiem Eintritt ganz nah am Publikum gespielt wird. Hier kann man vieles ausprobieren und neue Strömungen zeigen. Es sind die Musikerinnen und Musiker, die dies programmieren und die sehr viel Herzblut hineinstecken. Dabei kann man unser Ensemble gut kennenlernen und beispielsweise sehen, wie viele verschiedene Einflüsse es prägen. Wir sind zwar in Salzburg stationiert und stolz darauf, aber unser großes Atout ist auch, dass wir Musikerinnen und Musiker aus ganz Europa haben, deren unterschiedliche Backgrounds das Ensemble auch ausmachen. Bei den Atelierkonzerten gibt es nachher ein Get Together mit Ausführenden und Komponistinnen und Komponisten. Das ist ein ausgezeichnetes Format, das ich noch mehr öffentlich machen möchte. Dies kann der Einstieg sein zu anderen Konzerten.
Inwiefern waren Sie schon vor Ihrem Antritt mit dem Tun des oenm vertraut?
Isabel Biederleitner: Ich habe dessen Weg und dessen künstlerische Ausrichtung schon länger verfolgt und kannte auch meine Vorgänger:innen. Für Neue Musik habe ich seit meinem Studium ein Faible, damals wurde das Feuer in mir entfacht. Und daher kannte ich natürlich das oenm und verfolgte seine Arbeit, auch wenn mein Schwerpunkt bisher in der Orchesterarbeit woanders lag.
Welche Erfahrungen aus der vergangenen Tätigkeit für das Bruckner Orchester Linz, die OÖ Stiftskonzerte, Musica Sacra und das Tiroler Symphonieorchester beziehen Sie nun besonders in Ihre Arbeit ein?
Isabel Biederleitner: Einerseits habe ich natürlich ein großes Netzwerk und Agenturkontakte im ganzen deutschsprachigen Raum sowie durch Dennis Russell Davies und die Arbeit mit ihm beim Bruckner Orchester Linz auch nach Amerika. Was Neue Musik anlangt, hatten wir auch dort einen Schwerpunkt, wenn auch nicht in dieser Dimension. Und auch in Innsbruck und bei Musica Sacra hatten wir Aufführungen von Auftragswerken und zeitgenössischem Repertoire. Mir war immer wichtig, solche Akzente zu setzen.
Zuletzt gab es beim oenm mehrere Wechsel in der Geschäftsführung in nicht allzu langer Zeit. Was sehen Sie als Gründe?
Isabel Biederleitner: Die kenne ich nicht. Die Veränderungen waren wohl kurzfristiger als sonst, das war sicher auch der Unsicherheit wegen Corona geschuldet. Auch ich gehe jetzt mal von zwei Jahren Tätigkeit aus, weil man ja erst sehen muss, ob meine Arbeit zufriedenstellend für das Ensemble ist. Aber ich für meinen Teil spüre, dass die Chemie stimmt – und hoffe auf eine langfristige Zusammenarbeit.
„Ich will wieder näher an der Kunst sein und miterleben, wie Projekte realisiert werden.“
Wie geht es Ihnen damit, einen sicheren Job bei der Landesregierung aufzugeben, um in der Szene tätig zu sein?
Isabel Biederleitner: Wie Sie sagen: In der Szene. Es ist weniger sicher, aber dafür hat mein Herz höhergeschlagen, als ich die Ausschreibung gelesen habe. Ich will wieder näher an der Kunst sein und miterleben, wie Projekte realisiert werden. Es ist toll, wenn man vonseiten der Landesregierung Projekte unterstützen kann, aber es war eben vom Schreibtisch aus. Und ich habe den Zug zur Bühne gespürt und wollte wieder mehr direkten Kontakt zu Künstlerinnen und Künstlern. Danach sehnte ich mich – und ich bin froh, dass ich nun die Chance wahrnehmen kann.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Theresa Steininger
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Links:
oenm . oesterreichisches ensemble fuer neue musik
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oenm . oesterreichisches ensemble fuer neue musik (Musikdatenbank von mica – music austria)