„Das kann noch nicht alles gewesen sein“ – MÖSTRÖM im mica-Interview

MÖSTRÖM ist eine der originellsten Combos, die sich derzeit hörbar machen, und besteht aus SUSANNA GARTMAYER (Bassklarinette), ELISE MORY (Keyboard) und TAMARA WILHELM (DIY-Electronics). Ihr Debüt „We Speak Whale“ (Unrecords) stieß auf internationales Aufsehen. Zeit für ein Gespräch mit Clemens Marschall.

Das erste MÖSTRÖM-Konzert fand 2010 beim 20-jährigen Hotel-Pupik-Jubiläum statt. War das als einmalige Sache geplant oder gleich von Anfang an als etwas Längerfristiges?

Susanna Gartmayer: Ich bin von Heimo Wallner vom Hotel Pupik beauftragt worden, Leute für einen Auftritt zu suchen, und habe dann Elise und Tamara gefragt. Wir haben zwar nicht gewusst, was dabei rauskommt, aber es war von Anfang an sehr erfreulich.

Elise Mory: Ich kann mich erinnern an die Situation nach unserem ersten Konzert, als ich mir gedacht habe: „Das kann noch nicht alles gewesen sein.“ Ich wollte das weiterverfolgen und ausschöpfen, weil für mich schon spürbar war, dass da noch mehr Ideen und Möglichkeiten schlummern.

Kann man den Namen „MÖSTRÖM“ aufklären oder soll der ein Mysterium bleiben?

Tamara Wilhelm: Wir haben uns auf ein Kunstwort geeinigt, das wir uns in einem bestimmten Assoziationsraum ausgedacht haben.

Susanna Gartmayer: Der ist aus einer Assoziationswolke gefallen, und was sich die Leute dabei denken ist ganz unterschiedlich.

Das Instrumentarium ist sehr spannend. Bei Ihnen, Tamara Wilhelm, wird in den Credits angegeben „DIY Electronics“. Was genau steckt da dahinter?

Tamara Wilhelm: Ich habe die Instrumente, die ich spiele, selbst zusammengelötet. Die basieren also auf dem DIY-Prinzip, wo es vor allem auch um Zweckentfremdung geht. Ich verwende Bauteile, die sonst in der Industrie zu Millionen für irgendwelche völlig anderen Prozesse verwendet werden.

Wie war dann der Aufnahmeprozess für das Album „We Speak Whale“? Wurde da einfach live mitgeschnitten oder sind Sie lange daran gesessen und haben herumgefeilt?

Susanna Gartmayer: Beides. Es gibt ein paar Stücke, die wir schon relativ lange im Programm haben. Ein großer Unterschied zum Live-Set ist aber, dass wir auf der Platte einzelne Stücke haben wollten, und im Live-Set ist das alles in einer Wurst aneinandergehängt.

Tamara Wilhelm: Wir hatten mehrere Aufnahmesessions und aus einzelnen Momenten sind wieder neue Stücke geworden, die wir dazwischen live gespielt haben. Anschließend haben wir die wieder aufgenommen und weiter daran gearbeitet – das war also ein längerer Prozess.

„Wir sind eine super Festivalband: Wir passen in alle Genres!“

Zu Ihrer Platte hat es auch internationale Resonanzen gegeben. Diedrich Diederichsen hat sehr angetan darüber geschrieben, ebenso das englische Webzine The Quietus. Hat solches Lob reale Effekte auf die Band oder sind das schöne, aber eher wirkungslose Lorbeeren?

Susanna Gartmayer: Es haben auf jeden Fall ein paar Leute international die Platte gekauft. Das haben wir jetzt in Deutschland mitgekriegt, dass da Leute gekommen sind, die gesagt haben: „Ah, die habe ich schon!“ Aber ich versuche gerade, eine Tour für nächstes Jahr aufzustellen, und das ist nach wie vor schwierig.

Tamara Wilhelm: Also es ist jetzt nicht so, dass wir plötzlich auf alle tollen Festivals eingeladen werden.

Elise Mory: Wir würden allerdings gerne mehr auf Festivals spielen, weil man dort auch Leute erreicht. Als kleine Wiener Band herumzureisen und als Einakter etwas zu reißen, ist schwierig.

Susanna Gartmayer: Und wir sind eine super Festivalband: Wir passen in alle Genres [lacht]!

Stimmt, je nachdem, wie man MÖSTRÖM auslegen will. Also quasi diese Nichtklassifizierbarkeit ins Positive umwandeln: anstatt niemanden anzusprechen verschiedene Richtungen herauszufordern.

Elise Mory: Eine Aussage, auf die wir auch abzielen, ist Humor, und dass man sich nicht immer allzu ernst nehmen soll, persönlich und als Band – und das funktioniert über unsere musikalische Besetzung.

Susanna Gartmayer: Deswegen passen wir auch besonders gut in den Ernste-Musik-Kontext.

Elise Mory: Wir probieren also gerade aus, ob man mit diesen Lorbeeren etwas machen kann.

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Internationale Touren eigenständig zu organisieren ist schwierig, aber wie sieht es in Wien aus: Sind Sie Teil eines gewissen Netzwerkes? Gibt es ein Netzwerk?

Tamara Wilhelm: Wir machen ja alle nicht nur MÖSTRÖM, sondern auch viele andere Projekte, deswegen sind wir auf jeden Fall in verschiedenen Netzwerken aktiv.

Elise Mory: Was ich spannend finde, ist, dass wir Leute ansprechen, die dann selbst davon überrascht sind und sagen: „Ich höre so eine Musik eigentlich nie – aber das taugt mir voll. Ich war sehr skeptisch, weil ich experimentelle Musik nicht besonders gern mag, aber ich habe bei euch einen Zugang gefunden.“ Das finde ich einen schönen Überraschungseffekt. Umgekehrt kann man sich natürlich vorstellen, dass es in der improvisierten Szene nicht immer auf so großen Anklang stößt, dass wir das so machen, wie wir es machen. Denen ist das vielleicht manchmal zu gefällig oder zu geplant.

Susanna Gartmayer: Wenn etwas lustig oder gefällig klingt, ist das etwas, was wir uns nicht verbieten wollen. Wir wollen diese Momente ausreizen und uns nicht auf eine Sache festlegen lassen.

Elise Mory: Wir sind auf jeden Fall alle politische Menschen. Das ist ja immer die Frage, wie man sich mit Musik politisch positionieren kann, wenn es keine Textebene gibt. Ich sehe es so, dass auch die Arbeitsweisen einer Band, wo und mit wem man spielt, Statements sind. Und da wissen wir schon, was wir tun.

Susanna Gartmayer: Wir sind auch noch nicht in die Verlegenheit gekommen, eine FPÖ-nahe Veranstaltung absagen zu müssen. Aber wir fühlen uns gut aufgehoben beim Label Unrecords, das sich „queer-feministisch“ bezeichnet. Unrecords hat damit erstaunlicherweise eine Leerstelle aufgefunden, nicht nur in Wien, sondern auch in größeren Bahnen.

Wie wichtig ist das Label für Sie, oder anders gefragt: Wo hätten Sie Ihre Platte herausgebracht, wenn es Unrecords nicht geben würde?

Elise Mory: Gute Frage. Vielleicht auch gar nicht [lacht]. Wir hatten zwar schon den Plan, irgendwann irgendwas zu releasen, aber Unrecords haben uns gefragt, ob wir eine Platte bei ihnen machen wollen, und das hat uns dann schon die Motivation gegeben, das durchzuziehen. Das Schöne ist auch, dass sich das Label nicht auf ein musikalisches Genre festlegen lässt, sondern vielmehr der queer-feministische Ansatz eine Klammer bildet. Die Crew von Unrecords hat sich am Girls Rock Camp zusammengefunden, und dort ist auch die Idee entstanden, gemeinsam ein Label zu machen.

„Wir fühlen uns gut aufgehoben beim Label Unrecords, das sich ‚queer-feministisch‘ bezeichnet.

Gibt es in Wien genug Räume, wo man diesen Spirit auch präsentieren kann?

Elise Mory: Na ja, es gibt wenig Räume, die sich dem explizit verschreiben: das Marea Alta, aber das ist kein wirklicher Konzertraum; im rhiz und im Venster99 sind immer wieder queere Abende, aber …

Tamara Wilhelm: Es ist so, dass die Fördergeber mittlerweile Statistiken einfordern, wie viele Frauen und wie viele Männer von Konzertveranstalterinnen und Konzertveranstaltern engagiert werden, die so gezwungen werden, ganz konkret nachzuzählen. Ich habe auch das Gefühl, dass wir alle noch sehr an die Unterrepräsentation von Frauen in der Musik gewöhnt sind. Ein Festivalprogramm mit einem Drittel Musikerinnen fällt schon positiv auf.

Elise Mory: Beim Popfest 2015 ist mir aufgefallen: „Moment, das ist ja gar kein so männerlastiges Programm.“ Das haben Susanne Kirchmayr [Electric Indigo; Anm.] und Stefan Trischler [Trishes; Anm.] kuratiert, und da war es dann plötzlich eine Selbstverständlichkeit, die Hälfte mit Musikerinnen zu besetzen. Das war auch nicht dieser Ansatz: „Wir programmieren jetzt ein Festival mit feministischem Inhalt“, sondern der Ansatz: „Wir programmieren jetzt einfach ein ordentliches Festival.“

Tamara Wilhelm: Das wäre mir – und ich glaube den meisten anderen Musikerinnen auch – am liebsten, dass das etwas ist, was man gar nicht mehr diskutieren muss, dass man auch gar nicht mehr darauf angesprochen wird.

Dass es gar nicht mehr thematisiert werden muss, sondern einfach selbstverständlich ist.

Tamara Wilhelm: Genau, und nicht mehr so: „Hey, du bist ja eine Musikerin! Wie ist denn das als Frau so?“ Aber so weit sind wir noch nicht.

Das heißt, in der Zwischenzeit muss man noch eher laut darauf hinweisen.

Tamara Wilhelm: Ja, wobei ich dazusagen muss: Wir wollen nicht die Geschlechterrollen umdrehen, sondern mit einer Selbstverständlichkeit das machen können, was wir machen.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Clemens Marshall
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