Das Jahr gehört RAF CAMORA

Er musste nach Berlin gehen, daheim in Wien Fünfhaus gab es keine Perspektive für Hip Hop. Heuer wurde in Deutschland nur Ed Sheeran öfter gestreamt. Thefuc how?

Bonez ist primo, Raf hatte Glück, der Neid ist ein Hund und sowieso oft ein Wiener. Denn das letzte Jahr gehörte eindeutig Raf Camora, Bonez MC und ihrem Album. Weil man dem Exil-Wiener Raf Camora daheim aber einfach nicht zutrauen will, dass er das selbst geschafft hat, müssen Ausreden her. Wie etwa jene, dass Bonez MC von der 187 Straßenbande eben der Sound der Stunde gewesen wäre, auf den sich alle einigen konnten. Der wäre für die ganzen Klicks verantwortlich, die „Palmen aus Plastik“ ausgelöst hat. Der Song steht aktuell bei 72 Millionen auf Youtube und 56 Millionen auf Spotify. Noch ärgere Zahlen hat der Song „Ohne mein Team”, den am Jahresanfang in den Wiener Marxhallen ziemlich genau alle Leute mitsingen konnten. Aber ja ja, ouais ouais, wer soll denn bitte verkraften, wenn ein Wiener über das Ausland erfolgreich wird. Schnell sind Leute am Start, die Raf von früher kennen, wie er sich abmühte, wie er überall andocken wollte, wie er es probierte und nie ganz schaffte. Dieses nie ganz schaffen war sehr relativ.

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Es war sogar falsch. Damals schon war es schlicht falsch, schon vor dem Album mit Bonez. Denn sein Album „Hoch 2“ war Nummer Eins in Deutschland, im Sommerloch vor vier Jahren, aber immerhin. Das gelang in diesem Jahrtausend sonst nur Hinterseer und Stürmer. Er war für den Echo nominiert, hat einen Amadeus gewonnen. Sein Album „Artkore“ mit Nazar ist im österreichischen Rap legendär, immer wieder wird vergeblich eine Neuauflage gefordert – warum sich beide zerstritten haben, darüber schweigen sie sich noch immer aus. Mit anderen Berliner Exil-Österreichern, Chakuza und Joshi Mizu, hat er das skandalös unterschätzte „Zodiak“ aufgenommen. Und allzu viele Leute schaffen es sowieso nicht, mit einem Album unter die ersten Drei in Deutschland zu kommen – so wie er im April 2016 mit „Ghøst”.

Aber irgendwie war das vielen Leuten in Österreich wurscht. Er wurde noch nicht einmal ignoriert. Raf passte nicht in die Sendeschema der Radios und ließ sich nicht so einfach medial als „unser Bursche“ einvernehmen, seine ersten sechs Jahre hat er in der Schweiz verbracht, dann ist er nach Wien Fünfhaus gekommen und vor zehn Jahren nach Berlin weiter gezogen, weil es hierzulande für Hip Hop überhaupt keine Perspektive gab. Er flog auf einem anderen Radar, stattdessen wurden in den Medien ganz schön bürgerlich Wanda, Bilderbuch und wie sie alle heißen weiter, weiter und immer wieder mehr und mehr abgefeiert. Und leider muss man auch sagen, dass sich österreichische Redaktionen sich nicht mit Rap auskennen und deshalb die Finger davon gelassen haben – The Message, FM4, Noisey und The Gap ausgenommen. Es lässt sich damit kein Sprudel verkaufen und als Kulturpolitiker kein salonfähiges Foto machen.

Bild Raf Camora
Raf Camora (c) Pressefoto

„Fick ORF dann komplett seine Mutter, zehn Jahre ignoriert, ja natürlich verletzt es mich Bruder.” Es ist so ein kolossaler Song, warum „Vienna“ noch nicht schon längst die offizielle Hymne dieser Stadt ist, verdammt schwer zu verstehen. „Ich bin ein West-Wiener”, so eröffnet er seinen zweiten Song auf „Anthrazit“, das allen Zweiflern ein Mikrofon vor die Füße droppt. Raf hat sich wieder eine Wohnung in Wien gekauft. Er schreibt immer wieder über seine Liebe zur Stadt – und wie sie ihn zurück gestoßen hat. „Piss von West-Wien direkt auf euren Nobelbezirk“, rappt er in „Alles probiert”. Im Video ist er hoch oben, schaut auf das Rathaus, das Parlament und die City herunter. Vor wenigen Tagen hat er ein weiteres Album veröffentlicht. Gratis und einfach so für die Fans. Die Single „Gotham City” verbeugt sich vor Wien Fünfhaus, das Video ist große Kunst, darin werden in rasendem Tempo kleine Jungs, Fußballkäfige, Sneakers, Synths, grüne Knollen, U-Bahn-Stationen von Otto Wagner, Garagen, Drifts, harte Männer mit Boxhandschuhen und Pistolen gegeneinander geschnitten. Man sieht viel Testo, viel Angeberei und viel Begeisterung. Das ist Musik von der Straße, das bildet etwas ab, das sonst nicht gezeigt wird, das feiert den Alltag hinter dem Gürtel, seine Leute und seine Sprache. In einer Woche ist es zwei Millionen Mal angeklickt worden. Das schafft kein Voodoo, kein Seiler, kein Pizzera, auch kein Gabalier. Raf Camora ist heuer der meistgestreamte, deutschsprachige Künstler. 323 Millionen Plays auf Spotify in Deutschland. Vor ihm liegt nur noch Ed Sheeran.

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Es wird Zeit, das endlich anzuerkennen. Kraftausdrücke bitte einsetzen. Raf Camora hat das geschafft, nicht indem er Bushido, Fler oder Haftbefehl imitiert hätte. Nein, er hat mit Dancehall experimentiert, mit Reggae und Afro Trap. Zum Bayrischen Rundfunk meinte er am Jahresanfang: „Ich habe seit 2008 den Dancehall in meine Musik einfließen lassen, war aber nie konsequent genug. Zu zweit traut man sich immer ein bisschen mehr.” Was vorher manchmal holprig klang, wirkt jetzt aus einem Guss. Mit seinem Flow ist er im deutschen Rap ziemlich einzigartig. Er hat sich einen Raben als sein Markenzeichen ausgesucht, weil Raben in seiner Kindheit immer schon präsent waren und er schon als Kind ihre Geräusche nachgemacht hat. Raf hat auch etwas zu erzählen. Früher hat er Fahrräder geknackt, ein bisschen Weed verkauft, er musste stempeln gehen und vor leeren Hallen spielen. Er hat nicht aufgegeben und es am Ende doch geschafft. Er sagt nicht, du wirst es auch schaffen, aber er zeigt dir, wenn der Weg nach oben auch noch so zäh ist, es gibt ihn.

Raf Camora ist jetzt gerade der relevanteste Musiker dieses Landes. Andere haben mehr Alben verkauft. Andere füllen größere Hallen und größere Festivals. Andere führen mehr Jahresbestenlisten an. Andere machen auch ganz eigenständige Musik. Und Kunst ist ohnehin kein Wettrennen zum Gipfel oder zu den Geldtaschen jugendlicher Fans. Raf Camora macht aber all das auf höchstem Level, er geht Platin, er verkauft den Gasometer aus, er stellt Rekorde bei Spotify auf, er trifft die Sprache und er trifft vor allem ein Lebensgefühl. Denn sonst wären die beeindruckenden Zahlen egal und auch nicht möglich. Weniger Stress mit der Polizei, ein bisschen was ballern, Nummern schieben, mit den Jungs rumfahren, wissen wo man herkommt und ein besseres Leben. Stell dir vor, es gibt tatsächlich Leute da draußen, für die das am meisten zählt.

Raf Camora hat heuer das Album „Anthrazit“ und das Gratisalbum „Anthrazit RR“ veröffentlicht. Er spielt mit Bonez MC am 22. und 23. Dezember live im Wiener Gasometer. Beide Termine sind ausverkauft. Kommendes Jahr treten beide beim Frequency Festival auf.

Stefan Niederwieser

Links:
Raf Camora (Facebook)
Raf Camora Shop