„Das ist keine Übung, das ist das wahre Leben” – CYON FLEX im mica-Interview

„We Got This” ist die neueste Veröffentlichung der mittlerweile lange in Wien lebenden Musikerin CYON FLEX. Dieses Album ist eines ihrer bisher politischsten, da sie sich weiterhin für die Sichtbarkeit und Anerkennung ihrer Musik und deren Botschaft einsetzt. Tonica Hunter unterhielt sich mit der Künstlerin.

Tonica Hunter: [dritter Anrufversuch] Y-o-o-o-o!

Cyon Flex: Hey – OK, jetzt funktioniert’s. Meine Wohnung hat keinen Empfang; es ist überall Stahl. Wie auch immer…

Alles gut, alles gut, jetzt haben wir’s geschafft.

Cyon Flex: Ja sicher – wie geht es dir?

Mir geht’s gut, eigentlich. Du hast fleißig an deinem neuesten Projekt gearbeitet.

Cyon Flex: Ja.

Erzähl mir, woher kommt dieses Album?

Cyon Flex: Ich hatte das Artwork schon seit einer Weile. Die Inspiration dafür waren die BLM-Proteste 2020. Ich hatte das Gefühl, dass ich eine Stimme habe, dass ich nicht mehr unsichtbar bin und dass ich eine Stimme habe, eine Menschlichkeit. Und das ist etwas, das ich auf diesem Album verwirklichen wollte. Es geht darum, wie ich mich als Mensch fühle, wie ich mit anderen interagieren möchte und was das Leben als starke schwarze Frau für mich bedeutet. Ob ich diese Rolle überhaupt einnehmen kann.

In dem Track „Kommando” sage ich: „Ich kann das Gewicht der Welt nicht bis in alle Ewigkeit tragen.” Manchmal ist das Gewicht sehr schwer. Und da ich weiß, was ich weiß – wie es ist, Schmerzen zu haben, verletzt zu werden – ich bin sehr sensibel, wenn ich das in der Welt sehe. Ich bin deshalb sensibler dafür, und es bringt eine empathische Seite von mir zum Vorschein, es berührt mich tief. Dieses Album ist ein äußerer Ausdruck dessen, was ich mir für die Welt wünsche, aber mit dem ich im Inneren zu kämpfen habe.

Um auf die Proteste zurückzukommen, die deine Arbeit beeinflusst haben: Ich meine, du bist wirklich auf der Straße, du hast eine eindeutig “künstlerische” Rolle in deiner Arbeit. Ich habe dich an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten in Wien bei Protesten, Reden, Performances und Märschen gesehen: von Fridays for Future bis zur Unterstützung von queeren Räumen, für verschiedene Rechte und Gruppen. Du bist wirklich da draußen.

Cyon Flex: Ja, das bin ich, ich bin immer da draußen und protestiere für diese Sache. Aber irgendwann habe ich gedacht: Mein Schmerz ist mein Protest. Das ist ein Teil davon. Es geht nicht nur darum, ein Schild auf die Straße zu stellen. Und deshalb ist der Aktivismus in diesem Album stärker vertreten. Ich habe versucht, meine Erfahrungen in Österreich zu verarbeiten, darüber nachzudenken und sie auf eine tiefere Art und Weise zu vermitteln. Mein letztes Album [„Loyalty“; Anm.] sollte zeigen, dass ich Clubtracks machen kann, dass ich Knaller und Tanzmusik machen kann – aber dieses Album ist tiefgründiger und es baut auch auf den Botschaften der vorherigen Alben auf. Es ist unerschrockener.

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Das gefällt mir an dir. Was hat dich von dieser Angst befreit?

Cyon Flex: Nachdem ich eine Menge Erfahrungen gemacht habe und missverstanden wurde, kam ich an einen Punkt, an dem ich dachte: Ich muss etwas dazu sagen, ich muss es einfach aussprechen. Manchmal kann man sich hier sehr allein fühlen, weil man seine Gefühle nicht ausdrücken kann. Ich wollte das reduzieren und wieder die Rohheit erreichen und es auf eine Art und Weise veröffentlichen, die authentisch ist, die aber auch so ankommt, wie sie gemeint ist und nicht beleidigend wirkt. Ich möchte einfach die Wahrheit sagen und die Zuhörer:innen dazu bringen, sich mit dem zu identifizieren, was ich als Mensch sage, der aus dem Herzen spricht. Ich versuche, es den Menschen auf eine Weise zu vermitteln, die sie akzeptieren können.

Ich habe das Gefühl, dass du viel aus deiner eigenen Perspektive und deinen eigenen Erfahrungen schöpfst, aber auch den Wunsch hast, Menschen zu erreichen, die das vielleicht nicht direkt nachvollziehen können. Für wen ist „We Got This” gedacht? An wen richtet es sich?

Cyon Flex: „We Got This” richtet sich an die österreichische Gesellschaft als Ganzes, und „We Got This” richtet sich an Schwarze Menschen – um uns zu ermutigen und zu inspirieren, zu sagen: „Wir schaffen das – wir können etwas daraus machen und unsere eigene Vision und unseren eigenen Platz für uns schaffen und gesehen werden.”  [Macht eine Denkpause]

Ich komme vom Rand und spreche mit der breiten Masse.

Ich spreche auch zu mir selbst. Ich habe mich immer auf mich selbst verlassen und war sozusagen mein eigener Manager. Ich sage mir damit, dass ich mich auf mich selbst verlassen kann, dass ich das kann und dass ich auch mich selbst habe. Jetzt, wo ich 35 bin, denke ich oft darüber nach, was ich meinem jüngeren Ich sagen würde, wie ich mit ihr sprechen würde, und welche Botschaften ich ihr über Selbstwert und Selbstachtung vermitteln möchte. Auch für die Frau zu Hause und die in ihren Beziehungen desillusioniert ist. Meine Botschaft richtet sich vor allem an Frauen.

Wie schaffst du es, durch deine Musik das Bewusstsein zu schärfen und gleichzeitig die Menschen “einzuladen” und Verbündete zu finden?

Cyon Flex: Mein aktueller Produzent, Def Ill, ist auf diesem Album. Er ist ein Rapper aus Linz, der links und politisch ist – er spricht auch über aktuelle Themen oder über Menschen, die als “Unterschicht” angesehen werden. Er hilft, diesen Leuten eine Stimme zu geben – und mir auch.

Super wichtig.

Cyon Flex: Ja. Das ist genau das, was ich tun möchte – es kommt von dem Gefühl, am Rande zu stehen. Und ich möchte nicht, dass sich jemand so fühlt. Die Leute können mit mir zusammen sein. Sie können unter mein Zelt kommen, in meinen Raum und sich willkommen fühlen. Es geht darum, die Gemeinsamkeiten zwischen uns allen zu finden, sie zu zeigen und auf jeden Fall die Menschlichkeit einer jeden und eines jeden zu offenbaren.  Gleichzeitig bin ich sehr vorsichtig, wenn es darum geht, über meine Erfahrungen so zu sprechen, dass die Menschen nicht ausgegrenzt werden, es ist also ein schmaler Grat.

Bild Zion Flex
Cyon Flex (c) Molnar Molnarova

Ja, aber du kannst doch sicher von “weißer Vorherrschaft” sprechen, ohne den Vorbehalt “nicht alle weißen Menschen” hinzufügen zu müssen – ich finde es so ermüdend, das verteidigen oder rechtfertigen zu müssen. Was ich faszinierend fand, war, dass du das Wort “weiß” in deinem Song Maddest” herausgeschnitten hast. Wir werden aber auf jeden Fall “Black” mit stolzer Brust sagen. [lacht]

Cyon Flex: [lacht] Ja – das war mein Gedanke: Ich will nicht, dass die Leute das, was ich gesagt habe, abwerten, indem sie “white supremacy” hören und den Rest meiner Botschaft ausblenden oder abschalten. Mein Produzent, der den Track produziert hat, konnte das sogar verstehen. Es ist ein Gleichgewicht. Ich bin weder auf der Suche nach Mitleid, noch suche ich Streit.

„Ich habe nicht das Gefühl, dass es seltsam ist, sie auszudrücken.”

Das kann ich verstehen. Und auch die Kennzeichnung politischer Botschaften in der Musik ist, je nachdem, wer sie ausspricht, sehr belastet, so dass man sich als Mitglied einer bereits marginalisierten Gruppe dessen irgendwie bewusst sein muss. Du sprichst auch sehr offen über Wut und Zorn, und ich denke, das ist ein wichtiger Weg, sich diese Gefühle zu eigen zu machen.

Cyon Flex: Ich glaube, dass die Leute hier die Wut aufgreifen, und gleichzeitig haben sie Angst davor, wie ich sie ausdrücke. Ich bin in einem Umfeld aufgewachsen – Bristol, Großbritannien -, in dem die Menschen ihre Gefühle frei ausdrücken konnten. Ich habe nicht das Gefühl, dass es seltsam ist, sie auszudrücken. Aber ich denke, dass es hier nicht üblich ist, [Gefühle] nach außen hin zu zeigen. Man muss sie verstecken – aber man kann Schmerz oder Wut nicht verstecken; sie sind immer da, unter der Oberfläche. Ich habe weder ein privates noch ein öffentliches Gesicht. Ich verstecke nicht, wer ich bin. In meiner Musik geht es um Freiheit. Die Freiheit, man selbst zu sein.

Richtig.

Cyon Flex: Ich muss freimütig sein. Ich muss meine eigenen Bedürfnisse befriedigen.

Was sind das für Bedürfnisse, sagen wir, wenn es speziell um die österreichische Musiklandschaft und deine Karriere hier geht?

Cyon Flex: Ich bin in der Branche aufgewachsen und wusste, wie man CDs brennt und verkauft. Ich bin nicht mit dem Wissen aufgewachsen, wie man um Förderungen für dieses und jenes ansucht – weil ich keinen Zugang zu Förderungen hatte. CDs zu brennen und sie zu verkaufen: So habe ich meine Karriere aufgebaut. Dieses “den Staat nutzen”, um meine Karriere voranzutreiben, das ist mir neu.

Ich meine, du sprichst hier so viel an: Zugang, soziales Kapital, Kenntnisse der (deutschen) Sprache … aber auch Finanzierung und Kunst-/Kulturjargon – überhaupt zu wissen, dass es diese Dinge gibt, dass man sie bekommen kann. Vor allem hier in Österreich gibt es so viele Ressourcen – man muss nur wissen, wie man an sie herankommt.

Cyon Flex: Es gibt niemanden, an den ich mich wenden kann, um zu sagen: Bring mich in diese oder jene Show; es geht um mich selbst und darum, mich zu präsentieren. Ich arbeite mit meinen Produzent:innen zusammen, und sie arbeiten an meinen Tracks. Andere Leute haben mir auch geholfen. Ich habe hier und da ein paar Hinweise bekommen, aber hauptsächlich erzähle ich den Leuten, was ich mache, und gehe zu den Veranstaltungen. Auf diese Weise habe ich mich bisher aufgebaut. Ich hätte gern etwas Unterstützung – ein Label oder etwas anderes -, um mich weiterzuentwickeln. Ich denke, es ist eine Sache der Gesellschaftsschicht; es könnte für mich ein bisschen schneller gehen. Ich fühle mich ein bisschen vernachlässigt. Ich möchte einfach, dass mehr Menschen Zugang zu dem haben, was ich mache. Ich strebe nach Qualität und Zugang für mich selbst, und das ebnet natürlich den Weg für andere. Denn wir arbeiten professionell, werden aber hier in Österreich immer noch von der Mainstream-Industrie ausgegrenzt.

Ja, Österreich schläft manchmal bei Schwarzen Talenten, aber trotzdem muss ich dir für deinen eigenen Erfolg bis jetzt Respekt zollen.

Cover We got this
Cover “We got this”

Cyon Flex: Danke – und ja, ich muss auch an die Community denken, die ich hier habe. Die Gemeinschaft in Wien ist wirklich ein Segen. Ich habe vorher in Bristol in einer sehr heteronormativen, homophoben, chauvinistischen Gemeinschaft gelebt. Ich fühle mich also sehr glücklich, hier in einer einigermaßen integrativen Gemeinschaft zu leben. Aber ich glaube nicht, dass alle meine Erfahrungen mit einer einzigen Gemeinschaft in Verbindung gebracht werden können – als Schwarze kann ich mich auf viele verschiedene Gemeinschaften beziehen, aber die Besonderheiten der Schwarzen Erfahrung sind so speziell.

Auf jeden Fall.

Cyon Flex: Ich denke, dass unsere Gemeinschaft im Allgemeinen besser finanziert werden muss. Wir sind Pionier:innen, wir müssen uns mehr auf die Dinge konzentrieren, die wir tun, und mehr Unterstützung dafür bekommen. Ich denke, die Finanzierung sollte viel leichter zugänglich gemacht werden. Wir brauchen mehr kreative Räume, die sich für die Szene und unsere Talente öffnen – viele [Veranstalter:innen, Institutionen usw.] kennen uns bereits. Sie sollten uns buchen. Wenn sie uns nicht kennen, können sie auf Datenbanken zurückgreifen – mica hat eine. Weißt du was ich meine? Sie sind da draußen. In Bristol hatten wir etwas, das wir ‘hijack’ nannten – eine Website, die Künstler:innen und Veranstalter:innen über ein Message Board miteinander verband. Aber es gab auch Verbindungen zu Institutionen, Räumen und Einrichtungen. Wien sollte sich mehr für diese Art von Ressourcen und Vernetzungsveranstaltungen einsetzen.

Auf jeden Fall. Und diese Forderungen zu stellen, ist auch so wichtig. Was mir an diesem neuen Album gefällt, ist, dass du Bedürfnisse und Gefühle direkt ansprichst – ein bisschen so, wie du jetzt zu mir sprichst, aber noch mehr bei Tracks wie „Protest” und „Drawn” – im Bewusstseinsstrom, wie ein Manifest. „Maddest” geht auch hart ran. Das ist für mich ein besonders tiefgründiger Track. Es fühlt sich auch an wie ein Album, das man bei einer Demonstration oder einem Protest spielen könnte – und sollte. Ich denke, dass diese Musik gerade jetzt eine sehr wichtige Rolle spielt: eine Gesellschaft, die in einer Stadt wie Wien immer lauter wird, wo der Ausdruck gesellschaftspolitischer Frustrationen und Bedürfnisse notwendiger denn je ist.

Cyon Flex: Ja. Ich meine, das ganze Album besteht aus bars on bars.

[beide lachen]

Cyon Flex: [rapt weiter] My pain is my protest, yes / this is not a drill this is real life / My performance is devastating / it’s all over my heart, all over my face. (Mein Schmerz ist mein Protest, ja / das ist keine Übung, das ist das wirkliche Leben / mein Auftritt ist verheerend / es ist überall in meinem Herzen, überall in meinem Gesicht.) Das ist also der Track „Protest”. Und mit „Rudeclub” will ich sagen, dass ich mein Leben selbst in der Hand habe und die Regeln selbst bestimme. Ich komme jetzt definitiv in meine eigene Macht.

Tonica Hunter

Das Interview wurde in englischer Sprache geführt. Übersetzt wurde es von Itta Ivellio-Vellin

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Release Konzert – 2. Juni, 17h-20h, Banc Public Records, Schulgasse 31, 1180 Wien

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