„Das ist es, was ich wirklich machen will“ – MATIJA SCHELLANDER im mica-Porträt

Matija SchellanderAussagekräftige Sounds fand der Kontrabassist, Elektroniker und Performer MATIJA SCHELLANDER immer schon spannend. Das begann schon damit, dass er als Kind die Plattensammlung seines Vaters durchwühlte und daraus seine ersten Vorlieben lukrierte: LAIBACH, NICK CAVE & THE BAD SEEDS u. Ä. Beim Kontrabass landete er erst später, inspiriert vor allem von den beiden Jazz-Charlies Mingus und Haden. Davor, im zarten Alter von 14 Jahren, würgte Schellander in diversen Punkbands die E-Gitarre, zupfte den E-Bass oder drosch das Schlagzeug. Mit 16 hörte er wieder damit auf, im Körpergedächtnis aber sollten ihm diese Vibrationen bleiben, die ihm später auch am Kontrabassspiel imponierten.

Zugespitzt wurde sein grundsätzliches Interesse sowohl am schweren als auch am leichten Gerät bei Workshops im Kärntner Viktring. An den dicken Saiten erlernte er die elektrische Variante bei Jamaaladeen Tacuma und die akustische bei Hélène Labarrière, das Drehen an den vielen Knöpfchen brachte ihm vor allem Wolfgang Musil bei. Aus diesen kreativen Arbeitssituationen generierte er die Schlussfolgerung: „Das ist es, was ich wirklich machen will.“ Also begann er in Wien zu studieren – Kontrabass an der Jazz-Akademie, Elektronik am Institut für Elektro-Akustik, kurz ElAk.

Dort lernte er unter anderem Angélica Castelló kennen, die mit Paetzold-Flöten, aber auch mit Kassetten und Elektronik experimentierte. Inspiriert von der Idee einer Musik aus tief klingenden Instrumenten, gründeten die beiden zusammen mit Maja Osojnik und Thomas Grill das Low Frequency Orchestra, kurz LFO. Klassische Konzertsituationen wurden ebenso absolviert wie solche, die spezifisch auf den jeweiligen Raum bezogen waren, mit im Raum verteilten Positionen etc. Dazu kam das Integrieren von Visuals, gestaltet von Robert Lettner, was in der Produktion der DVD „Das Spiel vom Kommen und Gehen“ mündete. Zudem arbeitete das LFO einmalig mit dem Organisten und Elektroniker Wolfgang Mitterer zusammen, woraus die prächtige CD „mole“ (auf chmafu nocords) resultierte. Eine weitere Facette in der offensiven Kulturarbeit des LFO-Teams war die Ausrichtung der Konzertreihe Neue Musik in der Ruprechtskirche, in deren Anfängen auch Katharina Klement und Andreas Platzer eine wesentliche Rolle spielten.

Sein Weg zur Elektronik bzw. zur Verwendung eines Modular-Synthesizers schien früh vorgezeichnet: „Schon damals, als ich als Kind Platten auf Kassetten aufgenommen habe, interessierten mich hauptsächlich die Klänge im roten Bereich.“ Jahre später besorgte er sich einen Drum-Computer, experimentierte mit Mathias Erian, Wolfgang Musil und anderen ElAk-Kolleginnen und -Kollegen. Es gehe ihm darum, sagte Schellander, eine abstraktere Ebene zu erforschen als die Unmittelbarkeit am Kontrabass. „Auch wenn ich am Synth viel genauer nachdenken muss, was ich mache.“

Einige Zeit beschäftigte er sich auch mit der Klangkunst des Mailänder Artisten Attila Faravelli. Der operiert vorwiegend mit Field Recordings, die er mit einer Fülle an zusätzlichen Materialien garniert. Von einer Reihe an Objekten über Motoren bis hin zu Lüftern und Lautsprechern kommt da einiges zum Einsatz, was der Brachialgewalt dient. Darüber hinaus betreibt Faravelli auch das Label Aural Tools, dessen Autarkie auf der Entscheidung fußt, keine klassischen Tonträger zu publizieren. So war etwa die gemeinsame Arbeit von Faravelli und Schellander, „Freie Aerophone“, als Klangobjekt für „laser cut on high density cardboard“ konzipiert.

„Bewegung und Klang hängen zusammen.“

Vor gut zehn Jahren gründete er die Band Balkon mit Jorge Sánchez-Chiong (kurz JSX), Maja Osojnik und Mathias Koch. Sie sei beeinflusst von Noise und Industrial, sagte Schellander, kredenzte aber auch lupenreine Songs. Der Bandname ging übrigens auf ein Zitat des Philosophen Slavoj Žižek zurück, der den Balkon anstelle des Balkans argumentativ in Stellung brachte.
Später folgte Metalycée, gegründet von Nik Hummer und Armin Steiner. An dieser Band begeisterte ihn, wie vielfältig man mit Sound operieren kann und wie viel Zeit man mit diversen Aufnahmetechniken im Proberaum verbringt. Es sind auch die Texte von Melitta Jurisic, ihre Herangehensweise und ihre Düsternis, die ihn beeindrucken.

In seiner ersten Solo-Performance versetzte Schellander zwei Geigenbögen in Schwingung und reduzierte somit seine Musik auf Luftgeräusche. Später choreografierte er seine Vorführung und erweiterte sie um ein Element, indem er bis zur Ermüdung mit dem Kontrabass im Kreis ging und dabei auf den im Instrument eingespannten Bogen schlug. Es war dies eine körperliche wie poetische Angelegenheit. Matija Schellander meinte dazu, es gehe ihm dabei um die Herstellung nicht bloß abstrakter Sounds, sondern um solche mit einer persönlichen Geschichte dahinter. Außerdem ist er von etwas überzeugt: „Bewegung und Klang hängen zusammen.“

Über den Balkan bis nach Korea

Nicht nur im LFO, auch anderweitig ist die Kooperation mit Maja Osojnik ein Fixpunkt in Schellanders Musikarbeit, gipfelnd im fabelhaften Duo Rdeča Raketa, auf Deutsch: rote Rakete. Impuls dafür war die Einladung zum Sajeta-Festival nahe Tolmin/Slowenien 2008, es folgten zwei formidable Tonträger – die Kassette „old girl, old boy“ (mosz) und die Platte „wir werden“ (GOD records) – und eine ganze Reihe markanter Auftritte. Zudem gab es eine Kooperation mit der Autorin Lisa Spalt, einen Soundtrack für Stefan Richters Spielfilm „Wir waren da“, Musik zu einem Tanzstück für Vita Osojnik, Majas Zwillingsschwester, und eine weitreichende Zusammenarbeit mit dem Filmarchiv Austria. Im Rahmen der CinemaSessions, kuratiert von Karl Wratschko, entstand „Traversing the Balkan“, ein historisches Roadmovie, das auf der Grundlage dokumentarischer Aufnahmen von Wien bis Istanbul führte. Schellander und Osojnik vertonten es live an Originalschauplätzen in Österreich, Slowenien, Kroatien, Serbien und Mazedonien bis hin in die Türkei.

Neben anderen temporären Kooperationen schrieb Matija Schellander für die Expo Mailand ein Stück für die Hackbrettspielerin Franziska Fleischanderl und für das Klangkollektiv snim, das für diesen Zweck zwei Tänzer aus Korea integrierte. Überhaupt bescherten ihm seine vielfältigen Beziehungen zu Südkorea eine Bereicherung, die er nicht missen möchte. Nach mehrmaligen Gastspielen mit dem Extended-Cellisten Noid (bürgerlich: Arnold Haberl) fand Matija bald Kontakt zu Ryu Hankil, auf dessen Label The Manual dann seine Soloplatte „sum šum“ erschien, und zu den Kollegen Choi Joonyong, Hong Chulki und Sangtae Jin. Die räumliche Distanz stelle zwar ein Hindernis dar, aber „das sind inzwischen beste Freunde. Ich strebe unbedingt eine ständige Zusammenarbeit mit ihnen an“.

Alois Sonnleitner
Matija Schellander © Rania Moslam

http://matija.klingt.org