„Das ist einfach meine Musik, die Musik, die ich gerne höre und gerne mache“ – PAUL PLUT im mica-Interview

PAUL PLUTS erstes Soloalbum „Lieder vom Tanzen und Sterben“ (Phonotron) ist eine sehr persönliche Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit geworden und eine Beschäftigung mit dem Tod an sich. Der Liedermacher aus der Steiermark sprach mit Markus Deisenberger über herausforderndes Schwitzen, Härte im Dialekt und darüber, warum man das Thema Tod nicht der Kirche überlassen sollte.

„Die Erinnerungskiste hat ein paar finstere Ecken“ lautet ein schöner Satz aus der Pressemeldung zu Ihrem aktuellen Album „Lieder vom Tanzen und Sterben“, der die Gefahr andeutet, die mit einer solchen Rückschau verbunden ist. „Wenn man sich zu tief in die Erinnerungskiste beugt, fällt man vielleicht rein und hinter einem klappt der Deckel zu“, heißt es da. Wie gefährlich war die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit tatsächlich? Drohte der Absturz in die Kiste?

Paul Plut: Gefährlich war es in dem Sinne nicht, eher spannend. Es war auch kein therapeutischer Zugang, keine Aufarbeitung im eigentlichen Sinne, sondern ein genaueres Hinschauen.

Und inwiefern war dieses Hinschauen spannend? 

Paul Plut: Weil das Sachen sind, mit denen man sich nicht unbedingt beschäftigen will. Es gibt schöne Erinnerungen, mit denen man sich auseinandersetzen kann und will, aber es gibt eben auch die dunkleren Momente, die es sich genauso anzuschauen lohnt. Das ist zwar keine Mordsanstrengung, aber ein Schwitzen ist schon da, weil es herausfordernd ist. Aber in erster Linie habe nicht ich es herausgefordert, sondern die Herausforderung ist durch die Beschäftigung passiert.

Als „beklemmend intensiv“ wurde das Album beschrieben. Würden Sie auch den Entstehungsvorgang als beklemmend bezeichnen? 

Paul Plut: Nicht wirklich. Ich kann – unabhängig vom Material – ganz gut zwischen Rückschau, Reflexion und einem intensiven kreativen Arbeiten trennen. Und die kreative Arbeit hat mir sehr viel Spaß gemacht.

Wie kam es überhaupt zur Idee, nach Ihren Bandprojekten Viech und Marta selbst zu texten und somit etwas wirklich zu 100 % Eigenes zu machen? 

Paul Plut: Getextet habe ich immer schon selbst, ich habe die Texte dann halt nur in ein Kollektiv hineingetragen. Das heißt, frei getextet und geschaut, was sich aus diesem ersten Sprudeln ergibt, was man weiter daraus formen kann, habe ich immer schon. Für das Album habe ich das wieder getan, ohne großartig zu reflektieren, was das jetzt genau ist, das dabei rauskommt. Als ich dann die ersten Skizzen zu den Songs – das waren „Lerche“, „Voda“ und „Wer“ – hatte, war für mich klar, dass das im Dialekt am stärksten sein wird, und nicht im Standarddeutschen. Und es war auch schnell klar, dass die Songs eine eigene Form, ein eigenes Projekt brauchen. Das fand ich spannend und habe dann weiter in die Richtung geschrieben. 

Die auf dem Album behandelten Themen sind der Tod, das Scheitern, die Abgründe des Lebens, der Verlust und die Erlösung. Wie kommt man darauf, sich diesem Komplex in so gebündelter Form zu widmen? 

Paul Plut: Das hat sich so ergeben, es war also gar kein gezieltes Vorhaben. Es gab wie gesagt diese ersten drei Lieder und ich kam beim Recherchieren auf die Themen Tanz, Tanz mit dem Tod, Ektase und Stillstand. Als ich dann im Zuge der Recherchen die ersten Bücher in die Hände bekam – etwa „Friedhof der bitteren Orangen“ von Josef Winkler und Texte von H. C. Artmann –, wollte ich einfach über meinen eigenen Horizont hinausblicken und mir andere Kulturen anschauen. Josef Winkler hat in seiner Beschäftigung mit dem Tod ja auch nach Indien und Italien geschaut. Zur selben Zeit sah ich zufällig eine Doku über den Umgang mit dem Tod in Lateinamerika und war total fasziniert. Das tat sich plötzlich ein riesenbreites Feld, das in der Popmusik, in der ich mich immer bewegt habe, weitgehend unangetastet schien. Obwohl es ein wirklich riesengroßes Themengebiet mit so vielen spannenden Aspekten, Sichtweisen und Interpretationsmöglichkeiten ist und sich allein im österreichischen Katholizismus eine große eigene Welt auftut, gibt es da kaum etwas. Das fand ich ungemein reizvoll. Und schließlich bin ich völlig reingekippt.

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Warum im Dialekt? Weil er intimer ist und sich intime Dinge nur im angestammten Idiom erzählen lassen? 

Paul Plut: Ja. Weil es die Sprache ist, in der ich die ersten Erlebnisse hatte, und es deshalb nur logisch ist, wenn es schon um persönliche Dinge geht, dass diese dann auch in der Sprache gesungen werden, in der sie passiert sind.

Mit Dialekt-Blues kann man sich schnell sogar die Finger verbrennen. Warum das hier nicht der Fall ist, liegt meiner Meinung nach an der Ehrlichkeit, mit der die Musik vorgetragen wird. Man merkt, dass da etwas kommt, was wirklich herausmuss. Ist es Ihr bislang persönlichstes Album geworden?

Paul Plut: Auf jeden Fall, sicher. Allein schon, weil es keine Kollaboration ist. Dass es mein erstes alleiniges Album ist, stimmt aber, wenn ich es mir recht überlege, nicht ganz, weil ich, als ich nach Graz kam, in nur einem Jahr neun, zehn Alben gemacht habe. Das fällt aber wohl eher unter Selbststudium. Ein Märchenalbum, eine Trakl-Vertonung und so weiter. Hörner abstoßen und ausprobieren. Das ganze Zeug ist unter Verschluss und wird auch nie veröffentlicht werden.

Dialekt-Pop kann schnell lächerlich werden oder in Richtung Kitsch kippen. Wie haben Sie das erlebt? 

Paul Plut: Das war die größte Herausforderung. Der textliche Anspruch. Es war sehr viel Arbeit, die Texte so zu überarbeiten und zu fragmentieren, dass es keinen Kitsch hat. „Nur kein Schmalz nicht“, hat H. C. Artmann einmal gesagt. Das habe ich mir zu Herzen genommen und ich habe wirklich versucht, den Schnalz rauszunehmen und eher die Härte im Dialekt zu betonen als das Weiche.

„Ich betrachte mich ja auch als Musiker und nicht als Texter oder Schriftsteller.“

Brauchte es da auch den erdigen Blues, die Rauheit und den Noise? 

Paul Plut: Das ist einfach meine Musik, die Musik, die ich gerne höre und gerne mache. Das war daher logischer und keine schwere Geburt. Die Texte auf den Punkt zu bringen war viel, viel schwieriger. Ich betrachte mich ja auch als Musiker und nicht als Texter oder Schriftsteller. Und mein musikalischer Background liegt eher im amerikanischen Blues als im Austro-Folk, der drei Akkorde dahinschmettert. Deshalb blieb ich lieber auf einem Akkord und hab den Blues gespielt.

Paul Plut (c) Gerfried Guggi

Auf dem Album wurden auch einige Field Recordings eingebaut, einen ächzenden Beichtstuhl etwa hört man. Wie kam es dazu? 

Paul Plut: Ich bin mit einem Diktiergerät herumgegangen. Unter anderem habe in der Kirche aufgenommen, in „Wer“ hört man eine Art Trommel. Das ist die Tür eines Heizraums. Es macht einfach viel mehr Spaß, herumzulaufen und aufzunehmen, als Sample-Bibliotheken nach Klängen zu durchforsten. Da tut sich eine eigene Klangwelt auf, die man nicht mit Schichten kreieren muss, sondern man hat die gewünschte Note automatisch. Vielleicht weiß man nicht genau, wo das her ist und was es genau ist, aber man spürt es dafür umso intensiver.

Wie war es, in der Ramsau aufzuwachsen? Wie ist es, dort wieder hinzufahren und sei es nur für den Videodreh? 

Paul Plut: Grundsätzlich war das sehr gut. Ich habe dort ein gutes Netzwerk an Freunden und Familie – Menschen, die ich alle sehr gern hab. Ich glaube aber, dass man, wenn man da aufwächst, nur schwer einen klaren Blick darauf werfen kann. Da braucht man erst einmal Abstand. Oder sagen wir so: Ich habe Abstand gebraucht.

„Es gibt schon auch eine große Furcht vor dem Berg.“

Das heißt, die Dinge stellen sich heute anders dar, als sie es damals taten? 

Paul Plut: Auf jeden Fall. Allein das Gebirgsmassiv wirkt anders, als wenn man es jeden Tag sieht und es als etwas Natürliches empfindet. Wenn man hinfährt, sieht man erst, dass es das ist, was den Blick begrenzt, gleichzeitig Ehrfurcht einflößt und Spiritualität vorgibt. Dann hört man die ganzen Familiengeschichten. Die meisten Familien sind ja Bergsteigerfamilien. Man hört, wie der Berg wahrgenommen, wie die Gipfel gestürmt und bezwungen werden. Allein schon das Gipfelkreuz ist ja etwas faszinierend Schräges. Sich ins Gipfelbuch einzutragen, damit man, sollte man abstürzen, dort seine letzte Handschrift hinterlassen hat. Es gibt schon auch eine große Furcht vor dem Berg. Und der Berg ist schroff, und das färbt halt auch auf die Gemüter ab.

Warum ist es bei Ihnen gut gegangen? 

Paul Plut [lacht]: Der Herrgott beschützt die Kinder und die Angesoffenen. Ich war damals wohl beides. Ich hatte lange Haare und nach meinem Verkehrsunfall und dem darauffolgenden Suizidversuch haben sie mir die Haare abgeschnitten, weil ich eine Kopfverletzung hatte. Ich hatte damals das Gefühl, dass ich nach dem Unfall abrupt gealtert bin, plötzlich kein Kind mehr war. Das ist passiert, als ich 18 war. Da ist schon klar, dass das etwas verändert hat.

Das Video von „Grat“, der ersten Single-Auskoppelung zeigt die schroffe Bergwelt und Sie, wie Sie tanzen und rückwärtsgehen. Das ist weit mehr als eine bloße visuelle Spielerei, das hat schon eine Bedeutung, denke ich, oder? 

Paul Plut: Klar, das ist der Tanz auf dem Grat. Und das Rückwärtsgehen kann man schon so interpretieren. Ich würde das aber nicht interpretieren wollen, es steht für sich.

Nach den bisherigen Reaktionen kann man fast von einem universal acclaim sprechen. Überrascht? 

Paul Plut: Grundsätzlich schon. Viele Freunde und Labelkollegen haben mir ja vorher von diesem Projekt abgeraten und gemeint, ich würde mich da viel zu sehr in einer Welt verlieren, die nur wenige interessiert.

Was Ihnen offenbar egal war … 

Paul Plut: Es hat mich eher gefreut, wenn gesagt wurde, dass es „zu eigen“ sei. Dass die Reaktionen jetzt so gut sind, hat mich wiederum sehr gefreut.

Wie kann man sich die „künstlerische Abschottung“ vorstellen, von der im Presstext die Rede ist? 

Cover „Lieder vom Tanzen und Sterben“

Paul Plut: Die Abschottung war vielleicht größer als bei anderen Projekten, weil ich allein gearbeitet habe und den Prozess vom Texten bis zum Mastering fast allein durchgezogen habe. Allerdings nicht ganz allein, weil ich immer wieder Feedbackschleifen mit befreundeten Leuten hatte. Gerade beim Mastering war das wichtig, weil ich das zum ersten Mal gemacht habe und nicht genau wusste, ob das frequenztechnisch eh den Standard erfüllt. Aber grundsätzlich war ich allein. Ich tue mir mittlerweile auch schwerer, in Gruppen zu arbeiten, weil mir ein harmonisches Zusammensein oft wichtiger ist als jemandem zu sagen, dass etwas schlecht ist. Da ist es allein einfacher. Wie alle, die kreativ arbeiten, versuche ich dann, mich abgeschottet in meinem eigenen Raum eine gewisse Anzahl von Stunden mit einer Sache zu beschäftigen.

Sie haben Ihre zwei Suizidversuche thematisiert. Warum? Warum macht es auf einmal Sinn, diese schwierige Zeit zu thematisieren? 

Paul Plut: Vielleicht ist es so ähnlich wie mit dem Heimatding. Dass man Abstand braucht, um gewisse Dinge unter einem anderen Blickwinkel für sich selbst betrachten zu können.

Dass der Album-Release in der Wiener Sargfabrik stattfindet, klingt fast schon nach ironischer Brechung, nach schelmischer Ironie. Absicht oder Zufall? 

Paul Plut: Da war schon Absicht dahinter. Ein Augenzwinkern muss bei einem so schweren Thema schon dabei sein, aber ich will das Thema jetzt auch nicht überstrapazieren. Die Konzerte bisher waren toll. Ich hatte einen kleinen Chor, eine Kontrabassistin und einen Schlagzeuger dabei. Ich habe also eine wirklich coole Band zusammengestellt, mit der ich flexibel agieren kann. Der Fokus aber liegt auf den Texten. Ich erzähle auch zwischen den Liedern, hole mitunter weit aus und versuche, einen Bogen zu schaffen. Der Abend soll befreiend aufhören.

Was genau meinen Sie damit? 

Paul Plut: Hart starten und am Ende wird es positiver, es kommt die Katharsis. Bisher hat das so auch gut funktioniert.

Hat der wohlige Schauer, der einen bei manchen der Lieder erfasst, per se etwas Reinigendes? 

Paul Plut: Ich denke schon. Das kennt doch jede und jeder: Wenn man zulässt, sich über andere Dinge Gedanken zu machen als über das Wetter, ist das lohnend. Da muss man sich schon einmal reinwagen. Wenn ich nach den Konzerten mit Leuten rede, habe ich auch den Eindruck, dass es für beide Seiten wertvoll war. Es ist nicht alles heiter. Und ich finde, man sollte ein Thema wie den Tod nicht der Kirche überlassen. Fluchen, Schimpfen, Weinen und Lachen: Das gehört alles zum Leben dazu.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Markus Deisenberger

Paul Plut live
22.12.2017 Kulturhofkeller, Villach
26.01.2018 Treibhaus, Innsbruck

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Paul Plut
Phonotron