Das geheime Leben der Effektgeräte – Stefan Trischler im Gespräch mit Ulrich Troyer

2011 machte sich der in Wien lebende Musiker Ulrich Troyer mit dem ersten Teil seiner „Songs for William“-Trilogie weit über die Landesgrenzen hinaus einen Namen. Neben den minimalelektronischen Dub-Welten bestach die Platte auch durch einen erzählerischen Überbau. Genannter William ist nämlich ein Effektgerät in Troyers Studio. Seine Abenteuer und die seiner Freunde werden sowohl in den Songs als auch in einem beigelegten Comicheft erzählt, das Ulrich Troyer selbst illustriert hat. Jetzt geht die Geschichte auf „Songs for William 2“ weiter. Stefan Trischler hat mit dem Musiker und Comicautor über den Erstehungsprozess und das Eigenleben elektronischer Klangerzeuger gesprochen.

Im Vergleich zum ersten Teil habe ich den Eindruck, dass du dich auf „Songs for William 2“ ein wenig mehr hin zu einem organischeren Sound bewegt hast, sodass jetzt öfters auch eine Gitarre oder die Melodica unverzerrt zu hören sind. Ist das eine richtige Einschätzung?

Ulrich Troyer: Ja, kann man schon so sagen. Ich habe zwar auch beim ersten Teil schon neben den ganzen Analog-Synths auch Gitarre, Melodica und Percussions selbst eingespielt, habe das für den zweiten Teil aber noch exzessiver gemacht und auch noch ein Glockenspiel verwendet und diese live eingespielten Instrumente dieses Mal nicht allzu wild durch die Effektkastln geschickt.



Ist diese Entwicklung vielleicht auch mit der Comicgeschichte begründet, in welcher die Effektkastln jetzt teilweise nicht so präsent sind.

Ulrich Troyer: Würde ich jetzt nicht sagen. Es hat ein wenig damit zu tun, dass ein Freund von mir, Jörg Piringer, nach dem Release-Konzert im Fluc 2011 gemeint hat, es wäre super, wenn ich während des Live-Dub-Sets hie und da Melodica live dazu spielen würde. Das habe ich zum Teil bei den darauffolgenden Konzerten auch gemacht und so hat sich das irgendwie ganz organisch ergeben.

Ich habe auch extra für den Release eine Zeichnung angefertigt, die nicht am Album ist – als Pressefoto sozusagen. Sie zeigt William beim Melodicaspielen – mit Kopfhörer vor einem Mikrofon – bei den Aufnahmen zu Teil Zwei, ein Glockenspiel steht auch daneben…

Die Effektgeräte haben also auch selbst die Instrumente gespielt, in dieser Welt…

Ulrich Troyer: Genau! (lacht)

Wie hat die ganze Geschichte eigentlich ihren Anfang genommen?

Ulrich Troyer: William ist 2006 auf dem Papier entstanden. Ich habe mit wenigen Strichen eine Figur gezeichnet, ein Gitarreneffektgerät mit einem Klinkenkabel in der Hand, und ihr den Namen William gegeben. Aus dieser Zeichnung heraus hat sich dann in Folge die Idee entwickelt, diesem Effektgerät ein Album zu widmen. In einem Anflug von Größenwahn habe ich mir dann auch gleich vorgenommen, aus der ganzen Geschichte gleich eine Trilogie zu machen. Es ist auch so, dass ich den Comic in allen seinen drei Teilen in groben Grundzügen eigentlich schon länger fertig gehabt habe. Klarerweise habe ich den zweiten Teil für die Veröffentlichung nochmals überarbeitet. Was ich auch mit dem dritten Teil vorhabe, denn vielleicht ergeben sich dann ja ein anderer Schluss oder andere Details.

Damit der Comic mit den Songs wieder korrespondiert?

Ulrich Troyer: Genau, einfach damit dann alles runder wird. Die Songs gibt es ja zum Teil auch schon als Skelette. Aber sie sind auch noch teilweise offen für den dritten Teil. Wobei, da lasse ich mir ganz bewusst noch ein paar Jahre Zeit.

Der erste Teil kam ja 2011 raus, ähnliche Zeit, Zweijahresabstand?

Ulrich Troyer: Genau. Ich glaube, frühestens in zwei Jahren ist mit dem dritten Teil zu rechnen. Abgesehen vom Komponieren, Aufnehmen, Zeichnen und dem Coverartwork geht es auch darum, das Geld für das Doppelvinyl mit Comicbuch und CD mit Comicbuch aufzustellen. Ich möchte es schon als schönes Paket herstellen lassen, auch wenn es dann länger dauert…

Sprechen wir über den Song „Deadlock“, an dem erkennt man die Entwicklung deines Sounds sehr gut. Es gibt von diesem Stück auch noch eine Melodicaversion. Welche Version ist zuerst entstanden?

Ulrich Troyer: Ich habe bei Live-Konzerten irgendwann einmal zur Ursprungsversion von „Deadlock“ Melodica zu spielen begonnen, daraufhin ist die Idee entstanden,  überhaupt eine Melodicaversion von diesem Song zu machen und sie als Album-Teaser als freien Download auf Soundcloud zu veröffentlichen.

Hat der vermehrte Einsatz von Melodicas usw. generell deinen Kompositionsprozess beeinflusst? Mehr Improvisation womöglich?

Ulrich Troyer: Nein, ich habe schon auch vorher mit analogen Synthesizern und Effekten improvisiert.

Ich kann mich dunkel daran erinnern, dass du mir in einem früheren Interview erzählt hast, dass dein Kompositionsprozess ein rhythmischer ist, dass du für deine Songs zu aller erst eine rhythmische Basis legst. Habe ich das richtig in Erinnerung?

Ulrich Troyer: Ja, für mich sind quasi der Anfangsbaustein zuerst die Drums und die Basslinie. Natürlich habe ich schon vorher eine gewisse Akkordfolge oder das tonale Konzept im Kopf, aber ich fange eigentlich immer mit Rhythmus und Bass an. Über diese Basis schichte ich dann so viel drüber, wie der Song braucht. Bei „Deadlock“, was übersetzt ja Stillstand bedeutet, hat es extrem wenig gebraucht. – Ziel war es, einen monotonen und gleichförmigen Klangraum zu generieren, in dem zwar nicht viel passiert, der aber trotzdem die gesamte Stückdauer spannend bleibt.



Ist auf jeden Fall gelungen. Ich finde die Melodie sehr hypnotisch. Was den Song noch interessant macht, ist, dass alles schon stark im Dub verwurzelt ist. Es geht hörbar um den Raum. Du hast ja auch ein bisschen einen Architektur-Background und auf dem letzten Album auch Stiegenhäuser und Waschmaschinen als Klangräume eingesetzt. Wie stark war dieses Mal dieser Faktor ausgeprägt?

Ulrich Troyer:
Das Stiegenhaus ist ja nach wie vor im Einsatz. Auch bei „Deadlock“.

Als Reverb-Hallraum?

Ulrich Troyer:
Genau, als Echokammer, in der ich gewisse Instrumente über einen Lautsprecher wieder abspiele und den reflektierten Sound mit einem ein paar Meter weiter weg positionierten Mikrofon wieder einfange.

Und Waschmaschine dieses Mal nicht?

Ulrich Troyer: Nein, die kommt vielleicht wieder bei einem anderen Projekt zum Einsatz.

Du bist ja seit acht Jahren auch ein Teil des Gemüseorchesters und machst auch Musik für Theater- und Tanzproduktionen. Wie stark beeinflussen dich diese Tätigkeiten und wie stark kommen die bei den Soloproduktionen „Songs for William“ auch zu tragen?

Ulrich Troyer: Ich glaube, das Gemüseorchester ist in Bezug auf das Teamwork sehr befruchtend und vermutlich übt es auch einen gewissen Einfluss auf meine Soloarbeit aus, vor allem über Gespräche, Feedback und Erlebnisse, die wir gemeinsam haben. Auch die Auftragsarbeiten für Tanzproduktionen empfinde ich als  sehr befruchtend, weil sie für mich eine interessante Spielwiese, auf der ich einiges ausprobieren und erforschen kann, darstellen. Und ja, ich denke, diese Erfahrungen spielen schon auch in das Williamprojekt in irgendeiner Art und Weise hinein.

Ist „Cable Loss“, eine weitere Nummer von „Songs von William 2“, ein bisschen als Metapher zu verstehen, da eine Beziehung zwischen William und seiner Freundin dadurch wiederbelebt wird, dass sie die Kabeln wiederfinden und sich wieder gegenseitig Audiomaterial zuschicken können?

Ulrich Troyer: (lacht) Ja, kann man so sagen, es geht sicher auch um eine Beziehung von einem Effektgerät mit einem anderen.

Was im Comic ebenfalls interessant ist. Es kommt gegen Ende der virtuelle Effekt HD dazu, den die analogen Stompboxes, die Gitarreneffektgeräte zum Draufsteigen nicht gleich cool finden, weil er eben anders ist und viel mehr kann als sie, d. h. es geht ein bisschen um den Konflikt digital vs. analog. Wie sieht das bei dir aus, hast du verstärkt alles noch irgendwie als tatsächliches Equipment oder hast du dann auch immer mehr Plug-in Effekte drauf?

Ulrich Troyer: Nein, ich verwende den Laptop, diesen HD, wie er im Comic heißt, rein als Tonbandmaschine und Midi-Sequenzer. In den letzten Jahren habe ich viele analoge Instrumente gesammelt und verwende zur Klangerzeugung ausschließlich analoge Synthesizer- und Effektgeräte.

Weil du von der Klangqualität überzeugt bist oder weil es vom Handling her besser passt?

Ulrich Troyer: Das hat mehrere Gründe. Erstmals greife ich gerne Knöpfe an und liebe es, an ihnen herumzudrehen. Außerdem klingen analoge Klangerzeuger für meine Ohren wärmer und lebendiger. Wenn man jetzt z.B. bei diesem Vermona-Drumsynth, den ich verwende, die Bassdrum hernimmt und diese für den ganzen Track über acht Minuten aufnimmt und in die Wellenform reinzoomt, dann sieht man, da ist wirklich jeder Kick leicht unterschiedlich. Wenn man das jetzt mit einem Softwaresynthesizer macht, bekommt man halt mehr oder weniger die gleiche Wellenform.

Für diese repetitive Pattern-orientierte Musik – die ich ja mache – macht es schon Sinn, diese Klänge von analogen Klangerzeugern generieren zu lassen und diese dann über die gesamte Tracklänge aufzunehmen. Wenn ich jetzt eine Gitarrenspur aufnehme, dann spiele ich auch zur gesamten Länge des Tracks dazu und nehme nicht nur einen kurzen Loop auf, der sich dann dauernd wiederholt. Das würde ja auch langweilig für’s Ohr klingen.

Die Oszillatoren dieser Synthesizer sind nicht ganz perfekt – entweder sie wurden von den Ingenieuren extra so konstruiert oder es ist zum Teil vielleicht auch eine Alterserscheinung. Auf jeden Fall erhält die Musik dadurch das totale Leben – und obwohl es quasi „immer ähnliche Pattern“ sind, wird es nicht langweilig für das Ohr. Technoklassiker aus den 90ern zum Beispiel sind ja fast ausschließlich mit solchen analogen Drum-Machines und Synthesizern erzeugt worden. Sie sind aus diesem Grund auch nach wie vor aktuell und frisch und toll anzuhören.

Du hast mir erzählt, dass sich bei „Cable Loss“ auch beim Mastering im Nachhinein klanglich noch sehr viel verändert hat. Dieses hat interessanterweise dein Bruder Kassian in Berlin gemacht hat. Wie stark hat er in den Song eingegriffen?

Ulrich Troyer: Ich bin ein großer Fan von meinem Bruder Kassian! Er macht sehr sehr schöne Musik und veröffentlicht als Kassian Troyer auf dem Hamburger Label DIAL. Dubbigen Deep House, sehr minimalistisch und melancholisch. Sehr, sehr feine Sachen. Er ist mein Lieblingstontechniker und Mastering-Engineer. Wir befinden uns permanent in regem Austausch. Er gibt mir gute Anregungen und hört sich geduldig meine Stückideen, Kompositionen und Testmischungen an und kommentiert sie. Ich mache das auch bei seinen Sachen. Er hat schon das erste Album gemastert. Bei diesem Teil war ich noch nicht ganz zufrieden mit meinen eigenen Mischungen und habe das Gefühl gehabt, dass Kassian dieses Mal ein Stem-Mastering machen sollte. Das bedeutet, dass der Tontechniker die Einzelspuren bekommt und praktisch noch so eine Art endgültigen Mix aus diesen Stems erstellt und erst dann das Mastering macht. Gerade bei dem Track „Cable Loss“ hat er interessanterweise den von mir eingespielten E-Bass eher in den Hintergrund gemischt und equalized, wodurch der Subbass lauter geworden ist. Das hat das Stück irgendwie auf tolle Weise zu ein bisschen etwas anderem gemacht, als ich geplant hatte. Ich habe auch im ersten Moment, als ich das Master gehört habe, gedacht, da fehlt was und das geht nicht. Als ich aber dann genauer hingehört habe, musste ich mir eingestehen, dass diese Version besser ist als das Original.
Free download: “Deadlock (Melodica Version)” https://soundcloud.com/ulrichtroyer/deadlock-melodica-version

Fotos: Eva Kelety Photography

http://www.ulrichtroyer.com/
http://ulrichtroyer.bandcamp.com/
https://soundcloud.com/ulrichtroyer/