„DAS FESTIVAL IST FÜR MICH LÄNGST INTERDISZIPLINÄR AUSGERICHTET, AUCH WENN DER SCHWERPUNKT AUF MUSIK LIEGT“ – KATRIN PRÖLL (SALAM MUSIC & ARTS FESTIVAL) IM MICA-INTERVIEW

Am 28. März 2025 beginnt das SALAM MUSIC & ARTS FESTIVAL mit einem Konzert von MERAL POLAT in der Sargfabrik. Bis 6. April 2025 ist auch der iranische Filmemacher AYAT NAJAFI mit dem Film „No Land’s Song“ zu Gast, weitere Auftretende stammen etwa aus Syrien oder dem Libanon. Festivalleiterin KATRIN PRÖLL ist seit dem Jahr 2017 an Bord und erzählt im Interview mit Jürgen Plank warum das Festival längst interdisziplinär geworden ist und warum sie gerne mit Gastkurator:innen zusammen arbeitet. Einst hat das Festival SALAM ORIENT geheißen, wie es zur Namensänderung gekommen ist, wird im Gespräch ebenfalls thematisiert. Zudem erzählt KATRIN PRÖLL wie sie als Kuratorin vorgeht und welche Rolle bei ihrer Arbeit der Radiosender BBC 6 spielt.

Du leitest das Salam Music & Arts Festival und hast heuer einen Gastkurator eingeladen. Was bringt der Musiker Omid Darvish ein?

Katrin Pröll: Heuer gibt es schon zum dritten Mal einen Gastkurator. Als wir das Festival im Jahr 2017 von Norbert Ehrlich übernommen haben, haben wir uns schon gedacht, dass es nett wäre abwechselnde Gastkurator:innen einzuladen. Künstler:innen aus Wien und Österreich ins Festival einzubinden und das Festival mitzugestalten. Denn wir können deren Bands ja nicht jedes Jahr auftreten lassen. Das ist eine Möglichkeit das Festival in der lokalen Szene zu verankern. Der erste Gastkurator war im Jahr 2022 der syrische Oud-Spieler Orwah Saleh, heuer ist es der iranisch-kurdische Tanbur-Spieler Omid Darvish. Beide sind seit 2017 als Musiker und im Publikum dabei und ich habe gemerkt, dass sie mitleben und das Festival auch als ihr Festival sehen. Und Omid hat im Jahr 2022 gemeint, dass er eine musikalische Entwicklung des Festivals in eine innovative, experimentelle Richtung bemerkt, die ihm sehr taugt.

Wie findest denn du die Live-Acts für das Festival?

Katrin Pröll: Ein großer Teil meiner Arbeit besteht darin, zu Festivals zu fahren und auf Konzerte zu gehen. Und es gibt Fachmessen wie die WOMEX (Anm.: Abkürzung für Worldwide Music EXpo), bei denen ich immer wieder Bands entdecke. Es stellt sich immer mehr heraus, dass der Radiosender BBC 6 eine gute Quelle dafür ist, was es international an neuer Musik gibt. Bei uns in Österreich erfährt man aus den Medien und den Radios erst etwas über Bands, wenn die schon längst weltweit bekannt sind. BBC 6 traut sich da einfach mehr.

Bild Ukandanz
Ukandanz © Bertrand Gaudillere

Bist du über BBC 6 auf die Band UKANDANZ aus Äthiopien gekommen?

Katrin Pröll: Nein, aber so ist Sarah Halganins Spiel gekommen. UKANDANZhabe ich schon vor rund 10 Jahren bei einem Festival in Ljubljana gesehen. Die haben mich damals an die Wand gefahren. Ich habe mir gesagt: ich finde die Band super, aber es war zu viel. Letztes Jahr habe ich mitgekriegt, dass sie ein neues Album machen und ich wollte die Band Omid vorschlagen. Und sein erster Vorschlag war auch UKANDANZ. Omid und ich sind dann nach Budapest gefahren und haben die Band beim Sziget-Festival gesehen und sie sind nach wie vor unglaublich. Die Musik fährt noch immer, aber sie fährt mich nicht mehr an die Wand. Wir haben mit der Band in Budapest geplaudert und sie haben gesagt, dass sie noch nie in Wien waren und dass sie vom Porgy & Bess schon so viel gehört haben. Und sie haben erzählt, dass das Konzert damals in Ljubljana eines der letzten Konzerte war bevor sie sich sozusagen vorübergehend aufgelöst haben. Weil sie selbst nach jeder Tour fast ein Burnout gehabt haben und sie hatten das Gefühl, dass sie das weder sich noch dem Publikum antun können. Diese Energie war für sie selbst zu viel, das kann man nicht durchziehen. Jetzt haben sie den perfekten Weg gefunden: das Konzert ist ein Erlebnis und man geht als Publikum nicht geschlaucht aus dem Konzert.

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Aus Somaliland stammen Sahra Halgan und ihre Band, die du bereits angesprochen hast. Wie bringt man so eine Band nach Österreich? Warum wolltest du sie unbedingt im Programm dabeihaben?

Katrin Pröll: Aus mehreren Gründen muss diese Gruppe dabei sein: ich finde sie musikalisch sehr gut und das neue Album ist auf BBC 6 rauf und runter gespielt worden. Dem bin ich nach gegangen und es hat sich herausgestellt, dass ein Freund aus Frankreich der Produzent hinter der Band ist. Er macht immer sehr gute Projekte, auch mit Musiker:innen aus Mali. Diese Band wollte ich einfach unterstützen und im Laufe des Jahres sind sie in den internationalen Musikmarkt immer mehr eingestiegen und haben Aufmerksamkeit erregt. Sahra Halgan und ihre Band haben dann auch auf der WOMEX gespielt. Lustig ist, dass ich einigen Veranstalter:innen schon vor zirka einem halben Jahr geschrieben habe, dass diese Band für mich die Platte des Jahres gemacht hat.

Ungewöhnlich an der Band ist auch der Herkunftsort: Somaliland ist eine autonome Region von Somalia und Somalia ist wiederum eines der fünf ärmsten Länder der Welt.

Katrin Pröll: Natürlich ist die Geschichte hinter der Band ein Wahnsinn. Von Somaliland habe ich zuvor auch noch nie gehört. Somaliland hat sich von Somalia für unabhängig erklärt, weil die Menschen dort einfach gesagt haben, dass sie diese ständige Bürgerkriegssituation in Somalia nicht mehr wollen. Die Unabhängigkeit wurde bisher nur von Taiwan anerkannt. Die Sängerin Sahra Halgan ist eine Aktivistin und pendelt jetzt zwischen Lyon und Somaliland. Die ganze Band agiert von Lyon aus und Halgan geht es auch um die Förderung der lokalen Musik in Ostafrika.

Bild der Musikerin Sahra Halgan mit ihrer Band
Sahra Halgan © Marion Bornaz

„MIR WAR WICHTIG, AUCH BILDENDE KUNST DABEI ZU HABEN“

Im Rahmen des Festivals gibt es den Dokumentarfilm „No Land’s Song“ zu sehen, der sich insbesondere mit weiblichen Musikerinnen im Iran beschäftigt.

Katrin Pröll: Das Festival ist für mich längst interdisziplinär ausgerichtet, auch wenn der Schwerpunkt auf Musik liegt. Mir war wichtig, auch Bildende Kunst dabei zu haben. Da haben wir als Kooperationspartner Philomena+ und so bin ich draufgekommen, dass sich unser Publikum für Kunst und Kultur aus der Region interessiert und nicht nur für Musik. Der Dokumentarfilm „No Land’s Song“ ist in unserer Festival-Zentrale im Spektakel zu sehen. Die Central European University ist mit der Frage an mich herangetreten, ob man nicht mit den Studierenden ein Projekt machen kann. Die Studierenden bewegt sehr die Revolution im Iran, damit wollten sie sich beschäftigen. Ich finde das Thema wichtig und der Dokumentarfilm ist wirklich gut. Er hat tragische Momente aber auch sehr viel Witz. Als Protagonist:innen sind sehr bekannte Musiker:innen dabei, zum Beispiel Emel Mathlouthi. Das ist ein vielschichtiger und mutiger Film, denn der Filmemacher lebt weiterhin in Teheran. Es wird auch eine Podiumsdiskussion und ein Gespräch mit dem Filmemacher geben. Filme würde ich gerne mehr ins Programm einbringen, aber ich brauche dann die passenden Kooperationspartner:innen, weil ich selbst nicht alles abdecken kann und mir eine Expertise dazu holen muss.

Das Eröffnungskonzert am 28. März 2025 bestreitet Meral Polat.

Katrin Pröll: Dem Gastkurator Omid Darvish war es wichtig, sowohl etwas Kurdisches als auch etwas Iranisches im Programm zu haben. Kurdisch ist nun Meral Polat, aus dem türkischen Landgebiet, und iranisch ist Amir Ahmadi mit Terrea. Omid wollte einen progressiven Act. Es gibt sehr viele traditionelle, sehr gute Acts in der Region. Und außer Meral Polat wüsste ich keinen progressiven Act. Sie habe ich vor zirka zwei Jahren bei einer Musikmesse in Marseille gesehen. Sie hat eine erfolgreiche Karriere als Schauspielerin hingelegt und beschäftigt sich erst seit ein paar Jahren mit Musik. Sie ist in Amsterdam geboren und aufgewachsen. Ihr bereits verstorbener Vater hat viele Gedichte geschrieben und sie hat, glaube ich, vor allem seit dem Tod des Vaters, das Bedürfnis diese kurdische Identität zu erforschen und sie hat auch seine Gedichte vertont. Ihre Band ist unglaublich gut, mit einem sehr reduzierten Sound und Meral singt sehr emotional.

Bild Meral Polat
Meral Polat © Maarten Mooijman

Mit dem Programmpunkt Home Fado bewegt sich Salam Music zum Abschluss am 6. April 2025 in den 10. Wiener Gemeindebezirk?

Katrin Pröll: Ja, genau. Das finde ich auch sehr gut: Favoriten gehört finde ich eingebunden, wenn es darum geht, Zielgruppen mit Flucht- oder Migrationshintergrund einzubinden. Darum bewegen wir uns nach Favoriten. Die Organisatorin von Home Fado, Maria Thi Thuy Tam Nguyen vom Verein Mosaic, hat einen vietnamesischen Hintergrund, wir kennen einander von einem Festival im Sonnwendviertel, das während der Pandemie stattgefunden hat. Sie hat den Plan gefasst, ein Projekt vor allem mit afghanischen Frauen zu machen, die oft wirklich traumatische Erlebnisse gehabt haben und wegen psychischer Belastungen schwer Halt finden. Maria findet, dass den Frauen das gemeinsame Kochen Halt gibt, das ist eine gemeinsame Aufgabe. An diesem Abend werden Essen und Musik miteinander kombiniert, das ist ein total schönes Konzept. Auch da finde ich es gut, Synergien zu erzeugen. Home Fado ist ein kleines Projekt, das durch Salam Music hoffentlich neue Aufmerksamkeit und neues Publikum bekommt.

„ICH STEHE DAZU, DASS DAS FESTIVAL SALAM ORIENT GEHEISSEN HAT, ABER ES WAR AN DER ZEIT, DEN TITEL ZU ÄNDERN“

Das Festival hat einst Salam Orient geheißen, nunmehr trägt es den Namen Salam Music & Arts Festival Vienna. Wie kam es zu dieser Änderung?

Katrin Pröll: Ja, das ist schon seit dem Jahr 2017 ein bisschen im Kopf herum gespukt. Damals haben wir uns nicht getraut so viel auf einen Schlag zu verändern: neue Leitung, neuer Look und neue Programmschienen und musikalische Richtungen. In den letzten paar Jahren hat sich die Auseinandersetzung mit einem neuen Namen intensiviert.

Prinzipiell reagieren Menschen positiv darauf, dass es in Österreich das Festival Salam Orient gibt. Wir haben oft Bands, die politisch sind. Als ich hinterfragt habe, ob der Begriff Orient zu romantisierend ist und zu sehr mit Klischees behaftet ist, haben doch einige Bands gemeint, dass sie Salam Music als Titel gut finden würden. Ab der Änderung war der neue Name völlig selbstverständlich. Ich stehe dazu, dass das Festival Salam Orient geheißen hat, aber es war an der Zeit, den Titel zu ändern.

Was wünscht du dir für das heurige Festival und – gleich in die Zukunft schauend – was wünscht du dir fürs nächste Jahr?

Katrin Pröll: Für heuer wünsche ich mir, dass alle Bands ihr Visum kriegen. Dass viele Leute mit der Begeisterung, die wir für das Programm haben, angesteckt werden und dass die Leute zum Festival kommen. Die Bands sind ja zum Teil noch nicht so bekannt. Wir haben das Pech oder das Glück eigentlich, dass wir Bands einladen können, die noch nicht so erfolgreich sind und für uns noch leistbar sind. Ich hoffe, das Publikum hat Vertrauen ins Festival, dass da ganz tolle Sachen dabei sind und einfach zum Festival kommt und die Freude mit uns teilt.

Fürs nächste Jahr: wir haben begonnen, uns mit internationalen Fördergebern auseinanderzusetzen, die neue Konzepte und neue Kooperationspartner mit sich bringen würden.

Die Leiterinnen des Akkordeonfestivals haben sich mit ihrem Programm heuer bis in die Steiermark bewegt. Wäre das auch eine Idee für dich?

Katrin Pröll: Ich bin mit den beiden in Kontakt und sie haben mir einen neuen Veranstalter in Graz empfohlen. Und sie haben mir gesagt, dass derjenige auch an Salam Music interessiert wäre. Graz wäre natürlich auch für uns super. Es ist nicht so einfach, aber auf jeden Fall anstrebenswert sich breiter aufzustellen.

Herzlichen Dank für das Interview.

Jürgen Plank

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Salam Music & Arts Festival
28.3. – 6.4.2025

Tickets: https://www.salam-music.at/tickets
Ermäßigte Karten bis einschließlich 27 Jahre sowie Ö1 Club.
Kontingent an Freikarten für Kulturpass-Besitzer:innen.

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Links:
Salam Music & Arts Festival Wien
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