Das Eröffnungswochenende von Wien Modern 2009 (Rückblick)

Würdig und hochkarätig war die Eröffnung von Wien Modern 2009 am vergangenen Donnerstag im Großen Konzerthaussaal: Das vielleicht beste Ensemble für Neue Musik (Klangforum Wien) und ein hervorragendes Orchester (SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg) spielten in zwei Blöcken das repräsentative Werk der Spektralmusik von Gérard Grisey, das dieser von 1974 bis 1985 geschaffen hatte. Tags darauf ein weiteres SWR-Orchester-Konzert, dann die Personale von Robert Ashley mit Musik/Theater/Text-Stücken und zwei weitere Klangforum-Konzerte – zweimal gar hörte man dabei Bernhard Langs beeindruckende neue “Monadologie VII”.

Die von französischen Komponisten ausformulierte “musique spectrale” ist immer wieder auch durch “Wien Modern bei uns bekannt gemacht worden.  “Les Espaces Acoustiques”, Gérard Griseys unendliche Reise durch die Welt der Klangräume von zwei solchen Ensembles im Zusammenhang an einem Abend live hören zu können, unter der kundigen Leitung von Sylvain Cambreling,  – das muss man Wien Modern erst einmal nachmachen. Die Reise in unerforschte Klanggefilde beginnt mit dem “Prologue” einer Solo-Viola (Dimitri Polisoidis) und endet mit einem Stück für großes Orchester und 4 Solo-Hörnern, wirkungsvoll auf der Orgel-Galerie postiert. Das Bratschenstück beginnt mit einer fast neutralen Erforschung eines (Grund-) Tons und allmählich der Einbeziehung seines Obertonspektrums, bei den anschließenden “Périodes” für sieben Solisten, spielt ein Streichquartett (dann auch der Kontrabass) die herausragende Rolle. Auch hier wieder wird dieser Klang nach den Erkenntnissen der Akustik aufgefächert und durch fluktuierende Spieltechniken immer mehr differenziert – und die Mitglieder des Klangforums wissen, wie das manchmal wie ein Instrument klingen kann, in dem dann abwechselnd immer wieder Instrument hervortritt – toll besonders auch Uli Fussenegger mit machtvoller Grundierung, die sein Kontrabass beharrlich und insistierend immer wieder leistete.

Bei “Partiels” für 18 Musiker schließlich wird mit Instrumentalsynthesen und Verschmelzungen von Klängen gearbeitet. Dieser Abschnitt beendete den ersten Teil mit dem Klangforum Wien. Nach der Pause saß ein 100-Personen-Orchester auf dem Podium, doch weiter ging es mit “Modulations” für nunmehr 33 Musiker, ehe das volle Orchester einfiel. Mehr und mehr entsteht die Illusion sich in entfernteste kosmische Galaxien zu bewegen, bis man dann wieder umgekehrt das Gefühl hat in die tiefsten und dichtesten Gesteinsschichten das Erinnern einzutauchen. Triumphal dann die 4 Solohörner, doch auch zuvor schon solistische Beiträge etwa der Solobratsche (eine Reminiszenz auf den Beginn) und des Kontrabasses.

Am zweiten Abend mit dem SWR-Orchester stand Beat Furrer am Pult, wiederum zunächst mit einem Kammerensemble (Kammerensemble Neue Musik Berlin) mit Stücken von Iannis Xenakis, dann bei Salvatore Sciarrino mit dem hervorragenden Flötensolisten Mario Caroli vor dem Orchester. Den Abschluss dieses Konzertes bildete Furrers Komposition für Orchester und Sprecher “Apon” (2009), mit einem Text des Dramatikers Händl Klaus, der aber in den Orchesterklang projiziert wird – ein von Furrer immer wieder neu erprobtes Verfahren zwischen Sprache und Musik, eine Untersuchung von Sprechen und instrumentalem Nachhall, Resonanzräumen der Polyphonie der (im zweiten Teil abwesenden) Sprechstimme im Orchester selbst.

Robert Ashley arbeitete im brut Künstlerhaus mit dem jungen MAE-Ensemble (die Abkürzung bedeutet Maarten Alten Ensemble), präsentierte sich selber als Sprecher von scheinbar Sinnlosem und Alltäglichen, das dann auch in den verschiedensten Sprachen von weiteren Solisten und den Ensemblemitgliedern variiert und wiederholt wird, unversehens wird einem das ein bisschen lang, aber dann hört man doch wieder hin. Dem folgte dann (noch spätnachts) Ashleys ,Fernsehoper’ “Perfect Lives” in sieben Eposoden (1983) – den Aufbau dieses peniblen konstruierten Geschehens konnte man im brut im Konzerthaus auch bei den Televisionen in einem Film von Peter Greenaway nachvollziehen. “Dust” (1998) und “Made out of Concrete” dann in konzertanten Fassungen tags darauf im Odeon.

Klangforum, Bernhard Lang, das Schinkenfleckerlessen

Das Konzert mit dem Klangforum Wien am Montag begann wieder mit einem Solo-Stück, diesmal für Kontrabass solo, “Parlando”  – Musik in Uraufführung (Wien Modern Auftragskomposition) von Georges Aperghis für den formidablen Uli Fussenegger, der das Stück auch selbst im Almanach treffend erklärt und Aperghis selbst es charakterisieren lässt:  “Parlando handelt von der Einsamkeit. Der Kontrabass spricht ins Leere. Er widerspricht sich, ändert den Tonfall, versucht sich an einem Dialog mit sich selbst. Plötzlich ist etwas Wichtiges in ihm, er muss es aussprechen, flüstern, schreien, murmeln, um sich am Ende doch zu sagen:  So ist es und so wird es immer bleiben.”

Einen ähnlichen Eindruck wie Daniel Ender in seiner Besprechung im “Standard” hatte auch ich beim Hören von Ole-Henrik Moes Musik für Violine und Violoncello “A Memoir”: “. flüsterleise Gesten von nur wenig kompositorischer Substanz, die Geigerin Gunde Jäch-Micko und Cellist Andreas Lindenbaum dennoch mit luxuriöser Fragilität nobilitierten.”  Am virtuosesten fast in allen diesen Kleinbesetzungen musste vor allem Sarah Leonard (Sopran), der Rolf Hind am Klavier assistierte bei einem Stück von Helmut Lachenmann sein. Auf Basis von Texten Nietzsches, Pessoas und jenes eines Anschlages auf dem Schwarzen Brett eines Wissenschaftskollegs in Berlin machte Meister Lachenmann wieder einmal eine Musique concrete instrumentale, bei der man den Text nicht mehr versteht (verstehen soll): Die Singstimme muss schmatzen, sich auf die Wange und Mundhöhle schlagen, das Klavier spielt Cluster und mikroskopische Partikel .

Wie schon bei seiner phantastischen Haydn-“Monadologie” (siehe Link auf den mica-Bericht vom “Musikprotokoll Graz” 2009) verwendet auch die Monadologie VII (. for Arnold .) für Kammerorchester eine “zitierte” Referenz als Basismaterial , in diesem Falle Arnold Schönbergs Kammersymphonie, op. 38. Geworden ist aus der “Granulierung” der “Stammzellen”, die mittels “zellulärer Automaten” organisiert wurden ein eindrucksvolles mehrteiliges Stück, das in einem fast ätherischen Schlussgesang endet. Klangforum at ist best!!

Zum Wiederhören gab es neue Werke am Tag nach dem Klangforum I – Konzert wieder mit dem Klangforum Wien im Mozart-Saal (Di., 3.11.). Die  nun in Wien präsentierten anderen Stücke erklangen bereits beim Musikprotokoll in Graz  Eduardo Moguillansky, Johannes Maria Staud, Mauricio Sotelo; siehe Link auf den Bericht darüber).

Die Schinkenfleckerl waren gut und reichlich, Krautfleckerl gab´s auch Bier und Wein. Eine Pause vom Plaudern und Essen konnte man wiederum bei den “Televisionen” im Konzerthauskeller machen, einem wirklich immens begeisternden Projekt mit Fernsehfilmen aus ganz Europa und Amerika. So sah ich mit wirklicher Begeisterung etwa John Cage und Merce Cunningham zu Besuch in Frankreich in einer NDR-Produktion aus dem Jahr 1966 (!) oder etwa Teil 2 der von Luciano Berio gestalteten 10-teiligen RAI-Serie “C’è musica e musica” aus 1972. Bei einer Reportage über Musikstudenten der New York Julliard School stellte Berio intelligente Hinterfragungen über Musik und Ausbildung an oder über Orchester-, Solisten- und Kammermusikbarrieren, die ihm auch damals alle noch lebende Musikerkollegen – Giganten der Neuen Musik wie Olivier Messiaen, Iannis Xenakis, Luigi Nono, Luigi Dallapiccola Piere Boulez höflich und klug zu beantworten versuchten. Sehenswert! Die Reihe von Filmen ist täglich und dauert bi8s in die späte Nacht, die Programme liegen im Konzerthaus und im “brut Konzerthaus” auf. (hr)

Klangforum Wien © www.lukasbeck.com
Beat Furrer © Eric Marinitsch
Bernard Lang  © Katharina Gossow

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