"Das Album ist eine Art Selbsttherapie und Flucht vom Alltag" – mica-Interview mit Mel Mayr

Schon mit ihrer in Eigenregie veröffentlichten Debüt-EP “Changing” gelang der jungen Salzburger Singer/Songwriterin Melanie “mel” Mayr 2008 das Kunststück sofort einen FM4-Hit zu landen. Mit ihrem ersten Longplayer “Escape The Cold” verfeinerte sie ihren elegant an den Westcoast-Sound der späten Sechziger wie frühen Siebziger angelehnten Folk-Pop und erntete prompt hervorragende Kritiken.

Auf ihrer zweiten, in England eingespielten CD “King Street”, erwies sich mel erneut als äußerst versierte Songwriterin, die locker zwischen allen Stühlen jongliert und sich nun auch nicht mehr so leicht in Kategorien pferchen lies. Folk-Pop? Neo-Folk? Anti-Folk? Diese Frage beantwortet auch die aktuelle CD ”Go Or Run” nicht eindeutig (erneut auf FreeFall Records/Hoanzl erschienen). Und das ist auch gut so, erweitert sie hier doch nicht nur ihr Songwriting, sondern erweist sie sich auch als eine Meisterin im Umgang mit den verschiedenen Klangspektren elektrischer Gitarren. Und noch etwas ist neu: Statt “mel” nennt sich die Künstlerin nun Mel Mayr. Für mica – music austria unterhielt sich Didi Neidhart mit mel.

Was hat sich zwischen Ihrer letzten CD “King Street” (2012) und “Go Or Run” getan?

Mel Mayr:  Nach der Veröffentlichung von “King Street” tourte ich erstmals mit einer Band durch Österreich (u.a. Posthof Linz, Orpheum Graz, Popfest Wien, etc.). Im letzten Jahr war ich dann ausschließlich Solo unterwegs, was unglaublich lehrreich war. Neben intimen, kleinen Clubshows bekam ich tolle Angebote für Supportshows , z.B. für Big Deal, Douglas Dare und Abby in München, Ed Kowalczyk in Wien, Rae Spoon in Graz, etc. Zeitgleich begann ich im Homestudio mit den Aufnahmen für “Go Or Run”. Rückblickend war es jedenfalls eine sehr intensive Zeit.

Sie spielen diesmal ja nicht nur fast alle Gitarren selber, sondern scheinen Sich auch ausgiebig mit den Klangmöglichkeiten elektrischer Gitarren auseinander gesetzt zu haben. Wie kam es zu diesem, doch markanten Wechsel von der akustischen zur (lautstarken) elektrischen Gitarre?

Mel Mayr: Die Affinität zur E-Gitarre war immer schon vorhanden, doch mit den ersten beiden Alben konnte ich akustisch besser umsetzen, was ich zu diesem Zeitpunkt vermitteln wollte. Mit den vielen Solokonzerten wurde mir das dann live aber zu langweilig. Ich bin ein Fan von breiten, sphärischen Soundkulissen, was als Soloact schwer umsetzbar ist, gerade wenn man auf Laptop, Looper, etc. verzichten möchte und sich auf die “klassischen” Werkzeuge wie Gitarre oder Klavier “reduziert”.
Es gab unzählige Inspirationsquellen wie etwa die Film-Dokumentation “Journeys” über Neil Young. Der Film zeigt sein beeindruckendes Solo-Konzert in der Massey Hall in Toronto wo er mit einer amtlichen Anzahl an Gitarrenamps und seiner Gretsch White Falcon-Gitarre dem Publikum das Gehirn ausknipst. Auch die Live-Performances des schwedischen Singer-/Songwriters The Tallest Man On Earth (einer der besten, energetischsten Gitarristen überhaupt), von Dinosaur Jr.’s J. Mascis sowie von Leslie Feist oder Anna Calvi waren sehr gute Inputs.

Wie wichtig sind dabei Effektmanipulationen? “Go Or Run” hat ja ein Soundgewand bei dem nicht einfach nur laut aufgedreht wird, sondern mitunter auch sehr subtil mit verschiedensten Effekten (Hall, Tremolo, Vibrato, Flanger, Phaser) gearbeitet wird?

Mel Mayr: Soundelemente hauchen dem Song Leben ein, geben ihm Farbe, machen ihn interessant. Ich hatte einfach großen Spaß am Experimentieren und es war ein Erstversuch, ob ich ungefähr das umsetzen kann, was sich in meinem Kopf an Soundidee abspielte.

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Führen da spezielle Effekte, die immer auch mit einer speziellen Musik, einer spezifischen Ära assoziiert werden, zu den Akkordfolgen, oder beginnen Sie zuerst ganz traditionell mit akustischer Gitarre bzw. Keyboard?

Mel Mayr: Das Grundgerüst entsteht meistens traditionell mit Gitarre oder Klavier. Ich habe relativ schnell eine Vorstellung, wo der Song soundmäßig hingehen soll und was man an Elementen einbauen könnte.

Würdest Sie sagen, dass “Go Or Run” eine neue Soundsensibilität Ihrerseits markiert? Auch im Sinn eines Freischwimmens bzw. eines neuen Aufbruchs?

Mel Mayr: Mit jedem aufgenommenen Album hab ich ein Stück mehr gelernt – dank gilt den Musikern, die mich unterstützt haben und mit mir gearbeitet haben.  Ich bin eher eine Spätzünderin, da ich erst Anfang/Mitte zwanzig so richtig in die Materie hineingekippt bin. Ich sehe das  Ganze als einen endlosen Prozess. Ich möchte viel Lernen, viel Erleben. Somit ist “Go Or Run” eine Etappe einer nie endenden Reise.

Haben Sie da viel herumexperimentiert, oder haben Sie sich eher an gewissen Vorbildern orientiert?

Mel Mayr:  Ich habe “Go Or Run” größtenteils im Alleingang aufgenommen. Viele Songs sind erst während einer Recordingsession entstanden. Ich habe zuhause im Dachbodenstudio aufgenommen, die Stimmung war also sehr intim und einsam. Ich konnte viel experimentieren, da ich keinen zeitlichen Druck hatte. Aber Vorbilder fließen bewusst oder unbewusst immer mit ein. Ich war zu dieser Zeit z.B. ganz süchtig nach dem Album “Standing At The Sky`s Edge“ von Richard Hawley (u.a. Tour-Gitarrist bei Pulp).

Neben der deutlichen Elektronifizierung fällt bei “Go Or Run” vor allem auf, dass es nicht mehr ganz so leicht ist, Ihre Musik in eine Folk- bzw. Singer/Songwriter-Schublade zu stecken. Ist das eine nahe liegende Entwicklung gewesen, oder war das ein bewusster Schritt hin zu “rockigeren Klängen” und einem Songwriting bei dem es diesmal auch mehr um eine erweiterte Vorstellung von Pop geht, wie sie ja auch in den mittleren 1970ern u.a. in Kalifornien praktiziert wurde?

Mel Mayr: Ich sehe mich ganz klar als Singer-/Songwriterin und dieser Begriff ist natürlich sehr breit gefächert. Die Musiklandschaft ist so vielfältig und schnelllebig und ich möchte gar nicht in eine Schublade eingeordnet werden bzw. mich mit einer Kategorisierung selbst einschränken. Was in diesem Jahr noch der heiße Shit ist, kann im nächsten schon wieder vergessen sein. Es ist auch nicht sonderlich ungewöhnlich, im Laufe der Zeit den Sound ein wenig zu verändern und neue Elemente einfließen zu lassen. Mir geht es ganz klar um die erweiterte Vorstellung von Pop, bei der die Musik aber trotzdem immer noch eine sehr ehrliche und direkte geblieben ist.

Trotzdem Sie auf der CD von anderen Musikern unterstützt wirst (u.a. erneut von Stootsie, aber auch von der jungen Salzburger Band Olympique) haben Sie vor Live eher Solo aufzutreten. Wieso?

Mel Mayr:  Ich habe keine fixe Band mit der ich einen eigenständigen Bandsound kreieren könnte und diesen live auch zu 100% rüberbringen kann. Deshalb fühle ich mich solo mittlerweile wohler. Klar würde ich gerne mehr mit Band machen oder im Duo. Das funktioniert aber nur, wenn die Beteiligten die selbe Vision haben. Es soll sich homogen anhören und anfühlen ansonsten kippt es schnell in etwas Beliebiges. Ich kann mich anderen Musikern nur schwer öffnen. Der Satz “Lass uns mal Jammen” löst bei mir leider Angstzustände aus. Das sind nicht die besten Voraussetzungen um Leute zu finden, die am selben Strang ziehen.

Unlängst haben Sie im Salzburger Rockhouse einen Gig im Rahmen de Reihe “Acoustic Summer” gespielt, der aber alles andere als “acoustic” war. Stattdessen gab es längere Gitarrenexkursionen wo Sie auch mit dem Feedback gespielt haben, an denen im Grunde nur eines auszusetzen war: Es war zu leise. Spiegeln diese Solo-Auftritte und Ihr (neuer) Umgang mit der E-Gitarre auch ein neues Selbstbewußtsein wieder?

Mel Mayr:  Das viele Allein-Spielen und Unterwegs-Sein hat natürlich einiges zu meiner Entwicklung beigetragen. Ich würde es nicht unbedingt als neues Selbstbewusstsein bezeichnen sondern eher als einen Versuch sich weiterzuentwickeln.

Jetzt mal kurz was für die Nerds: Was sind eigentlich Ihre Lieblingsgitarren und welche verwenden Sie für was?

Mel Mayr: Am liebsten sind mir Hollow Body Gitarren, weil sie so schön schwingen und dadurch sehr breit klingen. Ich besitze eine Gretsch G6118T, eine Rickenbacker 330 und ein Squier Jazzmaster, J. Mascis Modell. Ich verwende alle drei sowohl für das Studio als auch live. Bei Akustikgitarren tendiere ich zu Martin oder Guild. Stootsie ist bedingt durch seinen Gitarrenshop und seine Sammelleidenschaft ziemlich gut ausgestattet und ich durfte für die Aufnahmen in seinem Fundus wühlen. Für die Basics kam meistens meine Gretsch oder eine Fender Telecaster zum Einsatz. Die Overdubs, die sich mehr durchsetzen sollen, glockiger sein sollen, hab ich mit einer 12-string Rickenbacker 330 und einer Gibson 355 eingespielt.

Sind Ihre Effekte auch Vintage, oder ist das egal
?

Mel Mayr: Ich verwende bis jetzt ja nur zwei Gitarreneffekte und das Tremolo oder den Hall vom Gitarrenamp. Eigentlich ist nichts von meinem Equipment so wirklich vintage. Besonders live kann es sinnvoll sein, mit neueren Modellen zu spielen. Eine schöne alte Gitarre ist fürs On-The-Road-Sein meistens zu schade und gewisse Modelle besitzen oft Eigenheiten, die sich im Live-Betrieb als unpraktisch erweisen können.

Wie ist der CD-Titel “Go Or Run” zu verstehen? Ist das ein aktuelle Generalmotto von Ihnen?

Mel Mayr:  Der Albumtitel lag nahe, weil der Song “Go Or Run” für mich das Herzstück des Albums ist. Es ist ein sechs-minütiges Drama. Der Refrain, also der Satz  “Go Or Run” soll ein bisschen als trotzige Provokation fungieren. Ein geballter Haufen an emotionalem Shit sozusagen. Ich finde den Titel “Go Or Run” spannend, weil er viel viel Raum für Interpretationen lässt. Man kann schnell oder langsam durchs Leben ziehen, sich langsam oder schnell von jemandem entfernen oder sich einem Ziel nähern. Es obliegt einem selbst, wie man Dinge anpackt und wie man mit Dingen umgeht. Ob man gehen oder laufen soll, was gut oder schlecht ist, kann man nur selbst entscheiden.

Worum geht es diesmal bei den Lyrics? Erneut ums Abhauen, Losfahren, sich nicht unterkriegen lassen, “On The Road”-Sein, Aufbrechen, Herumflannieren, oder sind auch neue Aspekte hinzugekommen?

Mel Mayr: Das Album ist eine Art Selbsttherapie und Flucht vom Alltag. Es geht um die Liebe und um die Musik. Man steht kurz vorm Aufgeben, rappelt sich wieder auf, rennt los und fängt von Neuem an.

Ihre Songs hatten bis jetzt immer den Appeal von doch eher rustikalen Non-Spaces, die irgendwo zwischen Wüste und Suburbia verortet waren. Jetzt kommt es mir aber ein paarmal so vor, als hätten sich die Handlungsorte mehr in Richtung Stadtzentrum verlagert. Nicht direkt in eine Inner City, aber schon dorthin, wo Neonlichter die Nacht erstrahlen lassen. Wandeln Sie jetzt vermehrt auf Boulevards (Of Broken Dreams) anstatt auf Dusty Roads?

Mel Mayr: Je mehr Straßen und Orte man durchwandelt, desto eher kann man sagen, wo man hingehört. Das Schöne daran ist, man kann immer wieder umdrehen und dorthin zurückkehren, wo es am besten war.
…Oh Gott ist das kitschig!

Diesmal haben Sie ja eine Agentur engagiert um die Promotion zu machen. Wie ist es dazu gekommen und was versprechen Sie sich davon?

Mel Mayr: Mir wurde klar, dass das DIY-Projekt stagniert und ich wollte mich jemandem anvertrauen, der besser vernetzt ist als ich. Bei Kerstin von Wohnzimmer Promotion wusste ich, dass sie unglaublich viel Erfahrung in dem Bereich hat und dass sie eine Zusammenarbeit eher langfristig sieht. Die Medienpräsenz sollte bestenfalls mehr werden und wenn ich Glück habe, ergeben sich Dinge, die ich alleine nicht erreicht hätte.

Sie bist nun ja auch schon einige Zeit around und hatten gleich mit Ihrer ersten Veröffentlichung, der “5-Track-Debüt-EP “Changing” (2008) einen FM4-Hit. Auch die folgenden CDs ”Escape The Cold” (2010) und “King Street” (2012) erhielten teilweise hymnische Reviews. Dennoch scheint das alles auf eher kleiner (wenn auch feiner) Flamme zu köcheln. Reicht Ihnen das, oder liegen hier auch strukturelle Umstände vor, die den quasi ganz grossen Durchbruch bis jetzt verunmöglichst haben?

Mel Mayr: Der nationale Erfolg mit der EP kam für mich total unerwartet. Ich hatte keinen Plan und kein Ziel. In den sechs Jahren hat sich das gewandelt. Wichtig ist netzwerken – was sich in der Provinz manchmal als etwas schwierig darstellt! Deshalb wollte ich für “Go Or Run” die Promo auch abgeben.
Ich bin fest der Meinung, Musik im größeren Stil funktioniert nur, wenn du jemanden hast, der voll und ganz hinter deiner Sache steht, der sieht, wo du hingehörst und versucht, ein gutes Netzwerk aufzubauen. Als KünstlerIn braucht man das gewisse Etwas und die Zeit, dieses Etwas zu perfektionieren und richtig einzusetzen. Der wirklich große Durchbruch bedeutet sehr oft, sich auf musikalische Kompromisse einzulassen. Und man muss bereit sein, viel zu riskieren bzw. zu investieren. Geld und Zeit spielt hier immer die größte Rolle. Alles in allem möchte ich mit meiner Musik mehr Leute erreichen und ich bemühe mich, das auch zu verwirklichen.

Würden Sie da etwas am österreichischen Förderwesen ändern, oder läuft es eh wieder auf die alte Frage “Wieso werde ich nicht im Radio gespielt?” hinaus, oder liegt das Problem ganz woanders?

Mel Mayr: Es wäre wünschenswert, wenn die Musik aus dem eigenen Land einen höheren Stellenwert hätte. Klar spielt Radio eine große Rolle – vor allem das staatliche Radio. Nicht nur die Breitenwirkung sondern auch die Tantiemengelder sind die besten Mittel, um langfristig gute Musik machen zu können – im Sinne von gut produzierten Alben, Videos, etc.
Außerdem glaube ich, dass ein staatliches Radio in Sachen Musik einen Bildungsauftrag zu erfüllen hat, sachte lenken kann und Horizonte erweitern kann.
Die Probleme sind schwer greifbar für mich. Es beginnt beim Überangebot an Bands, der Geldknappheit der Kulturstätten/Clubs, der nicht vorhandenen österreichische Musikindustrie, den schwierigen Bedingungen im Ausland Fuß fassen zu können, dem Mangel an Förderungen, an Wertschätzung …und endet vielleicht bei der Bequemlichkeit des(r) Künstlers(in).

Wieso nennen Sie sich jetzt eigentlich Mel Mayr?

Mel Mayr: Ich wurde schon öfter darauf aufmerksam gemacht, dass Mel im Internet, auf iTunes, Youtube eher schwer zu finden sei.
Ich dachte mir, am natürlichsten, unaufgesetztesten ist, klassich in Singer-/Songwriter Manier einfach meinen Namen zu verwenden.
Somit bleibt das Mel erhalten, dass man in Österreich schon kennt, was ich als besser empfinde als ein komplett neuer Name.

Wird es zu “Go Or Run” eine Tour geben?

Mel Mayr: Im Herbst gibt es einige Termine in Österreich, im November lässt sich eine Großbritannienreise mit Konzerten verwirklichen. Und wenn alles planmäßig verläuft und das Album gut ankommt, dann stehen im Frühjahr weitere Termine im In- und Ausland an.

Danke für das Interview.

“Go Or Run” (FreeFall Records/Hoanzl) erscheint am 05.09.2014

Mel Mayr on Tour:
05.09.2014: Herbstlaerm Festival – St. Johann im Pongau (Solo)
19.09.2014: Arge Kultur, Salzburg (mit Band)
10.10.2014: Weekender Club, Innsbruck (Support für Wallis Bird)
13.10.20 14: Radiokulturhaus Cafe, Wien (Solo)



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