„DANN STELLT ES MIR DIE HAARE AUF“ – HANNES DUFEK IM MICA-INTERVIEW

HANNES DUFEK hat sich als Komponist der Neuen Musik verschrieben. Er ist Mitgründer des Platypus Ensemble in Wien, hat zuletzt Intimes studiert, den Morgen kartografiert, aber auch schon für einen vollgegackten Maulwurf komponiert. Außerdem steht vor seinem Namen inzwischen ein Doktortitel. Viele Gründe also, um mit DUFEK vor der Uraufführung seines neuen Stücks am 24. Jänner in der Alten Schmiede und der Wien-Aufführung seiner „diachronic sound sculptures“ am 25. Jänner im Reaktor zu sprechen – über das Hereinlassen der Wirklichkeit in die Musik und ihre offene Erzählung.

Zwei Begriffe kommen in deinen Kompositionen immer wieder vor: die Lücke und der Freiraum. Warum?

Hannes Dufek: Meine eigene Position innerhalb der Neuen Musik kann ich dazu nicht einschätzen, weil mir der Blick von außen fehlt …

Das Außen ist der dritte Begriff!

Hannes Dufek: Stimmt, ich versuche meine Stücke so zu gestalten, dass sie keine abgeschlossenen Dramaturgien, sondern lückenhafte Gebilde sind. Sie verfolgen unterschiedliche Stränge von semantischen, aber auch musikalischen Beziehungen, die aber nie zu einem Endpunkt führen. Dieser Prozess erscheint mir als einzig mögliche Antwort auf das, was wir in unserer Wirklichkeit sehen: das Vollgestopftwerden mit vorformulierten Informationen – ein Stream, der immerzu verhindert, mit sich selbst in Kontakt zu kommen.

Die Lücke ist also der Freiraum, den …

Hannes Dufek: … ich mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln für die Menschen öffnen möchte, ja.

Mir fällt der Mut zur Lücke ein – geht damit ein Wagnis einher?

Hannes Dufek: Ja und nein, weil: Wieso soll ich alles auserzählen? Ich bin wie alle anderen ein limitierter Mensch, es geht nicht nur um meine Aussage, sondern auch um meine Aussage. Das bedeutet: Mehrere Perspektiven kommen in einem Stück vor. Musiker:innen, die sich dieser Aufgabe annehmen, fügen Dinge hinzu, nehmen etwas weg. So entstehen Wendungen, die ich mir nie hätte ausdenken können. Das Stück wird zu einer menschlicheren Angelegenheit, weil mehr Menschen vorkommen.

Das setzt dein Zurücktreten als Autor vor, du übergibst an dein Außen.

Hannes Dufek: Genau. Das habe ich auch in meiner Werkreihe „AUSSEN“ zu verdeutlichen versucht. Wichtig ist mir dabei: Die Herangehensweise darf nicht zu selbstbezogen und narzisstisch sein. Sie muss viel eher in der Welt verankert sein. Dann wird die Musik wirksam. Dann löst sie etwas aus. Deshalb will ich die Wirklichkeit in meine Musik hineinlassen – sei es durch Medien, durch die Aufführung an einem öffentlichen Ort oder durch das Hereintragen von anderen Lebenswirklichkeiten. 

Dein Ansatz stellt sich gegen den Zeitgeist, nur sich selbst in den Vordergrund zu stellen.

Hannes Dufek: Die Erfahrung mit dem Zeitgeist lässt sich ohnehin nicht mit meiner Erfahrung übereinstimmen – und zwar seit meiner frühen Jugend. Dazu kommt, dass der Zeitgeist, von dem du sprichst, nur ein Schattentheater ist. Ein paar Leute können sich in den Vordergrund stellen, für sie mag es funktionieren. Alle anderen schwimmen mit und versuchen sich für einen kurzen Moment in den Vordergrund zu drängen. Das ist selten dem Können, sondern eher dem Zufall und dadurch dem Glück geschuldet. Entspricht mir nicht, will ich nicht. Und mag privilegiert klingen. Ich möchte mit meiner Musik allerdings echte Verbindungen schaffen.

Du hast deine Anti-Haltung in der Jugend erwähnt – wie hat sie sich entwickelt?

Hannes Dufek: Wenn ich damals mit Freunden auf die Mariahilferstraße gegangen bin, war ich vollkommen verloren. Ich habe mich also früh einer linken, kapitalismuskritischen, bis hin zur marxistischen Geisteshaltung verbunden gefühlt – einfach, weil ich nicht mit der Wirklichkeit resonieren konnte. Das ist mir geblieben. Trotzdem bin ich, auch im Wissen um die geringe Wirkmacht, Komponist geworden. In der Auseinandersetzung mit der Wirksamkeit bin ich allerdings auf das Lückenhafte gestoßen. Schließlich kann die Musik genau das: Raum geben und öffnen.

„ES KÖNNTE MIR KOMPLETT WURSCHT SEIN. UND DOCH BLEIBT DIE EGO-SCHLEIFE.“

Das Verbindende sei privilegiert, hast du vorhin gemeint. Warum?

Hannes Dufek: Ich nehme mir heraus, mit Leuten zu arbeiten, die wollen, was ich verfolge. Das mag zwar privilegiert klingen, ist aber sinnvoll, weil: Anders ginge es nicht. Schließlich gibt es auch in der Neuen Musik Hierarchie- und Machtgefälle. Als ich in den späten 2000er Jahren das Platypus Ensemble mitbegründete, war deshalb klar: Wir sind alle Komponisten, wir wollen eine Menge sein. Also haben wir eine Plattform gegründet, die genau das möglich gemacht hat.

Das Gemeinsame über das Einzelne zu stellen, meinst du?

Hannes Dufek: Ja, trotzdem ist man auch einzelner Akteur – mit allen Bedingungen und Folgen. Ein Beispiel: Ich habe zuletzt den Trailer zum anstehenden Konzert online gestellt. Seitdem schaue ich jeden Tag, wie viele Leute sich den schon angesehen haben. Es könnte mir komplett wurscht sein. Und doch bleibt die Ego-Schleife.

Auch wenn man das Verbindende bereits mitdenkt.

Hannes Dufek: Aber auch das unterliegt der Veränderung. Ich hörte 2019 beim Platypus Ensemble auf, begann die Arbeit an meiner Dissertation, gründete eine Familie. Dadurch bin ich in der Position, auf mich zu schauen, also: aktiv nach Aufträgen zu fragen. Das bedeutet auch: Selbstpromotion.

Aktuelle Kompositionen reichen von Stücken für Solo-Sopranistin bis hin zur Verbindung zwischen Barock und Moderne.

Hannes Dufek: Alles kann seinen Platz finden, weil die Neue Musik ein offenes Denksystem ist, sofern man sie richtig betrachtet.

Also: wie du?

Hannes Dufek: Natürlich! Aber Spaß beiseite: Die Neue Musik muss keiner Voraussetzung gehorchen. Dadurch kann sie alles ausdrücken, neuen Freiraum codieren. Das ist Utopie und somit anders als in der tonalen Musik – auch wenn mir manche Leute widersprechen werden.

Warum?

Hannes Dufek: Weil es keine allgemeine Menschlichkeit gibt. Alle fühlen unterschiedlich. Du kannst während eines Rockkonzerts oder einer zeitgenössischen Aufführung berührt werden. Schwierig ist nur, wenn jemand mit einer Hörhaltung herantritt, die gar keine Berührung zulässt. 

Das Rockkonzert folgt einer vorgeschriebenen Dramaturgie, sie gibt etwas vor. Dein Ansatz ist, wie du beschrieben hast, viel offener – und dadurch ungerichteter?

Hannes Dufek: Die Dichotomie zwischen vorgegebener Aussage und offener Lücke ist fiktiv, weil die Lücke immer auch eine Aussage ist. Außerdem muss man sich fragen: Welche Wirkung soll das Stück erzielen? Und welche musikalischen Muster kann man bemühen, um diese Wirkung auszulösen? Diese Fragen rekurrieren auf das Bild, das man vom Publikum hat. Ist es eine – und das wird keine komponierende Person sagen – uniforme Masse? Oder ist es eine Menge komplexer Individuen, für die man als Komponist nie alle Antworten geben kann? Sieht man es so, ist mein offener Zugang sogar realistischer als jener vorgeschriebene.

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Mir fällt dazu ein Satz aus deiner Doktorarbeit ein. Er ist lang und verschachtelt, aber sehr treffend: Neue Musik sei eine „eine Art perspektivische Community zwischen Selbstausbeutung, Glamour der großen Säle, merkwürdigen Anforderungen der Partitur, hochtechnisierter Arbeit und dem seltsamen geteilten Bewusstsein, für eine einzige Aufführung scheinbar unendlich viel Energien und Ressourcen aufbringen zu müssen, während diese mit diesem einen Mal auch wieder verpufft zu sein“ ist.

Hannes Dufek: Auch diesem Punkt meiner Argumentation kann ich voll und ganz zustimmen. Schließlich gibt es in der Neuen Musik zwei Bereiche: den einen großen, den man gerne als freie Szene bezeichnet und in dem alle rumwurschteln – und den anderen kleinen, in dem gemachte Komponisten wie Georg Friedrich Haas agieren. Dazwischen gibt es einen großen Unterschied zwischen Konvention und Stil.

Und auch: ein Vakuum?

Hannes Dufek: Ja, es gibt oben und unten. Die Suche nach vermeintlichen Genies aus dem Unten, die sich gut ins Oben promoten lassen, gibt es natürlich trotzdem. Insgesamt widerspricht diese Teilung aber den Prämissen der Neuen Musik, wenn man sie, wie ich, mit den Anfängen des 20. Jahrhunderts abgleicht.

Du meinst, der revolutionäre Aspekt hat sich in Strukturen festgefahren?

Hannes Dufek: Genau, die große Bühne ist weit entfernt von Strömungen, die Neues zulassen. Warum? Weil sich der Ansatz auf struktureller Ebene wiederholt. Klangfarben und Skalen mögen sich ändern – aber die Struktur ist auch nicht anders als eine Beethoven-Sinfonie. Das kann ich technisch schätzen. Ansonsten stellt es mir aber die Haare auf.

Die Frage ist …

Hannes Dufek: …ob es nicht naiv ist zu glauben, dass ich es auch jedes Mal anders angehe. Vielleicht sehe ich es manchmal nicht.

Nummerierst du deshalb manche deiner Stücke und machst sie zu Serien. Um einen Gedanken weiter zu betrachten?

Hannes Dufek: Genau, ich stoße in der weiterführenden Arbeit auf neue Aspekte, die ich in meiner ursprünglichen Idee nicht vorhergesehen habe. Man kann sich das wie ein bewusstes Forschen nach einem unbekannten Ziel vorstellen. Der Moment, in dem ich etwas finde, das ich länger betrachten will, macht für mich das Wesen des Künstlers aus.

Es setzt einmal mehr das Unabgeschlossene voraus. Du brauchst die Fortführung.

Hannes Dufek: Anders als Peter Ablinger, der über seine Serien gesagt hat, dass er immer das gleiche Stück schreibe, habe ich zumindest vier. Dabei haben sie etwas Fluxus-artiges, sie lassen sich nicht auserzählen.

Weil du nach dem letzten Stück auch weiter vom nächsten entfernt sein kannst?

Hannes Dufek: Fortschritt heißt nicht nur: linear nach vorne. Ich sehe ihn also nicht unter dem Standpunkt der Überbietung des Vorhandenen, sondern vielmehr als Entwicklung, die aus deiner Lebenswirklichkeit entsteht. Das muss keine fundamentale, revolutionäre und alles einreißende Veränderung sein. Es reicht, wenn man sich in kleinen Schritten entwickelt – das lehren mich meine beiden Kinder jeden Tag.

Von der Komposition zu den Kindern und zurück – vielen Dank für deine Zeit!

Christoph Benkeser

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Termine:

Hannes Dufek: „In der Mitte des Lebens“ (UA)
Oxymoron Duet
Mittwoch, 24. Jänner 2024, 19:00 Uhr
Alte Schmiede
Schönlaterngasse 9, 1010 Wien

Hannes Dufek: „Diachronic sound sculptures”
vierhalbiert
Donnerstag, 25. Jänner 2024, 19:30 Uhr
Reaktor Wien
Geblergasse 40, 1170 Wien

und

Samstag, 27. Jänner 2024, 18:00 Uhr
Kultum Graz
Mariahilferplatz 3, 8020 Graz

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