„Meine Musik soll nicht provozieren nur des Provozierens wegen“ – DANIEL HARTL (SEDVS) im mica-Interview

SEDVS und der zeitlose Techno. Der Wiener Musikschaffende DANIEL HARTL, Mitbegründer des Wiener-Labels „Bare Hands“, sprach im Interview mit Julia Philomena unter anderem über seine Debüt-EP „Pieces Of Agitation“, das Nischenprogramm etablierter Radioformate und das akustische Überfahrenwerden als Prämisse.

Im Herbst 2016 wird Ihre Debüt-EP erscheinen. Was können Sie uns denn bis dato schon verraten?

Daniel Hartl: Die EP wird vermutlich Anfang September unter dem Namen „Pieces Of Agitation“ erscheinen. Thematisch und musikalisch ist der Schwerpunkt der Platte wohl am UK-Techno der Nuller-Jahre festzumachen, die Tracks sind alle relativ schnell, sehr rhythmisch und bassline-driven. „Pieces Of Agitation“ ist für SEDVS die erste eigene Platte, der erste eigene Solo-Output, für unser Label „Bare Hands“ aber bereits der fünfte Release. Die Platte wird sich definitiv von meinen bisherigen Arbeiten abheben, das Soundspektrum erweitern. Außerdem wird sie kompromissloser sein als die Arbeiten davor.

Kann man die Suche nach dem zeitlosen Techno als Motivation für Ihre Platte verstehen?

Daniel Hartl: Mir geht es bei meiner Musik um Energie. Die ist für meinen Geschmack in den letzten Jahren etwas abhandengekommen. Wahrscheinlich bin ich nach Post-Punk und EBM deswegen bei Techno gelandet, weil ich akustisch ähnlich überfahren werde. Es geht in diesem Clubkontext für mich um die Erfahrung der Erfahrung. Techno ist so energetisch, so rhythmisch, so kompromisslos und unmittelbar – darum wohl auch der rau klingende Titel. Etwas, was ich in letzter Zeit in dieser Musik vermisst habe. Zeitlosigkeit ist ein schwer bestimmbarer Begriff. Es ist eine Art Legitimation, wohl die höchste Form der Anerkennung für Musik. So in etwa muss es sich angefühlt haben, mit Leuten wie John (Peel; Anm.)zu arbeiten.

Woher beziehen Sie Ihre Energie?

Daniel Hartl: Orte haben beispielsweise einen nicht unwichtigen Einfluss auf mein künstlerisches Schaffen. In erster Linie geht es mir darum, Atmosphären zu schaffen oder zu reproduzieren. „Bare Hands“-Platten werden instinktiv von einer gewissen Aura geführt. Dieses Motiv zieht sich wohl seit dem Ursprung des Labels durch, da ist für uns klarer roter Faden zu erkennen, ohne auf ein bestimmtes Genre einzugehen. Besonders Labels wie „Some Bizarre Records“, „Mute“ und zuletzt „Downwards“ sind hier als Inspiration zu nennen. Die bewundere ich besonders.

Wie haben Sie für Ihre EP diesen als roten Faden fungierenden atmosphärischen Sound gefunden?

Cover „Pieces Of Agitation“
Cover „Pieces Of Agitation“

Daniel Hartl: Es hat vor allem deswegen länger gedauert als ursprünglich angenommen, weil ich meinen Sound eben erst finden musste. An meinen eigenen Sachen arbeite ich mittlerweile seit einem Jahr und jetzt langsam bin ich mit den Resultaten zufrieden. Jetzt kann ich sagen, dass ich so weit bin. Raus mit dem Zeug!

Wie steht es um das Artwork der Platte?

Daniel Hartl: Das beruht auf einer langjährigen, sehr schönen Zusammenarbeit mit meiner Langzeitfreundin Andrea Ida. Sie ist seit Beginn des Labels mit an Bord und verzweifelt wohl oft angesichts unserer Spontanität. Sie greift uns bei der Umsetzung des Visuellen unter die Arme.
Ich bin auf das Albumcover-Foto vor etwas längerer Zeit im Internet gestoßen und fand es auf Anhieb ansprechend, weil es die Atmosphäre der EP gut widerspiegelt. Ich finde, das Foto hat die für mich so essenzielle, sehr positive Energie. Meine Musik soll nicht provozieren nur des Provozierens wegen, aber auf jeden Fall in eine Kerbe schlagen, die meiner Meinung nach in den letzten Jahren, speziell hier in Wien, zum Großteil übersehen wurde. Daher wohl auch mein Hang zu Künstlerinnen und Künstlern, die vor Risiken nicht zurückschrecken und so zu einem Punkt gelangen, an dem es kein Zurück mehr gibt.

Sie haben im April ihr erstes Booking in Berlin gehabt. Wie waren die Publikumsreaktionen?

Daniel Hartl: Das war überhaupt mein erstes Booking im Ausland. Es war eigentlich ziemlich surreal und damit meine ich: absolut großartig. Aus Wien kannte ich bereits einen Teil der Jungs von der Herrensauna, die mich für ihre Veranstaltungsreihe in Berlin gebucht haben. Nichts gegen Wien, aber die Stimmung im Club war einzigartig, so etwas habe ich als DJ noch nie erlebt. Traurig, das erwähnen zu müssen, aber die Leute gehen dort überwiegend wirklich wegen der Musik und wegen dieser einzigartigen Erfahrung in den Club. Sie bleiben auch wahnsinnig lange dort. Die Intensität ist dadurch einfach um zwei, drei Stufen höher. Die Musik wird stärker ausgelebt, die Stimmung ist energetischer und alle stoßen an ihre Grenzen. Kurzum, ich habe einfach das gefunden, wonach ich die ganze Zeit gesucht habe.
Auch der Freitagabend davor hatte es in sich, als wir eine Einladung des Nischenradiosenders Berlin Community Radio erhalten haben. Tolle Leute!

„Aufmerksamkeit im Radio ist das Beste, was Künstlerinnen und Künstlern passieren kann!“

Stichwort Radio: Wie relevant ist das Medium Radio für Sie?

Daniel Hartl: Sehr! Aufmerksamkeit im Radio ist das Beste, was Künstlerinnen und Künstlern passieren kann! Da stehen Journalistinnen und Journalisten dahinter, die sich intensiv und passioniert mit Musik befassen, das ist deren Leben, genauso wie es unseres ist. Das Radio bietet aufstrebenden Musikschaffenden eine wichtige Plattform. Ich bin selbst Hörer von beispielsweise Showcases wie „Blackest Ever Black“ auf Berlin Community Radio, die eine absolute Bereicherung sind.
Kritischer stehe ich den Internetplattformen gegenüber, die natürlich auch als große Errungenschaft mit vielen Vorteilen verstanden werden können. Nur im Clubkontext finde ich es etwas problematisch, wenn beispielsweise so gut wie jedes DJ-Set auf SoundCloud landet. So geht viel Exklusivität und Spannung verloren, weil die Erwartungshaltung der Hörerinnen und Hörer sehr engstirnig nach oben geschraubt wird. Mit dieser Haltung gehen sie dann in den Club und verlassen ihn enttäuscht und irritiert, wenn sich Künstlerinnen und Künstler ihre Freiheit bewahren und live etwas anderes abliefern als im Netz.

Existiert für Sie in Österreich eine ähnlich sympathische Plattform wie Berlin Community Radio?

Bild SEDVS
Bild (c) Manuel Bachinger

Daniel Hartl: Ich muss ganz ehrlich sagen, nein. Nicht wirklich. Sehr interessant finde ich den Radiosender Ö1. Da wird großteils noch über den Tellerrand hinausgeschaut und ein Nischenprogramm angeboten, das ich ansprechend finde. Darüber hinaus findet sich kaum spannendes Angebot.

Wohin wird es Sie künftig ziehen?

Daniel Hartl: Ich wurde schon öfter darauf angesprochen, ob nicht Berlin musikalisch geeigneter für mich wäre als Wien. Nur um noch mal den Bogen zurück zu den Social Media zu spannen: Wenn man über die richtigen Kontakte verfügt, ist es nicht notwendig, den Wohnsitz zu ändern. Außerdem ist Berlin nur einen Katzensprung entfernt und gerade deswegen so reizvoll, weil es eben nicht alltäglich für mich ist.
Auch dann nicht, wenn man in der lebenswertesten Stadt der Welt lebt. Ich verbinde mit Wien wohl so eine Art Hassliebe. Es ist schon wirklich paradox, denn musikalisch bewegt mich hier, bis auf einige kleine Inseln, kaum etwas.

Welche Pläne haben Sie für SEDVS und „Bare Hands“?

Daniel Hartl: Ich kann verraten, dass wir unser Label im Herbst auf alle Fälle noch vielschichtiger gestalten werden. Es wird Releases geben, die sich vom Clubsound im klassischen Sinn abheben werden. Zudem werden wir auch auf andere Formate zurückgreifen, beispielsweise wird der kommende Wave-Output auf Kassette kommen. Parallel dazu erscheint eine neue Bedlam-EP und mit Bocksrucker präsentieren wir zudem einen neuen Artist, dessen EP Mitte Oktober erscheinen wird. Zudem wird es zu diesem Zeitpunkt auch eine von uns kuratierte Nacht in der Grellen Forelle geben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Julia Philomena

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