Die deutsche GEMA hat als erste Verwertungsgesellschaft weltweit eine Klage gegen OpenAI eingebracht. Damit geht sie gegen die unlizenzierte Nutzung von geschützten Musikwerken durch OpenAI als Anbieter von Systemen generativer Künstlicher Intelligenz (KI) vor. KAI WELP, Anwalt für Urheber- und Medienrecht und Chefjustiziar der GEMA, sprach mit Markus Deisenberger über die Aussichten der Klage und mögliche Konsequenzen auch für österreichische Urheber:Innen.
Lassen Sie uns vielleicht die Marktsituation beleuchten, die zur Klage geführt hat: Einer globalen Studie zufolge, die der internationale Dachverband der Autoren und Komponisten Cisac in Auftrag gegeben hat, werden Urheber:innen von Musik und audiovisuellen Inhalten aufgrund generativer KI-Anwendungen bis 2028 rund ein Viertel ihrer Einnahmen verlieren. Von noch drastischeren Zahlen geht eine von GEMA und SACEM gemeinsam beauftragte Studie aus. Ihr zufolge droht durch KI in den kommenden Jahren eine Einkommenslücke für Musikschaffende von bis zu 27 %. Dem gegenüber steht ein Unternehmen, das mit 157 Milliarden Dollar (Stand: Oktober 2024) bewertet wird und zwei Milliarden Euro Gewinn erwirtschaftet, der Prognosen zufolge schon bald auf 5 Milliarden ansteigen wird. Von diesen immensen Wertzuwächsen profitieren erst einmal die Betreiber von OpenAI, nicht jedoch diejenigen, die die Inhalte liefern, auf denen das Geschäftsmodell aufbaut. Kann man das so sagen?
Kai Welp: Genau, das kann man so sagen. Es ist einfach so, dass sich diese Unternehmen die Inhalte einfach aus dem Netz genommen haben. Bei OpenAI ist nicht ganz öffentlich, womit trainiert wurde. Es gibt aber durchaus Dienste, gerade im Musikbereich, die öffentlich zugeben, dass sie das gesamte Internet gescraped und ihre Dienste mit den Daten geschützter Werke trainiert haben.
„… ChatGPT war dazu in der Lage, viele Songtexte 1:1 wiederzugeben.“
Aufgrund der Eingaben lässt sich sehr leicht nachvollziehen, was zum Training etwa von ChatGPT herangezogen wurde. Oft wird einem das Kapitel eines Buches nicht zur Gänze, aber dem genauen Inhalt nach ausgeworfen, was nahelegt, dass es bestimmte Filter gibt, die gesetzt wurden. Die Vermutung, dass das Werk unabhängig davon zur Gänze herangezogen wurde, liegt – ob nun ein Harry-Potter-Roman oder ein Song von Helene Fischer – trotzdem sehr nahe.
Kai Welp: Wir sind so vorgegangen: Wir haben zuerst einmal dafür gesorgt, dass ChatGPT nicht auch als Suchmaschine im Internet funktioniert. Dann haben wir nach den Songtexten von vielen Werken gefragt, und ChatGPT war dazu in der Lage, viele Songtexte 1:1 wiederzugeben. Das waren also nicht nur Zusammenfassungen, sondern originalgetreue Wiedergaben, was keinen anderen Schluss als den zulässt, dass damit trainiert wurde. Das lässt sich nicht errechnen. Das System muss die Inhalte schon kennen, um sie wiedergeben zu können.
Nun gibt es die unselige TDM-Schranke. Nach herrschender, aber nicht unumstrittener Meinung soll Text- und Data-Mining auch auf KI-Dienste anwendbar sein, obwohl es KI noch gar nicht gab, als in der entsprechenden europäischen Richtlinie eine Erlaubnisfreiheit für Text- und Data-Mining vorgesehen wurde. Ein von der deutschen Initiative Urheberrecht beauftragtes Gutachten hat nun jüngst festgestellt, dass die Verarbeitung durch KI nie und nimmer Text- und Data-Mining sein kann, weil ja ein bestimmter Stil nachgeahmt werde. Klingt erst mal logisch. Aber egal welcher Meinung man nun folgt, eine Nutzungs-Erlaubnisfreiheit heißt doch noch lange nicht, dass es auch unentgeltlich passieren darf. Eine angemessene Vergütung steht doch in jedem Fall zu, oder?
Kai Welp: Es ist so: Die Schranke kann ich ja ausschalten, indem ich einen Opt-out erkläre. In dem Moment, in dem ich ein Opt-out erklärt habe, greift die Schranke nicht mehr – völlig unabhängig davon, ob ein Training zu KI-Zwecken überhaupt vergütungsfrei zu rechtfertigen ist oder nicht. Und das haben wir getan, und zwar schon vor längerer Zeit, als das entsprechende Gesetz in Kraft getreten ist.
Das heißt, die GEMA hat für das gesamte GEMA-Material einen Opt-out erklärt?
Kai Welp: Ja, genau. Für das gesamte GEMA-Material haben wir das erklärt.
In welcher Form wurde dieser Opt-out erklärt?
Kai Welp: Schriftlich an sämtliche Dienste, die damit etwas zu tun haben können. Aber die Erklärung ist auch auf der Website verfügbar. Und OpenAI haben wir das auch mitgeteilt.
Reicht es auch, wenn ich einen entsprechenden Vorbehalt in mein schriftlich verlegtes Werk reinschreibe, wie es jüngst oft bei Büchern praktiziert wird? Schließlich wird das geschriebene Werk ja auch als Text, also schriftlich in die KI einverleibt?
Kai Welp: Digital gibt es keinen Standard. Das ist eine Fehlkonstruktion des Gesetzes. D.h. es gibt keinen internationalen Standard, wie man für den Content einen Opt-out setzen könnte. Man muss sich dabei auch vorstellen: Musikwerke oder auch andere Werke kommen ja nicht nur über einen Kanal, sondern über unzählige verschiedene Kanäle – auch über Piraterie-Seiten – ins Internet. Und Metadaten kann man auch entfernen. Das ist hochkomplex. Es gibt auch unterschiedliche Rechte an Werken. Es ist nicht so trivial, dass es immer nur ein Recht an einem Werk gibt. Und es gibt einfach keinen internationalen Standard, wie man das lösen könnte.
Die GEMA hat also zunächst den Vorbehalt erklärt und dann vor Klagseinbringung OpenAI eine Frist gesetzt, um dem Unternehmen die Möglichkeit zu geben, ohne gerichtliche Auseinandersetzung in Lizenzverhandlungen einzutreten. Die hat das Tech-Unternehmen aber ungenutzt verstreichen lassen. Stimmt das so?
Kai Welp: So ähnlich kann man das sagen, ja. Wir haben letztlich keine Reaktion erhalten, die haben in keinster Form reagiert. Man muss sie vorher abmahnen, was wir getan haben. Darauf wurde nicht reagiert. Auch auf die Klage wurde bislang nicht reagiert. Das liegt aber in der Natur der Sache, denn so eine Klage wird gerichtlich zugestellt. Ich gehe deshalb davon aus, dass OpenAI die Klage noch gar nicht hat.
Aber eingereicht wurde sie doch schon vor mehr als einem Monat. So lange dauert eine gerichtliche Zustellung?
Kai Welp: Ja. OpenAI hat seinen Sitz in den USA und wir haben die irische Tochtergesellschaft geklagt. Das dauert. Die Klage wird eben gerichtlich zugestellt und nicht durch den Kläger.
Was, wenn OpenAI auch auf die Klage nicht reagiert, sich also gar nicht auf die Klage einlässt?
Kai Welp: Nein, die werden ihr Modell schon verteidigen. Wenn sie sich nicht einlassen, kassieren sie ja ein Versäumnisurteil. Dann bekommt der Kläger Recht. Das werden sie nicht machen. Die werden Anwälte bestellen und sich gegen die Klage verteidigen.
Die Klage wurde in München eingebracht, was auf der Logik fußt, dass, wenn Dienste hier abrufbar sind, hier auch eine Verletzungshandlung gesetzt wurde, oder?
Kai Welp: Genau. Die Werke werden im Internet zugänglich gemacht. Ich kann ChatGPT sagen, mir ein bestimmtes Werk zu geben. Dafür braucht es eine Lizenz. Wenn bei Musikdiensten die Lyrics eingeblendet werden, braucht es ja auch eine Lizenz von der GEMA oder den Musikverlagen – je nachdem, wer die Rechte hält. Wir gehen davon aus, dass das bei den KI-Diensten ebenfalls der Fall ist: dass sie entsprechende Lizenzen erwerben müssen. Im Netz gibt es einen sogenannten fliegenden Gerichtsstand. Man kann überall dort klagen, wo die Inhalte zugänglich gemacht wurden. Der Kläger kann sich im Prinzip aussuchen, wo er klagen will. Wir haben das hier in München gemacht, weil die Münchner Richter erfahrungsgemäß schnell sind.
Von welcher Argumentation der Gegenseite gehen Sie aus? Die Argumentation der GEMA ist – nehme ich an – dass das Heranziehen von Daten zu Trainingszwecken eine urheberrechtlich relevante Vervielfältigung ist, für die keine Lizenz erteilt wurde.
Kai Welp: Es geht nicht nur um das Training, sondern auch um die weitere Verwertung. Nur das Training ist zu kurz gegriffen, denn zum Zeitpunkt des Trainings steht ja noch nicht fest, wofür die Modelle letztlich genutzt werden. Das heißt, die eigentliche Wertschöpfung geht weit über das bloße Training hinaus, und damit wird Geld verdient. Da geht es schon auch um die Zugänglichmachung der Werke im Internet.
Wird es dafür eine neue gesetzliche Verwertungsart brauchen ähnlich der Zugänglichmachung von Werken im Internet durch § 18a Urheberrechtsgesetz?
Dass man sozusagen das, was mit all den Daten, die man gescraped hat, in einem Nachahmungs- oder Annäherungsprozess erzeugt hat, diesen Mash-up, als neue Kategorie einstuft, anstatt es zwanghaft in alte Kategorien zu pressen.
Kai Welp: Das ist eine Frage, die ich letztlich nicht beantworten kann. Das werden die Gerichte entscheiden müssen. Wir gehen aber schon davon aus, dass der geltende Rechtsrahmen solche Nutzungsformen erfasst. Sollte das Gericht aber zu einer anderen Entscheidung kommen, wäre es freilich erforderlich, dass man den Rechtsrahmen ändert, denn das Urheberrecht dient ja gerade dazu, dass diejenigen, die etwas geschaffen haben, an der wirtschaftlichen Verwertung ihrer Inhalte beteiligt werden. Das ist letztlich auch verfassungsrechtlich vorgegeben, denn das Urheberrecht ist auch durch die Eigentumsfreiheit im Grundgesetz und auch durch die EU-Grundrechtscharta geschützt
und wenn ich diejenigen, die die Inhalte liefern, davon ausschließe, muss ich den Rechtsrahmen schaffen, der eine Beteiligung ermöglicht.
Ein Musterprozess wie dieser unterliegt natürlich auch einem gewissen Risiko. Wie schätzen Sie die Aussichten ein?
Kai Welp: Ich schätze die Aussichten als gut ein. Dass da Werte zugänglich gemacht werden, ohne dass dafür eine Lizenz erteilt wurde, ist offensichtlich. Insofern gehen wir davon aus, dass wir mit der Klage Erfolg haben werden.
Denken Sie, dass weitere Verwertungsgesellschaften dem Beispiel der GEMA folgen werden oder erst mal abwarten, was bei diesem Prozess rauskommt?
Kai Welp: Ich gehe davon aus, dass wir nicht die einzigen bleiben werden, die eine Klage einbringen. In den USA gibt es ohnehin schon eine ganze Mange gerichtsanhängiger Verfahren – zwar nicht von Verwertungsgesellschaften angestrengt, aber von der Industrie.
In Europa sind sie die ersten?
Kai Welp: Die erste Verwertungsgesellschaft, ja, und insgesamt auch die ersten. Ich gehe aber davon aus, dass da in der nahen Zukunft noch mehr kommen wird.
„Wir haben selten so viel Rückhalt erlebt und Glückwünsche oder Toitoitoi-Nachrichten erhalten.“
Wie stark ist die Rückendeckung durch die GEMA-Mitglieder? Sind da alle der Auffassung, dass die Klage ein notwendiger Schritt war, oder gibt es auch Gegenmeinungen?
Kai Welp: Wir haben selten so viel Rückhalt erlebt und Glückwünsche oder Toitoitoi-Nachrichten erhalten. Da steht eine ganze Branche dahinter. Ein:e Urheber:in kann ja auch nicht verstehen, dass sie etwas mit großem Aufwand schöpft und das dann systematisch verwertet wird, Dienste daran Milliarden verdienen, ohne dass die Schöpfer:innen auch nur irgendetwas davon abbekommen. Es liegt auf der Hand, dass sich da etwas ändern muss. Insofern haben wir auch nur Zustimmung erfahren.
Im Klagsbegehren geht es nicht nur um das Verarbeiten. Können Sie kurz zusammenfassen, worum es geht?
Kai Welp: Da geht es auch um den Output und um die Vorgänge im System. Es geht um die Feststellung von Schadensersatz – viele Rechtsprobleme also, die bis dato ungeklärt sind und sich nur einem Gerichtsverfahren klären lassen.
Geht es auch darum, einen Lizenzierungszwang auszusprechen?
Kai Welp: Die Klage ist die Basis dafür. Man muss die Rechtsfragen, die in die Lizenzpflicht führen, klären. Wenn eine Urheberrechtsverletzung vorliegt, dann muss auch lizenziert werden, wenn der Dienst weiter betrieben werden soll.
„Es geht darum, die Lizenzpflicht in ganz Europa durchzusetzen.“
Was ergibt sich für österreichische Urheber:innen, wenn die GEMA das Verfahren gewinnt? Oder anders gefragt: Muss erst die AKM eine ähnliche Klage einreichen oder ein Verfahren auf europarechtlicher Ebene angestrengt werden oder ergeben sich schon aus der GEMA-Klage im Falle eines Erfolges direkte Konsequenzen für österreichische Urheber:innen?
Kai Welp: Ich glaube nicht, dass man einzeln Land für Land vorgehen muss. Letztlich geht es darum ein Lizenzmodell am Markt zu etablieren. Da das Urheberrecht in Europa harmonisiert ist, wird sich das Ergebnis auf den ganzen europäischen Markt auswirken bzw. wird sich das Lizenzmodell auf den gesamteuropäischen Markt durchsetzen. Vielleicht wird eine Rechtsfrage ja auch dem europäischen Gerichtshof vorgelegt. Da wissen wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht, was die Gerichte machen. Das wäre durchaus denkbar.
Die Dienste wissen insgeheim, dass sie dann Lizenzverträge werden abschließen müssen. Es geht darum, die Lizenzpflicht in ganz Europa durchzusetzen.
Die Taktik von OpenAI ist also vorrangig darauf ausgerichtet, Zeit zu gewinnen?
Kai Welp: Genau. Es geht darum, den Tag, der sicher kommen wird, so weit nach hinten zu schieben, wie nur irgendwie möglich. Erst einmal alles nehmen und dann Fakten schaffen. So lange wie möglich ohne zu zahlen an den Geschäftsmodelle verdienen. Irgendwann wird die Lizenzpflicht kommen. Dann werden die Dienste auch zahlen müssen. Und sie werden eine europäische Strategie entwickeln müssen, wie sie ihre Dienste in Europa vermarkten.
Vielen Dank für das Gespräch!
Markus Deisenberger
Links:
GEMA
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