„Da braucht man mehr als vier Gehirnzellen“ – HANNES EDER (PHAT PENGUIN) im mica-Interview

HANNES EDER ist mitunter das Beste, was heimischer Musik passieren konnte. Er hat dreizehn Jahre „Universal Music Austria“ geleitet, sein Know-how und sein Netzwerk verwendet er heute, um mit dem Label „Phat Penguin“ junge Musik, die ihn bewegt, an die Leute zu bringen. Er tut das gemeinsam mit BENJAMIN BRÜST, seinem langjährigen Digital Director bei „Universal“. Das hätte blendend funktioniert, wenn da nicht Covid-19 wäre. HANNES EDER im Interview mit Stefan Niederwieser.

Was braucht es, um Teil von „Phat Penguin“ zu sein?

Hannes Eder: Künstlerische Auffälligkeit. Es muss originell sein, originär und besonders gut. Ich stehe nicht mehr auf Dilettantismus. Alle sind gut am Gerät, irrsinnig kreativ, es gibt kein schlechtes Material. Wir wollten anfangs nur völlig unverbrauchte Talente managen. Die brauchen aber ein Label. Und das können wir aus dem kleinen Finger. Also machen wir das. Alle Artists entwickeln sich großartig. Wäre Corona nicht passiert, hätten wir heuer Ernte eingefahren.

Hunney Pimp, Anger, Felix Kramer und Buntspecht haben einen besonderen Umgang mit Sprache.

Hannes Eder: Ich möchte selbst bewegt werden. Wenn ich diese Künstlerinnen und Künstler live sehe, schießen mir immer noch Tränen in die Augen. Buntspecht machen in Wahrheit Poesie mit Musik; das ist ganz anders als der Großteil erfolgreicher deutschsprachiger Musik. Um bei so viel Text zuzuhören, da braucht man mehr als vier Gehirnzellen. Als Konsumentin bzw. Konsument von Deutschrap ist man schon disqualifiziert. [Macht einfachen Rap nach.] Leider muss man beobachten, dass unsere Jugend zunehmend so spricht. Dem radikal etwas entgegenzusetzen, ist ein großer Antrieb, eine Art Bildungsauftrag.

Ist „Unter den Masken” von Buntspecht euer bisher größter Hit?

Hannes Eder: Ja, zweifellos. Wir gehen auf zwei Millionen Streams zu. Buntspecht haben vergangenen Herbst eine ausverkaufte Deutschland-Tournee gespielt, heuer wären größere Hallen und Headliner-Slots bei Festivals drangekommen. Die Band hat einen unfassbaren Charme und Power, sie erfasst auch Leute, die schon sehr viel gesehen haben. iTunes und Spotify supporten uns.

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Die Dialektwelle hält noch immer an. Wäre es als Label nicht naheliegend, sich damit abzusichern?

Hannes Eder: Bei der Labelgründung meinte ich zu Benny: „Wenn wir Geld verdienen wollen, wissen wir beide, was wir tun müssen. Wir machen Schlager und exportieren ihn nach Deutschland und Holland.“ Aber das wollen wir nicht. Bei „Phat Penguin“ gilt die große Überschrift „Arschlochfreie Zone“. Wir arbeiten mit niemandem, der sich wie ein Arsch benimmt, uns und anderen gegenüber. Für uns bedeutet das Lebensqualität.

Wie plant ihr langfristig? Künstlerinnen und Künstler können etwas unberechenbar sein …

Hannes Eder: Man muss sehr vorsichtig sein und wissen, wo man sich zurückhält und wo man etwas tun kann. Bei Menschen gibt es persönliche Entwicklungen wie auch künstlerische, gruppendynamische Prozesse. Felix Kramer war anfangs solo, jetzt spielt er mit Band, Buntspecht schreiben zu sechst. Niemand bei uns ist beratungsresistent. Und wenn eine Entscheidung trotzdem anders fällt, akzeptieren wir das. Wir sind kein Major-Label.

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Seid ihr fürs Erste komplett?

Hannes Eder: Wir wollten uns um vier Artists kümmern, bis wir ein Team von Angestellten zahlen können. Dann sind Kruder & Dorfmeister dazugekommen. Gut, die gehen sich aus, weil es keine langen Märsche durch die Ebene gibt. Ich glaube, wir haben demnächst noch jemanden. Aber dann ist wirklich Schluss. Da seit Februar kein Geld reinkommt, ist es schwer zu planen. Es ist ein horribles Jahr.

„Auch bei mir ist die Kohle aus.“

Was wären ohne Covid-19 die größten Herausforderungen gewesen?

Hannes Eder: Nur Luxusprobleme. Unsere Künstlerinnen und Künstler wären auf Tour, wir könnten die nächsten Produktionen stemmen. Wir haben die Firma zwei Jahre aufgebaut und uns nichts herausgenommen. Das bleibt eben noch ein Jahr so. Auch bei mir ist die Kohle aus. Aber das will ich nicht mit Leuten vergleichen, die keine Miete zahlen können. Man muss sich langsam fragen, ob die Maturanten und HAK-Abgängerinnen in der Regierung wirklich so unerfahren sind oder ob das politisches Kalkül ist. Die freie Kunstszene schafft viele Arbeitsplätze, zahlt Steuern und wurde von der Regierung lange komplett im Regen stehen gelassen. Ich habe mich hinter den Kulissen sofort bemüht, dass die LSG-Interpreten, die LSG-Produzenten, die OESTIG, AKM und ifpi erkennen, dass kein Geld fließt. Mit einigen Telefonaten war klar, dass es Direkthilfen aus Not-Töpfen geben wird. Große Künstlerinnen und Künstler kommen derzeit durch. Aber Ton- und Lichttechniker bis hin zu Tourbusfahrerinnen haben derzeit keinen Job. Sie können auch nicht einfach einen anderen machen. Einzelne haben 500 Euro von der Künstlersozialkasse bekommen, sie haben vielleicht ihr erstes oder zweites Kind. Bei vielen muss die Oma aushelfen.

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Habt ihr Hilfen beantragt?

Hannes Eder: Unsere Artists, Tourmanagerinnen und -manager und alle zusammen haben insgesamt vielleicht 10.000 Euro bekommen. Die Corona-Maßnahmen unterstützen wir alle. Nur kann man nicht sagen: „Ich drehe den Saft ab, Geld bekommst du aber keins, du musst schauen, wie du dich wieder aufrappelst.“

Ging Streaming im Lockdown zurück?

Hannes Eder: Das ist von Land zu Land sehr unterschiedlich. Corona hat dazu geführt, dass Hotels, Bars, Einkaufszentren, Friseurinnen und Friseure nicht mehr streamen, darum sind die Zahlen global zurückgegangen, in anderen Ländern dramatischer, in den USA über zehn Prozent. Bei unseren Acts merken wir das nicht. Andere berichten von halb so vielen Streams. Das finde ich dann interessant.

„Wir raten unseren Künstlern keinen Verlagsvertrag abzuschließen.“

Betreibt „Phat Penguin“ auch einen Verlag?

Logo Phat Penguin

Hannes Eder: Wir raten unseren Künstlerinnen und Künstlern, keinen Verlagsvertrag abzuschließen. Wir bieten auch keinen an, ich halte das für etwas unlauter, auch wenn uns alle verspotten.

Es heißt, dass das für Labels die Pension ist.

Hannes Eder: Ja, das sagt man. Aber ich bin schon so alt, ich muss eh durcharbeiten bis zum Sterben. Natürlich sind Verlagsrechte interessant, wir verstehen uns aber als Aufpasser von noch nicht verdientem Geld. Wenn drei Alben beisammen sind, verhandeln wird einen richtig schönen internationalen Verlagsdeal. Bis dahin ist das irrelevant.

Wie sieht es mit Sync-Rechten und Booking aus?

Hannes Eder: Sync machen wir. Beim Booking war die Frage, ob wir jemanden anstellen, der das Know-how und vor allem das Telefonbuch hat, oder ob wir jemanden als Partner gewinnen. Wir haben uns für Zweiteres entschieden. Auch wenn Reini Seyfriedsberger nicht gleich wollte [lacht], drei Artists sind bei der „Spoon Agency“. Hunney Pimp braucht im Hip-Hop ein anderes Kontakte-Netzwerk. Und Kruder & Dorfmeister sind weltweit bei der britischen „Paradigm“. Wir wollen auch im Booking Vereinbarungen finden, wo sich beide hinterher die Hand geben können. Bei „Universal“ hatte ich Situationen, in denen ich wusste, ich könnte jemanden vernichten. Aber mein Lebensglück steigt nicht, wenn ich jemandem 10 Cent mehr pro Einheit abquetsche. Ich bin in den Achtzigern aufgewachsen, mein Spirit kommt aus dieser Zeit, aus dem Indie-Bereich, es gab keine Struktur, keine Kontrolle. Wenn bei Konzerten mit brennenden Telefonbüchern geschmissen wurde, war weit und breit keine Rettung oder Feuerwehr. Falco war ein Weltstar, aber das hatte keinen nachhaltigen Effekt auf die österreichische Musikbranche. Mir geht es darum, dass die Szene stark ist. Das ist sie nur, wenn sie in möglichst vielen Facetten gute Strukturen von kompetenten Leuten vorfindet. Die Kulturnation Österreich hat heute im Pop sehr viel zu bieten, das ist ein enormer Wertschöpfungsfaktor, wir reden von vielen Milliarden, größer als die Landwirtschaft bei etwa gleichem Förderniveau, das außerdem nur an Opern und Festspiele geht.

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Apropos Kulturerbe, warum wurde das Repertoire von Kruder & Dorfmeister so lange nicht bearbeitet?

Hannes Eder: Es gab eine Unterbrechung, in der beide nicht gemeinsam aufgetreten sind. In den Neunzigern wurden viele Rechte nicht geklärt, auch etwa von den „K & D Sessions“. An dem arbeiten wir. Das dauert. Und bald wird es etwas Neues geben.

Wann setzt ihr auf Instagram, wann auf Playlist-Marketing, wann macht ihr ein Musikvideo?

Hannes Eder: Das ist einfach zu beantworten. Man braucht alles. Mit jedem Kanal, den du nicht bedienst, verlierst du etwas: Zielgruppenansprache, Reichweite, was auch immer. Anger leben ganz in der Instagram-Welt, Felix Kramer braucht ein wenig Unterstützung. Du kannst ein Video nicht auslassen, das ist ein hässlicher Kostenfaktor in jeder Kalkulation, du kannst auch Facebook nicht auslassen, weil unsere Hörerinnen und Hörer auch dort sind. Es ist eine Frage der Gewichtung: Wo kann ich am ehesten etwas vernachlässigen?

Der Tod des Albums wurde vor einigen Jahren etwas voreilig verkündet, oder?

Hannes Eder: Im Hip-Hop werden Alben produziert, weil das Streams generiert. Sobald ein Song 1:50 dauert, wird er bei Spotify abgerechnet. Diese Gewinnmaximierung folgt dem gängigen marktwirtschaftlichen Konzept des ständigen Wachstums. Sie ist ultrakapitalistisch. Viele Konsumentinnen und Konsumenten sind mit Songs und Playlists glücklich, dagegen gibt es auch nichts zu sagen. Menschen, die Musik lieben – und an die richten sich unsere Angebote –, haben eine größere Aufmerksamkeitsspanne als ein Goldfisch. Sie können einen Popsong von über drei Minuten verarbeiten, und zwar geistig und emotional. Unsere Artists haben tendenziell etwas zu sagen, für Konzeption, Spannungsbogen, Flow verwenden sie viel Hirnschmalz. Dafür brauche ich ein Album. Das ist eine Reise wie in einem Film, ich möchte wissen, wie sie ausgeht.

Welche Konferenzen und Festivals machen für euch Sinn?

Hannes Eder: Wir fahren nirgendwo hin, außer es spielen Acts von uns dort. Ich bin in meinem Leben mehr als genug geflogen. Wir beurteilen von Fall zu Fall die Kosten und den Output. Vieles ist nicht notwendig. Vom Musikexport oder von mica sind ohnehin oft Leute dort, mit denen wir uns absprechen. Vielleicht ist etwas Gutes an der Covid-19-Katastrophe, dass es mehr Videokonferenzen geben wird. Die mag ich auch nicht, aber sie sind ein Ersatz fürs Fliegen.

Und wofür nimmst du dir Zeit?

Hannes Eder: Zeit für nichts. Ich finde es sinnvoll, dass man sich eine große Portion vornimmt, in der man nichts machen muss, aber Dinge passieren können. Ich höre da Musik, lese, gehe in Ausstellungen. Ganz wichtig dabei ist, nicht ans Geld zu denken. Das klingt vielleicht hochnäsig, ich bin nicht reich, ich möchte mir nur nicht kurz vorm Abgang den Vorwurf machen, dass ich meine Zeit mit sinnloser Scheiße verbracht habe.

Stefan Niederwieser

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