Alexander Kukelka berichtet von der CREATORS CONFERENCE des europäischen Dachverbandes ECSA (EUROPEAN COMPOSER AND SONGWRITER ALLIANCE), die am 31. Mai in Brüssel stattgefunden hat. Behandelt wurden unter anderem hochaktuelle Themen wie TTIP, Autorenvertragsrecht und UrheberInnen-Vergütung.
Die diesjährige Creators Conference des europäischen Dachverbandes ECSA (European Composer and Songwriter Alliance) – unter der Patronanz des Europäischen Parlamentes – stand ganz im Zeichen brennender Themen und Fragen: künstlerische Wertschöpfungskette, künstlerische Freiheit, Autorenvertragsrecht, Transatlantisches Freihandelsabkommen (TTIP), Transparenz, faire Vertragspraktiken, faire und angemessene Vergütung für UrheberInnen im digitalen Zeitalter. Erstmals ist es der ECSA gelungen, mit der European Federation of Journalists (EFJ), dem European Writers‘ Council (EWC), der Federation of European Film Directors (FERA) und der Federation of Screenwriters in Europe (FSE) die fünf wichtigsten Kreativverbände bzw. Schwesterorganisationen Europas, insgesamt also über 500.000 UrheberInnen, im Sinne der Bündelung ihrer gemeinsamen Interessen unter ein Dach zu bringen und den Vertreterinnen und Vertretern des Europäischen Parlamentes ihre zentralen Anliegen zu übermitteln.
Nach den einführenden Worten des Regisseurs und Produzenten Dan Clifton (Präsident der FERA) und des Komponisten Alfons Karabuda (Präsident der ECSA), in welchen beide angesichts der aktuellen Herausforderungen die Notwendigkeit des raschen Handelns betonten, widmete sich das erste Panel dem Recht auf künstlerische Freiheit und den Möglichkeiten und Chancen im digitalen Markt.
Künstlerische Freiheit im digitalen Markt
Die Eröffnung machte der belgische Cartoonist Nicolas Vadot, indem er betonte, dass durch den Angriff auf Charlie Hebdo – trotz der Tragik der Ereignisse – der eigentliche Wert der Freiheit der Kunst erst wirklich ins öffentliche Bewusstsein gedrungen ist. Er halte Vorlesungen an Schulen („Cartooning for Peace“) mit der Kernbotschaft, dass Freiheit nicht selbstverständlich ist und man für sie auch in einer Demokratie zu kämpfen hat. Ole Reitov, Executive Director von Freemuse, verwies auf die aktuelle Broschüre seiner Organisation und auf die deutliche Sprache der darin veröffentlichten Statistik über Attacken auf die künstlerische Freiheit weltweit – gerade in der Türkei seien die Zahlen erschreckend hoch. Die europäischen Interessenvertretungen seien explizit aufgerufen, sich diesbezüglich verstärkt zu engagieren. Ramy Essam, ein ägyptischer Künstler und Revolutionär, dessen Ruhm während der Revolution in Ägypten geradezu explodierte, nutzte seine Popularität in diesem Sinne. Er persönlich sehe sich nicht als Opfer, aber bei ihm zu Hause genieße die Kunst in keiner Weise ein solches Maß an Freiheit, wie man das in Europa gewohnt sei. Nur Live-Performances böten noch einigermaßen Schutz vor dem Einfluss der Behörden und gewährleisteten annähernd geschützte Verhältnisse. „Aber, wenn sie es nicht mögen“, so Essam, „verbieten sie es. Dieses Syndikat muss gestoppt werden.“ Ole Reitov ergänzte, dass in Anbetracht der Reports über die zunehmenden Verletzungen der Freiheit der Kunst auch die EU diesbezüglich aktiv werden muss. Ursula Pachl vom Europäischen Verbraucherverband (BEUC) betonte, dass die Konsumentinnen und Konsumenten den Urheberinnen und Urhebern grundsätzlich nicht feindlich gegenüberstehen und in hohem Maße von der Freiheit der Kunst profitieren. Sie machte deutlich, dass den Konsumentinnen und Konsumenten entgegen der allgemeinen Behauptung nicht „die freie Nutzung von kulturellen Inhalten verkauft wird“. Es müsse den Konsumentinnen und Konsumenten aber möglich sein, so ihre eher widersprüchliche Forderung, Inhalte territorial – also ohne Einschränkung durch Geoblocking – zu nutzen. Man wolle lediglich Transparenz, wolle also nur wissen, was von den Erträgen an die KünstlerInnen geht und was dem Handel bleibt. Nach Nicolas Vadots Aufruf, mehr Zeitungen und Zeitschriften mit Cartoon-Inhalten zu kaufen, performte zum Abschluss des Panels Ramy Essam sehr eindrucksvoll einen seiner politischen Police-Songs.
Das anschließende Impulsreferat von Andrus Ansip (Vizepräsident der Europäischen Kommission) war insofern bemerkenswert, als der mit digitalen Medien befasste Kommissar durch seine ausdrückliche Forderung nach Transparenz, Fair Trade und ein (hoffentlich nicht nur verbales) Eintreten für die Ansprüche und Rechte von Autorinnen und Autoren aufhorchen ließ. Bemerkenswert insofern, als erst ein bis zwei Jahre zurückliegende Stellungnahmen noch auf eine nachdrückliche Bevorzugung der Interessen von Konsumentinnen und Konsumenten – etwa hinsichtlich einer uneingeschränkten Unterdrückung von Geoblocking – schließen ließen, zugunsten derer Urheberrechtsansprüche hintanzustellen sind. Auch gab sein Bekenntnis, dass die Kreativindustrie nicht ohne ihre Autorinnen und Autoren existieren kann und gerade diesen, angesichts des bevorstehenden langwierigen Prozesses der Verhandlungen zu einem neuen, zeitgemäßen europäischen Urheberrecht und der Harmonisierung der rechtlichen Standards von 28 Mitgliedsländern, unbedingt Gehör verschafft werden muss, berechtigten Anlass zur Hoffnung. Eindeutig war seine Haltung gegen die schädigende Praxis der Piraterie und dafür, dass erst der legale Zugang zu künstlerischen Inhalten eine faire Remuneration der UrheberInnen wird sicherstellen können. Betreffend das angesprochene Problem des Geoblockings zeigte er eine mehr ausgleichende Haltung und betonte, dass im Moment die Situation weder für die Konsumentinnen und Konsumenten noch für die Autorinnen und Autoren gut ist, eine „Lose-lose-Situation“ gewissermaßen, die seiner Ansicht nach erst durch den unbeschränkten Zugang (crossborder access) zu künstlerischen Inhalten eine Verbesserung sowohl für die Konsumentinnen und Konsumenten als auch für die Autorinnen und Autoren bringen wird.
Wertschöpfung und Vertragspraxis
Das zweite Panel widmete sich unter der Leitung der schwedisch-britischen Komponistin Helienne Lindvall der künstlerischen Wertschöpfungskette und der tatsächlichen europäischen Vertragspraxis. Charles Sturridge, ein britischer Regisseur und Produzent, eröffnete mit der Problematik, dass auf Basis unterschiedlicher vertraglicher Situationen jede Autorin und jeder Autor mit der Unterzeichnung von Buy-out-Verträgen de facto ihr bzw. sein Copyright abgibt. Was die Kreativen wirklich bräuchten, sei ein ganz konkreter und effektiver rechtlicher Schutz. Auf die Frage, wie die Europäische Kommission Abhilfe schaffen kann, bestätigte Dietmar Köster (Mitglied des Europäischen Parlaments), dass die AutorInnen das „schwächste Glied“ der Wertschöpfungskette sind und dass – neben der essenziellen Bewusstseinsarbeit für die Kreativen – im Sinne der kulturellen Vielfalt Europas vor allem der „kollektive Management-Prozess“ gestärkt werden muss. Für die irisch-britische Journalistin Michelle Stanistreet stellt vor allem der allgegenwärtige „copy and paste jornalism“ die größte Gefahr für den seriösen Journalismus dar. Von den Journalistinnen und Journalisten sei sogar ein eklatanter Einbruch der Erträge weitgehend hingenommen worden. Einen erfreulicheren Blick in die Verlagspraxis bot hingegen Björn Ingvaldsen, ein norwegischer Autor und Verleger: Abgesehen davon, dass alle VerlegerInnen Norwegens seit 1947 einen einheitlichen Standardvertrag anzuwenden haben, seien Norwegens Autorinnen und Autoren nicht nur mit 20,50 Prozent am Verlagsgeschäft beteiligt, sondern erhielten darüber hinaus für die erste Auflage jeweils 11.000 Euro. Zudem zahlten die Büchereien des Landes jeweils 20,50 Euro pro Kopie an die Autorinnen und Autoren. Über die wichtigsten angesprochenen Punkte waren sich die Panelgäste einig: In jedem Fall müsse die gängige Verlagspraxis transparent gemacht und das Verlagsrecht geschärft werden. Eine faire Vergütung für UrheberInnen sei eine selbstverständliche Grundbedingung und komme noch vor dem Problem des von den Konsumentenverbänden so vehement bekämpften Geoblockings. Jede und jeder Kreative sollte dieselben fairen Vertragsbedingungen vorfinden. Niemals dürften sich UrheberInnen gezwungen sehen, ihre Rechte pauschal abzugeben – immerhin existierten Verwertungsgesellschaften, die zu treuen Händen der UrheberInnen Lizenzen vergäben und auch einhöben. Diese seien es, die vor allem gestärkt werden müssten, und – vielleicht die wichtigste Empfehlung an das Auditorium die Vertragspraxis betreffend: Immer das Kleingedruckte lesen! Charles Sturridge schlug abschließend vor, die faire Nutzung künstlerischer Inhalte speziell zu belohnen. Dies sei, so meinte er, relativ einfach zu bewerkstelligen.
Digitale Verwertung
Das dritte Panel – wiederum moderiert von Helienne Lindvall – stand im Zeichen der virulenten Probleme rund um die digitale Verwertung. Auf die Frage, wie hoch seine Erträge bzw. Verluste inzwischen sind, antwortete Wally Baradou, ein britischer Songwriter, ernüchternd, dass sie sich im Moment bei etwa zehn Prozent eingependelt haben. Das größte Problem stellt seines Erachtens das unüberschaubare und unkontrollierbare Angebot der Streaming- bzw. Onlinedienste dar. Anders Lassen (Vizepräsident European Grouping of Societies of Authors and Composers [GESAC]) fand diesbezüglich ebenfalls klare Worte: Zum ersten Mal werde die Nutzung künstlerischer Inhalte gratis angeboten (free content). Dies sei zuallererst zu unterbinden und darüber hinaus sei sicherzustellen, dass für jede Nutzung auch gezahlt wird. Die Ursachen für diesen Niedergang lägen im allgemeinen Zugang zu den zur Verfügung stehenden technologischen Möglichkeiten, im Endeffekt sowohl konstruktiver wie destruktiver Innovationen. Robert Alberingk Thijm, ein niederländischer Drehbuchautor, sprach wiederum vom Sarkasmus eines „friendly face of copyright“, das viele Firmen heutzutage zeigten, und davon, dass diese ihre Grundhaltung ändern müssten, da sich sonst bald keine und kein Kreativer mehr die Herstellung des nachgefragten Contents werde leisten können. Willy Baradou ergänzte, dass dem Wunsch der UrheberInnen nach legalen Rahmenbedingungen entsprochen und in Langzeitstrategien vor allem die Safe-Harbour-Sache, die nur die Stärkeren schütze, bekämpft werden müsse.
Ein modernes Europäisches Urheberrecht
Mit dem vierten Panel unter dem Motto „Ein modernes Europäisches Urheberrecht – Ein Zukunftsmodell“, moderiert von der Journalistin Parmela Moriniere (International Federation of Journalists [IFJ]/EFJ), ging die Creators Conference 2016 in die Schlussrunde. Maria Martin-Prat, Leiterin des Referats „Urheberrecht“ der Europäischen Kommission, stellte die aktuelle europaweite Auseinandersetzung ganz eindeutig als desaströsen ungleichen Kampf des angloamerikanischen Copyrights gegen das europäische Autorenrecht dar. Es dürfe über die Differenzierung der beiden ergänzenden Rechtsbegriffe keine Missverständnisse geben. Sie führte weiter aus, dass im Hinblick auf die Ansprüche der UrheberInnen natürlich großer Handlungsbedarf vonseiten der EU besteht, mit den entsprechenden Harmonisierungen, Ausnahmeregelungen etc. aber auch viele wichtige Themen in diesem Zusammenhang besprochen worden sind. Dies dürfe jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich insgesamt erst um den Beginn eines langen – wenn nicht langwierigen – Prozesses handelt. Natürlich sei auch sie für Transparenz, vertrete diese aber nur für bestimmte Bereiche im vernünftigen Ausmaß. Absolut positiv ist zu erwähnen, so Maria Martin-Prat weiter, dass es – wie schon angemerkt – diese Diskussionen vor zwei Jahren überhaupt nicht gegeben hat. Janne Rijkers, eine niederländische Urheberrechtsanwältin, sprach darüber hinaus von einem sinnvollen Modell fein abgestimmter „model contracts“ und der damit verbundenen Integrierung des „Bestseller-Paragrafen“. Chris Smith schließlich merkte unter dem Motto „Jede Vertragsverhandlung ist eine persönliche Schlacht“ an, dass bei der Erstellung neuer Richtlinien in Bezug auf das Urhebervertragsrecht die Tatsache entscheidend ist, dass das Problem des „coersive publishing“, der „Zwangsinverlagnahme“, keine Frage des Wettbewerbs darstellt, sondern eindeutig in den Bereich des Vertragsrechts gehört.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es der ECSA in den letzten Jahren durch eine konstruktive Kommunikationskultur (one voice) und konsequente Aufklärungsarbeit gelungen ist, das Verständnis der Europäischen Kommission derart zu wecken, dass mittlerweile die Aussagen der von der ECSA entworfenen Deklaration voll inhaltlich unterstützt werden. In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass sich der respektvolle und um Verständnis bemühte Umgang mit allen betroffenen Partnern und Verantwortlichen als letztendlich viel effizienter erwiesen hat. Profitieren in der Kooperation aller Glieder der Wertschöpfungskette letztlich doch alle von derselben Sache: von dem, was die europäischen Kreativen, sprich die Autorinnen und Autoren, substanziell schaffen. Müssen doch – um mit Martin Schulz‘ (Präsident des Europäischen Parlaments) Worten zu sprechen – „in Zeiten, in denen die europäische Identität infrage zu stehen scheint, gerade die europäischen Werte wie kulturelle Vielfalt, Solidarität und interkultureller Dialog gefördert und gestärkt werden“. Vor allem aber muss den Kreativen die Möglichkeit gegeben werden, in einem die Kreativität fördernden Umfeld überhaupt existieren und arbeiten zu können.
Anzumerken ist noch, dass sich der Österreichische Komponistenbund, seit heuer durch Martin Lichtfuss als Delegierten für das ECF Commiteé im Vorstand der ECSA vertreten, verstärkt für die Interessen der österreichischen Musikschaffenden auf europäischer Ebene einsetzt.
Alexander Kukelka
Über den Autor:
Alexander Kubelka ist Komponist, Präsident des Österreichischen Komponistenbundes (ÖKB) und ebenso Vorsitzender der Fachgruppe „Film- & Medienmusik“ des ÖKB.
Weiterführende Links:
Creators Conference: creatorsconference.org
Österreichischer Komponistenbund: www.komponistenbund.at
Alexander Kubelka in der mica Datenbank: db.musicaustria.at/node/58414