Die Classical:NEXT, globaler Branchentreff der Klassik-Szene mit Expo-Ständen, einem Konferenzteil, Live-Showcases und innovativem Publikums-Festival ist Multiplikator und Marktplatz zur weltweiten Vernetzung aller Akteure aus der klassischen Musikszene, zum Anbahnen neuer Kooperationen, zum Ausloten neuer Vertriebswege und zur Vermittlung von Künstlern, Komponistinnen und Komponisten und musikalischen Projekten. Nach nur zwei Ausgaben (2012 in München, 2013 erstmals in Wien) avanciert sie 2014 bereits zum wichtigsten Branchen-Treff der Szene weltweit. Über die im Mai anstehende dritte Ausgabe sprach Heinz Rögl für die mica-Musiknachrichten mit Frank Stahmer, Musikmanager und neben Mario Rossori und Heinrich Schläfer einer der drei ClassicalPartnersVienna, die in Zusammenarbeit mit der Berliner piranha arts ag Organisatoren der Classical:NEXT in Wien sind.
Das Forum richtet sich an alle Akteure, die sich auf der Bühne oder auch hinter den Kulissen in der klassischen Musikszene professionell engagieren oder engagieren wollen: Musiker/in , Komponist/in, Musikmanager/in, Vermittler/in oder Journalist/in, Ensemble oder Orchester, Agentur oder Label, Veranstalter, Musikverlag oder Vertrieb. Klingende Namen, außergewöhnliche Nachwuchstalente und junge Kreativ-Initiativen präsentieren sich allesamt auf der Classical:NEXT. Erwartet werden mehr als 1.000 Fachbesucher/innen aus über 40 Nationen. Darunter auch das weltgrößte Klassiklabel NAXOS.
Neben der großen Fachmesse, den zahlreichen Showcase-Konzerten und weiteren musikalischen Abendprogrammen mit österreichischen und internationalen Künstlern umfasst die Konferenz der Classical:NEXT über 24 Stunden Programm, darunter Fach-Panels mit den Schwerpunkten: „Digital & Medien“, „Audience Development“, „Vertrieb & Finanzierung“ oder „Künstlerische Kompetenzen & Projektentwicklung“. Mentoring-Runden, Video- und Film-Präsentationen, Network-Meetings und Coaching Sessions runden das Content-Angebot der Classical:NEXT ab. Nicht zu vergessen auch das „Classical:NEXT Festival“, das Frank Stahmer und seine Mitstreiter im Rahmen der Classical:NEXT als neues Publikums-Festival in Wien für alternative und innovative Klassik-Performances und untypische Klassikzielgruppen entwickeln wollen.
Auf der englischsprachigen Website von Classical:NEXT findet man in großer Dichte und Breite alle Infos über das 2014er Programm und die bei den Showcases auftretenden Künstlerinnen und Künstler (darunter auch aus Österreich). Von Frank Stahmer wollte das mica gesprächsweise erfahren, was genau bei der Classical:NEXT passiert, wie alles zustande gekommen ist und warum das Forum in Wien nun bereits zum zweiten Mal stattfindet. Wir starteten mit der Frage, was eigentlich „classical“ ist, und was „next“, und welche Rolle die Neue Musik dabei spielt. Zwecks besserer Lesbarkeit verstehen sich die gebrauchten Mehrzahlbezeichnungen stets als auch für weibliche Akteurinnen gültig.
Warum heißt es „Classical:NEXT“?
Frank Stahmer: ‚Next’ ist der Fokus, ‚next’ ist das Quo vadis, wohin die Reise gehen kann, ‚classical’ das Medium, das Genre, die Musik, aus der wir kommen, der Ankerpunkt. Auf der Classical:NEXT kommen viele Fach-Zielgruppen und Akteure aus diversen Epochen, Stilen und Sektoren zusammen, aber sie sind alle in der (sogenannten) Klassischen Musik zuhause, ob in der Neuen oder auch der Alten. Musiker, Verkäufer, Veranstalter sollen sich gleichermaßen angesprochen fühlen. Es geht um künstlerische Inhalte, gemeinsame Ziele, genauso wie um Vertriebsstrategien, traditionelle versus alternative Aufführungspraxis, Standortbestimmungen und Zukunftsszenarien. Kurz, die Definition der Klassikwelt von morgen.
Auf welchem Weg kann man Musik präsentieren?
Frank Stahmer: Das gib es viele, spannende Formen. Es kann eine Gegenüberstellung von Alter und Neuer Musik sein, eine Verknüpfung mit anderen Kunstformen, kontextbezogen, an ungewöhnlichen Orten, oder natürlich auch weiterhin im Konzerthaus. Gemeinsame Fragestellung für alle Akteure aber ist: Wo stehen wir jetzt mit unserem Medium, das wir klassische Musik nennen, die heute so ist, wie sie eben ist, und die über die Vernetzung neuer Initiativen und Ideen, neue Kooperationen, vielleicht auch über eine neue Definition von „Was ist klassische Musik eigentlich?“ in ein Morgen geführt wird. Aber auch die Frage: Wie klingt das Abenteuer klassische Musik in 10, 20, 30 Jahren und wie schaut der Zuhörer oder Käufer dann aus? Wie muss eigentlich der Konzertsaal des 21. Jahrhunderts sein und wie gehe ich dabei mit digitalen Medien um?
Neue Musik mit großem N ist für Dich die „zeitgenössische“ Musik?
Frank Stahmer: Neue Musik ist für mich erstmal die Musik der heute lebenden Komponisten. Zeitgenössisch im Sinne von klassischer Musik kann aber auch ein Alte Musik-Konzept sein, das sich zeitgeistig darstellt, in einem aktuellen Kontext steht und aktuelle Lebenssituationen anspricht, selbst wenn diese Musik aus einer anderen Epoche stammt. Aber – und das hat man schon im letzten Jahr gesehen – bei den Classical:NEXT Showcases ist der Anteil von Neue Musik-Ensembles schon sehr groß, was Mut für den Stellenwert der Neuen Musik macht. Neue Musik befruchtet ja letztlich auch die Möglichkeiten, traditionelle Streichquartette zu präsentieren, elektronische Formen, live-elektronische Verarbeitungen, oder auch die Vermischung unterschiedlicher Musikgenres mit einzubeziehen.
Wie betrifft das die Genres? Ist zum Beispiel auch Jazz oder Pop ein Bestandteil von Classical: NEXT? Es ist ja auch Mario Rossori im Wiener Team von Classical:NEXT, der lange Jahre etwa als Organisator auf dem Feld Popularkultur bei der POPKOMM oder MIDEM gearbeitet hat und seit 2001 sein eigenes Label “Pate Records” und eine Music & Event-Agentur betreibt.
Frank Stahmer: Pop und Jazz spielen schon auch eine Rolle. Wenn ich klassische Musik im Kontext unseres neuen Jahrhunderts definiere, wird klar, dass sie von der Popwelt genauso beeinflusst wird, wie umgekehrt der Pop von der Neuen Musik. Es gibt Überschneidungen. Bei den Showcases sind und waren teilweise Künstler dabei, die man auch aus dem Jazz oder Independent Pop kennt, die sich aber nicht durch Genre-Grenzen definieren lassen. Manche könnte man zu einer neuen Avantgarde zählen, ein populäres Beispiel etwa (heuer leider noch nicht auf der Classical:NEXT) ist Jonny Greenwood von Radiohead, der in der Neuen Musik eine interessante Rolle spielt. Es gibt da ja so einige Beispiele, die es unbedingt wert sind, sie auch bei der Classical:NEXT zu zeigen. Auch im Hinblick auf die Frage, ob ich damit ein neues Publikum aktivieren kann, das sich bislang von Klassik oder Neuer Musik nicht angesprochen gefühlt hat. Es geht also auch um die Aktivierung einer neuen Aufführungspraxis – Popmusiker gehen beispielsweise vollkommen anders mit ihrem Publikum um. Da kann und sollte man voneinander lernen.
Zur anderen Frage: Maria Rossori, Heinrich Schläfer und ich sind für die Classical:NEXT hier in Österreich die durchführenden Veranstalter. Mario Rossori ist auch noch Geschäftsführer von Preiser Records, also einem Klassik-Label, und er ist für uns Wien ein lebender Dreh- und Angelpunkt, der mit vielen Leuten aus den verschiedenen Ecken sehr gut vernetzt ist. Und Heinrich Schläfer ist erfahrener Messe-Veranstalter und eine Koryphäe als Tonmeister, der die Klassik und den Jazz im Blut hat.
Classical:NEXT kommt ja ursprünglich als Initiative aus Berlin. Die piranha arts AG, seit über 25 Jahren im Bereich des internationalen und interkulturellen Austauschs zwischen den Bereichen Musik & IT aktiv, hat die jährlich stattfindende, weltweit führende WorldMusicExpo WOMEX (seit 1994) im Portfolio. Und eben auch Classical:NEXT, die erste internationale Musikmesse für alle professionellen Akteure der klassischen Musik. Die erste Ausgabe war in München. Woraus hat sich das eigentlich anfänglich gespeist? Gab es Vorläufer?
Frank Stahmer: Gespeist hat es sich daraus, dass sich das Klassik-Genre messetechnisch zunächst lange und vor allem auf der Musikmesse MIDEM abspielte, die es seit mind. 40 Jahren gibt. Die Klassik hat hier aber offenbar im Lauf der Jahre ihre Anlaufstelle verloren ist dort immer kleiner bis verschwindend geworden. Die Musikindustrie hat sich verändert, das Labelgeschäft (CD-Verkäufe, etc.) schrumpft, Veranstalter und die logischen Partner haben sich gewandelt. Dann entstand ein Vakuum und daraus ein neues Bedürfnis: Jene, die mit Musikprodukten handeln, suchten einen neuen, eigenen Treffpunkt, einen Ort für Networking und Ideenaustausch über das reine „Verkaufen“ hinaus. Die Initiative kam letztendlich dann von CLASS (Verband deutscher Independent-Klassiklabels), die zu Piranha gingen, die ja mit WOMEX bereits erfolgreich gezeigt haben, dass man für ein Nischen-Genre auch ein funktionierende Forum entwickeln kann. Das Prinzip Mischung aus Expo und Messe mit Konferenzpart und Showcases sagte zu. Und so wurde schnell klar, dass Classical:NEXT nicht nur ein Label-Handelsplatz sein sollte, sondern auch alle anderen Akteure in der Klassik-Szene ansprechen muss. Letztlich ist auch logisch, ein Label kann nicht ohne Künstler, aber auch nicht ohne Veranstalter leben, und ein Veranstalter nicht ohne Label. Gleiches gilt für die Agenturen und alle anderen. Wenn die Musik eine Zukunft haben soll, müssen wirklich alle Sektoren zusammenkommen: an einem Ort, an dem Komponisten, Musiker, Veranstalter, Labels, Agenturen, etc. ihren Platz finden. Sonst trifft sich jeder in seinen eigenen Kreisen, aber dann kommen wenig Synergien zusammen. Hier logische Verbindungen herzustellen, ist ein wichtiges Ziel der Classical:NEXT. Und wir wollen auch für Österreich, dass dieser Funke überspringt, etwa, dass die Konzerthäuser sich besser mit der Label- und Ensembleszene vernetzen.
Wie kommt es, dass die Classical:NEXT nun schon zum zweiten Mal hier in Wien organisiert wird?
Frank Stahmer: Wir haben alle unsere Kräfte mobilisiert, um die Kollegen in Berlin zu überzeugen, dass Wien der richtige Ort für die „Classical:NEXT“ ist, und ich glaube, das haben wir 2013 gut bewiesen. Es waren in Wien zum Beispiel 25 % mehr Besucher als im Jahr zuvor in München.
„Klassik-Superstars wie Daniel Hope (Keynote-Sprecher 2013) oder Benjamin Schmid und rund 1.000 Delegierte aus über 40 Ländern und 400 Unternehmen und Institutionen aus der Branche, darunter 350 Labels, Verleger und Distributoren, Produzenten, Musikmanager, Konzertveranstalter und nicht zuletzt eine große Anzahl Musiker/innen und Komponist/innen kamen bereits 2013 in die österreichische Hauptstadt“, steht in einer Eurer Meldungen.
Frank Stahmer: Und wir wollen das noch weiter steigern. Für die internationale Klassikwelt ist Wien ein Ort, den man als legendäre Musikstadt kennt und wahrnimmt. Alles ist relativ zentral, nah und gut erreichbar, das MAK als Main Venue für Expo und Konferenz liegt im Zentrum, ist kein langweiliges Messegelände und hat dazu charmante Nachbarn: Musikverein, Konzerthaus und das „Porgy“. Und auch den heuer besonders präsentierten Fokus-Ländern Korea und Brasilien und deren Musikern ist es sehr viel mehr wert, etwa im Musikverein oder Konzerthaus zu spielen, als in einem unbekannten Club oder einer Conference Hall in Cannes. Natürlich wünschen wir uns, dass die Classical:NEXT auch 2015 und darüber hinaus hier in Wien bleibt. Als lokale Veranstalter müssen wir aber auch die Voraussetzungen schaffen.
Jedes Jahr gibt es im Rahmen der Classical:NEXT eine Ausschreibung an die Klassik-Szene weltweit, sich inhaltlich an dem Programm des Events zu beteiligen, Ideen zu schicken, was auf den Konferenzen passieren soll, wer auf den Showcases spielt. Inzwischen werden Hunderte Vorschlägen eingereicht, aus den von einer international besetzen Jury die relevantesten und interessantesten ausgewählt werden. ,Classical’ und ,next’ ist also letztlich und vor allem auch der Input der Szene. Wir und unsere Berliner Partner sind nicht die Diktatoren, die sagen, wo es lang gehen soll.
Die Themen bei der Konferenz selbst kann man großteils schon auf den Abstracts auf der Website lesen: Etwa „Classical music is dead!?“, „Future of the Orchestra“, „Next Generation Artists“. Eine Teilnahme an der Messe kostet EUR 80,- für Studierende (mit gültigem Studienausweis), EUR 205,- als Einzelperson, EUR 255,- pro Person, um auch auf dem Austria-Gemeinschaftsstand präsent zu sein. In der internationalen Jury, die die Programme auswählt, ist diesmal Jo Aichinger als österreichischer Vertreter mit von der Partie. Bei den acht gespielten Live-Showcases sind immerhin zwei österreichische Gruppen vertreten: der elektronische Violinist JIG (Matthias Jakisic) und die Paetzold-Bassflötengruppe „Plenum“, die Broken Concerts auch aus der Renaissance spielen wird, zusammen mit Katharina Ernst (percussion + objects).
Frank Stahmer: Das spricht für das hohe Niveau und die Qualität der österreichischen Szene. Aber wir können auf einer internationalen Messe natürlich nicht überwiegend nur österreichische Vorschläge und Showcases „durchdrücken“. Für die Showcases gab es über 100 Einreichungen, acht davon werden präsentiert, zwei sind aus Österreich. Dazu sind heuer besonders präsentierte Fokus-Länder Süd-Korea und Brasilien.
Auf der Website classicalnext.com sind die Live-Showcases alphabetisch mit Beschreibungen der Künstler nachzulesen. Es sind dies der Gitarrist Daniel Murray (Brasilien), der in London lebende Pianist Hiroaki Takenouchi (Japan/UK), der Baritonsaxophonist Joan Martí-Frasquier (Spanien), das Streichquartett Kristallkvartetten (Schweden), der bereits erwähnte „Jig“ und „Plenum“ aus Österreich, Powerplant (UK) und das Vokalquartett Voix De Stras’ (Frankreich) Wird es nun zusätzlich zum zweiten Mal wieder ein Classical:NEXT-Festival geben?
Frank Stahmer: Ja. Das Festival ist vom 12. bis zum 17. Mai 2014 geplant. Hier wird das Prinzip „next“ auch live für das Wiener Publikum hörbar. Wir weiten die Showcases im Porgy&Bess mit zusätzlichen Konzert-Aktivitäten über die ganze Stadt verteilt aus. Die Konzertreihe des Classical:NEXT Festivals steht unter dem Motto „NEXT:Artists – NEXT:Audience –NEXT:Music“ und soll beweisen, dass Klassik ein fester Bestandteil unserer Freizeit-Kultur sein kann. Ab März wird das 2014er Festival-Programm unter www.classicalnext.com/festival veröffentlicht.
Wie ist das mit der österreichischen Finanzierung?
Frank Stahmer: Wir müssen natürlich auch einen finanziellen Beitrag leisten. Dieser kommt zum einen mithilfe der tatkräftige Unterstützung der Musikszene und ihrer Fördergeber (GFÖM, Fachverbände, u.a) zustande, aber auch durch die Wirtschaftskammer Wien und Sponsoren. Besonders wichtig ist auch, dass die Stadt und der Bund ihren nachhaltigen Beitrag leisten, so dass die weltweit wichtigste Klassikmesse in Wien bleibt. Da muss noch mehr passieren, denn so einen wichtigen Standortvorteil für alle Beteiligten kriegt man nicht so schnell und einfach wieder. Allein 2013 waren rund 150 Teilnehmer aus der österreichischen Szene auf der Classical:NEXT vertreten, darunter alle relevanten Klassik-Labels, die es in Österreich (noch, muss man mit Sorge sagen) gibt, Komponistenverband (ÖKB), Chorverband, Musikrat (ÖMR), viele Agenturen, Veranstalter, Ensembles und Einzelkünstler. Wir hatten einen eindrucksvollen Gemeinschafts-Stand für Österreich, den es 2014 auch wieder geben wird, und wir haben auf der Eröffnung gezeigt, was für ein tolles Kreativ-Potenzial hier zuhause ist, dabei auch gemeinsam mit mica und ÖKB einen Kompositionsauftrag vergeben. Das hatte internationalen einen sehr guten Nachhall. Um die Österreicher-Präsenz weiter zu verstärken, bauen wir natürlich auch in Zukunft auf wichtige Kommunikationspartner und Plattformen in der Szene, wie das mica!
Foto 1: Sebastian Schels