Check Your Privilege: Der Zugang zum Österreichischen Musikmarkt

Aller Anfang ist schwer: In der faszinierenden Welt der Musik ist der Einstieg oft von zahlreichen Herausforderungen geprägt, besonders für aufstrebende Künstler:innen, die nicht das Privileg familiärer oder sozialer Verbindungen zur Musikbranche genießen. Diese Hürden werden noch komplexer, wenn man Teil marginalisierter Gruppen ist. Der Zugang zur Branche bleibt vielen verwehrt und dies erfolgt auf verschlungenen Pfaden, häufig unterbewusst und aufgrund struktureller Ausgrenzungen, die tief im Fundament von Patriarchat und Kapitalismus verankert sind.

Um Barrieren zu überwinden und den Zugang zum Musikmarkt zu erleichtern, werden Initiativen wie das Musik Residency Programm von QuestionMe&Answer ins Leben gerufen. Die erste Ausgabe dieser Residency fand von 13. bis 17. Dezember 2023 in den Fiakka Studios im 6. Wiener Gemeindebezirk statt. Hier erhielten die vier aufstrebenden PoC-Musiker:innen CHOVO, KVSAL und das Duo GATAFIERA die Gelegenheit, an Workshops teilzunehmen, das Equipment des Studios zu nutzen und von erfahrenen Musikprofis gecoacht zu werden. Itta Francesca Ivellio-Vellin wurde von QM&A eingeladen, sich das Residency Projekt anzusehen.

Herausforderungen und Visionen in der österreichischen Musikszene

Bild CHOVO
CHOVO (c) Maria Belova

Die Gewinner:innen des QuestionMe&Answer On Stage Wettbewerbs, CHOVO, KVSAL und das Duo GATAFIERA, stehen den Herausforderungen der österreichischen Musikindustrie gegenüber und müssen sie immer wieder überwinden. Nicht nur als PoC (Person of Color), sondern auch als FLINTA*-Person (Frauen, Lesben, Inter, nicht-binäre, trans und agender Personen) erfährt CHOVO Marginalisierung. Im Interview gibt die Deutsch-R’n’B-Musikerin offen zu: „Ich habe ein bisschen Angst vor der Industrie, nicht nur weil man immer davon hört, dass es so schwer sei als Frau erfolgreich zu werden, sondern weil ich als Person of Colour zusätzlich Ausgrenzung erfahre.“ Als erste Person in ihrem Umfeld, die eine professionelle Karriere in der Musikindustrie angestrebt hat, war es schwierig, an das notwendige Know-How und die erforderlichen Verbindungen heranzukommen.

„Ich habe ein bisschen Angst vor der Industrie“

Luí, neben Hoesé ein Teil des Duos GATAFIERA, ist zwar mit Bands wie POLO TO THE MASSES und SALTY FRIES sowie als Studio- und Tourmusiker:in von AT PAVILLON und ÆNGL schon seit Jahren in der Musikszene aktiv, erlebt jedoch genauso wie Hoesé Hürden, die weiße cis-gender Musiker:innen nicht kennen. Was vielen zum Beispiel nicht bewusst ist: „In der Branche wird oft abgeraten, auf Sprachen zu singen, die nicht Deutsch oder Englisch sind, weil es schwieriger zu vermarkten ist. Wir weigern uns,“ sagen GATAFIERA. Denn dass so andere Sprachen und Kulturen ausgeschlossen und marginalisiert werden, wird generell nicht beachtet. Luí und Hoesé sind stolz darauf, in ihren Nationalsprachen, Spanisch und Portugiesisch, zu singen und so die eigene Herkunft zu feiern. „Und mittlerweile ist lateinamerikanische Musik wie Reggaeton auch sehr beliebt, wird in Österreich aber in erster Linie konsumiert und nicht produziert. Zudem ist es immer die cis-männliche Perspektive, die in diesem Genre porträtiert wird, mit sehr viel misogyner Sexualität. Beide Punkte wollen wir ändern!“, versprechen GATAFIERA.

Bild GATAFIERA
GATAFIERA (c) Maria Belova

Demokratisierung des Insider-Wissen

Der Vormittag der Musik Residency von QuestionMe&Answer war den Workshops mit Expert:innen der Branche (wie z.B. Dominik Beyer von mica – musicaustria, Richi Petz von Barracuda Music und Markus Blahus von Universal Austria/Ashida Park) gewidmet, während die Nachmittage den Künstler:innen die Möglichkeit boten, das hochwertige Equipment der Fiakka Studios zu nutzen sowie mit erfahrenen Produzent:innen (u.a. Christoh, AYGYUL, STSK, Vincenz Eder) zu arbeiten.

„Es gibt ein enormes Gatekeeping in dieser Branche“

Bild KVSAL
KVSAL (c) Maria Belova

Dieser immersive Ansatz zielt darauf ab, das oft als undurchsichtig empfundene Insider-Wissen zu demystifizieren und zu demokratisieren. Der Hip-Hop-Musiker KVSAL musste sich wie so viele am Anfang der Musikkarriere das Wissen mühsam selbst aneignen: „Es gibt ein enormes Gatekeeping in dieser Branche – bestimmten Menschen wird der Zugang einfach verwehrt, und das bekomme ich zu spüren.“ Das Residency Programm von QuestionMe&Answer bedeutet viel für KVSAL: „Diese Art von Crash-Kurs über das Musikbusiness hätte ich vor Jahren gebraucht, es hätte mir vieles sehr vereinfacht. Die Connections aufzubauen und an die Informationen heranzukommen hat viel Zeit und Energie gekostet.“

Gemeinsames Wachstum: Den Austausch von Erfahrungen und Wissen fördern

Die Expert:innen, die am Residency-Projekt teilgenommen haben, wurden dazu ermutigt, ihre eigenen Privilegien zu reflektieren und sich bewusst zu machen, wie sie von Vorteilen außerhalb ihrer individuellen Kontrolle in ihren Karrieren profitiert haben. Statt einer monetären Vergütung erhielten diese Expert:innen die Möglichkeit, ihr Wissen und ihre Erfahrungen zu teilen, um die Vorteile ihrer Privilegien weiterzugeben. Außerdem trägt dieser Ansatz dazu bei, die Vielfalt in der Musikbranche zu fördern und gleichzeitig den Blick auf Talente zu lenken, die aufgrund von strukturellen Hindernissen möglicherweise übersehen wurden. Denn der Wissenstransfer passiert in beide Richtungen: Die Expert:innen konnten in den Workshops nicht nur ihr eigenes Know-How übermitteln, sondern hatten auch die Gelegenheit, sich mit den jungen Musiker:innen auszutauschen und zu lernen, welche Hindernisse Personen marginalisierter Gruppen trotz immensen Talents davon abhalten, Erfolg zu haben.

Es liegt an allen in der Branche, weiterhin die Notwendigkeit von Diversität und Inklusion zu erkennen und aktiv Maßnahmen zu ergreifen, um den Musikmarkt für alle zugänglicher zu machen. Denn erst durch das Bewusstsein für Privilegien und das aktive Brechen von Barrieren kann die Musikindustrie eine wirklich repräsentative und vielfältige Plattform werden.

Itta Francesca Ivellio-Vellin

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Links:
QM&A On Stage 2023