Chance vergeben, Chance verpasst? – Der EU Entwurf einer Richtlinie über das Urheberrecht

Seit Jahren sind sich die ExpertInnen einig: Das europäische Urheberrecht ist nicht mehr zeitgemäß. Seit Herbst nun liegt der Entwurf einer Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt vor. Wird er etwas daran ändern?

Die Forderung nach einer zukunftsgewandten, vereinheitlichenden europäischen Urheberrechtsreform ist beinahe so alt wie die Europäische Union selbst. Allerdings wurde sie angesichts der rasanten technologischen Entwicklung in den letzten Jahren lauter und lauter. Kaum ein Panel, bei dem nicht ein grundlegend neues Urheberrecht gefordert wurde. Kaum eine Expertenrunde, die nicht einhellig die Notwendigkeit beschwor, das veraltete Urheberrecht an die Erfordernisse der globalen, durch das Internet begünstigten Verwertung anzupassen – und zwar nicht durch halbherzige Novellen, sondern einen wirklich großen Wurf.

Der Value-Gap

Die Ausgangssituation ist nur zu gut bekannt und statistisch belegt: Nie wurde mehr Musik konsumiert als heute. Nie war es leichter, an Musik heranzukommen als heute. David Bowies vielzitierter Sager aus den 1990er Jahren über die Verfügbarkeit von Musik, wonach man Musik in naher Zukunft konsumieren könne wie Wasser, für das man nur den Hahn aufzudrehen braucht – er hat sich längst bewahrheitet. Umgekehrt aber war es für KünstlerInnen nie schwerer, mit ihrer global verwerteten Arbeit auch ein sorgenfreies Leben bestreiten zu können. Zusammenfassen kann man das unter dem neuen Schlagwort „Value-Gap“. Darunter versteht man die Diskrepanz zwischen dem Wert der Musik und dem Gegenwert, den der/die UrheberIn für die Verwertung erhält. Dienste wie Google und YouTube haben den Value Gap weiter verschärft, so die einhellige Meinung der ExpertInnen.

Oder anders gesagt: Mit der Nutzung kreativer Inhalte verdienen Internetplattformen gutes Geld, generieren erhebliche Gewinne. Profitieren tun davon allerdings fast ausschließlich die Betreiber solcher Plattformen. Bei den Kreativen kommt wenig bis gar nichts an.

Die EU-Kommission trug dem Bedürfnis nach Ausgleich dieser Diskrepanz Rechnung, indem sie eine neue Richtlinie (über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt) ankündigte. Nichts weniger als ein neues europäisches Urheberrecht sollte es werden, schenkte man den Materialien Glauben. Eines, das die Position der UrheberInnen stärkt, ihre Rechte gegen jede Menge NutzerInnen insbesondere Online-Plattformen durchsetzbar macht, und trotzdem nicht innovationsfeindlich ist, sondern Kreativität fördert und die teils sehr unterschiedlichen Regelungen in den europäischen Staaten vereinheitlicht.

Und schon der Entstehungsprozess ließ hoffen, denn die Kommission hatte sich ganz klar entschieden, den Dialog zu suchen. So wurden die unterschiedlichsten Peergroups in so genannten Konsultationen ersucht, ihre Spezialkenntnisse in den Prozess einzubringen, was die Hoffnung aufkeimen ließ, die Kommission werde nicht – wie sonst mitunter üblich – den starken lobbyistischen Einflüssen der großen globalen Player erliegen, sondern auch die Sorgen der Kleinen und der Kreativen ernst nehmen und so die einmalige Chance nutzen, das Recht nicht nur halbherzig an die gegenwärtigen Realitäten anzupassen, sondern vorauszudenken und das Urheberrecht, wenn man so will, wirklich zukunftstauglich zu machen.

Selten gab es im Vorfeld einer neuen Richtlinie mehr Stellungnahmen, Positionspapiere und offene Briefe an die Kommission oder an Jean Claude Juncker persönlich als deren Präsidenten als dieses Mal. Einen dieser Briefe etwa verfassten mehr als 1.000 „Recording Artists“- darunter Namen wie Coldplay, David Guetta und Christina Aguilera, die Speerspitzen der kommerziellen Popmusik also. Selbst den Bestverdienern der Branche war demnach  aufgefallen, dass hier etwas nicht mehr stimmt, dass die rechtliche Absicherung von Einnahmen und Tantiemen den tatsächlichen Entwicklungen hinterherhinkt. Selbst die Spitzenverdiener fühlten sich mittlerweile als Opfer. Ihre Forderung: Eine Lösung des Value- Gaps.

Die grundlegende Schwierigkeit eines wie immer gearteten europäischen Urheberrechts besteht nun aber darin, eine richtige Balance zu finden, eine nämlich, die die Rechteinhaber einerseits in die Lage versetzt, von ihrer Arbeit zu profitieren (was wohl ohne klare Regeln nicht geht), andererseits aber auch die Entwicklung, die Innovation nicht unnötig einschränkt. So weit so gut. Nun liegt er also vor, der Richtlinienentwurf, und die Reaktionen darauf sind – vorsichtig ausgedrückt – alles andere als euphorisch. Die wichtigsten Änderungen sind:

Ausgleich der schwachen Position der Rechteinhaber

Um die in der Regel schwache Position des Rechteinhabers gegenüber Online-Plattformen und Lizenznehmern wie Spotify auszugleichen, sieht der Entwurf dreierlei Maßnahmen vor: Erstens soll eine Verpflichtung zu Transparenz („Transparency Obligation“) bestehen, d.h. die Verwendung von geschützten Werken muss berichtet werden. Zweitens soll eine Zwangsinvertragnahme erfolgen, sollten die Remunerationen zu niedrig sein. D.h. die nutzende Institution wird gezwungen, einen Vertrag zu besseren Konditionen für den Rechteinhaber abzuschließen. Und drittens soll ein Mechanismus zur Streitbeilegung installiert werden, um benachteiligte Rechteinhaber davor zu bewahren, den langwierigen und in der Regel auch teuren Weg vor nationale Gerichte zu beschreiten.

Die spannende Frage, die diese Regelungen des Entwurfs auslösen, ist: Kommt das (lang geforderte) Urhebervertragsrecht, d.h. werden die österreichischen Legisten diesen Regelungsbedarf – so er denn den Weg vom Entwurf in die Richtlinie schafft –  durch ein, zwei magere Zusatzbestimmungen im österreichischen Urhebergesetz regeln oder werden sie ein Urhebervertragsrecht schaffen, das ganz generell Mindeststandards festsetzt und Transparenz, Zwangsinvertragnahme und Streitbeilegung als Teilaspekte dieses gesamten Komplexes der Fairness- und Mindestsicherung regelt? Man darf gespannt sein.

Das erkennbare Bemühen, etwas gegen das Ungleichgewicht zu tun, wurde in den Stellungnahmen überwiegend positiv bewertet. Die Author´s Group etwa, das führende AutorInnennetzwerk Europas mit mehr als 500.000 Mitgliedern, wies bekräftigend daraufhin, dass ein gut funktionierender Markt zuallererst über ein System verfügen müsse, das AutorInnen und InterpretInnen faire Bedingungen ermöglicht, weil sie gegenüber Verlagen, ProduzentInnen und Sendeanstalten benachteiligt seien, d.h. ihre Verhandlungsposition eine traditionell schlechte ist.

Der Author´s Group und der Initiative Urheberrecht  gehen aber die Bemühungen nicht weit genug. Ihrer Auffassung nach reicht die Herstellung von bloßer Transparenz nicht aus, um eine „faire“ Vergütung der UrheberInnen sicherzustellen. Aber immerhin sei ein erster Schritt in die richtige Richtung getan.

Data Mining

Unter Data Mining versteht man die Analyse von Daten mit dem Ziel, Muster und neue Zusammenhänge zu erkennen. Bislang war strittig, ob solch eine Analyse von im Internet frei verfügbaren Inhalten eine urheberrechtlich relevante Vervielfältigung darstellt und deshalb durch die/den UrheberIn genehmigt werden muss. Im Entwurf ist nun vorgesehen, dass Text- und Data-Mining explizit nur Einrichtungen der Wissenschaft und Forschung erlaubt ist. Im Umkehrschluss muss das aber bedeuten: Alle anderen Datenanalysen im Web, also alle, die nicht rein wissenschaftlichen Zwecken dienen, bedürfen der Genehmigung durch die/den UrheberIn. Ob das tatsächlich praktizierbar ist? Die Reaktionen darauf fielen kritisch bis bissig aus.

Bitcom etwa befürchtet, dass dadurch Unternehmen, die Big-Data-Technologien anbieten, und vor allem Start Ups, benachteiligt würden. „Das wäre das Ende für viele Anbieter von Datenanalysen in Europa“, hieß es in der Stellungnahme. Aber auch der Deutsche Bibliotheksverband sieht bei der Umsetzung der geplanten Bestimmungen größere Probleme: Die grundsätzlich begrüßenswerte Klarstellung, dass Forscherinnen und Forscher künftig das Recht erhalten sollen, alle Texte, zu denen sie legalen Zugang haben, mittels Datenanalyse zu erforschen, werde dadurch konterkariert, hieß es, dass gleichzeitig die Verlage, denen die Texte gehören, diese Forschung immer dann verbieten dürfen, wenn sie die Sicherheit oder Unversehrtheit ihrer Server gefährden würde. So könnte die Nutzung dieser Regelung schnell durch einfach aufgestellte und nur schwer zu überprüfende Behauptungen torpediert werden. Kurz gesagt: Die Regelung verursache selbst für ForscherInnen, denen Data Mining grundsätzlich gestattet ist, große Rechtsunsicherheit.

Suchmaschinen

Der Richtlinienentwurf fordert die Umsetzung eines Leistungsschutzrechtes, auch Link-Steuer genannt. Nach den Plänen der Kommission dürfen Suchmaschinen oder auch andere Websites nicht einmal kürzeste Artikelauszüge, so genannte „Snippets“ anzeigen, wenn sie auf journalistische Texte verweisen. Die Schutzdauer soll zwanzig (!) Jahre betragen. Aber nicht nur das Veröffentlichen von Links oder Snippets, auch das Kopieren soll unter das Leistungsschutzrecht fallen und Ansprüche auslösen.

Den Hintergrund dafür bildet ein Verfahren, das deutsche Presseverleger gegen Google führten. Ihr Argument: Google schade ihnen und ihrem Geschäftsmodell mit seinen kostenlos angebotenen Ausschnitten von Presseartikeln. Der deutsche Bundestag reagierte auf diese medial ausgeschlachtete Prozessführung mit der Schaffung eines neuen Leistungsschutzrechtes, das sich in der Praxis allerdings wenig bis gar nicht bewährt hat. Die Wochenzeitung Die Zeit schrieb sogar, das neue Leistungsschutzrecht kenne nur Verlierer. In der Tat wurden aus dem neuen Recht insgesamt nur 714.540 Euro eingenommen, während allein die Prozessführung gegen Google 3,3 Millionen Euro gekostet haben soll. Der Hauptkritikpunkt allerdings lautete, dass die Regelung vor allem kleine, innovative Mediendienste in ihrer Existenz gefährde, was ein parallel geführtes Gerichtsverfahren zwischen dem kleinen Medienbeobachtungsdienst uberMetrics und der Süddeutschen Zeitung eindrucksvoll belegt. Streitgegenstand war hier die Frage, ob der Dienst eine Lizenz von der Süddeutschen hätte kaufen müssen, um in seinem Dienst auch Textausschnitte der Süddeutschen Zeitung anzeigen zu dürfen. Mit anderen Worten war zu klären, was noch als unentgeltlicher Snippet durchgehen darf, und was nicht. Das entscheidende Gericht jedenfalls hielt die Textmengen von 235 bis 250 Zeichen nicht mehr als kleine oder kleinste Textausschnitte und verdonnerte den Dienst zur Zahlung. Das Merkwürdige dabei aber war: Das Gericht ließ offen, was genau noch eine kleine Textmenge sei und was nicht. Eine unbefriedigende, aus österreichischer Sicht nur allzu bekannte Lösung. Der Gesetzgeber regelt es unbestimmt und überlässt es so den Gerichten, eine genaue Grenze festzulegen, aber auch die Gerichte kommen der delegierten Verantwortung nicht nach. Die Folge: Prozesse mit ungewissem Ausgang, die (wie im Fall uberMetrics) den Betreiber eines kleinen Unternehmens eine sechsstellige Summe kosten und existenzgefährdend sind. Ob das, wie intendiert, den JournalistInnen zugutekommt, darf an dieser Stelle auch bezweifelt werden.

Die Gefahr eines solchen (gesamteuropäischen) Leistungsschutzrechtes besteht neben der Rechtsunsicherheit aber auch darin, dass Suchmaschinen journalistische Texte komplett aus ihrer Suche entfernen könnten, um keine Ansprüche auszulösen. Leidtragende wären das Web selbst, das ärmer würde, und natürlich auch die NutzerInnen des Webs, die nicht mehr über die gleiche Informationsfülle verfügen. Aber vor allem auch kleinere Verlage könnten Nachteile erfahren, weil derartige Links essenziell für ihr Geschäftsmodell sind.

In den Kommentaren herrschte Uneinigkeit: Während der Börsenverein des deutschen Buchhandels die Regelung begrüßte, sah der Bundesverband Deutsche Start Ups im Leistungsschutzrecht den Versuch, das seiner Ansicht nach gescheiterte deutsche Modell zur europäischen Maxime zu machen, was – sarkastisch betrachtet – zumindest den deutschen Standortnachteil beseitigen würde.

Durch das verlegerische Leistungsschutzrecht sollen Presseverleger aber auch ganz generell Tonträgerherstellern gleichgestellt werden. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass Autor und Verlag genauso gemeinsam daran arbeiten, ein bestimmtes Werk zu verlegen wie das eine Band mit ihrem Label/Produzenten tut.

Die Art und Weise, wie diese Annäherung im Entwurf passiert, missfiel der IG Autoren und dem Österreichische Journalisten Club (ÖJC). In einer gemeinsamen Stellungnahme bezeichneten sie die Pläne eines Leistungsschutzrechtes für Verlage „als ein völlig ungeeignetes Mittel, Presseverlage mit Geldern aus dem von AutorInnen und JournalistInnen stammenden Urheberrecht zu finanzieren.“ Der zu bezahlende Content werde ausschließlich von AutorInnen und JournalistInnen erzeugt und nicht von den Verlagen….“ Hier sei dem lobbyistischen Einfluss großer Verlage Rechnung getragen worden, „indem nicht das Urheberrecht, sondern die Geldbörse der Verlage geschützt wird.“

Auch Bitcom reagierte empört: Aus Sicht der Digitalwirtschaft mache es keinen Sinn, das in Deutschland gescheiterte Leistungsschutzrecht für Presseverlage zu verschärfen und auf die gesamte EU zu übertragen. „Das Leistungsschutzrecht werde die Informationsvielfalt im Internet verringern“, hieß es, „ wenn innovative Dienste und Start Ups für die Verbreitung von Online-Nachrichten durch hohe Lizenzkosten und rechtliche Unsicherheiten ausgebremst werden.“

Ähnlich die österreichische Vereinigung der Internet Service Provider (ISPA): „Durch ein neues Leistungsschutzrecht werde nicht nur die Meinungsfreiheit im Internet behindert, sondern auch der seit Entstehen des Internets bestehende Grundsatz der freien Verlinkung im Internet untergraben“, hieß es in der Stellungnahme.

Die Rolle der Host Provider

Der Richtlinienentwurf sieht vor, Host Provider zu verpflichten, eine Software zu installieren, die Inhalte automatisch erkennt und so illegal hochgeladene Werke ausfiltern kann. Darüber hinaus sollen sie dann verpflichtet werden, mit Rechteinhabern geschützter Werke Lizenzvereinbarungen zu schließen. Manche Kritiker wollen darin eine Benachteiligung kleinerer Marktteilnehmer erkennen. Plattformen wie YouTube nutzen ja bereits (die sehr teure) Software zur Erkennung von Content. Verpflichtet man nun auch kleinere Marktteilnehmer, könnte das aufgrund des finanziellen Aufwands zu Benachteiligungen führen (eco Audiomagazin). Ähnlich die österreichische ISPA. Auch sie sieht kleinere Unternehmer und Start Ups benachteiligt, weil sie die Technologie erst einkaufen müssen, die große Konzerne längst eingekauft haben. Generalisierend kann man sagen, dass den einen, vor allem ISPs, die Regelung zu weit geht, weil sie sich zur Beobachtung/zum Ausspionieren ihrer Kunden und mitunter zum zwangsweisen Vertragsabschluss genötigt sehen. Anderen, wie etwa der Initiative Urheberrecht, wiederum gehen die Regelungen nicht weit genug. Sie vermissen ein klares Bekenntnis zur Zahlungsverpflichtung von Plattformen bzw. deren Betreibern, die die Verwertung von geschützten Werken durch ihre NutzerInnen ohne Rechtserwerb und Vergütung ermöglichen.

Zusammenfassung

Der Entwurf ist ein erster Schritt, der zeigt, dass man seitens der EU endlich die Notwendigkeit erkannt hat, das Urheberrecht dynamisch an die tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen und dass man seitens der Kommission auch bereit ist, aktiv daran zu arbeiten, den Markt für Creative Industries zu einem besseren, einem dynamischeren zu machen. Mehr allerdings nicht. Dazu ist man an vielen Stellen zu vage (Faire Bedingungen bzw. Urhebervertragsrecht) geblieben, an anderen unausgegoren und einseitig (Leistungsschutzrecht). Völlig versäumt hat es die EU aber, den Wildwuchs an nationalstaatlichen höchst unterschiedlichen Regelungen zu urheberrechtlichen Abgaben durch einheitliche Vorgaben zu vereinfachen.

Die Abgaben, die in vielen, aber nicht allen EU-Staaten auf Geräte wie Computer, MP3-Player und Smartphones, USB-Sticks, Speicherkarten etc. erhoben werden, führen zu unsicheren Situationen im Binnenhandel, sie benachteiligen oder bevorzugen – je nachdem – ganze Geschäftszweige. Ganz abgesehen von wirtschaftlichen Benachteiligungen dieses Wildwuchses sind die Regelungen aber auch für die/den VerbraucherIn nicht durchschaubar. Eine Harmonisierung wäre hier wünschenswert – auch im Hinblick auf Produkte, die in einem Land abgabenpflichtig sind, aber in einem anderen Land nicht.

Markus Deisenberger