Call: Sommerakademie „Volkskultur als Dialog“

Die Sommerakademie „Volkskultur im Dialog“ (24. – 27. August 2022, Gmunden) bittet um die Einreichung von Beiträgen zum Thema „Ökonomien und Lebensformen von Musikanten und Musikantinnen“.

Über Lebensformen von Musikanten und Musikantinnen waren oftmals feste und romantisierende Bilder im Umlauf. Vorstellungen über Volk, Volkskultur und Volkslied haben sich vor allem im 19. Jahrhundert ausgebildet. Nicht nur die Tiroler sind seither lustig. Allein das Wort „Musikanten“ legt die Spur in freie und selbstbestimmte, vor allem männliche Lebensformen. Die Sommerakademie will Vorstellungen, die zu Mythen geworden sind, nachgehen. Dazu gehören die strikte Oralität, das Dörfliche und eine Ausblendung, ja Verachtung des Ökonomischen.

Orte und Anlässe des Singens und Spielens sind für die Vormoderne archivalisch gut belegt: Vor allem dort, wo lizensierte Musik als zünftiges Gewerbe galt und oft bis ins 19.Jahrhundert als „Pacht“, etwa von „Türmern“, als Handwerk ausgeübt wurde. Obrigkeitliche Verordnungen hatten Musikkonsum und Instrumente an ständische Merkmale gekoppelt. Aus kommunalen Rechnungsbüchern wissen wir über „Vergütungen“ Bescheid (Sternsingen, Hochzeit). Konflikte zwischen Handwerkern und „Laien“ wurden aktenkundig. In den Landesbeschreibungen wurden Bräuche lokaler Gruppen aufgezeichnet. Denkt man etwa an die Lieder der Frauen bei der Totenwache, weiß man wenig über das informelle System der Gegenseitigkeit des Gabentauschs in der Gemeinschaft. Lieder über die Arbeit oder solche die bei der Arbeit gesungen wurden, lassen sich vor allem dort denken, wo Gruppen gemeinsam lebten und arbeiteten.

Früh wurden als “Volkslied“ narrative Gattungen wie die Balladen bewundert. Anfang des 19. Jahrhunderts, in einer Schlüsselphase der Moderne, kreiert die germanistische Bewegung das „Volkslied“ als intellektuelle Konstruktion in einem ästhetischen Entwurf des „Eigenen“. Nun wurde ein Lied oft nicht als Bestandteil und Spiegel gesellschaftlicher Realität verstanden, sondern als „Volkslied“, radikal losgelöst, zur Projektion. Es werden national-romantische, regressive Bilder entworfen. Die Mündlichkeit als schriftloser, vorliterarischer Ursprung sollte zur „Unschuld der Kindheit“(Tieck) in die Frühzeit leiten, wurde zum Ausdruck einer nationalen Tiefenbohrung. Zum Mythos des „Volkslieds“ gehörten seither Oralität und die Abwesenheit von Kommerz in einer antikapitalistisch-ländlichen Gemeinschaft. Franz Friedrich Kohl und Joseph Pommer hatten die „Volksänger“ als unecht geschmäht und den Verkauf ihrer Liedblätter vom „echten“ Volkslied abgehoben. Ländlich naturhaft, mündlich und antikapitalistisch waren Qualifikationsmerkmale, die dann auch zu Verdammung und Ausschluss des Wienerlieds vom echten Volkslied führten. „Vom Barette schwankt die Feder“: Um die vorletzte Jahrhundertwende waren sich Jugendbewegung, Lebensreform, germanistische Wissenschaft und Volkskunde einig.

Heutige Erscheinungsformen von Volkslied und Volksmusik und ihre mediale Präsenz zeigen Singende kaum je mit einem Blatt Papier in der Hand abgebildet. Das Postulat der strikten mündlichen Überlieferung hält sich ikonographisch und habituell. Neben “traditionellen“ Milieus ist eine fast durchgängig akademisch ausgebildete Branche entstanden, innerhalb derer musikwirtschaftliche Zusammenhänge debattiert werden. Hier hat sich ein Markt innovatorisch aktualisierter, oft alternativer Musik entwickelt – im „Volkston“ wie im Habitus. Im meist urbanen, professionellen Milieu bilden sich Ökonomie und Lebensformen neu aus. Dabei ist an die „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ zu erinnern: Neben neuen, innovativen Formen, die sich auf Volkslied und Volksmusik berufen, gibt es die „Traditionen“ und das große Feld „volkskultureller“ Angebote in den Bundesländern. Überall lässt sich fragen, ob und wie die Sedimentierung älterer Deutungen und Praktiken bis heute reicht.


Die Sommerakademie „Volkskultur im Dialog“ lädt zu Beiträgen ein, die solche und andere Mythen umkreisen und solche, die gegenwärtige wie historische Musikwirtschaft, ihre Inhalte, Akteure und Akteurinnen und ihre Ökonomien ausleuchten. Bei den Einreichungen von Vorträgen, Workshops, Panels… bitte um folgende Angaben: Name (Institution), Titel und max. 1300 Zeichen zum Thema/Vorhaben.

Das Programm entsteht in Zusammenarbeit mit der Wissenschaftliche Kommission des Österreichischen Volksliedwerks. Bis spätestens Ende April erhalten Sie von uns eine Rückmeldung. Für Beiträge zum Programm übernimmt das Österreichische Volksliedwerk die Kosten für Fahrt, Aufenthalt und Tagungsgebühr. Falls der Beitrag nicht schon vorab erschienen ist, kommt eine Auswahl an Beiträgen in unser Jahrbuch. Wir ersuchen möglichst den gesamten Zeitraum der Akademie dabei zu sein, da diese ganz dem Titel entsprechend vom Dialog lebt. Daher sehen wir auch von einer Onlineübertragung ab, außer die Situation erfordert diese Maßnahmen.

Studierende bis 30 Jahre können ein Stipendium beantragen, dann ist die Teilnahme kostenlos. Bitte dafür auf einer 3/4 Seite darlegen, aus welchen Gründen eine Teilnahme von Interesse wäre.

Für PädagogInnen entfallen die Seminargebühren. Die Sommerakademie gilt als Lehrerfortbildung (PH OÖ LV-Nr. 26F1ÜFME07).


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Die Sommerakademie „Volkskultur als Dialog“ wird seit 1992 mit Unterbrechungen abgehalten. Sie ist eine Diskussionsplattform, die sowohl den praktischen als auch den theoretischen Zugang zur Volkskultur zu hinterfragen und zu überprüfen versucht. Ziel dieser jährlichen Veranstaltungsreihe ist es, das breite Betätigungsfeld der Volkskultur zu reflektieren und Brücken zu schlagen zwischen jenen, die mit Volkskultur leben, und jenen, die sich wissenschaftlich damit beschäftigen. Denn Volkskultur ist ein lebendiger Dialog zur Selbstvergewisserung unserer modernen Lebenswelt.