Bregenzer Festspiele: Kunst aus der Zeit (Lopez, Staud,) und Schwerpunkt Mieczysław Weinberg (ab Mittwoch, 21. Juli)

„In der Fremde“ heißt das heurige Motto der Bregenzer Festspiele. Intendant David Pountney widmet den Schwerpunkt heuer dem vergessenen polnisch-russischen Komponisten Mieczysław Weinberg (1919-96). Aber auch „Kunst aus der Zeit“, nach Matthias Lošek nunmehr künstlerisch betreut von Laura Berman, fragt: Was ist das eigentlich, das  „Fremde“? Ein Ausflug führt in die Berge, wo Jorge E. Lopez daran erinnern will, wie außergewöhnlich Natur klingen kann. In anderen Konzerten werden zwei junge Komponisten aus Ägypten und Indien vorgestellt, der Wiener Concert-Verein portraitiert den österreichischen Komponisten Johannes Maria Staud.

Bereits am Samstag, 17. Juli hieß es „Vorhang auf“ für die „crossculture night 2010. crossulture bietet in unterschiedlichen Programmen, Workshops und Aufführungen jungen Menschen die Chance, in und außerhalb der Festspielzeit ihre Kreativität zu entfalten. Teilnehmer der crossculture week haben in verschiedenen Workshops eine Woche lang ein eigenes Programm entwickelt, das auf der Bühne des Festspielvorplatzes aufgeführt wird. Abends dann als Highlight für alle von 14 bis 26 Jahre eine der letzten Proben von Verdis „Aida auf der Seebühne“.

Die Eröffnung der 65. Bregenzer Festspiele ist am Mittwoch, 21. Juli ab 10.30 Uhr im Festspielhaus.  Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Kultur hat sich für die Eröffnungszeremonie angekündigt, auch der Bundespräsident, die Bundesministerin Claudia Schmied, der Vizekanzler und der Vorarlberger Landeshauptmann. Ab 12.00 Uhr übertragen ORF 2 & 3SAT die von Festspielintendant David Pountney inszenierte Eröffnungsfeierlichkeit. Die Wiener Symphoniker spielen unter anderem Werke von Mieczyslaw Weinberg und Giuseppe Verdi. Unterstützt werden sie dabei von diversen Solisten.

Traumzeit und Traumdeutung: Sinfonische Aktion im Bergraum von Jorge E. López

Ein musikalisches Abenteuer in 2000m Höhe: Am Sonntag, 24. Juli,  im Falle von Schlechtwetter 25. Juli ist ab 11.30 Uhr die einzige Aufführung. Dieses „Kunst aus der Zeit“ (KAZ) – Projekt ist eine sinfonische Aktion, die für den Bergraum konzipiert worden ist. Ort des Konzerts ist der Formarinsee bei Lech am Arlberg, ein idyllischer Alpensee auf über 1900 Meter Höhe, gelegen am Fuße der Roten Wand.

Die Pressevorschau der Bregenzer Festspiele: Das Werk, in Zusammenarbeit mit Lech Zürs Tourismus und dem Kunsthaus Bregenz entstanden, beginnt mit einer Wanderung, auf der das Publikum mit jedem Höhenmeter die Geräusche der Zivilisation weiter hinter sich lässt. Am Ziel angekommen nehmen die Zuhörer auf der Wiese am Formarinsee Platz. Einige hundert Meter von ihnen entfernt sind die Orchestergruppen in den vier Himmelsrichtungen aufgestellt. Aus der Ferne ertönen tiefe Blechklänge, Trommeln und Stimmen. Sie verbinden sich mit den Geräuschen der Natur, des Windes und des Wassers; das Instrumentarium des Fernorchesters entfaltet eine Art Rauschzustand meditativer Versenkung. Gespielte, gesungene und naturgegebene Klänge schieben sich übereinander, durchbrechen sich gegenseitig und vermitteln so den Eindruck eines sich auflösenden Raum-Zeit-Kontinuums, einer „Traumzeit“. Es spielt das Collegium Novum Zürich unter der musikalischen Leitung von Michael Wendeberg.

Jorge E. López’  Erleben der „wilden Natur“ ist ein immer wiederkehrendes Motiv seines Schaffens, er ist ein Künstler, der bereit ist, in wahrhaft gewaltigen Dimensionen zu arbeiten und damit an Grenzen zu gehen. López erforscht in seiner Musik die seltsame und unerschöpfliche Macht der Natur – als unsichtbare, manchmal auch bedrohliche Kraft.  Nach der Aufführung fährt man mit der Seilbahn hinauf auf den Rüfikopf um das  Landschaftsprojekt  des Kunsthaus Bregenz “Horizon Fields” von Antony Gormley, einem der bedeutendsten Bildhauer unserer Zeit, zu sehen. Bei der Wanderung trifft man an verschiedenen Stellen auf in jeweils exakt 2039 m Seehöhe aufgestellte lebensgroße Eisenabgüsse eines menschlichen Körpers, die auf das atemberaubende Bergpanorama blicken. Thema der Ausstellung: das komplexe Verhältnis zwischen Natur und Gesellschaft.

Als „Packages“ bieten die Bregenzer Festspiele mehrere Varianten, von einer Übernachtung in Lech bis zur Busfahrt ab Festspielhaus Bregenz frühmorgens – mit Vortrag und Musikbeispielen. „Die Nutzung der Ortsbusse und der Rüfibahn sind am Tag der Aufführung mit Ihrer Eintrittskarte kostenlos. Sie fahren mit dem Ortsbus zum Formarinsee und zurück. Nach der Aufführung nehmen Sie die Seilbahn auf den Rüfikopf und können bei einer kürzeren oder ausgedehnteren Wanderung die Skulpturen bewundern und die Berglandschaft um Lech genießen.“ Na dann!

KAZ – Konzerte

Interessant im Bereich Neue Musik sind die Konzerte in Kooperation mit dem Kunsthaus Bregenz. Christoph Stradner (Violoncello) und Luca Monti (Klavier) präsentieren zum Beispiel einen Abend zum Thema Exotik. Am 27. Juli spielen sie Werke von Igor Strawinsky, Toshio Hosokawa, Giacinto Scelsi, Toru Takemitsu und Isang Yun.

„In Trance“ heißt das Konzert am 4. August – 19.30 Uhr im Seestudio im Festspielhaus. Das oenm – österreichisches ensemble für neue musik spielt unter der Leitung von Titus Engel Werke von John Adams und Fausto Romitelli. John Adams „Shaker Loops“ ist eine der meistaufgeführten Kompositionen des Begründers der amerikanischen Minimal Music. Von Fausto Romitelli, 2004 im Alter von nur 41 Jahren verstorben, stammt die inspirierte Komposition Professor Bad Trip.

Johannes Maria Staud
widmet am 11. August der Wiener Concert-Verein „Seltsame Reisen“ im Kunsthaus Bregenz, Staud wird gemeinsam mit Laura Berman selbst durch das Programm führen. Er hat übrigens am 22.8. ein weitere Uraufführung in der Semperoper in Dresen („Tondo“ – ein Preludio für Orchester) „Stauds Musik führt die Hörer in wunderschön gestaltete, klangvolle Landschaften, oft gehüllt in einen Schleier des Geheimnisvollen. Seine Werke gleichen musikalischen Detektivgeschichten, in denen Staud mit den Erwartungen der Besucher spielt und das Publikum auf seltsame Pfade hinabgeleitet in die tiefsten und dunkelsten Winkel der Musik, wo an jeder Ecke Überraschungen warten. Mit unentwegter, beinahe fatalistischer Gewissheit durchschreitet dieser Komponist ein unsicheres und sich fortwährend veränderndes Territorium.

Das Ensemble Lux widmet sich in seinem Konzert am 17. August, wieder im Seestudio, dem Thema „In der Fremde“ und im Vorbericht dazu heißt es: „Die jungen Musikertalente dieses Wiener Ensembles haben sich als Thema für ihr Konzert, auf dessen Programm auch die Uraufführung zweier Streichquartette steht, Komponisten ausgewählt, die fernab ihrer Heimat leben. Die Musik des ungarischen Juden György Ligeti, der die österreichische Staatsbürgerschaft erwarb, reflektiert eine Verschmelzung seiner eigenen Kultur mit westlichen Ideen. Im Gegensatz dazu bezieht sich die Russin Sofia Gubaidulina, die seit 1992 in Deutschland lebt, in ihrer künstlerischen Arbeit stark auf ihre Wurzeln. Aufgrund ihrer Erziehung ist Gubaidulina zwar dem russischen Kulturkreis zuzurechnen, gleichwohl sind asiatische Einflüsse, die in ihrer tatarischen Abstammung begründet liegen, in ihrem Schaffen unüberhörbar. Komponieren ist für die christlich geprägte Künstlerin ein religiöser Akt.

Für das Konzert hat Kunst aus der Zeit außerdem zwei Komponisten der jüngeren Generation, den in Salzburg lebenden Ägypter Amr Okba und den in New York beheimateten Inder Uday Krishnakamur, damit beauftragt, in ihren Kompositionen zu untersuchen, wie es in Zeiten musikalischer Globalisierung gelingen kann, die eigene kulturelle Identität aufrechtzuerhalten. Beide Komponisten werden das Publikum persönlich durch das Konzert führen und ihre neuen Werke erläutern.“

Der Tanz kehrt mit einem sehr ungewöhnlichen Stück des Choreographen Alain Platel auf die Werkstattbühne zurück und in Ergänzung zum Weinberg-Portrait und seiner Auschwitz-Oper zeigen die Bregenzer Festspiele Morton Subotnicks Oper „Jacob’s Room“, ein Werk über die Schwierigkeiten eines Menschen, der mit den Nachwehen von Krieg und Völkermord fertig werden muss. Berman kommentiert im Festspiele-Prospekt: „Morton Subotnicks Karriere begann zu einer Zeit, in der der Dialog zwischen den Musikschaffenden und der aufkommenden Hippiekultur besonders intensiv war. Musik zu hören wurde zum transzendentalen Erlebnis, zu einer Reise über das eigene Bewusstsein hinaus in das Fremde. Dieses Musikverständnis offenbart sich sowohl in ‚Jacob’s Room’ als auch in Subotnicks wegweisender Komposition ‚Silver Apples of the Moon’, und wird auch Thema eines  Konzerts des oenm im Seestudio sein.“

Mieczyslaw Weinbergs Oper „Die Passagierin“

„Die Passagierin“ wird 42 Jahre nach ihrer Entstehung szenisch uraufgeführt, Regie führt David Pountney. Mieczyslaw Weinberg bezeichnete seine Oper selbst als „mein Schlüsselwerk“, sie wurde 1968 komponiert und fiel zwei Mal der sowjetischen Zensur zum Opfer. Erst 2006 wurde sie in halbkonzertanter Form in Moskau uraufgeführt. David Pountney, der sich auch mit dem Opernschaffen von Dmitrij Schostakowitsch intensiv auseinander gesetzt hat, entdeckte das Meisterwerk, nachdem es 2007 bei „peermusic classical“ in den Verlag genommen wurde. Die Bregenzer Produktion der „Passagierin“ soll in den kommenden Jahren auch in Madrid, Warschau, Tel Aviv und London gezeigt werden.

Das Werk basiert auf dem gleichnamigen Roman der polnischen Auschwitz überlebenden Dichterin Zofia Posmysz und behandelt das Thema von Schuld und Verdrängung von Schuld auf dem Hintergrund des Holocaust. „Die Passagierin“ spielt abwechselnd auf einem Ozeandampfer, der Ende der 50er Jahre von Europa nach Südamerika unterwegs ist und in den Jahren 1943 und 44 im Konzentrationslager Auschwitz. Eine der Passagierinnen ist Lisa, die Frau eines deutschen Diplomaten, der auf dem Weg nach Brasilien ist, um seinen neuen Posten anzutreten. Es stellt sich heraus, dass Lisa einst SS-Aufseherin in Auschwitz war. Zu ihrem Entsetzen erkennt sie unter den Mitreisenden auch eine Frau namens Marta, die  einer polnische Lagergefangenen, deren Freundschaft Lisa in ihrer Zeit als Aufseherin zu gewinnen versucht hatte, sehr ähnlich sieht. Die Wiederbegegnung der beiden Frauen führt zu einem tiefenpsychologischen Drama von äußerster Intensität.

Mieczyslaw Weinberg, geboren 1919 als Sohn jüdischer Eltern in Warschau, studierte ab 1931 Klavier, konnte 1939 vor den Nazis – seine Eltern und seine Schwester wurden getötet – aus Warschau nach Minsk, dann Taschkent fliehen. 1943 ging er nach Moskau, wo er später als Komponist und Pianist tätig war. Er war mit Dmitrij Schostakowitsch befreundet, der ihn auch zu fördern suchte. 1953 wurde er unter dem Vorwurf, die Errichtung einer jüdischen Republik in der Krim propagiert zu haben inhaftiert. Sein Mentor Schostakowitsch setzte sich jedoch für ihn ein und erreichte, dass er nach etwa einmonatiger Haft wieder freigelassen wurde.1954 wäre man gerne dabei gewesen, als die beiden Freunde Weinbergs Symphonie op. 93 in einem von Schostakowitsch eingerichteten Arrangement für Piano-Duo in Moskau gemeinsam aufführten und auch aufnahmen. Oder 1967 bei einer der Aufführungen der „Sieben Romanzen auf Gedichte von Alexander Blok“ (op. 127) mit Galina Wischnewskaja (Sopran), David Oistrach (Violine), Mstislaw Rostropowitsch (Cello) und  Moishei Weinberg (Piano).

Das umfangreiche Werk-Oeuvre Weinbergs wurde also sehr wohl ab den sechziger Jahren in der ehemaligen Sowjetunion von den bedeutendsten Interpreten und Dirigenten aufgeführt (u. a. von Leonid Kogan, dem Borodin Quartett, Mikhael Kopelman, Rudolf Barschai, Kyrill Kondraschin, Vladimir Fedosejew) und auch in Polen, Skandinavien, in den USA oder Israel gespielt.

Von Weinberg stammen allein acht Opern (darunter „Der Idiot“ nach Dostojewski, „Die Madonna und der Soldat“ nach A. Medwedew, eine weitere mit einem Libretto von Scholem Alejchem),  22 Sinfonien und andere Orchesterwerke, Kantaten, Lieder, Kammermusik für Streichquartett, Trios, Klaviermusik und auch eine große Anzahl von Filmmusiken, etwa 1957 zu Michail Kalatosows „Die Kraniche ziehen“.

1968 erschien die „Passagierin“, die geplante Uraufführung wurde jedoch im  poststalinistischen Russland untersagt. Schostakowitsch verfasste das Vorwort für den Klavierauszug:  „Ich werde nicht müde, mich für die Oper ‚Die Passagierin’ von M. Weinberg zu begeistern. Die Musik erschüttert mit ihrer Dramatik. Sie ist prägnant und bildhaft, in ihr gibt es keine einzige ‚leere’, gleichgültige Note.“ Und weiter: „Der Komponist und die Librettisten haben sich in den Grundzügen zwar an das Sujet der
Novelle gehalten, aber die Handlung wesentlich erweitert sowie neue Personen, neue Motive und Situationen eingeführt. Dies geschah mit Feingefühl und Verständnis für die Spezifik der musikalischen Dramaturgie.“ Schostakowitsch verweist in diesem Zusammenhang auf die Nebenfigur Tadeusz, ihm ist in der Oper der Beruf eines Musikers zugedacht. „Dem zu Tode verurteilten Tadeusz wird befohlen, eine banale Melodie auf der Geige zu spielen, um mit ihr das Ohr des Lagerkommandanten zu erquicken. Als Antwort darauf spielt Tadeusz eine Chaconne von Bach. Dem Soloinstrument schließt sich das Orchester an und erhöht somit noch mehr den Klang dieser unsterblichen Musik. Es ist schwierig mit Worten die tragische Kraft dieser Szene wiederzugeben … Ich freue mich darüber, dass der gedruckte Klavierauszug der ‚Passagierin’ erscheint. Ich freue mich über die Möglichkeit, noch einmal ein gutes Wort für diese Oper einlegen zu können, die ich liebe und an deren Schicksal ich glaube.“

Zu Schostakowitsch und Weinbergs Lebzeiten – beide wiederholt als „Formalisten“ verunglimpft – nützte das aber nicht, die Oper blieb bis vor kurzem unbekannt. Wirklich wieder entdeckt wurde Weinberg eigentlich erst im Schostakowitsch-Jahr 2006. Das scheint sich jetzt auch im deutschsprachigen Raum – voran durch die szenische Uraufführung in Bregenz – zu ändern. Erst kürzlich etwa legte die deutsche Bratschistin Julia  Rebekka Adler vier Sonaten für Viola solo des Komponisten und eine hoch emotionale, dunkel getönte frühe Sonate mit Klavier auf CD vor (Label Neos).

Gemeinsam mit Bühnenbildner Johan Engels und Marie-Jeanne Lecca, die für die Kostüme verantwortlich zeichnet, hat David Pountney im Sommer 2005 bereits Carl Nielsens far¬ben¬frohe Oper „Maskerade“ inszeniert. Am Pult der Wiener Sym-phoniker wird Teodor Currentzis stehen. Die Auschwitz-Überlebende Zofia Posmysz, auf deren Roman „Die Passagierin“ die Oper im Festspielhaus beruht, begrüßt in einem Interview die gefundene „außerordentliche Lösung“ für das Bregenzer Bühnenbild: „Ich war mir gar nicht bewusst, wie schwer die Entscheidung gewesen sein muss, das auf der Bühne umzusetzen. Auschwitz und das Schiff – das habe ich mir nicht vorstellen können.“

Auch in der zweiten Weinberg-Oper der Festspiele, hat sich der Komponist, mit einem brennenden Thema seiner Zeit und Biografie auseinandergesetzt: Wie viele Kompromisse kann ein Künstler für sein Überleben eingehen, ohne seine Kunst zu verlieren? Das Symphonieorchester Vorarlberg führt im Theater am Kormarkt die satirische Oper  „Das Porträt” (1980) unter der Leitung von Rossen Gergov auf. Die Inszenierung stammt von John Fulljames. Weinbergs satirische Oper nach der gleichnamigen Kurzgeschichte von Nikolai Gogol zeichnet das treffende Bild einer korrupten Kunstgesellschaft.

Der talentierte, aber erfolglose Maler Chartkov wird mithilfe eines verfluchten Portraits, das in seine Hände gerät, zum Societykünstler. Die Reichen und Berühmten der Stadt liegen ihm zu Füßen, er ist auf jeder Party und in aller Munde. Als Chartkov jedoch erkennt, dass er damit die eigentliche Kunst verraten hat, zieht er radikale Konsequenzen.

Das Phänomen des finanziell erfolgreichen Künstlers, der immer seichtere Imitationen ein- und desselben leeren Konzepts als immer teurere Kunst abliefert, kennt man im heutigen Wien oder London genauso wie im St. Petersburg des 18. Jahrhunderts. Doch für Leute wie Weinberg, die im Kontext der damaligen Sowjetunion tätig waren, hatte Gogols Geschichte auch noch eine ganz andere Bedeutung. Die Möglichkeit einer beruflichen oder gar persönlichen Auslöschung war stets präsent; so wie die allzeit drohende Armut die Entscheidungen des Künstlers Chartkov diktierte. In einem solch erbarmungslosen Klima war jeder Künstler – etwa auch Schostakowitsch oder Prokofjew (letzterer starb ironischerweise 1953 am selben Tag wie Stalin) gezwungen, einen Kompromiss zwischen Überleben und künstlerischem Selbstverrat zu finden.

David Pountney äußerte sich auch zum Komponisten Weinberg: „Weinbergs Schwiegervater war  eines der ersten Opfer des von Stalin 1948 installierten staatlichen Antisemitismus und Weinberg selbst wurde 1953 eingesperrt. Weinberg litt wie viele Menschen unter doppelter Gefährdung: Von den Nazis durch ganz Europa verfolgt oder daraus verjagt, musste er dann mit der Vernachlässigung und Indifferenz damit im Nachkriegs-Europa leben.“ Der Bregenzer Intendant sagte bei einer Wiener Pressekonferenz kürzlich: „Natürlich ist es ein Risiko, 20 Werke eines völlig unbekannten Komponisten aufs Programm zu setzen”. Er betonte aber gleichzeitig, dass das die wichtigste Aufgabe eines Festivals sei, nämlich nicht die „Überlieferungsindustrie“ zu bedienen. Auch viele der großformatigen Orchesterwerke Weinbergs werden – für viele zum ersten Mal – in den Konzerten zu hören sein, außerdem wird ein Symposion veranstaltet, bei dem  vom 31. Juli bis 2. August Künstler und Musikwissenschaftler die Hintergründe von dessen Leben und Werk beleuchten. In Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum Hohenems und dem Aufgrund seiner polnisch-jüdischen Wurzeln war Weinberg nie Teil des offiziellen Zirkels sowjetischer Komponisten. Also verdiente er sich seinen Lebensunterhalt mit dem Komponieren von Filmmusik. Aus Weinbergs Feder stammt die Musik einiger der noch heute berühmtesten Streifen der Sowjetzeit.

„Mit unserem Weinberg-Schwerpunkt wollen wir das Werk eines Komponisten in den Mittelpunkt rücken, der alle Voraussetzungen dafür erfüllt, als ‘Dritter Mann’ neben den zwei großen Genies der sowjetischen Musik, Prokofjew und Schostakowitsch, zu gelten“, fasste Pountney zusammen.
Heinz Rögl

Foto Jorge E. Lopez: Katalin Moldvay
Foto Johannes Maria Staud: Manon Praetorius

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