Bilder im Kopf – Wien Modern 30

Die 30. Ausgabe des Festivals Wien Modern im November 2017 rückt unter dem Titel „Bilder im Kopf“ die Kraft der Imagination in den Mittelpunkt. An 32 Spieltagen (31.10.–01.12.2017) und 26 Spielstätten in 11 Wiener Gemeindebezirken finden rund 106 Veranstaltungen mit 73 Ur- und Erstaufführungen statt. Das Programm ist online unter www.wienmodern.at.

 

Musik malt Bilder im Kopf – dieses Phänomen ist so alt wie die Menschheit selbst. Sie lässt die Zuhörenden Landschaften, Stimmungen, Atmosphären, Menschen, Gefühle und Gedanken sehen – mit geschlossenen Augen. Das tat sie sogar, als Musiktheoretiker im 20. Jahrhundert ständig Bilderverbot, Abstraktion und Schwarzweißdenken forderten. Mehrere Generationen und Revolutionen später tut sie das mit dem allergrößten Vergnügen.

Wien Modern präsentiert im Jubiläumsjahrgang die bunten Bilderwelten dieser Generationen und Revolutionen der letzten Jahrzehnte: Hans Werner Henzes atemberaubendes Revolutionsgemälde von 1968, György Kurtágs Blicke in Kafkas Kopf, Olga Neuwirths virtuelles Venedig, Iris ter Schiphorsts musikalische Versuchsanordnung mit den Reflexen, die verschleierte Frauen 2017 in den Köpfen auslösen, Carola Bauckholts rollende Augen, Jennifer Walshes Google-Bilderflut, John Cages imaginäre Landschaften aus 12 Radioapparaten, Arnold Schönbergs Filmmusik ohne Film oder Peter Eötvös’ Oper ohne Oper.

Mit fantasievollen Projekten laden junge MusikerInnen an außergewöhnliche Orte wie ein Pensionistenwohnheim, einen Tischtennisraum und ein Wirtshaus auf der Schmelz, den Backstage- Bereich des echoraum oder das Lusthauswasser im Prater.

Eine besondere Rolle im Programm spielen 2017 Frankreich und die besonders farbenreiche Art, dort die neue Musik neu zu erfinden – Musique concrète, akusmatische Musik, Live-Elektronik der atmosphärischen Art und die Musique spectrale, mit der vor 40 Jahren Gérard Grisey, Tristan Murail und Hugues Dufourt die Sonnenuntergänge und Regenbögen zurück in die Konzertsäle brachten.

Visuelle Projekte und Orte der Bilder

Auch wenn es in erster Linie um jene Bilder geht, die beim Hören von Musik im Kopf des Publikums entstehen, spielen Film, Video, Malerei und Fotografie heuer eine prominente Rolle im Programm. Unter den Spielorten des Festivals finden sich dementsprechend Christine König Galerie, Galerie Jünger, mumok, Österreichisches Filmmuseum, Künstlerhaus 1050 und Kunsthistorisches Museum.

Zum Auftakt des Festivals am 31.10. mit den Wiener Symphonikern steht mit dem Stummfilm „J’accuse“ (Abel Gance 1919 mit Orchester und Live-Elektronik von Philippe Schoeller) ein außergewöhnlicher Moment der Kinogeschichte auf dem Programm: Als eine Art erster „embedded journalist“ drehte Gance mit Soldaten des Ersten Weltkriegs auf originalen Schlachtfeldern bei Verdun einen dramatischen Antikriegsfilm – Zombie-Armee inklusive. Musik des Elektronik-Pioniers Pierre Henry begleitet den Stummfilmklassiker „Der Mann mit der Kamera“ (Dziga Vertov 1929 (25.11. im Kuppelsaal der TU Wien), gefolgt vom Multimediaprojekt „Daily Transformations“ (26.11. Halle G).

Das Floß der Medusa

Das Eröffnungskonzert mit dem RSO Wien am 2.11. erinnert an einen doppelten Skandal: 1816 starben fast 140 Menschen auf dem Floß der Medusa, festgehalten auf Théodore Géricaults berühmtem Gemälde. 1968 wurde Hans Werner Henzes gesellschaftskritisches Oratorium Das Floß der Medusa, ein Requiem für Che Guevara, zur Ikone des Revolutionsjahres: Die für Hamburg geplante Uraufführung ging im Tumult unter und fand erst 1971 in Wien statt. Das RSO Wien bringt das epochale Werk mit herausragender Besetzung neu auf die Bühne.

Bildhafte Gegenwartsmusik

Das Festival Wien Modern 2017 zeigt Musik, die auf vielfältige Weise die Imagination der ZuhörerInnen in Gang setzt. Peter Eötvös braucht für seine Chinese Opera am 5.11. weder Bühne noch Kostüme, nur seine überbordende Klangfantasie. In dem großen Portraitkonzert mit drei im Abstand von 10 Jahren entstandenen Meisterwerken steht der 73-jährige Komponist selbst am Dirigentenpult des Klangforum Wien. Am 9.11. werden grelle indische Farben, orgiastische Rhythmen und hemmungslose Glissandi den Großen Musikvereinssaal erfüllen: Mit der Turangalila-Symphonie von Oliver Messiaen widmet sich das RSO Wien unter Cornelius Meister einem der schillerndsten Werke der gesamten Orchesterliteratur.

Frankreich

Mehrere Generationen französischer KomponistInnen werden im gesamten Programm von Wien Modern vorgestellt. Den Anfang macht das Claudio Abbado Konzert am 4.11.: Ein neues Orchester aus Wien und Paris präsentiert Ur- und Erstaufführungen von Iris ter Schiphorst, Georges Aperghis und Hugues Dufourt. Im Rahmen von 200 Jahre mdw dirigiert Ilan Volkov zahlreiche Studierende aus beiden Städten in einer anspruchsvollen Orchesterpremiere im Zeichen des Festivalgründers.

Pionier der Spektralmusik

Gérard Grisey legte mit Les Espaces acoustiques (1974–1985) ein glitzerndes, irisierendes, regenbogenbuntes Alternativmodell zur Musik der Nachkriegsavantgarde vor. Einmal pro Jahrzehnt kann man das monumentale Werk bei Wien Modern erleben – am 16.11. mit allen unkonventionellen Details, die wohlmeinende Dirigenten meist unterschlagen: irritierten Reaktionen der Musiker, Pausengongs, Lichteffekten.

Klingende Räume und Kopfkino pur

Olga Neuwirths Schlüsselwerk Le Encantadas versetzt ZuhörerInnen am 20.11. mittels spektakulärer Raumelektronik nachVenedig: Das Glockenläuten in der Lagune oder die Akustik einer jahrhundertealten Kirche werden in der Halle E des MuseumsQuartiers originalgetreu simuliert. Atemberaubendes Kopfkino mit Ensemble intercontemporain und Ircam Paris.

Erste Bank Preisträger 2017: Hannes Kerschbaumer

Der 1981 in Brixen/Südtirol geborene, in Innsbruck lebende Hannes Kerschbaumer ist Preisträger des Erste Bank Kompositionspreises 2017. Kerschbaumer schafft Klangvorstellungen mit einer nahezu haptischen Anmutung – Musik, die man fast mit Händen greifen kann. Zwei seiner insgesamt fünf heuer im Festival zu hörenden Werke stehen auf dem Programm des Preisträgerkonzerts mit dem Klangforum Wien (22.11.) – an der Seite von Gérard Griseys letztem Werk Vier Lieder, um die Schwelle zu überschreiten.

Junges Publikum, junge KomponistInnen und Ensembles

Die traditionsreiche Zusammenarbeit zwischen Wien Modern und Dschungel Wien (Atlas der abgelegenen Inseln, 06.–11. und Dreihundertfünfundsechzig+, 21.–24.11) wird heuer durch das ZOOM Kindermuseum verstärkt für einen Mal-Workshop für Kinder und Eltern (Bilder im Kopf, 01.–04.11.). Dazu kommen das IGNM-Projekt Junge Musik (07.11.) sowie weitere musikvermittelnde Aktivitäten mit Schulen (u.a. 01.12.).

Die generationsübergreifende Offenheit des Festivals Wien Modern zeigt sich nicht zuletzt darin, dass neben traditionsreichen Orchestern und Ensembles jüngere Generationen von KünstlerInnen verstärkt zu Wort kommen. Das Abschlusskonzert mit Uraufführungen der Preisträgerwerke des mdw-Kompositionswettbewerbs zum Thema „Bilder im Kopf“ steht ganz im Zeichen der nächsten Generation (01.12.).

Late Night

Mit sechs Konzerten im rhiz, im MuseumsQuartier, in der Galerie Jünger und im Kuppelsaal der TU wird das Programmangebot für Nachtschwärmer ausgeweitet, darunter beispielsweise die Uraufführung der soeben mit dem Theodor Körner Preis ausgezeichneten Judith Unterpertinger in der Galerie Jünger (14.11.) und Raumelektronik mit dem von der Kunsthalle Wien präsentierten Aphex-Twin-Wegbegleiter Florian Hecker im MQ (18.11.).

Wien Modern 30 in Zahlen

32 Spieltage an 26 Spielstätten in 11 Wiener Gemeindebezirken 106 Veranstaltungen (71 Konzerte / Aufführungen + 35 Rahmenveranstaltungen) 47 Produktionen mit 40 Orchestern, Chören und Ensembles 73 Ur- und Erstaufführungen (43 UA + 30 ÖEA). Das Festival wird vom Verein Wien Modern in Kooperation mit der Wiener Konzerthausgesellschaft und der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien veranstaltet. Wien Modern wird ermöglicht von der Kulturabteilung der Stadt Wien, dem Bundeskanzleramt Kunst und Kultur sowie dem Festivalsponsor Kapsch AG und dem Sponsor Erste Bank. Mit freundlicher Unterstützung der SKE.

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