Besondere Momente der letzten Festivalwoche von Wien Modern 36

Erste Bank Kompositionspreis, Junge Musik und Subnormal Europe im Odeon, 20 Dudelsäcke zum Finale u.v.a.

Die letzte von fünf intensiven Festivalwochen feiert noch einmal die wundervolle, widersprüchliche Formenvielfalt der neuen Musik – mit den augmentierten Instrumenten des Duos Nimikry beim Erste Bank Kompositionspreis 2023 im Mozart-Saal, Literatur und Musik bei Break Eden von Clemens Gadenstätter und Lisa Spalt in der Alten Schmiede, einem Tanz- und Konzertprogramm der Jungen Musik und einer großen Multimedia-Performance des ZKM im Odeon, der Premiere des Improvisationstrios Zaric / Harnik / Barrett im Celeste, einer Fotoausstellung, einem Hörraum und Konzerten rund um ex-jugoslawische brutalistische Monumentalskulpturen im echoraum und schließlich einer Interpretation von Terry Rileys Minimal-Klassiker In C mit bretonischen Volksmusikinstrumenten im ehemaligen Semperdepot. Insgesamt gibt es bis Anfang Dezember 43 Ur- und 22 Erstaufführungen an 36 Spielstätten in 14 Bezirken zu hören und zu entdecken.

Vermehrt Schönes! Zum 35. Mal wird heuer der Erste Bank Kompositionspreisvergeben, und zwar zum ersten Mal an ein Kollektiv: Unter dem Duonamen Nimikrysind die beiden Wahlwiener Alessandro Baticci und Rafał Zalech als Komponisten und als Entwickler elektronisch augmentierter Musikinstrumente gemeinsam mit dem Klangforum Wien bei der Uraufführung ihres Stücks Rhizomatic Studies zu sehen und zu hören. Vorher erlebt das Trompetenkonzert von Wladimir Pantchev nach 20 Jahren endlich seine Uraufführung, und das von Wien Modern mit in Auftrag gegebene Kontrabasskonzert Seltene Erde von Chaya Czernowin wird erstmals in Österreich auf die Bühne gebracht – mit einem sichtbaren und vier unsichtbaren Kontrabässen. Rund um das Konzert gibt es die Möglichkeit, die elektronisch augmentierten Musikinstrumente von Nimikry selbst auszuprobieren, die relativ legendären Winzer:innen hinter unserem besonderen Wein Modern 2023 persönlich kennenzulernen, und natürlich reichlich Gelegenheit zum Austausch beim traditionellen Empfang der Erste Bank im Anschluss an das Konzert. (Dienstag 28.11.)

Nimikry Music (c) Svetlana Selezneva
Nimikry Music (c) Svetlana Selezneva

Das Projekt Junge Musik ist eine Zusammenarbeit der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM) mit den Musikschulen der Stadt Wien. Ziel der Konzerte, Workshops und Vorträge ist es, junge Menschen (und ihre Lehrkräfte) für aktuelle Musik zu begeistern. Soweit es möglich ist, werden auch Komponist:innen in die Konzertvorbereitungen einbezogen. Die Junge Musik wird von Cordula Bösze (IGNM) und Holger Busch (Musikschulen der Stadt Wien) organisatorisch betreut. Inzwischen gibt es eine langjährige Zusammenarbeit mit dem Festival Wien Modern und seit einigen Jahren auch mit dem mumok – museum moderner kunst stiftung ludwig wien. 2023 ist dabei erstmals auch die Tanzabteilung der Musikschulen der Stadt Wien am Konzert im Odeon im Rahmen von Wien Modern beteiligt, was seit 2021 geplant war, aber erst heuer konkretisiert werden konnte. (Mittwoch 29.11.)

Der Text von Lisa Spalt und die Musik von Clemens Gadenstätter beschäftigen sich in Break Eden – der doppeldeutige Titel ist Programm – in der Alten Schmiede am Mittwoch 29.11. mit der Erschaffung von Eden aus der Gegenwart, was Zerbrechen und Zusammenfügen in einem bedeutet. «Die Stimme befindet sich mit ihren feinsten Klang- und Ausdrucknuancierungen in einer Umgebung von verdichteten Dokumentarklängen. Sie ist sowohl ein imaginäres Porträt einer Vielzahl möglicher Personen wie auch eine in ihren Empfindungen verdichtete mögliche Person. Als solche löst sie die Frage von Gesellschaft und Individuum, indem sie beider Schauplatz und in beidem ständige Transformation darstellt. […] Schließlich bieten die Stimmen des Pianisten Ernst Surberg und der Autorin Lisa Spalt in der Aufführung einen Live-Einbruch von Realität in die Text-Gestaltung der Sängerin Anne Clare Hauf. Wie spät ist es? Wir haben Gegenwart: Wir tun, was wir können, um in der Erzeugung dieses Eden zusammenzuwirken. Bruch und Verschmelzung sind als Pole desselben nicht zu trennen.» (Lisa Spalt/Clemens Gadenstätter)

Bild Clemens Gadenstätter
Clemens Gadenstaetter (c) Stephan Fuhrer

Kurz vor Festivalende ist noch eine spektakuläre internationale Hightech-Musiktheaterproduktion erstmals in Österreich zu sehen: In einer Art 3D-Videospiel bahnt sich die Altistin Noa Frenkel im Odeon den Weg durch eine raumgreifende audiovisuelle Datenflut, um Meilensteine der Mediengeschichte so perfekt wie möglich nachzustellen. Was ist echt, was Kopie, was Doku, und was Reizüberflutung? Eine kongeniale Produktion der beiden Komponist:innen, Multimedia-Künstler:innen und Performer:innen Belenish Moreno-Gil und Óscar Escudero in Zusammenarbeit mit dem ZKM und der Münchener Biennale. (Subnormal EuropeMittwoch 29.11.)

Elisabeth Harnik und Richard Barrett standen 2009 das erste Mal auf dem comprovise-Festival in Köln gemeinsam auf der Bühne, sowohl als Improvisationsmusiker:innen wie auch als Komponist:innen. Durch Barrett lernte Harnik wenig später die serbische Harfenistin Milana Zarić kennen. Als Trio feiern sie bei Wien Modern Premiere und definieren dabei die Koordinaten des Klangraums zwischen akustischen und elektronischen Instrumenten, den es künstlerisch zu bearbeiten gilt. Zusammen mit der Elektronik schaffen die Musiker:innen eine Art Metainstrument und bringen gemeinsam hybride Klangwelten hervor, die in Echtzeit ihre endgültige Form finden. Das Konzert im Celeste findet im Rahmen der free music forum concert series statt, zu dessen Kurator:innen-Team Elisabeth Harnik seit 2022 gehört. (Donnerstag 30.11.)

Der echoraum lädt das Label Inexhaustible Editions zu einem Porträt mit einer Fotoausstellung samt Vernissage-Konzert, einem 90-minütigen Hörraum mit dem Labelgründer, Kurator und Produzenten László Juhász (Samstag 02.12.) sowie einem Finissage-Konzert (Dienstag 19.12.). «Während die beeindruckende, immer noch rätselhafte Visualität der abstrakten brutalistischen Denkmäler der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien in den letzten Jahren gut dokumentiert worden ist, wissen wir kaum etwas über ihre klanglichen Aspekte. Die meisten dieser ‹spomeniks› (in der ursprünglichen Form im Plural – spomenici, was in der serbokroatischen und slowenischen Sprache Gedenkstätten bedeutet, abgeleitet von der Wurzel ‹spomen› für Erinnerung) haben hohle Teile, die als Resonanzräume dienen.» (Lászlo Juhász) (Ausstellung Inexhaustible Editions: Sounding Spomenik Freitag 01.12. – Dienstag 19.12.)

Es ist eines der frühesten und beeindruckendsten Werke der Minimal Music: In C von Terry Riley, 1964 im Tape Music Center San Francisco vor rund 100 Zuhörer:innen uraufgeführt, mit Steve Reich, Jon Gibson, Pauline Oliveros, Stuart Dempster und Morton Subotnick als Teil des Ensembles. 53 kurze Motive werden von allen Mitgliedern des variablen Ensembles der Reihe nach wiederholt. So entsteht aus einer einzigen Notenseite ein komplexes Gesamtgefüge. Diesen fast 60 Jahre alten psychedelischen Klassiker nimmt der bretonische Dudelsackspieler und Ensembleleiter Erwan Keravec mit einer außergewöhnlichen Besetzung in Angriff: 20 Dudelsäcke, Bombarden und Binioù erzeugen in einer minimalistisch gehaltenen Ausstattung einen frei begehbaren Klangraum. Zum Abschluss von Wien Modern ist die gefeierte Produktion erstmals außerhalb von Frankreich im Atelierhaus der Akademie der Bildenden Künste, dem ehemaligen Semperdepot, zu erleben. (Abschlusskonzert Wien Modern | In C // 20 Pipers Samstag 02.12.)

Nach dem erfolgreichen Versuchsballon vom Vorjahr darf die tanztaugliche Abschlussparty von Wien Modern als Tradition gelten – so schnell kann’s gehen in Wien. Disclaimer: Mit Pressesprecherin Kathi Wiesler a.k.a. Adriana Celentana und Produktionsassistent Clemens Rott a.k.a. DJ Armonia stehen auch einschlägig erfahrene Mitglieder des Festivalteams an den Turntables. Sigrid Raggam a.k.a. Top*S fehlte 2022 entschuldigt und holt heuer nach. Das Roxy ist zwar drei Jahre jünger als Wien Modern und heuer neu im Programm, aber das wird schon passen. (Party Modern: Wien Modern Finale Samstag 02.12.)

Wien Modern 36
Heuer findet Wien Modern zum 36. Mal statt, einen Monat lang mit insgesamt 91 Veranstaltungen an 36 Spielstätten in 14 Bezirken. Das 1988 von Claudio Abbado initiierte Festival ist mit heuer 43 Ur- und 22 Erstaufführungen die größte Plattform zur inspirierenden Begegnung von Künstler:innen und Hörer:innen neuer Musik aller Spielarten. Mit dem Festivalpass (120 € / 96 € / 48 €), dem Mengenrabatt (30% Ersparnis ab vier Veranstaltungen) sowie kostenlosen Angeboten bietet das Festival Gelegenheit zur Begegnung mit der zeitgenössischen Vielfalt der Musik. Ermöglicht wird Wien Modern von der Stadt Wien Kultur und dem Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport (BMKÖS), den Festivalsponsoren Kapsch und Erste Bank, LSG, Pro Helvetia, den SKE der austro mechana, Ernst von Siemens Musikstiftung, AKM, und zahlreichen Koproduktions- und Kooperationspartnern.

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Wien Modern