„BEI UNS IST DIE ÜBERRASCHUNG TEIL DER VERLÄSSLICHKEIT“ – ALBERT HOSP (GLATT&VERKEHRT) IM MICA-INTERVIEW

Das Festival GLATT&VERKEHRT (14. bis 30. Juli) steht auch 2023 für spannende Musikideen aus allen Erdteilen ohne Stil-Grenzen und bietet ein dichtes Programm: gleichsam eine Bestandsaufnahme davon, was Musizieren auf der Basis von Traditionen heute bedeuten kann. Jürgen Plank hat mit ALBERT HOSP, dem Künstlerischen Leiter des Festivals, über das bunte Programm gesprochen, das sich heuer insbesondere geographischen Räumen östlich von Österreich zuwendet. ALBERT HOSP schlägt im Gespräch auch die Brücke zu anderen Festivals und freut sich über deren Entwicklung genauso wie über die seit mehr als 20 Jahren im Rahmen von GLATT&VERKEHRT stattfindende Musikwerkstatt, bei der in diesem Jahr rund 80 Musiker:innen eine Woche lang miteinander musizieren. Außerdem erzählt HOSP, auf welches Highlight im Programm er sich heuer ganz persönlich freut.

Wie ist denn das Motto von Glatt&Verkehrt 2023 entstanden: „Das Lied bleibt“? Und welche Annäherungen an das Lied habt ihr gefunden?

Albert Hosp: „Das Lied bleibt“ ist das eine Motto und der andere rote Faden ist von Österreich ostwärts zu schauen. Aus dem geographischen Faden hat sich der inhaltliche Faden mit „Das Lied bleibt“ ergeben. Das ist die deutsche Version der englischen Phrase the singer not the song. Das hat in meiner Wahrnehmung immer geheißen: man kann den Menschen den Mund verbieten, aber das Lied bleibt. The singer kann verboten werden, aber der song bleibt. Entstanden ist das aufgrund eines ukrainischen Ensembles, das wir engagieren konnten. Bald war klar, dass das Ensemble Kurbasy nur zur Hälfte nach Krems kommen kann, weil die Männer in der Ukraine bleiben müssen. Es kommen nur zwei Frauen von Kurbasy zum Festival. Die singen traditionelle Volkslieder mit einem zeitgenössischen Zugang und diese Volkslieder bekommen durch die Ereignisse, in diesem Fall durch den russischen Angriffskrieg, eine ganz hautnahe, zeitgeschichtliche Bedeutung. Ich versuche das Wort politisch zu vermeiden, weil mit diesem Wort kann ich zwar viel, aber auch wieder wenig anfangen: alles ist politisch. Das bekommt eine zeitgeschichtliche, heutige Bedeutung. Wir haben uns gedacht: das Lied bleibt auch im historischen Sinne – Kurbasy spielen teilweise uralte Lieder und auf einmal bekommen die eine heutige Brisanz.

Gibt es dafür noch ein Beispiel im Rahmen des heurigen Festivals?

Albert Hosp: Das vorletzte Konzert spielt das Ensemble Atine, das sind Frauen, die aus dem Iran kommen und im französischen Exil leben. Die haben ein Lied, in dem es sinngemäß heißt: du wirst ganz viele Geliebte haben, aber ich werde nicht darunter sein. Das sagt im Kleinen ganz viel aus über die Position von Frauen im Iran heute. Solche Erlebnisse hatten wir in der Vorbereitung des Festivals zuhauf und daraus haben wir den zweiten Themenstrang „Das Lied bleibt“ gemacht.

„WIR HABEN BEI GLATT & VERKEHRT ABGESEHEN VON DEN ROTEN FÄDEN IMMER ENSEMBLES UND ACTS, DIE EINEN KONTRAPUNKT SETZEN UND DADURCH DAS FESTIVAL-PROGRAMM ERST ABRUNDEN“

Im Programm habt ihr auch die brasilianische Sängerin Bia Ferreira, sie vereint in ihrer Musik auch LGBTIQ-Hintergründe. Wieso hat sie ins Programm gepasst?

Bild Bia Ferreira
Bia Ferreira (c) Camila Tuon

Albert Hosp: Wir haben bei Glatt&Verkehrt, abgesehen von den roten Fäden, immer Ensembles und Acts, die einen Kontrapunkt setzen und dadurch das Festival-Programm erst abrunden. Bia Ferreira habe ich letztes Jahr zufällig bei der Worldwide Music Expo in Lissabon gehört. Das war für mich eines der eindrücklichsten Konzerterlebnisse der letzten Jahre. Da wusste ich noch nichts zu ihrem Hintergrund, da war einfach eine brasilianische Sängerin in einem klassischen pop-musikalischen Umfeld: Gitarre, Keyboard, Schlagzeug und Gesang. Dazwischen einige englische Worte darüber, wovon sie singt. Man hat gewusst: da singt jemand an der Sesselkante, also mit einer ganz starken Kraft, etwas rüber zu bringen. Ich habe erst danach von ihrem Hintergrund gelesen – sie ist eben erst 30 Jahre alt geworden und kommt aus einem gebildeten, hochmusikalischen Haushalt.

Sie ist durch ihre Einstellung zum Leben in der Bolsonaro-Ära wirklich schwer unter Druck geraten. Als Lula gewählt wurde, hat sie über Instagram ein ganz bezauberndes „Endlich geht es wieder“ veröffentlicht. Ferreira ist nun tatsächlich auf Welttournee und ist Anfang Juli in Rudolstadt, das ist eines der größten Festivals in Deutschland. Sie ist vor allem musikalisch fantastisch.

Inwiefern?

Albert Hosp: Sie hat eine Stimme, die sie in eine Reihe mit Gilberto Gil, Maria Bethânia oder anderen Größen der brasilianischen Popularmusik stellt. Das passt somit zum Liedgedanken und zu den vielen Brücken, die wir zu spannen versuchen: wir haben auch einige österreichische Premieren, die mit dem Ost-Schwerpunkt nichts zu tun haben, bei denen aber dieser Gedanke des Liedes schon dabei ist. Man muss bei so großen Themen immer vorsichtig sein, dass man nicht beliebig wird. Wir versuchen, sehr konkret zu bleiben und nicht nur zu sagen: bei uns gibt es Lieder aus aller Welt, die alle einen politischen Hintergrund haben. Wir versuchen schon aufgrund der musikalischen Qualität, ein Festival auf die Beine zu stellen und da helfen die Themen dem Gestaltenden. Unser Publikum ist so vertrauensvoll, da sind die Themen nur ein Hinweis darauf, was zu erwarten ist. Wir sind mit unserem Publikum gesegnet, das ist ein besonderes Publikum.

Eine österreichische Gruppe, nämlich Zur Wachauerin, wird sich mit Liedern von Hank Williams auseinandersetzen. Wie ist Hank Williams im Programm einzuordnen?

Albert Hosp: Zunächst regional, weil die Kernband dieses Programmpunktes das Trio Zur Wachauerin ist. Zur Wachauerin hat bei uns debütiert: Zwei Gitarren und ein Soundpoet, der dialektale Gedichte schreibt. Sie wollten zu ihrem Bandjubiläum ein großes Programm machen und ich habe dann gesagt: ja, macht ein großes Programm, aber in großer Besetzung. Sucht euch Musiker:innen, die euch zur Seite stehen können, wenn es darum geht, zum 100. Geburtstag von Hank Williams ein tolles Programm zu machen. Und die haben Vincenz Wizlsperger von Kollegium Kalksburg gefunden. Da wird es zum Teil ins Wienerische übertragene Coverversionen geben, da ist Wizlsperger wichtig. Und es spielen zwei Musikerinnen aus der Impro- und Jazzszene mit, die dem Projekt musikalisch einen völlig anderen drive geben: Beate Wiesinger ist eine der besten Bassistinnen, die wir derzeit in Österreich haben. Das gilt auch für Judith Schwarz am Schlagzeug. Die beiden haben nicht zufällig auch schon einiges miteinander gemacht.

Bild Albert Hosp Glatt & Verkehrt - Eröffnung 2021
Albert Hosp Glatt & Verkehrt – Eröffnung 2021 (c) Sascha Osaka

Glatt&Verkehrt war immer ein Festival, das sich erdreistet hat, zu sagen: Bei uns ist die Überraschung Teil der Verlässlichkeit. Es geht darum: wir kombinieren an einem Tag eine niederösterreichische Truppe, die Hank Williams singt, mit einer aufstrebenden brasilianischen Singer-Songwriterin. Da ist das Genre völlig egal, Stil-Freiheit war mir immer ganz wichtig. In den letzten 20 Jahren ist in Österreich viel passiert: ein anspruchsvolles, intellektuelles Publikum kann sich bei uns am Samstagabend eine Uraufführung mit drei Schlagzeuger:innen anschauen und hört sich zu Mittag österreichische Volksmusik an – und es geht beides. Daran haben viele Festivals in Österreich Anteil und ich bin froh, dass das geht.

„DIE TAFELMUSIK IST EINE KLEINE, GUT KURATIERTE KONZERT-SERIE, MIT PURER ÖSTERREICHISCHER VOLKSMUSIK“

An traditioneller Musik nahe dran zu sein, war auch immer Teil des Festivals. Heuer gibt es die Veranstaltungsreihe Tafelmusik, die im Wirtshaus Salzstadl stattfindet. In dieser Reihe ist mir die Gruppe Die Zoigal aufgefallen.

Albert Hosp: Ich wollte in diesem alten Haus, im Gasthaus, wirklich junge Ensembles auf die Bühne bringen. Die sind alle noch nicht volljährig. Es sind drei Ensembles, die jeweils aus dem Umfeld einer Musikschule kommen, Die Zoigal kommen aus der Musikschule St. Johann in Tirol. Die Tafelmusik ist eine kleine, gut kuratierte Konzert-Serie, mit purer österreichischer Volksmusik. Von wirklich jungen Menschen aufgeführt, bei denen es gar nicht darum geht, Traditionen zu bewahren, denn die sind alle nicht Mal 20 Jahre alt.

Gibt es für Sie ein Highlight im Programm, zu dem Sie sagen: Darauf freue ich mich ganz besonders?

Albert Hosp: Nils Landgren! Das ist mir jetzt fast peinlich, weil er am wenigstens zur Idee von Glatt&Verkehrt passt. Aber er kommt zu uns in einer ganz intimen Form, im Duo mit dem Gitarristen Johan Norberg. Das ist wie eine alte Liebe, die die beiden jedes Jahr für einige Konzerte aufblühen lassen. Sonst ist Landgren mit seiner Funk Unit unterwegs.

Das Duo ist ein ganz klein besetztes Projekt, das wir ganz bewusst an den Schluss gesetzt haben. Das ist wie ein zeitloser Stein in einem Mosaik. Nils Landgren kann überall sein: der kann im Konzerthaus spielen oder beim Jazzfest Wien auftreten. Dem laufe ich tatsächlich schon seit fast zehn Jahren nach, denn man muss Glück haben, dass er das Duo-Programm gerade spielt.

Ich freue mich darauf, weil auch die Kombination an diesem Tag aufregend wird: an diesem Tag spielt eben zuerst Atine pure persische Musik und dann kommen diese beiden Herren, die in einer entspannten aber doch konzentrierten Art eine Art Songbook-Konzert machen. Darum geht es bei Glatt&Verkehrt auch, dass in einer kontrastreichen Programmierung von hoffentlich hoher Qualität die Menschen nach Hause gehen und sich denken: wir haben etwas erlebt, was wir gerne mitnehmen.

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Damit es auch in Zukunft Menschen gibt, die Lieder schreiben und auf Bühnen steigen, bietet Glatt&Verkehrt ein Workshop-Angebot für Jugendliche an. Wie wichtig ist Ihnen diese Schiene?

Albert Hosp: Die Musikwerkstattvon Glatt&Verkehrt gibt es seit dem Jahr 1999, sie ist wie ein eigener Planet in unserem Universum und befindet sich im Stift Göttweig. Auf einem Hügel oberhalb der Donau, für eine Woche: 70 Teilnehmende und 7 Referenti:nnen aus verschiedenen Ländern. Manche der Teilnehmenden sind blutige Laien, manche Fast-Profis und das Geheimnis von jedem pädagogischen Ansatz ist, dass hier nicht nur generationsübergreifend, sondern auch niveau-überschreitend gearbeitet wird und dass das gelingt. Dass Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten sich eine Woche lang miteinander betätigen, ist einzigartig. Damit schaffen wir eine weitere Form, Musik geschehen zu lassen und zu entwickeln.

Ähnlich wie etwa der Walser Herbst, der macht das zum Beispiel auch. Wir haben mit Evelyn Fink-Mennel dieselbe künstlerische Leiterin bei den Kursen, deswegen sage ich das auch dazu. Der Walser Herbst ist ein tolles Festival.

Wir versuchen auch, die Konzertform nicht gerade aufzubrechen, aber sehr nahe am Publikum stattfinden zu lassen. Bei der Winzer Krems sitzen die Leute sehr nahe und auch durch das Dach hat man das Gefühl, dass das alles sehr intim ist. Und bei der Musikwerkstatt in Göttweig ist es auf eine ganz andere Weise intim. Die Werkstatt ist unerlässlich wichtig. Sie ist zwar so ein eigener Planet, aber sie strahlt aus. Bei uns haben sich schon Bands gefunden, das ist überhaupt wunderschön. Wenn rund 80 Leute fast eine Woche lang durchgehend Musik machen, hat das eine Kraft, auf die sich die Mönche mittlerweile freuen, auch wenn es ihnen teilweise in der Nacht ein bisschen zu laut ist. Aber die Mönche sind wunderbar und wir verstehen uns prächtig mit ihnen. Der Ort ist empfehlenswert und die Schlussveranstaltung der Musikwerkstatt auch.

Gab es schon den Fall, dass sich Musiker:innen aus der Musikwerkstattin späteren Jahren auf der Festival-Bühne wieder gefunden haben?

Albert Hosp: Ja, zum Beispiel Opas Diandl aus Südtirol unter Markus Prieth, der in der Werkstatt unterrichtet hat und bei der Werkstatt waren auch Leute aus seinem Ensemble dabei. Federspiel ist zwar nicht direkt bei uns entstanden, aber ein paar der Musiker:innen von Federspiel haben bei uns gelernt, haben bei uns schon öfters gespielt. Schön ist: wenn man schon zu den Silberrücken des Festivals gehört und merkt, dass andere auch Ähnliches machen, dann hat man überhaupt keinen Neid, sondern man freut sich. Die wellenklänge haben eine wunderbare Programm-Philosophie und auch eine Musikwerkstatt. Die Julia Lacherstorfer und den Simon Zöchbauer kenne ich gut und ich bilde mir ein: wir sind im selben Boot. Es ist sicher wichtig, bei uns mit diesem Exklusivitäts-Geschrei aufzuhören. Die Zeiten sind hart genug. Dann gibt es etwa das Musikfest in Waidhofen, das gibt es noch länger als uns. Das ist insgesamt eine florierende Landschaft, da zahlt es sich schon aus daran zu arbeiten.

Herzlichen Dank für das Interview.

Jürgen Plank

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