„BEI UNS BRAUCHT MAN LIEGESTÜHLE UND KONTEMPLATION – GOOD WILSON IM MICA-INTERVIEW”

Fünf Jahre, eine Pandemie, unzählige Ups und Downs – und jetzt ist es soweit: Am 31. Januar 2025 erscheint “It Is Done”, das zweite Album von GOOD WILSON. Ein Titel, der nicht nur die lange Entstehungszeit zusammenfasst, sondern auch das Gefühl einfängt, wenn man nach Interrail und Südostasienreise endlich wieder Heimatluft schnüffelt. Zwischen Nostalgie und Zukunftszuversicht, zwischen Eskapismus und Realitätssinn, zwischen Federball-Clubs und Filmmusik-Träumereien – im Gespräch mit GÜNTHER PAULITSCH und YANNIC STEUERER wird schnell klar, dass GOOD WILSON keine Band ist, die Dinge überstürzt. Warum das neue Album aber trotzdem mehr Drive, Mut und Klarheit mitbringt als sein Vorgänger, was Saxophone mit Stilbrüchen zu tun haben und warum man sich bei ihren Konzerten ruhig mal zurücklehnen darf – darüber haben sich die beiden mit Ania Gleich unterhalten.

Ich hatte das Gefühl, dass in eurem Album eine gewisse Vergänglichkeit mit einer Zuversicht in die Zukunft gepaart wird. Wie würdet ihr diese Stimmung erklären?

Günther Paulitsch: Wir sind alle auf eine gewisse Art nostalgisch unterwegs. Deswegen besteht auch in unserer Ästhetik eine Vorliebe für Vintage-Elemente und ältere Aspekte von Musik. Vielleicht wirkt das mit und schwingt in Kombination mit den Texten und Inhalten, die in den letzten vier Jahren extrem präsent waren – Dinge, die wir alle erlebt haben, zum Teil zum ersten Mal, wie etwa die Pandemie. Inhaltlich gibt es durchaus ernste Themen, aber gleichzeitig bringen die Songs eine Leichtigkeit mit, die eine gewisse Zuversicht für die Zukunft erfahrbar macht.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Ich meinte Vergänglichkeit auch eher in dem Sinne, dass Dinge enden, man darin aber auch eine Art Glück finden kann.

Günther Paulitsch: Heutzutage ist das schwierig, weil alles so schnelllebig ist – aber auf eine Art, die wir vorher so nicht kannten. Etwas erscheint im Feed, dann scrollt man weiter, und es ist weg. Social Media ist in dieser Hinsicht oft sogar kontraproduktiv für Künstler:innen. Wenn Vergänglichkeit auf dieser Ebene stattfindet, wäre das das Gegenteil von dem, was du beschrieben hast.

Wenn wir von dieser negativ geprägten Vergänglichkeit ausgehen – wie empfindet ihr das als Künstler?

Günther Paulitsch: Eskapismus spielt dabei eine große Rolle. Aber auch das Verlieren in der Musik. Natürlich hört die Klangwolke irgendwann auf, aber gleichzeitig wünscht man sich, dass sie nie endet – dass man ewig in ihr schwelgen kann.

Wie spielt euer Albumtitel in dieses Gefühl hinein?

Günther Paulitsch: Ich glaube, das hat auch viel mit der Zeitspanne zu tun, die wir für das Album gebraucht haben – vier bis fünf Jahre. Währenddessen haben wir unsere Leben gefestigt oder verändert. Die Pandemie hat das zusätzlich beschleunigt. Wir sind als Band auch einfach beste Freunde, wir machen gemeinsam Musik, und es ist kein Projekt, das nur von einer Person gesteuert wird. Das erste Album, so wie es vor vier oder sechs Jahren war, ist für uns abgeschlossen. Das war damals auch ein beschissener Moment, weil unsere Tour ins Wasser gefallen ist. Es hat definitiv ein paar Jahre gebraucht, bis wieder genug Motivation da war, um zu sagen: „Jetzt gehen wir es wieder an – und jetzt ist es done!“ Es war eine Reise mit Höhen und Tiefen. Wir sind von links nach rechts geschwankt, und am Ende haben wir es fertig gemacht. Der Titel ist in diesem Sinne auch entstanden. Es war kein unangenehmer Prozess, aber man ist trotzdem froh, wenn’s vorbei ist.

„WIR SIND ALLE HAPPY!”

Gab es im kreativen Prozess einen Moment, in dem ihr wusstet: Jetzt ist es fertig?

Yannic Steuerer: Ja, den gab es definitiv. Irgendwann haben wir gespürt: Jetzt können wir es eintüten. Es gab ein paar Songs, bei denen wir unsicher waren, ob sie noch auf das Album kommen sollten. In der Endphase verliert man oft die Objektivität und kann es nicht mehr richtig einschätzen. Aber irgendwann merkt man: Eigentlich ist es fertig. Es ist immer besser, keinen halbfertigen Kompromiss auf das Album zu nehmen, der das Gesamtbild zerreißt.

Günther Paulitsch: In diesem Sinne ist der Titel des Albums super positiv gemeint!

Yannic Steuerer: Und wir sind alle happy!

Wie seid ihr in eurer Gruppendynamik: Gibt es eine Person, die Entscheidungen trifft, oder läuft es basisdemokratisch?

Günther Paulitsch: Das Optimum wäre basisdemokratisch, die Realität ist dann halt oft …

Yannic, du schaust Günther an: Ist das eine Antwort?

Yannic Steuerer: Naja, ich würde schon sagen, dass Günther in der Endphase viele Ideen hatte oder an Details gefeilt hat. Aber ich finde es cool, dass es in einer Gruppe immer Leute gibt, die eher Perfektionisten sind, während andere sagen: „Ich finde es eh schon super, aber wir können es gerne noch weiterentwickeln.“ Es wird erst schwierig, wenn alle überperfektionistisch sind. Aber auch, wenn alle sofort zufrieden wären, wäre das kein gutes Zeichen. Bei uns gibt es eine ganz gute Balance.

Manche Bands zerbrechen an so einer Dynamik. Wie schafft ihr es, gemeinsam an einem Strang zu ziehen?

Günther Paulitsch: Mal funktioniert es besser, mal schlechter – um ehrlich zu sein. Das hängt oft mit unseren individuellen Leben zusammen. Wir sind zwar beste Freunde, aber wir haben auch viele andere Projekte. Manchmal geht es zeitlich einfach nicht anders. Da schwankt es dann immer ein bisschen, wer gerade wie viel am Schirm hat. Aber das ist in jeder Band so.

Die Band Good Wilson auf einem Balon vor einer Mauer um einen grünen Tisch sitzend bzw. stehend
Good Wilson © Philip Hiscocks

Yannic Steuerer: Fürs Album war entscheidend, dass wir kollektiv beschlossen haben, uns die Zeit zu nehmen. Es muss nicht immer die gesamte Band jede letzte Facette mitentscheiden, aber solange es für alle passt, ist es optimal.

Günther Paulitsch: Wichtig ist auch, regelmäßig zu checken, wie es allen geht – und nicht nur Bandarbeit zu machen, sondern auch einfach mal gemeinsam zu kochen oder Spaß zu haben.

Yannic Steuerer: Ja, es wird schwierig, wenn man sich nur noch zum Proben trifft und dann erst mal immer zwei Stunden tratscht! 

Wie findet ihr Geschichten für eure Songs? Gab es ein Grundthema für das Album?

Yannic Steuerer: Günther schreibt die meisten Songs, also lasse ich hier mal den Vorrang. 

Günther Paulitsch: Zwischen dem ersten und zweiten Album habe ich keinen grundsätzlich anderen Ansatz verfolgt. Meine Texte sind immer sehr persönlich. Speziell für dieses Album haben uns die letzten vier Jahre sehr geprägt – seien es existenzielle Zweifel, persönliche Krisen oder gesellschaftspolitische Entwicklungen. Aber es war nicht so, dass eine bestimmte Geschichte der Ausgangspunkt für das Album war.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Lasst ihr beim Schreiben bewusst Spielraum für Interpretationen?

Günther Paulitsch: Teils, teils. Es gibt schon einen gewissen Interpretationsspielraum, aber wir haben eine klare Haltung zu bestimmten gesellschaftskritischen Themen. Da gibt es keinen großen Diskussionsbedarf in der Band – wir sind uns einig, wofür wir stehen und was wir ablehnen.

Was sind das für Themen?

Günther Paulitsch: Ungleichheit, Kapitalismus, Patriarchat. Diese Themen fließen oft in unsere persönlichen Geschichten ein. Es gibt innerhalb der Band keine Meinungsunterschiede dazu. Wir haben auch regelmäßig Rants darüber, wenn wir uns abseits der Proben aufregen – etwa darüber, dass das Patriarchat immer noch existiert oder dass alles teurer wird und wir uns unser Leben kaum noch leisten können. Das spiegelt sich in Songs wie “Bats from the Buffet” oder “Plenty” wider.

„UNS IST ES WICHTIG, DASS DIE MUSIK SEHR NAH AN UNS SELBST DRAN BLEIBT”

Wenn ihr auf euch als Band oder auf euch vor fünf Jahren zurückschaut – wo habt ihr da die größte Veränderung gemacht?

Yannic Steuerer: Ich finde, das zweite Album klingt ein bisschen erwachsener und hat eine stärkere eigene Identität. Uns ist es wichtig, dass die Musik sehr nah an uns selbst dran bleibt. Und wir sind uns da treu geblieben: Wir schreiben Songs, die für uns passen.

Günther Paulitsch: Wir sind auch besser darin geworden, zu wissen, wo wir hinwollen – und wie wir es schneller umsetzen können.

Yannic Steuerer: Vielleicht wissen wir inzwischen auch besser, was wir nicht brauchen.

Günther Paulitsch: Und wir sind als Band enger zusammengewachsen. Wir haben damals ja ohne Yannic gestartet. Aber je länger man gemeinsam Musik macht, desto besser funktioniert das Zusammenspiel – sei es beim Jammen, Aufnehmen oder Produzieren.

Gab es neue Inspirationen, die ins aktuelle Album eingeflossen sind?

Yannic Steuerer: Was man bedenken muss: Beim ersten Album war ich noch gar nicht dabei. Aber generell ist das zweite Album oft der Punkt, an dem sich entscheidet, ob eine Band ihren Stil gefunden hat oder ob sie ihn bricht. Ich finde, unser zweites Album ist stilistisch selbstsicherer und entschlossener. Und zum anderen: Es ist insgesamt edgier und mutiger. Wir haben kollektiv erkannt, dass das Wichtigste ist, dass wir uns selbst treu bleiben – und nicht denken, wir müssten für irgendjemanden etwas Bestimmtes machen. Das erste Album war mehr „im Genre“, vielleicht auch ein bisschen braver.

Was hat euch inspiriert?

Die Band Good Wilson vor einer blauen Mauer stehend
Good Wilson © Philip Hiscocks

Günther Paulitsch: Big Thief war immer eine große Inspirationsquelle für uns – Adrianne Lenker ebenso. Sie haben eine Attitüde, die Musik mit so einer Leichtigkeit macht, und das hat uns beeindruckt. Aber auch Bands wie Men I Trust oder Andy Shauf haben uns inspiriert.

Gibt es auch Dinge abseits der Musik, die euch beeinflussen?

Günther Paulitsch: Alles Mögliche – von Büchern bis Computerspielen. Eskapismus ist auch hier ein großes Thema, und für den gibt es nichts Besseres als Geschichten, in die man sich verlieren kann. Auch Filmmusik, klassische Kompositionen oder Jazz haben riesige Einflüsse auf uns. Ich könnte gar nicht sagen: Genau das eine Ding hat mich zu einem bestimmten Song inspiriert. Ich bin einfach an zu vielen unterschiedlichen Dingen interessiert.

Wie sieht es konkret aus, wenn ihr eine Idee für einen Song habt? Was ist euer Way-to-go?

Günther Paulitsch: Manchmal gibt es eine Idee auf der Akustikgitarre oder ein paar Lyrics, und wir arbeiten dann gemeinsam daran weiter. Es gab aber auch Songs, für die ich eine Pre-Production zu Hause gemacht habe, weil es zeitlich schwierig war, sich zu treffen.

Yannic Steuerer: Oft bringt Günther dann eine Grundidee mit, und wir testen sie an einem Wochenende in einer Session. Manchmal verwerfen wir dann vieles wieder, oder wir legen die Basis für den Song fest. Es gab Stücke, die schon relativ klar waren, und andere, die noch völlig offen in ihrer Richtung waren.

Günther Paulitsch: Der Startpunkt war meistens ähnlich: Ich komme mit einer Idee auf Akustikgitarre und Lyrics. Wie es dann weitergeht, ist unterschiedlich. Einmal hat Alex das Grundgerüst eines Songs gebracht, aber der Prozess war am Ende trotzdem der gleiche.

Wenn ihr euch in eine komplett andere Richtung entwickeln würdet – was würde euch musikalisch oder generell interessieren?

Yannic Steuerer: Musikalisch ist die Frage bei mir fast langweilig. Ich komme ursprünglich eher aus dem Jazz, also würde ich dann wahrscheinlich ein Jazz-Projekt starten. Oder ein Solo-Projekt mit eigenen Songs – wobei das stilistisch wahrscheinlich gar nicht so anders wäre als das, was wir jetzt machen. Und abseits der Musik? Ich könnte mir vorstellen, einen Federball-Club zu gründen! Hast du eine bessere Antwort als ich, Günther?

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Günther Paulitsch: Musikalisch? Ich würde gerne einmal ein Filmmusik- oder Computerspiel-Soundtrack-Projekt machen. Das sind Dinge, die gar nicht so unwahrscheinlich sind und die ich vielleicht eh irgendwann angehe. Ansonsten: Instrumentale Musik fasziniert mich sehr.

Yannic Steuerer: Ich glaube, das ist voll eine Typfrage. Ich höre bei Musik primär auf die Melodien, Harmonien und die Intuition dahinter – Texte kommen für mich erst im zweiten Schritt. Musik soll mich in erster Linie berühren. Dafür muss ich nicht nachdenken, es soll einfach ein Gefühl auslösen. Selbst wenn es komplizierter Jazz ist. Bei allen Songs, die mir gefallen, geht es immer um das gleiche: Gibt mir das ein Gefühl oder nicht?

Günther Paulitsch: Ich finde es generell schwierig, Musik nur über Genres zu definieren. Inspiration kommt aus so vielen Richtungen. Ich könnte nicht sagen: Jetzt will ich nur noch das oder das machen. Am Ende schließt sich der Kreis – klassische Musik oder Popmusik, Jazz oder Indie – überall nehmen Künstler:innen Einflüsse aus anderen Bereichen auf.

„DIESES ALBUM DOKUMENTIERT DIE LETZTEN FÜNF JAHRE”

Würdet ihr als Band sagen, dass ihr euren Sound bewusst offen haltet oder wollt ihr eine bestimmte Richtung immer mehr schärfen?

Yannic Steuerer: Ich denke schon, dass wir mittlerweile einen Sound haben, der eine starke Handschrift besitzt. Good Wilson hat eine eigene Klangwelt.

Günther Paulitsch: Aber wenn wir irgendwann alle Lust hätten, etwas anderes zu machen, dann würde das sicher auch funktionieren. Wir sind nicht in einer Schublade unterwegs. Beim ersten Album hatten wir etwa ein Saxophon oder ein Streichquartett dabei – Dinge, die vielleicht untypisch für unseren Stil waren, aber trotzdem funktioniert haben. Solche Experimente passieren eher unbewusst im Prozess und werden dann erst im Nachhinein als Teil des Sounds erkennbar.

Also ist dieses Album der Beginn eines neuen Kapitels?

Günther Paulitsch: Einerseits der Abschluss eines Kapitels, aber auch ein neuer Anfang.

Yannic Steuerer: Dieses Album dokumentiert die letzten fünf Jahre. Nicht, dass wir damit jetzt unbedingt abschließen müssen, aber es ist eine Momentaufnahme dieser Zeit. Und ich finde, man hört in den verschiedenen Songs, wie sich das entwickelt hat.

Günther Paulitsch: “Comedown Primetime” ist zum Beispiel zweimal auf dem Album. Die erste Version ist einer der älteren Songs, und die spätere Version ist eine Live-Aufnahme. Die beiden Versionen sind unterschiedlich arrangiert, aber ich finde sie beide super. Das zeigt einfach die Entwicklung.

Die Band Good Wilson auf einer band auf einem Schiffsdeck sitzend
Good Wilson © Philip Hiscocks

Yannic, du hast vorhin gesagt, Musik sei die intuitivste Kunstform. Mit welcher Haltung sollte man eurer Musik begegnen, damit diese Intuition spürbar bleibt?

Yannic Steuerer: Ich glaube, man braucht ein bisschen Geduld. Vor allem live. Es ist ein Prozess, bis man bei einem Konzert wirklich in die Musik hineinkippt. Ich war ja auch als Zuhörer bei Good-Wilson-Konzerten, bevor ich mitgespielt habe. Man sollte nicht erwarten, dass wir auf die Bühne kommen und sofort ein hyperaktives Spektakel abziehen.

Günther Paulitsch: Nein, bei uns braucht man Liegestühle und Kontemplation!

Yannic Steuerer: Wobei das erste Album mit seinen ausufernden Soli noch mehr diesen Charakter hatte. Aber ja – es geht darum, sich Zeit zu nehmen.

Günther Paulitsch: Vielleicht auch die Angst zu verlieren, sich einfach mal auszuklinken und nur der Musik zuzuhören.

Yannic Steuerer: Musik kann man eigentlich endlos konsumieren, ohne dass es sich „zu viel“ anfühlt – anders als Social Media oder Podcasts.

Gibt es etwas, das euch in diesem Gespräch gefehlt hat?

Yannic Steuerer: Nein – It is done!

Das nehme ich als Schlusswort!

–– 

Ania Gleich

–– 

Die Album-Release Show von “It Is Done” findet am 6.3.2025 in der Roten Bar im Volkstheater statt. 

––

Links:
Instagram (Good Wilson)
Homepage (Good Wilson)
Youtube (Good Wilson)
Bandcamp (Good Wilson)