TSOMBANIS4 heißt das brandneue Projekt der gefeierten Wahlwiener Tenorsaxophonistin Anna Tsombanis. Gerade ist das erste Album „Essentials“ erschienen, auf dem sie ihre Faszination für die tiefen Töne mit zwei Kontrabässen auslebt. Mit Markus Deisenberger sprach sie über ihren warmen Sound, das Phrasing von Stan Getz, und warum Coltranes Balladen direkt ins Herz gehen.
Das zweite Album sei das Schwierigste, heißt es immer. Mal legt man sich die Latte zu hoch, will noch mehr als beim ersten erreichen, hat aber deutlich weniger Zeit zur Verfügung. Mal verrennt man sich in der Zwangsoriginalität. Wie war das bei dir?
Anna Tsombanis: Ich sehe dieses Album eher als anderes, weiteres Projekt. Und insofern war es auch wieder ein erstes Album. Es ist natürlich schon mein zweites Album, aber so anders als das erste, dass es sich für mich eher wie ein weiteres Debut anfühlt.
So kann man die Frage natürlich auch beantworten.
Anna Tsombanis: (lacht) Ja, es ist ganz einfach: Das Trio war mein Debut, das Quartett jetzt auch. Einfach jedes Mal ein Instrument dazunehmen und wieder debütieren…
Wie kams zu diesem Quartett, das mit zwei Bässen ja sehr ungewöhnlich besetzt ist? Oder anders gefragt: Warum zwei Bässe?
Anna Tsombanis: Ich habe ja zuerst das Trio-Album gemacht, und ich spiele am liebsten ohne Harmonieinstrumente. Dann wollte ich ein neues Album machen, und es kam mir einfach in den Sinn, dass es mit zwei Bässen interessant wäre. Das fühlte sich dann so an, als würde die Trio-Situation einfach noch extremer werden. Ich hätte natürlich auch noch ein Schlagzeug dazunehmen können.
Bass sei dein Lieblingsinstrument, hast du mal gesagt, was für eine Saxophonistin dann doch eine bemerkenswerte Aussage ist.
Anna Tsombanis: Bass ist eines meiner Lieblingsinstrumente. Aber ja: Ich bin Kontrabass-Fan. Ich habe auch mal angefangen zu üben, bekam aber sehr schnell Handgelenksschmerzen.
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Wo kommt deine Leidenschaft für tiefe Töne her?
Anna Tsombanis: Das kann ich gar nicht so genau sagen. Das erdet einen. Vielleicht auch von meinem Vater, der Bassist war – zwar nicht professionell, aber trotzdem sehr intensiv. Er hat mir früher oft zum Einschlafen vorgespielt.
Auf dem Bass?
Anna Tsombanis: Ja, und auf der Gitarre.
Das heißt, du bist mit Jazz aufgewachsen?
Anna Tsombanis: Mein Vater hat E-Bass gespielt und war eher in der funkigen Richtung unterwegs. Marcus Miller etwa fand er immer sehr cool. Meine Mutter hat mal Gitarre gespielt und so auch meinen Vater kennengelernt. Zuhause lief also immer Jazz im Hintergrund. Und auch mein Großvater war jazzbegeistert, ein großer Stan Getz-Fan. Ich habe gerade wieder Getz zu Weihnachten mit ihm gehört.
War Stan Getz ein Einfluss?
Anna Tsombanis: Ja, schon. Ich habe viel Stan Getz transkribiert.
Sein Sound war so besonders. So gehaucht, so weich.
Anna Tsombanis: Ja, und er hatte auch ein cooles Phrasing. Gerade die schnellen Uptempo-Sachen. Stan Getz und Sonny Rollins habe ich viel gehört.
Was hat dir an Sonny Rollins gut gefallen?
Anna Tsombanis: Meine Inspiration begann durch das Sonny Rollins-Trio. Als ich studierte, habe ich irgendwann das Album „Way out West“ in die Finger bekommen. Ich finde vor allem die rhythmischen Aspekte in seiner Improvisation toll. In „St. Thomas“ zum Beispiel. Ich glaube, das ist auf der „Saxophon Colossus“ drauf. Das waren damals erst die 1950er und er hat schon angefangen so hippe Sachen zu machen, wie Quartolen zu spielen. In dieser Zeit haben alle im Hardbop-Stil mit durchgehenden Achteln gespielt. Er spielte rhythmisch sehr interessant. Und oft ist das, was er spielt, wie zum Beispiel bei ‚Without a Song‘ oder ‚Mack the Knife‘, harmonisch überhaupt nicht komplex, aber ich persönlich finde es dann umso schwieriger, Melodien dazu zu finden und sie ‚drüberzuspielen‘, wenn einen die Akkorde nicht so durchleiten. Genau das macht Sonny Rollins extrem cool.
Womit hat es zu tun, dass du lieber ohne Harmonieinstrumente spielst? Fühlst du dich dann freier?
Anna Tsombanis: Ich würde das nicht so kategorisch sehen. Ich spiele schon auch gern mit Harmonieinstrumenten. Mir gefällt aber der Sound von Bass, Schlagzeug und Blasinstrument oder Blasinstrumenten einfach so gut. Manchmal geht es mit Harmonieinstrumenten in eine gewisse Richtung, weil man den Klang des Akkordes besser hört. Dann nimmt einem das – so empfinde ich es oft – Möglichkeiten weg. Ja, man kann schon noch ganz bewusst in eine andere Richtung gehen, aber oft folgt man den Akkorden. Wenn man diese Option nicht hat, ist alles offener und man kann sich noch freier bewegen. Natürlich kommt es auch auf die Instrumentalist:innen an. Wenn ich etwa mit dem Vibraphonisten Tobias Meissl spiele, bleibt es sehr offen, weil er so eigenwillig spielt.
Als Saxophonist musst du im Trio die ganze Zeit etwas bieten. Es ist, wenn man so will, die Königsdisziplin. Man kann sich kaum zurücklehnen, denn ein Drum-Solo gibt es meist nur einmal, ein Bass-Solo ebenso. Als Saxophonist:in steht man also immer im Mittelpunkt.
Anna Tsombanis: (lacht) Deshalb spiele ich jetzt ja mit zwei Bässen. Da gibt es schon einmal zwei Soli und man hat ein bisschen mehr Pause. Im Grunde genommen hast du Recht, aber Andreas (Waelti, Anm.), mit dem ich jetzt schon lange spiele, hat einmal gesagt, dass das auch für den Bass in der Art, wie man begleitet, die Königsdisziplin ist. Da ist also jeder mehr gefordert, nicht nur das Saxophon. Man kann sich weniger zurücklehnen als in einem Quintett.
Wie würdest du deinen Sound beschreiben? Bist du „Sound-Fetischistin“?
Anna Tsombanis: Ehrlich gesagt, kann ich nichts dafür. Der war einfach da. Fett und warm. Und anscheinend ist er besonders, weil ich oft darauf angesprochen werde. Ich werde zwar nicht auf den Sound reduziert, aber er wird immer wieder als mein Markenzeichen genannt, was witzig ist, weil es keineswegs so ist, dass ich tausend Stunden in der Kammer verbracht hätte, um das perfekte Set Up zu finden. Vielleicht ist es wegen der Sound-Ideale, die ich im Kopf habe. Dass ich´s einfach tief höre. Nicht so Michael Brecker-mäßig. Ich habe auch nie wirklich Brecker gehört.
Oder Coltrane, der einen kristallklaren Sound hatte.
Anna Tsombanis: Coltrane habe ich schon viel gehört. Gerade in den Höhen kann man sich da viel abschauen. Ich habe ihn viel transkribiert.
Coltrane zu transkribieren stelle ich mir eher mühsam vor.
Anna Tsombanis: Ich habe weniger die wilden Soli transkribiert als eher die Themen, die Balladen-Platte zum Beispiel. Das geht direkt ins Herz. Da kann man sich für die Palm-Keys (Seitenmechanik, Anm.) viel abschauen. Das finde ich bei Coltrane so cool, das strahlt immer so.
Du spielst ein ungewöhnliches Saxophon.
Anna Tsombanis: Ja, ich spiele ein altes Conn Transitional. Aber ich habe immer alte Saxophone gespielt. Mein erster Lehrer spielte auch ein altes. Der hat mich dann an den Typen in Berlin weitergeleitet, der alte Saxophone restauriert. Mein erstes Alt-Saxophon war ein altes King. Von da an habe ich nur alte gespielt.
Ist die Intonation schwer?
Anna Tsombanis: Man gewöhnt sich dran. Man muss schon mehr machen als auf einem neuen Horn. Aber bei den alten Selmers musst du auch ausgleichen. Da kannst du auch nicht einfach reinpusten.
Was macht es aus deiner Sicht besonders?
Anna Tsombanis: Wenn ich andere Saxophone spiele, habe ich immer das Gefühl, das meines besonders stark schwingt. Bei manchen Tönen vibriert es geradezu. Warum das bei anderen weniger der Fall ist, weiß ich nicht. Mundstück und Blätter machen natürlich auch etwas aus. Am meisten Ausschlag aber gibt die Klangvorstellung und wie du die Töne formst. Ich glaube, ich werde immer nach mir klingen, auch wenn ich auf einem anderen Saxophon, einem Jupiter oder einem Selmer spielen würde. Oft geht es ja um das Gefühl, das man hat, wenn man ein neues Mundstück ausprobiert. Da glaubt man kurz, anders zu klingen, aber nach ein paar Wochen oder Monaten klingst du wieder so, wie du immer klingst. Ein bisschen heller oder schärfer, aber der Grundsound bleibt der gleiche.
Was hat es mit der Nummer „Interpersonal Relationships“ auf sich?
Anna Tsombanis: Das Stück ist den zwischenmenschlichen Beziehungen gewidmet. Der Gedanke war, dass man in diesem komplett freien Teil die verschiedenen Konstellationen zwischenmenschlicher Beziehungen durchspielt. Alle verschiedenen Formen und Situationen, die daraus entstehen.
Beate Wiesinger ist quasi die Nummer 4 bei Tsombanis4. Wie bist du zu ihr gekommen?
Anna Tsombanis: Wir haben uns in Graz im Stockwerk auf einem Jazzfestival kennengelernt. Da habe ich mit einem Trio gespielt. Sie hat im Duo mit ihrer Schwester Astrid nach uns gespielt. Da habe ich beide kennengelernt. Ich habe sie beide sehr, sehr lieb. Coole Menschen und tolle Persönlichkeiten, auch musikalisch. Dann habe ich mit beiden in verschiedenen Besetzungen gespielt. Ich bin auch großer Fan ihrer Band Echoboomer. Sonst hab´ ich halt meistens mit Waelti gespielt. Beate ist für mich ein zweiter interessanter Bass geworden.
Wie hast du Andreas Waelti kennengelernt?
Anna Tsombanis: Als ich auf Erasmus-Jahr in Wien war. Im Avalon auf einer Session. Daraufhin haben wir uns eine private Jam-Session ausgemacht, und so hat sich das Trio gebildet.
Spielst du viel auf Jam-Sessions?
Anna Tsombanis: Nein, gar nicht mehr. Früher sehr viel, weil ich damals viele Standards gespielt habe. Im Uni-Kontext. Im Zwe etwa, wo ich auch gearbeitet habe. Im Studium ging es darum, viele Standards zu kennen. Irgendwann, wenn man nicht mehr studiert und sich musikalisch weiterentwickelt und aus diesem klassischen Jazz-Dings rauskommt, weil man woanders hinschaut, spielt man mehr Eigenkompositionen, macht etwas Freies oder macht andere Musik, Theater. Dann geht es nicht mehr um die Standards. Irgendwann gab mir das nicht mehr so viel. Oft ist es halt auch ein Show Off, wie viel Töne man über „Cherokee“ drüber spielen kann. Aber letztens habe ich mit einem Bassisten im Duo gespielt und festgestellt, dass ich genau deshalb nicht mehr so viele Standards kenne, was auch wieder schade ist, weil es, wenn man sich trifft, das ist, was jeder kennt und worauf man sich verständigen kann.
Ein gemeinsames Vokabular sozusagen?
Anna Tsombanis: Genau. Man kann sich die Covers ja auch freier anlegen. Aber eine gemeinsame Basis ist schon cool und es gibt schon echt gute Songs. D.h. ich werde wieder Standards lernen. Aber ob ich deshalb wieder viel auf Sessions gehe, bezweifle ich.
In Wien bist du als gebürtige Berlinerin klassisch hängengeblieben?
Anna Tsombanis: Ja, ich wollte hier den Master machen. Das erste Mal war ich für ein Erasmus-Jahr hier, dann bin ich zurück nach Dresden gegangen, aber für den Master wiederhergekommen. Der Plan war, ein Jahr hier zu verbringen und dann wieder weiterzuziehen. Aber nach einem Jahr habe ich erst mal ein Jahr Pause gemacht, weil ich nicht so recht wusste, ob ich das weitermachen will. Das Studium hat mir nicht mehr so viel gegeben.
Was wäre die Alternative gewesen?
Anna Tsombanis: Abzubrechen, aber das ist halt auch nicht meines. Deshalb habe ich dann auch fertiggemacht, und bin in Wien hängengeblieben. Währenddessen hat sich das Ganze auch entwickelt
Du bist quasi am klebrigen Punschkrapferl picken geblieben?
Anna Tsombanis: Sagt man das so?
Ja, oder an der Zuckertorte.
Anna Tsombanis: An der Sachertorte, ja. Jetzt bin ich immer noch da, und ich finde Wien megacool. Derzeit habe ich keinen Grund, woanders hinzugehen.
Nervt dich manchmal, dass man mit dem Saxophon immer auf einen ganz klassischen Sound festgelegt ist?
Anna Tsombanis: Mich hat eher genervt, dass, wenn du eine Frau bist, früher oder später der Name Candy Dulfer fällt. Eher von Leuten, die nicht so viel Ahnung haben. Nach dem Motto: Du bist doch auch eine Frau, die Saxophon spielt. Hat halt nur nichts mit dem zu tun, was ich mache, klingt total anders, ist total anders. Aber da wird man gleich in eine bestimmte Schublade gesteckt. Darauf reagiere ich allergisch.
Spannend, dass es Candy Dulfer gelungen ist, damit eine Marke zu schaffen. Mit diesem Funk-Sound und der betonten Sexyness, oder?
Anna Tsombanis: Das ist auch für andere ein Problem. Meiner Meinung nach. Für andere weibliche Instrumentalisten. Mir ist es oft passiert, dass man aufs Aussehen reduziert wird, wenn man Anfragen für kommerzielle Bookings bekommt. Da gibt es wilde Vorstellungen.
Da geht’s mehr ums Posen, ob man auch blond ist und einen kurzen Rock trägt. Das ist halt Leuten wie Candy Dulfer zu verdanken. Aber um auf deine Frage nach dem Sound zurückzukommen: Es gibt schon Ausnahmen wie etwa Ben Wendel, der viel mit Effekten spielt. Das kommt schon immer mehr, auch für Saxophon. Ich selbst habe auch angefangen, zu experimentieren und auszuprobieren. Ich hatte schon einen Solo-Auftritt mit Effekten. Das macht mir großen Spaß. Aber das ist halt auch das nächste Ding, in das man sich rein-nerden und viel Geld dafür ausgeben muss.
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Was hat es mit den zwei Titeln Geröllfeld 1 und 2 auf sich, die man auf dem Album quasi hinter sich bringen muss?
Anna Tsombanis: Mit „Geröllfeld 1“ hat es angefangen. Ich gehe privat gerne in die Berge, klettere viel. Die Wiener Umgebung ist zum Klettern extrem gut. Und die Rax ist ja auch nicht weit. Aber natürlich habe ich Geröllfelder eher in den Dolomiten angetroffen. Das Stück wabert so dahin, ist ein wenig komisch. Auch ein Geröllfeld, ein Feld aus Stein, ist komisch. Wenn man aufsteigt, rutscht man immer wieder ein bisschen zurück. Teilweise muss man aufpassen, dass man nicht abstürzt. Man kann aber auch runtersurfen. Ich weiß nicht. Manchmal schreibe ich etwas und habe gleich den Namen dazu. So war es da auch.
Es geht um einen Stein, der Teil es Gerölls ist oder mich selber, wie ich versuche durch ein Geröllfeld zu kommen. Dann kam das zweite Feld, und es hat sich ein wenig verselbständigt. Und jetzt ist der große Traum von Waelti, dass wir das nächste Album nur aus Geröllfeldern mit verrückten Basslines und freien Bass-Intros bestreiten.
Vielen Dank für das Gespräch.
Markus Deisenberger
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Tsombanis4 live
15.04.2025 Album Release Show, Porgy&Bess, Wien, Österreich
24.10.2025 Stockwerk, Graz, Österreich
25.10.2025 Donau115, Berlin, Deutschland
26.10.2025 Le Pirate, Rosenheim, Deutschland
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