Der in Wien lebende Südtiroler Musiker, Sound Designer und DJ Ulrich Troyer begibt sich mit seinem neuen Album „Transit Tribe” (4bit Production; VÖ: 22.11.) auf eine musikalische Weltreise. Seit über zwanzig Jahren arbeitet Troyer genreübergreifend und bleibt dabei stets seiner innovativen Dub-Ästhetik treu: Klänge und Rhythmen werden mit Delay, Hall und Echo bearbeitet, wodurch eine dichte, atmosphärische Klangwelt entsteht. In Zusammenarbeit mit Künstler:innen mit verschiedensten musikalischen und kulturellen Backrounds erschafft er vielseitige Soundlandschaften, die von organischen Live-Drums, Synthesizern, Field Recordings und einer Vielzahl an Instrumenten wie Vibraphon, Cello, Zither, Bassposaune und Talking Drum geprägt sind. Jeder Track eröffnet neue Perspektiven und führt die Hörer:innen von alpinen Höhen hinab in urbane Klangwelten. Im Interview mit Michael Ternai spricht Ulrich Troyer über die Idee hinter dem neuen Album, neu gewonnene Freundschaften und die erstmalige Einbindung von Stimme und Gesang in seine Musik.
Ich kenne dich als Musiker, Klangkünstler und Soundtüftler, der bereits in den unterschiedlichsten musikalischen Kontexten unterwegs war – in der Elektronik, der experimentellen und Neuen Musik und mehr. Bei deiner neuesten Veröffentlichung „Transit Tribe“ habe ich das Gefühl, dass es vielleicht deine bislang zugänglichste Arbeit ist.
Ulrich Troyer: Ich hoffe schon, dass das Album zugänglich ist, wobei das nicht mein primäres Ziel war. Aber es kann sein, dass es mich mit zunehmendem Alter mehr dorthin zieht. Es kann auch sein, dass aufgrund der vielen schrecklichen Dinge, die uns im Moment umgeben, ich innerlich den Drang verspürte, etwas Angenehmeres, Leichteres zu erschaffen. Ich bin grundsätzlich sehr verschiedenen Musikstilen gegenüber offen, das Entscheidende für mich ist, dass mich die Musik bewegt. Egal ob die Musik streng oder unterhaltend ist, sie muss mich interessieren und packen.
Ich habe an diesem Album vor einigen Jahren zu arbeiten begonnen, in der Corona-Zeit, die für alle nicht einfach war. Dennoch muss ich sagen, dass diese Zeit für mich bzw. für die Arbeit an diesem Album auch einen Vorteil hatte. Nämlich den, dass meine Kollaborateur:innen, die sonst sehr beschäftigt sind, die Zeit hatten mitzuwirken.
Stilistisch ist das Album auf jeden Fall sehr abwechslungsreich – Dub, Reggae, Elektronik, Global Sounds aus allen Ecken der Welt. War das so geplant? Wo nahm die Musik ihren Anfang?
Ulrich Troyer: Die Grundlage bildeten Schlagzeugaufnahmen von Didi Kern. Wir haben damals, ich glaube 2017, einen Tag lang für „Dolomite Dub“ aufgenommen und uns entschieden, noch einen zweiten Tag dranzuhängen. Diese Spuren haben dann im Grunde das Skelett für das Album gebildet. Nachdem ich sie eine Weile in der Schublade liegen hatte, ergab es sich, das Material weiterzuverarbeiten. Ich wurde von Reinhilde Gamper eingeladen, zwei Stücke für ein Zitherfestival zu komponieren, und zwar Stücke für etwa vierzig Zitherschülerinnen und -schüler aus Südtirol.Das war großartig. Ein halbes Jahr später kamen Reinhilde Gamper und Martin Mallaun, der auch am Zitherfestival beteiligt war, nach Wien, und wir haben die beiden Stücke („Latemar“ und „Ancient Atoll“) in meinem Studio aufgenommen.
So vielfältig die Musik ist, so musikalisch vielfältig sind auch die Leute, die einen Beitrag für dieses Album geliefert haben. War es von Anfang an der Plan, so viele verschiedene Musikerinnen und Musiker mit an Bord zu holen?
Ulrich Troyer: Bei diesem Album wollte ich mich bewusst für neue Ideen öffnen. Ein kollaborativer Ansatz war mir dabei sehr wichtig. Seit Jahren bin ich großer Fan von Baba Zula und hatte schon lange die Idee, eine Elektro-Saz in meine Musik zu integrieren und dafür Osman Murat Ertel anzufragen. Lustigerweise hat das ganz unkompliziert geklappt. Ich habe Murat über Social Media kontaktiert und ihm geschrieben, dass ich sein neues Album großartig finde. Prompt antwortete er, dass er und seine Familie große Fans meiner Musik, meines Sound-Designs und meiner Kinder-Apps von Yatatoy sind, die seine Kinder gerne spielen. Schon nach dem ersten Kontakt war klar, dass die Chemie zwischen uns stimmt.
Kurz vor der Pandemie spielten er und seine Band im Porgy, wo ich ihn dann persönlich kennengelernt habe. Seitdem waren wir regelmäßig in Kontakt. Ich habe das Stück „Feltuner Hütte“ speziell für ihn komponiert und es ihm zugeschickt. Er hat daraufhin seinen Part dazu beigesteuert, den ich anschließend editiert und gemischt habe. Auf ähnliche Weise entstand auch ein zweites Stück. So entwickelte sich ein schöner, freundschaftlicher Austausch, der schließlich dazu führte, dass er das Album praktisch mitproduziert hat, in dem Sinn, dass er mein künstlerischer Ansprechpartner war.
Für jedes Stück des Albums hatte ich bestimmte Musiker:innen im Ohr, während ich daran komponierte: Mamadou Diabate, Osman Murat Ertel, Reinhilde Gamper, Susanna Gartmayer, Diggory Kenrick, Didi Kern, Hamidou Koita, Lukas Lauermann, Martin Mallaun, Taka Noda, Wolfgang Pfistermüller, Flip Philipp, Roger Robinson & Kwame Yeboah.
Kuhglocken, aufgenommen in den Südtiroler Alpen, werden durch einen Modularsynthesizer bearbeitet – Synthesizer und Sampler treffen auf Talking drum, Electro Saz, Zither, Kontra-Alt Klarinette, Querflöte, Schlagzeug, Percussion, Dejmbe, Cello, Melodica, Posaune, Vibraphon, Marimba, Stimme und Farfisa Orgel.
Inwieweit hat das breite Instrumentarium letztlich auch die Idee geliefert, welche musikalische Richtung die Stücke einschlagen? Bei „Echoes“ zum Beispiel sorgt ja gerade Flip Philipps Spiel am Vibraphon für diese ganz spezielle verträumte Stimmung.
Ulrich Troyer: Ursprünglich hatte ich für dieses Stück auch noch ein Balafon vorgesehen. Meine Grundidee war, kurze Melodie-Motive zu komponieren, die sich überlagern und abwechseln, um eine Textur und Stimmung zu schaffen, die durchgehend spannend bleibt – ähnlich wie bei „Dolomite Dub“. Zunächst schwebte mir vor, dies mit verschiedenen analogen Synthesizern im Studio umzusetzen und die Klänge durch Vibraphon, Marimba und Balafon zu erweitern. Mamadou Diabate und ich haben das Balafon aufgenommen, aber dann doch nicht verwendet, da es nicht in den musikalischen Fluss passte. Bei „Echoes“ entstand zunächst tatsächlich die Grundidee, und dann fragte ich Flip Philipp, ob er das Stück einspielen könnte. Er ist ein außergewöhnlicher Musiker, es reichte aus, ihm die Partitur vorzulegen. Das Ganze wurde dann in einem einzigen Take aufgenommen.
Was an dem Album auch sehr spannend ist, dass es von der Stimmung her von den Bergen Tirols bis nach Afrika geht. Die vielen unterschiedlichen Instrumente aus so vielen unterschiedlichen Regionen dieser Welt malen wirklich ein ganz eigenes Bild von globaler Musik vermischt mit Elektronik. Welche Gedanken stecken hinter diesem Album?
Ulrich Troyer: Auf diesem Album wollte ich zum einen meine Wurzeln reflektieren. Die Titel der Stücke beziehen sich auf Hütten in den Bergen Südtirols und Orte, an denen ich gerne bin. Gleichzeitig hatte ich die utopische Zukunftsvision, dass es eines Tages ganz normal sein könnte, auf einer Südtiroler Almhütte eine Saz zusammen mit einer Talking Drum und einer Zither zu hören – und dass es dabei vollkommen egal ist, woher die Menschen kommen, die diese Instrumente spielen. Und ich wollte auch meine eigene Geschichte erzählen, nämlich dass ich weggehen musste, um in Wien „meine“ Stadt zu finden und mich selbst zu verwirklichen. Dieser „Transit“ sollte ebenfalls ein zentrales Thema des Albums sein.
Da ich mich oft mit Menschen verbunden fühle, die einen ähnlichen Hintergrund haben – Menschen, die in einem kleinen Dorf aufgewachsen sind und die Großstadt brauchten, um ganz sie selbst zu werden und ihr Leben zu leben –, dachte ich mir, das könnte eine „Transit Tribe“ sein, der alle, die eine ähnliche Reise oder einen ähnlichen Prozess – vielleicht auch nur im Kopf – hinter sich haben, angehören können.
Diese Idee habe ich auch Murat erzählt, der dann meinte, dass die Geschichte hinter einem Stück viel wichtiger ist als dessen Tonart. Sie transportiert einfach viel mehr.
Ich habe Mamadou auch von dieser Idee erzählt, und er hat sie auf seine Weise interpretiert: Jemand, der aus den Bergen stammt und nichts anderes kennt, soll andere, die eine weite Reise hinter sich haben, nicht voreilig beurteilen. In der zweiten Strophe sagt er, dass derjenige aus den Bergen nicht glauben sollte, es gäbe nur diese Berge – die gibt es genauso in Afrika. Bei diesem Stück („Latzfonser Kreuz“) wurde also meine Geschichte zum Ausgangspunkt für den Text, der wiederum seine Geschichte beleuchtet.
Roger Robinson hat die Idee wieder anders interpretiert. In seinem Beitrag zum Stück „Lago di Garda“ steht eine Beziehung im Mittelpunkt, in der es nicht mehr ganz so gut läuft. Das Paar begibt sich zusammen auf eine Reise ans Meer, in der Hoffnung, dass sich die Dinge dort klären. Ich finde diese verschiedenen Ansätze, diese unterschiedlichen Interpretationen sehr spannend.
Auffällig ist auch, dass die Stücke trotz aller musikalischen Vielfalt sehr minimalistisch klingen. Es gibt kein Übermaß, sondern viel Raum und Atmosphäre zwischen den Tönen und Sounds.
Ulrich Troyer: Ja, ich bin schon jemand, der gerne immer weiter reduziert und darauf achtet, dass die Mischung stimmt und jedes Element seinen eigenen Platz hat – sowohl in den Frequenzen als auch im Raum. Die Arbeit an diesem Album war für mich besonders spannend und interessant, weil ich nicht nur elektronische Sounds mischte, sondern auch verschiedenste Instrumente und Vocals. Ich habe viel daran getüftelt, diese verschiedenen Elemente in Einklang zu bringen.
Etwas, das „Transit Tribe“ auch von deinen bisherigen Veröffentlichungen unterscheidet ist, dass vermehrt auch Gesang zu hören ist. Warum?
Ulrich Troyer: Für mich haben Sprache und Stimme, auch wenn man sie nicht versteht, etwas sehr Unmittelbares. Die Stimme ist vielleicht sogar das unmittelbarste Instrument. Es hat mich auf jeden Fall sehr gereizt, diesmal mit Stimmen zu arbeiten – auch weil mir in der Vergangenheit oft gesagt wurde, es wäre schön, wenn in meiner Musik auch Stimmen vorkämen. Schon bei „Songs for Williams 3“ habe ich begonnen, mit einem Vocoder und meiner Stimme zu experimentieren. Dieses Mal ergab es sich, mit Stimmen zu arbeiten; es machte bei diesen Stücken einfach Sinn. Bei anderen Stücken des Albums übernehmen Melodica, Posaune, Cello oder Querflöte diesen Part. Mit Stimmen zu arbeiten ist aber auf jeden Fall auch etwas, das mich auch in Zukunft interessiert.
Du hast bei diesem Album verschiedene Rollen eingenommen. Produzent, Musiker, Komponist, Soundtüftler, Arrangeur usw. Als was siehst du dich eigentlich selber? Welche Rolle ist deine liebste?
Ulrich Troyer: Gute Frage. Ich sehe mich auf jeden Fall als Musiker und Komponist, ebenso als Tontechniker, der alles aufnimmt und mischt. Auch meine Tätigkeit als DJ spielt dabei sicher eine Rolle, da ich viel afrikanische Musik auf Schallplatte auflege – Stücke aus den 1970er Jahren, aber auch ganz moderne. Ebenso orientalische und türkische Musik aus den 1970er Jahren, persische Musik von vor der Revolution und vieles mehr. Gleichzeitig lerne ich auch viel von dem, was ich höre. Daher habe ich die Stücke von „Transit Tribe“ – noch bevor sie fertig gemischt waren – bereits ausprobiert und die Mischungen weiter optimiert, sodass sie auch auf weniger guten Anlagen gut klingen.
Ich finde, dass sich diese verschiedenen Tätigkeitsfelder in der Musik einfach sehr gut ergänzen. Im weitesten Sinne könnte man mich als Klangarchitekten bezeichnen. Ich habe Architektur studiert und denke in Räumen, Ebenen und Texturen. Allerdings ist für mich das Allerwichtigste, welche Wirkung die Musik auf mich und idealerweise auf die Zuhörerinnen und Zuhörer hat. Transportiert die Musik einen bestimmten Vibe, eine besondere Stimmung? Meine Liebe zur Musik und zum Klang ist das, was alles für mich verbindet.
Vielen Dank für das Interview.
Michael Ternai
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