Der ehemalige Gitarrist und Songschreiber von RUSSKAJA, ENGEL MAYR, hat in diesen Tagen doppelten Grund zum Feiern. Zum einen steht die Veröffentlichung des neuen Albums “Heavy Metal Blues” seines Trios an, zum anderen – und das dürfte ihm im Moment wohl noch mehr Freude bereiten – ist er vor wenigen Tagen zum zweiten Mal Vater geworden. Im Interview mit Michael Ternai spricht der in Niederösterreich geborene und mittlerweile in Kärnten lebende Musiker über seine große Liebe zum alten Rocksound und Delta Blues, den gewollt ungehobelten Sound der neuen Songs, seine intensive Auseinandersetzung mit Jazz und natürlich auch über das Ende von RUSSKAJA.
Du bist einer größeren Öffentlichkeit als Gitarrist und Songschreiber von Russkaja bekannt geworden. Kannst du vielleicht zu Beginn erläutern, was konkret der Grund für den Schlussstrich war?
Engel Mayr: Es war tatsächlich der Krieg in der Ukraine. Schon als der Krieg begonnen hat, also ein Jahr davor, rief Georgij [Alexandrowitsch Makazaria; Anm.] mich an und meinte, dass wir jetzt eigentlich einpacken können. Ich habe damals noch gesagt, dass wir erst einmal abwarten und die Entwicklung beobachten sollten. Ich hatte immer noch die Hoffnung, dass sich die Lage verbessern könnte, was aber nicht passierte.
Zum Ende des Jahres 22 ist es dann aber ganz schlimm geworden. Auch für mich. Ich habe in dieser Band ja quasi jeden Song geschrieben. Ich war für die Musik, den Großteil der Texte, für die Arrangements und die Produktion verantwortlich. Russkaja war so etwas wie mein musikalisches Baby.
Als wir dann anfingen, die ersten Singles für das neue Album zu veröffentlichen, begann es im Internet richtig rundzugehen. Die Bezeichnung Shitstorm ist da noch wirklich milde ausgedrückt.
Es wurde zu Boykotten von Konzerten von uns aufgerufen. Es wurden die Texte, die aus meiner Feder stammten, zerlegt, es wurden einzelne Sätze aus ihnen herausgenommen und als russische Propaganda dargestellt. Dasselbe passierte mit unseren Album-Covers. Wer mich kennt, weiß, dass ich von der ganz anderen Seite komme, aus der eher linken Ecke, aus dem Punkrock und Hardcore.
Und es war auch völlig wurscht, dass unser Bassist aus der Ukraine stammt, unsere Geigerin Deutsche war und unser Saxofonist Italiener. Aber da unser Sänger ein gebürtiger Moskauer war, wir lange davor diese Symbolik schon verwendet und mit ihr gespielt und auch diesen Bandnamen hatten, wurden wir in dieses Eck gestellt.
Wir haben lange diskutiert, wie wir weitertun wollen. Georgij war, wie schon gesagt, schon früh der Meinung, dass wir unsere Band einstampfen sollten. Irgendwann war dann auch für mich klar, dass es nichts bringt, mit Russkaja weiterzumachen. Es machte für mich persönlich einfach keinen Sinn mehr. Mich unter diesen Umständen auf die Bühne zu stellen und mit Spaß und einem Lachen auf dem Gesicht die Songs zum Besten zu geben, wie ich es noch ein Jahr davor getan habe, funktionierte für mich einfach nicht mehr. So haben wir dann beschlossen, Russkaja zu Grabe zu tragen.
Lebt der Geist von Russkaja in gewisser Weise in der „Willkommen Österreich“-Band weiter?
Engel Mayr: Eigentlich nicht. Wir bestehen zwar als Hausband von „Willkommen Österreich“ ohne Georgij weiter, spielen jedoch am Ende keine eigenen Songs mehr, wie es manchmal der Fall war, wenn es keinen musikalischen Gast in der Sendung gab. Unsere Songs und jeder Text, den ich geschrieben habe, wurden auf solch eine Art missverstanden und missinterpretiert, dass es einfach keinen Sinn macht, sie irgendwo aufzuführen. Somit betrachte ich mich als Gitarrist einer Studioband, was jedoch auch eine angenehme Aufgabe ist.
Du warst aber auch neben Russkaja immer musikalisch aktiv und hast mit deinem Trio Alben veröffentlicht.
Engel Mayr: Genau. Mit dem Trio hat es etwa 2015 begonnen. Davor habe ich meine ersten Gigs gespielt, bei denen ich eher in Richtung Bluesrock gegangen bin. Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass es mich dort hinzieht. Dann kamen der Schlagzeuger Mario Stübler, der auch bei Russkaja war, und Werner Laher am Bass dazu. Im Grunde ist es eine Band, bei der ich vorne stehe und meine Songs spiele. Die Besetzung wäre daher eigentlich recht austauschbar, aber dennoch hat sich ein echtes Bandgefühl entwickelt. Es macht mir einfach großen Spaß, mit den beiden zu spielen. Sie sind nicht nur geniale Musiker, sondern auch großartige Menschen.
War das Ende von Russkaja eigentlich auch die Initialzündung für das neue Album?
Engel Mayr: Nein, eigentlich nicht. Ich habe stets neben Russkaja Songs für das Trio geschrieben und Singles veröffentlicht. Aber es war tatsächlich so, dass wir das Album Anfang 2022 aufgenommen haben. Also noch vor dem Krieg, als Russkaja noch voll im Geschäft war. Ich hatte damals schon fast alle Lieder für das neue Russkaja Album geschrieben und hatte daneben auch relativ viele Songideen für solche Bluesrock-Stücke am Telefon gespeichert. Mit dieser Musik ist es immer so schön einfach. Ich ruf einfach die zwei Jungs an und muss davor nicht großartig Demos machen. Ich schicke ihnen ein paar Akustikaufnahmen, damit sie ungefähr wissen, wohin es geht, und dann stellen wir uns für ein paar Tage in mein Studio und nehmen auf. So einfach geht’s. Mit der Aufnahme ist die Produktion eigentlich auch schon abgeschlossen. Das war ja bei Russkaja und bei vielen anderen Popproduktionen ja ganz anders. Da wird an jedem Stück ewig herumgefeilt, sodass die Produktion sehr lange dauert.
Sind diese Einfachheit und Spontaneität auch das, was dieses Trio ausmacht?
Engel Mayr: Ja, auf jeden Fall, und natürlich auch den Reiz für diese Musikrichtung im Allgemeinen, denn das war schon immer so. Bei Jimi Hendrix genauso wie bei Stevie Ray Vaughan oder ZZ Top. Diese Musikrichtung hat per se eine Einfachheit in sich. Wenn sie überproduziert daherkäme, würde sie auch ihren Charme verlieren.
Ich habe bislang selten erlebt, dass ein Albumtitel so passend gewählt wurde, wie es bei deinem neuen Album der Fall ist. „Heavy Metal Blues“ fasst so ziemlich alles zusammen, was man auf diesem präsentiert bekommt. Heavy Stoner Riffs à la Black Sabbath und richtig feine Delta Blues Tunes …
Engel Mayr: Ich glaube, diese beiden Stilrichtungen lassen sich auch gut vereinen. Wobei ich beim Titel schon ein wenig die Befürchtung hatte, dass zu stark auf Heavy Metal fokussiert wird und die Leute hauptsächlich etwas in dieser Richtung erwarten. Aber dem ist eben nicht so. Solche Klischees wie ewiges Gitarrengefrickel, Spandexhosen oder ähnliches kommen nicht vor. Ich orientiere mich eher an älteren Stücken von Bands wie Black Sabbath, Led Zeppelin oder ZZ Top.
Also an Musik, mit der du aufgewachsen bist …
Engel Mayr: Meine ersten Kassetten waren, glaube ich, tatsächlich AC/DCs „Razors Edge“ und „Get a Grip“ von Aerosmith. Dann kamen relativ schnell Guns N’ Roses hinzu.
Komischerweise ist mir beim Durchhören der Songs tatsächlich hier und da Guns N’ Roses in den Sinn gekommen.
Engel Mayr: Interessant. Aber ja, der Einfluss von Slash lässt sich sicher nicht leugnen. Er war einer meiner ersten, wenn nicht sogar mein erster Guitar Hero, zu dem ich als Kind aufblickte.
Was an deinem neuen Album auch sehr positiv auffällt ist, dass da vom Sound her wirklich nichts glattpoliert wurde. Er ist roh und hat Ecken und Kanten. Ich nehme an, so wolltest du es haben.
Engel Mayr: Generell hängt der Sound immer von den Musikrichtungen und den Produktionsstilen ab. Und es kommt auch immer auf die Künstler:innen an. Da ich bei mir im Studio auch andere Künstler:innen produziere, habe ich in der Vergangenheit schon einige Produktionen gemacht, die auch in eine glattere Richtung gegangen sind. Aber bei diesem Album war mir von Anfang an klar, dass da nichts übermäßig bearbeitet wird. Bei all den Aufnahmen wurde nichts zusammengeschoben, korrigiert oder verfeinert. Das war das Ziel bei diesem Album. Ich habe sogar darüber nachgedacht, ob ich die Gitarre überhaupt doppeln soll, wie es im Rock und Metal üblicherweise gemacht wird. Du spielst die Gitarrenparts zweimal ein und verteilst sie dann auf Links und Rechts, um einen breiteren Sound zu erzeugen. Ich fragte die beiden Jungs, was sie davon halten. Und sie fanden die Idee cool, auch weil es einige bekannte Alben gibt, auf denen es genauso gemacht wurde. Also haben wir das eben so umgesetzt, sodass man wirklich nur eine einzige Gitarrenspur hört. Es wurde nie etwas darüber gespielt oder hinzugefügt.
In deinem Lebenslauf steht, dass du dann eigentlich Jazz studiert hast. Warum bist du nicht in dieser Richtung geblieben? War die Liebe zum Rock doch immer größer?
Engel Mayr: Ich bin damals eigentlich über Living Colour richtig in den Jazz eingetaucht, was total witzig ist. Mich hat dieses ganze Multi-Kulti-Ding richtig fasziniert. Ich dachte mir, dass es ja das Allergenialste ist, dass alle Musikrichtungen – Rock, Jazz, Blues – in einer Band vertreten sind. Die Liebe zum Jazz hat eigentlich Living Colour befeuert. Da war ich so 17, 18 Jahre alt. Ich kannte davor schon ein wenig Leute wie Mike Stern und Billy Cobham, das heißt die Grundlage war bereits vorhanden, aber mit Living Colour ist für mich dann alles irgendwie verschmolzen. Ich dachte mir, aha, das gibt es also auch. Von da an bin ich dann auch richtig in den Oldschool-Jazz eingetaucht. Als Vernon Reid von Living Colour sagte, dass Wes Montgomery und Thelonious Monk seine zwei großen Vorbilder sind, fragte ich mich, wie sich das überhaupt mit dem Gitarrenspiel ausgeht und habe damit begonnen, diese Musik zu erforschen.
Ich bin jahrelang wirklich so in den Jazz hineingekippt, dass ich lange Zeit überhaupt keinen Rock gehört habe. Ich habe die Musik, mit der ich aufgewachsen bin, für diese Zeit einmal beiseitegeschoben, weil ich etwas gefunden habe, das für mich so spannend war. Und ich habe auch ein paar Sachen in dieser Richtung veröffentlicht. Ich bin also wirklich tief reingetaucht, nur um dann irgendwann darauf zu kommen, dass es nicht viele Menschen gibt, die diese Art der Crossover Musik genauso fasziniert wie mich. [lacht] Aber ich habe mich danach auch weiterhin in Musiknischen bewegt. Wahrscheinlich war Russkaja die einzige Band, die dennoch einem breiteren Publikum zugänglich war. Und das, obwohl ich eigentlich nicht wirklich etwas anderes gemacht habe als in anderen Projekten.
Ich habe gelesen, dass letztes Jahr ein Album, an dem du beteiligt warst, an die Spitze der deutschen Charts geschafft. Wie ist das passiert?
Engel Mayr: Genau. Das war mit Santiano. Das ist eine ganz große deutsche Band, die so Seemannsrock macht. Ich kenne die Produzenten der Band schon seit ein paar Jahren und sie rufen mich auch manchmal an, wenn sie jemanden brauchen, der für sie Gitarren einspielt. Und das war bei dem Album von Santiano der Fall. Die Vorgabe war, dass es etwas rotziger und punkiger klingen soll. Da das meine Kernkompetenz ist, haben sie eben mich gefragt. Ich habe aber nicht gewusst, dass das Album tatsächlich so groß wird.
Das Album erscheint am 17. April. Du hast mir vor dem Interview erzählt, dass du bis dorthin vielleicht zum zweiten Mal Vater sein könntest. Geht sich da überhaupt eine Tour aus, auf der du das Album vorstellen kannst?
Engel Mayr: Wir werden tatsächlich ein paar Konzerte spielen. Ich habe aber eine super, super, super verständnisvolle Ehefrau und sie hat mich ja auch so kennengelernt. Ich war ja immer viel unterwegs. Vor noch ein paar Jahren noch war ich ja ganz viel und ganz lange weg. Manchmal fast ein halbes Jahr. 2022 waren wir mit Russkaja ja noch auf fünfwöchiger USA- und Mexiko-Tour. Da war mein erster Sohn gerade zwei Jahre alt. Da ist die jetzige Situation schon leichter. Ich bin mehr zu Hause und kann mir die Sachen besser einteilen. Aber ja, es stehen jetzt schon ein paar Konzerte an, in Österreich, Tschechien und Deutschland. Es ist zwar etwas knapp zur Geburt, aber so ist es halt. Es wird zu lösen sein. Dass ich wegfahre, wir mir am allermeisten wehtun. Auf der anderen seite freue ich mich schon auch auf die Konzerte. Im Trio zu spielen, ist immer entspannt. Und es gibt jetzt auch nicht diesen Druck, super viele Konzertkarten verkaufen zu müssen. Es geht da einfach ums Musikmachen.
Herzlichen Dank für das Interview.
Michael Ternai
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Engel Mayr Trio live
24.4. Wien (AT) – Loop
27.4. Brno (CZ) – Metro Music Bar
18.5. Leipzig (DE) – Tonellis
23.5. Hall in Tirol (AT) – Stromboli
24.5. Dornbirn (AT) – Gasthaus Engel
25.5. Innsbruck (AT) – Tribaun
26.5. Innsbruck (AT) – Innside Pilspub
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