BARE HANDS im mica-Interview

Hinter dem Wiener Techno-Label „Bare Hands“ stehen DANIEL HARTL und JULIAN DERKITS, zwei Musiker, die sich einer Synergie aus analoger, experimenteller Arbeitsweise und diverser Hardware-Set-ups bedienen. Im Interview mit Julia Philomena sprach das Duo über seine dritte EP mit dem kryptischen Titel „Bedlam (18) ‎– Мир (MIR)“, über industrielle Unabhängigkeit, ruheloses Nachtleben und künftige Pläne. BARE HANDS veröffentlicht am 29. Jänner sein viertes Release, die Stock Projects EP auf Vinyl. Zu hören sind die sechs Titel als Preview auf Soundcloud.

„Willst du die Götter zum Lachen bringen, erzähl ihnen von deinen Plänen!“

Wann und wie ist das Label „Bare Hands“ entstanden?

Daniel Hartl:
Vor fünf bis sechs Jahren habe ich gemeinsam mit meinem früheren Kollegen Daniel Knoll begonnen, eigene Musik aufzunehmen. Wir haben das Techno-Projekt „Herla“ ins Leben gerufen. Der Fokus lag zu Beginn mehr auf den Produktionen als auf der Gründung eines ausgefeilten Labels. In weiterer Folge ist „Bare Hands“ quasi nur aus der Notwendigkeit heraus entstanden, autonom und vor allem unkompliziert veröffentlichen zu können. Die Anfänge waren sicherlich mit einer gewissen Naivität verbunden. Etwa zeitgleich habe ich Julian und die anderen Köpfe hinter dem Live-Projekt Stock Projects kennengelernt. Wir haben auf Partys sehr viel über Musik philosophiert und der Gedanke einer Zusammenarbeit war naheliegend. Wir waren uns sehr schnell im Klaren darüber, wie wir die Dinge angehen könnten.

Julian Derktis: Der Release von „barehands002“ war der Startschuss für eine Kooperation. Das war Anfang 2014 – und seitdem arbeiten wir eigentlich in jeder Hinsicht intensiv zusammen.

Daniel Hartl: Was aber noch lang nicht heißt, dass wir jetzt von einer festen Struktur sprechen könnten. Um ehrlich zu sein, passiert der Großteil unserer Entscheidungen auf spontanen Impulsen. Wenn wir für die nächsten zwei Releases vorausplanen können, sind wir sehr gut unterwegs. Unsere Partner, wie News Distribution in Belgien, können ein Lied davon singen. Aber wie heißt es so schön: „Willst du die Götter zum Lachen bringen, erzähl ihnen von deinen Plänen!“

Was kann man sich unter dem Namen „Bare Hands“ vorstellen?

Daniel Hartl: Der Label-Name hat keine tiefer gehende Bedeutung, er bringt aber eine gewisse Do-it-yourself-Mentalität zum Ausdruck, die sich auch in den bisherigen Veröffentlichungen niedergeschlagen hat, die ich aber nicht an die große Glocke hängen möchte. Die Realität ist, dass uns nie viel Geld zur Verfügung stand und das Label für mich immer wie ein verlängerter Arm unserer Persönlichkeiten funktioniert hat. In „Bare Hands“ steckt sehr viel von dem, wie ich mich selbst definieren würde.

Julian Derktis: Bei Stock Projects kann ich mich gar nicht mehr erinnern, wie wir auf den Namen gekommen sind. Manuel Bachinger [Cyrill Khan; Anm.] und ich machen schon lange gemeinsam Musik und verbringen demnach viel Zeit miteinander. Wahrscheinlich sind wir in einer rauschigen Nacht auf diesen Namen gekommen und haben ihn bis dato nicht verworfen.

Wieso Techno?

Julian Derktis: Ich habe früher sehr viel Hardcore-Punk gehört und gespielt. 2007 wurde dann mein damaliges Lieblingslokal vom Magistrat geräumt und ich wusste dann eine Zeit lang in vielerlei Hinsicht nicht genau, wohin, bis mir mein Bruder die erste Burial-Platte aus London mitgebracht hat. Durch die ähnliche Energie und Stimmung habe ich mich in der elektronischen Musik sofort fallen lassen können.

Daniel Hartl: Auch bei mir kommt die Landung im Techno-Bereich nicht sonderlich überraschend. Ich habe mich immer schon zu intensiver, energiegeladener Musik hingezogen gefühlt. Dabei spielt es für mich keine Rolle, ob ich diese Befriedigung in Punk, Wave, Industrial oder eben Techno finde. Ich entdecke in diesen Richtungen zweifelsohne ähnliche Stimmungen für mich. Ich mag es, von Musik in einer gewissen Weise attackiert oder überrollt zu werden.

Wie kann man sich Ihre Zusammenarbeit vorstellen beziehungsweise konkret den Aufnahmeprozess für die dritte Platte?

Julian Derktis: Daniel und ich haben im vergangen Frühjahr viel Zeit miteinander verbracht, vor allem im Studio. Wir haben über Musik reflektiert, die wir gerne haben, und über aktuellen Techno, der uns müde gemacht hat. Aber unterm Strich läuft es eigentlich immer recht ungezwungen ab, manchmal passiert etwas, manchmal nicht. Und wenn wir Bilanz ziehen müssten, würde ich sagen, dass unsere ursprüngliche Arbeitsweise viel kopflastiger gewesen ist. Die bisherigen Platten waren viel geplanter – wenn man das so sagen kann. Mittlerweile arbeiten wir schon viel intuitiver, wir haben mehr Hardware, mehr Gefühl dafür und vieles passiert ad hoc.

Daniel Hartl: In den letzten Monaten hat sich aus meiner Sicht definitiv unser Sinn für die Umsetzung einer gewissen Vorstellung geschärft. Es gab zwar von Beginn an eine Richtung, die wir einschlagen wollten, ohne dabei konkret zu wissen, wie das umgesetzt aussehen könnte. Aus unserer Sicht war das Teil eines Lernprozesses, der eben auch öffentlich abgelaufen ist und einige Entscheidungen beinhaltet hat, die wir so nicht mehr treffen würden. Dieser Umstand verleiht dem Ganzen aber einen ungewollten Charme, den ich – im Nachhinein betrachtet – irgendwie mag.

Welche Rolle spielt der Live-Aspekt bei Stock Projects?

Julian Derktis: Live ist irgendwie etwas ganz anderes. Ich denke, da entstehen gewisse Momente, die nicht greifbar sind und die man erst recht nicht so auf Platte bringen könnte. Das ist für mich wahrscheinlich der besondere Reiz daran. Manuel und ich spielen seit sechs Jahren zusammen, ergänzen uns gut und harmonieren. Da entsteht vielleicht so eine Art „Body-Language“, also eine Art Gefühl dafür, was der andere gerade macht und wohin er damit will. Im Endeffekt ergibt man sich dieser Energie, die man da selbst in den Raum gestellt hat. Ich gehe schon ziemlich metaphysisch ab hier, aber anders könnte ich’s jetzt auch nicht zusammenfassen.

Zuletzt hat „Bare Hands“ im Grazer Dom im Berg gespielt. Zu hören war eine Mischung aus beiden Welten, der analogen und der digitalen. Wie hat das funktioniert?

Daniel Hartl: In Graz hat sich eine Möglichkeit aufgetan, die wir so noch nicht vorgefunden haben und für die ich ehrlich gesagt sehr dankbar bin. Wir haben mit Kopf bei Fuß gespielt, mit denen mich mittlerweile eine enge Freundschaft und dieselbe Leidenschaft verbinden. Geht es besser?

Julian Derktis: Ja, Graz war gut! Wir wollten das Beste aus beiden Welten herausholen. Ich finde oft, dass die digitale Welt mit ihren grenzenlosen Möglichkeiten manchmal ein bisschen verloren macht. Die Einschränkungen der analogen Welt zwingen einen ja fast dazu, etwas kreativer mit den verfügbaren Mitteln umzugehen.

„Dabei schlummert in dieser Stadt eine Menge Potenzial.“

In welche Städte würde es Sie, abgesehen von Wien, noch ziehen? 

Daniel Hartl: Bei mir wäre das mit ziemlicher Sicherheit Los Angeles. Klingt im ersten Moment vielleicht etwas fragwürdig, da diese Stadt keine wirkliche Techno-Vergangenheit hat. Unter anderem ist rund um Stores und Bars, wie den Mount Analog Store, aber ein Melting Pot der Post-Punk- beziehungsweise EBM-Bewegung entstanden, und seit jüngster Vergangenheit eben auch eine Techno-Welt. Viele Künstlerinnen und Künstler, zu denen ich aufblicke, haben es in den letzten Jahren geschafft, diese scheinbar unterschiedlichen Richtungen zusammenzuführen. Das Ergebnis zählt für mich derzeit zu den spannendsten Ereignissen der aktuellen Musiklandschaft.

Julian Derktis: Ich mag Wien! Aber ich hätte gerne, dass Wien sein eigenes Ding macht. Ich denke, in Wien kann es oft nur zu Erfolg kommen, wenn man davor schon im Ausland Erfolg hatte. Sonst bekommen hier Dinge schnell einen ironischen Beigeschmack. Andernfalls „darf“ man’s ja nicht gut finden. Wobei es hier schon einen Shift gibt, wenn ich jetzt an die Meat-Market-Reihe denke, Discus Throwers, Erdbahnkreuzer oder sogar Yung Hurn …

Daniel Hartl: Was mir in Wiens Clublandschaft sehr oft fehlt, ist der Drang, Spannung und Aufregung in die Läden zu bringen. Man bekommt den Eindruck, dass viele Leute, die in der Szene tätig sind, nur sehr ungern über den Tellerrand hinausblicken. Die Besucherinnen und Besucher werden mit dumpfem, pragmatischem Bongo-Techhouse-Müll zugeschüttet, der in sich nicht mehr als ein gewisses Sicherheitsbedürfnis befriedigt und Langeweile beherbergt. Und das, obwohl sich die Club-Geherinnen und -Geher für gute Musik begeistern können. Dabei schlummert in dieser Stadt eine Menge Potenzial. Man muss vielleicht nur etwas genauer hinschauen, um Großartiges zu entdecken. Das verleiht Wien aber auch einen eigenwilligen, romantischen und reizvollen Charakter.

Von der Musik leben können – ist das ein Ziel?

Daniel Hartl: Schwer zu sagen, darüber habe ich mir ehrlich gesagt kaum den Kopf zerbrochen, aber wer weiß, wie sich die Dinge entwickeln. Als wir mit dem Projekt begonnen haben, steckte jedenfalls nicht im Ansatz der Gedanke dahinter, mit der Musik unser Leben zu finanzieren. Außerdem hängt das doch von so vielen Faktoren ab, die man sowieso nicht selbst in der Hand hat, und das ist auch gut so. Ich werde auf alle Fälle vermeiden, in die Zwickmühle zu kommen, Dinge des Geldes wegen in einer gewissen Weise handhaben zu müssen, die ich ablehne.

Julian Derktis: Ist jetzt nicht mein Ansatz oder mein Business-Modell, live Techno zu machen und so reich und berühmt zu werden. Wir machen das, weil’s uns Spaß macht!

Was ist mit Fördergeldern?

Julian Derktis: Irgendwie haben wir immer noch Geld zusammenkratzen können. Ich habe auch grobe Probleme damit, wie Fördergelder vergeben werden und mit welcher „Transparenz“ hier gearbeitet wird. Ich mache lieber Überstunden, als einen Kulturreferenten von meiner Förderwürdigkeit zu überzeugen.

Daniel Hartl: Um ehrlich zu sein, kann es um unsere finanziellen Möglichkeiten gar nicht so schlecht bestellt sein, um diese Möglichkeit in Erwägung zu ziehen. Das würde unserem Streben, das zu tun, worauf wir Lust haben, grundsätzlich widersprechen.

„Die Leute gehen am Wochenende in Clubs, oder eben auf den Golfplatz.“

Gibt es Ihrer Meinung nach so etwas wie eine Club-Omnipräsenz?

Daniel Hartl: Meines Erachtens besteht nicht wirklich eine Club-Omnipräsenz. Die, die wir haben, ist vielleicht in jüngster Vergangenheit etwas mehr in den medialen Blickwinkel gerückt. Die Club-Kultur hat sich in den vergangenen Jahren mitunter einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Es ist populär, in Clubs zu gehen, man kann es vielleicht ein wenig mit Golf oder Tennis vergleichen. Die Leute gehen am Wochenende in Clubs, oder eben auf den Golfplatz. Entertainment – dazu kann man stehen, wie man will.

Julian Derktis: Niemand muss in den Club gehen. Wer’s tut, hat ja oft auch eine gewisse Ladung dabei, die er loswerden möchte. Der Club ist oft ein sehr einsamer Raum, in dem sich Menschen verlieren wollen und können, weil er wie ein Gegenkonzept zum Alltag funktioniert.

Was wollen Sie im Club?

Daniel Hartl: Meine Intention ist es, dass die Leute die Zeit genießen, die sie mit uns im Club verbringen. Sie sollen sich für ein paar Stunden gehen lassen können. Die Musik ist dabei vielleicht das kleine, wichtige Detail, das diese Erfahrung zu dem macht, was sie ist. Jeder andere bzw. höhere Anspruch an die Club-Kultur ist aus meiner Sicht übertrieben. Es geht doch auch einzig und allein darum, eine gute Zeit zu haben – enjoy yourself!

Julian Derktis: Ich will mich nicht zu weit hinauslehnen – aber na ja, ein gewisser Eskapismus! Und wir sind die Helfer dabei. Bis Montag ist dann alles gut!

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Julia Philomena

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Bare Hands (Facebook)