„How I Remember Now I Remember How” (col legno) lautet der Titel des ersten Soloalbums von LUKAS LAUERMANN. Dem durch seine Zusammenarbeit mit A LIFE, A SONG, A CIGARETTE, SOAP&SKIN, DER NINO AUS WIEN, DONAUWELLENREITER und RITORNELL bekannten Cellisten ist damit ein Meilenstein improvisatorischer Intensität gelungen. Im Interview mit Markus Deisenberger verriet er, was ihn auf allen Ebenen geöffnet hat, wo man das Publikum erwischt und warum Grenzen in der Kunst nichts verloren haben.
Warum ein Soloalbum? Langeweile aus Mangel an Arbeit und Engagement kann der Grund nicht gewesen sein. Sie sind ja sehr umtriebig. Was gab den Anstoß?
Lukas Lauermann: Ich habe immer wieder für Performances komponiert, konkret aber war ein Auftrag der schule für dichtung in wien vor drei Jahren der Auslöser. Es handelte sich um ein Projekt, bei dem Schriftstellerinnen und Schriftsteller, visuelle Künstlerinnen und Künstler sowie Musikerinnen und Musiker zusammengespannt wurden, das heißt, es wurden Dreier-Teams für spezielle Projekte gebildet. In Wien, in Turin und in meinem Fall in Madrid. Da fing ich an, auch allein zu spielen und mit Elektronik, d. h. Effektkästchen, herumzuexperimentieren. Aus dem haben sich andere Sachen ergeben, zum Beispiel habe ich für Theaterstücke Musik geschrieben.
Der Auftrag für die sfd war also die Initialzündung?
Lukas Lauermann: Ja, genau. Was mir besonders gefallen hat, war, dass ich kompromisslos meine Musik machen konnte. Zunächst in kleineren Kontexten, ich habe dann aber auch relativ schnell begonnen, mir selbst Konzerte aufzustellen.
Wie schwierig ist da der Anfang? Sich mit dem Cello mutterseelenallein auf die Bühne zu setzen und einfach loszulegen, ist keine Kleinigkeit.
Lukas Lauermann: Vieles war am Anfang einfach Improvisation. Was es an Bogen braucht in einem Konzert, habe ich durch mein Spielen in diversen Bands gelernt. Damit die Leute dranbleiben und die Spannung oben bleibt.
Und was braucht es? Kann man das in Worte fassen?
Lukas Lauermann: Ich finde, dass das sehr raumabhängig ist. Manche Sachen, gerade perkussive gehen in einigen Räumen voll auf, in anderen trägt es nicht so lange. Das hat viel mit den akustischen Gegebenheiten zu tun. Nicht dass ich es unbedingt jemandem recht machen will, aber man merkt schnell, was an einem bestimmten Tag vom Spielen her funktioniert, wo man sich selbst wohlfühlt und womit das Publikum etwas anfangen kann. Die Frage ist, wo genau man das Publikum erwischt. Das ist ein Bauchgefühl. Ich bin nicht darauf aus, jemandem etwas reinzudrücken, was er nicht will, was ihn überfordert. Ich persönlich kann mit Experimentellem genauso viel anfangen wie mit Harmonisch-Melodischem, was man, glaube ich, auf dem Album auch merkt.
War das immer so?
Lukas Lauermann: Das hat sich Stück für Stück entwickelt, weil ich sehr gut Teil doch recht unterschiedlicher Bands sein konnte. Vom Hören her war es aber schon immer so. Von zu Hause habe ich viel Klassik und vor allem viel Zeitgenössisches mitbekommen.
„Grenzen haben in der Kunst nichts verloren.“
Wie das?
Lukas Lauermann: Mein Vater ist Komponist. Deshalb bin ich schon im Kindesalter auf Konzerten gewesen, die man normalerweise als Kind nicht besucht. Das hat mich sehr geöffnet. Auf allen Ebenen. Und es ist auch eine ganz prinzipielle Einstellung von mir, dass ich keine Grenzen ziehen mag. Grenzen haben in der Kunst nichts verloren.
Wie lange hat es von der Initialzündung bis zur Erkenntnis gedauert, dass der Sound jetzt wirklich etwas Eigenständiges aufweist?
Lukas Lauermann: Das war schon ein Weg, weil ich gesucht habe, wie die Vielfalt, die ich durch die verschiedenen Projekte pflege, zu etwas Individuellem zusammenlaufen kann. Das hat mich sehr beschäftigt. Ich habe aber dann gemerkt, dass ich es einfach nur geschehen lassen muss. Dann fließt alles wie selbstverständlich in die Musik ein. Von der Vorstellung, dass man mitkriegen muss, dass ich sehr viele verschiedene Stile schätze, habe ich mich schnell verabschieden müssen. Das kommt, wenn man loslässt, von selbst.
Das Cello ist ein stark klassisch konnotiertes Instrument, das heißt, es wird fast untrennbar mit dieser Musikrichtung wahrgenommen. Steckt in Ihrer Vielfalt auch der Drang, das Instrument ein wenig vom klassischen Klang, der klassischen Verortung zu befreien?
Lukas Lauermann: Nicht in dem Sinne, dass ich das als großen Auftrag empfinde. Aber es reizt mich, die Möglichkeiten des Instruments auszuloten und auch zu erweitern. Da ich diverse Spieltechniken anwende und Elektronik einsetze, kommen Klänge heraus, die mit dem klassischen Cello-Klang nur noch wenig zu tun haben. Das interessiert mich natürlich schon. Dann tun sich auch andere Türen auf.
Was hat es mit den Titeln der Stücke auf sich, die etwas dystopisch klingen?
Lukas Lauermann: Die kommen alle von bestimmten Texten. Das sind für mich eingeschrumpfte Texte von Bachmann, Pessoa etc., von den gleichen Autoren, die auch hinter den „Words“ (eine von vier unterschiedlichen Stücke-Kategorien auf dem Album) stehen. Da ging es darum, Sätze in eine Klangsprache zu übersetzen. Eine eher emotionale Annäherung an die Texte.
Es war auch nicht so, dass ich mir Nummern zusammengesucht habe, die ich auf ein Album geben wollte, sondern eigentlich habe ich mich immer mit Sätzen beschäftigt, die ich zusammengesammelt habe. Als die inhaltliche Basis da war, habe ich begonnen, an der Musik zu arbeiten.
Das heißt, die Musik ist die Umsetzung von Texten, die in Ihnen arbeiten?
Lukas Lauermann: Ja, genau.
Lesen Sie viel?
Lukas Lauermann: Ja, aber eher Dinge, die schon komprimiert sind: Kurzgeschichten und Gedichte. Dann bleiben Sätze über. Es geht um Sätze, die ich aus dem ursprünglichen Kontext herauslösen und zu meinem eigenen machen kann. Das schlägt sich dann in unterschiedlicher Weise in den unterschiedlichen Stückarten des Albums nieder.
Welche unterschiedlichen Stückarten sind das?
Lukas Lauermann: Da gibt es einmal die choralartigen, mehrspurig aufgenommenen Cello-Stücke, die komponiert wurden und die zugrunde liegenden Textebenen nur auf einer emotionalen Ebene erfassen. Die „Sterile Pressions“ dagegen sind Improvisationen mit Elektronik, die keinen textlichen Background haben, deshalb auch „steril“ sind, weil sie sozusagen nirgendwoher kommen. Bei den „Words“ sind konkrete Sätze das Material und gesampelte Sprachlaute. Gewissen Sprachlauten habe ich dabei ganz bestimmte Celloklänge zugeordnet. Und dann gibt es noch drei Teile, in einem aufgenommen, ohne Effekte und Mehrspurigkeit, die in sich geschlossen sind – die einzigen Stücke, die von der Reihenfolge her so geblieben sind, wie es von Anfang an angedacht war. Das kann als Metapher für das gesehen werden, was ich am Leben wertvoll und wichtig finde: Dass man klare Wege sieht, aber zulassen muss, dass auch andere Dinge passieren. Dass es keine Bedrohung ist, wenn etwas Unerwartetes, Fremdes daherkommt, sondern eine Bereicherung.
Ist das Kino ein Einfluss? Ich bin sicher nicht der Erste, der Ihrer Musik eine gewisse Eignung zum Soundtrack unterstellt.
Lukas Lauermann: Ich bin kein Cineast. Ich habe mittlerweile auch davon Abstand genommen, Visuals zu meiner Musik zu spielen. Ich mag das inzwischen gar nicht mehr.
Wieso?
Lukas Lauermann: Oft geschieht das aus Verlegenheit, weil man meint, die Musik allein reicht nicht. Ich finde aber, dass das eher etwas wegnimmt, als dass es etwas aufmachen würde. Bei mir selbst geschah es eher aus Verlegenheit, weil ich mit meiner Musik noch nicht sicher genug war und meinte, dass, wenn sich zur Musik dazu noch etwas tut, es besser wäre. Ich will aber niemandem ein Bild aufdrängen, dass er sich dazudenken muss, wenn ich spiele.
Wo fanden die Aufnahmen statt?
Lukas Lauermann: In Schrattenberg. Dort haben wir über vier Tage lang in verschiedenen Räumen aufgenommen. Das sind ehemalige Wirtschaftsräume eines abgebrannten Schlosses, in denen residencies für bildende Künstlerinnen und Künstler stattfinden. Oliver Brunnbauer hat die Aufnahmen geleitet. Eine Freundin, die kurz zuvor Tontechnikerin geworden war, war als Assistentin mit dabei. Wir waren also zu dritt. Rundherum war nichts. Es gab einen Dachboden, darunter eine Halle. Wir haben das meiste im oberen Raum aufgenommen, teilweise auch aber den Klang runtergeschickt.
Das heißt, es wurde mit unterschiedlichen Räumen experimentiert?
Lukas Lauermann: Ja. Für die vier unterschiedlichen Arten von Stücken auf dem Album war es wichtig, dass das Aufnehmen in unterschiedlichen Räumen stattfindet.
Wie sind Sie zum Label „col legno“ gekommen?
Lukas Lauermann: Mir erschien das als ideales Label für meine Musik. Deshalb habe ich ihnen eine Aufnahme geschickt, worauf sofort eine Rückmeldung kam. Ich fühle mich dort wirklich gut aufgehoben.
Werden Sie den eingeschlagenen Weg des Solospiels weiterverfolgen?
Lukas Lauermann: Auf jeden Fall, ja. Aber nicht so, dass ich dafür andere Projekte vernachlässigen würde. Ich will, dass andere auch alles weiterhin betreiben.
Das heißt, die Vielfalt, die Lukas Lauermann auszeichnet, wird uns weiterhin erhalten bleiben?
Lukas Lauermann: Wenn es nach mir geht, ja.
Sind Sie jemand, der aktiv nach einem Publikum sucht?
Lukas Lauermann: Mir macht es Spaß, Leute wissen zu lassen, dass ich spiele. Ich sitze also nicht irgendwo herum und warte auf Leute, sondern ich erzähle es gerne, dass ich mir Mühe gegeben habe und dort und dort das Ergebnis dieser Mühen live erlebbar ist. Die Antwort ist ein klares Ja. Aber nicht in dem Sinn, dass ich verkrampft versuchen würde, mehr Leute zu erreichen.
„Dass es einen Inhalt dahinter gibt, wurde mir im Laufe der Zeit immer wichtiger.“
Haben sich Ihre Parameter, was Sie unter guter Musik verstehen und was Sie in der eigenen Musik forcieren möchten, in den letzten Jahren und durch das Soloalbum bzw. die Arbeit daran verschoben bzw. verändert?
Lukas Lauermann: Ich glaube, mein Gespür dafür, was zwingend vorkommen muss – womit man natürlich auch grundlegend falschliegen kann –, hat sich verstärkt. Einen akustischen Output zu liefern, der ganz gut klingt, geht ja heute recht schnell. Oft fehlt mir da aber die Dringlichkeit. Da man es in die Öffentlichkeit trägt, muss man schon etwas sagen wollen. Dass es einen Inhalt dahinter gibt, wurde mir im Laufe der Zeit immer wichtiger. Reine Unterhaltungsmusik braucht man auch, schon klar, aber ich würde es selbst nicht unbedingt machen wollen. Ohne etwas, was in die Tiefe geht. Natürlich ist es auch ein Luxus, manche Sachen aus finanziellen Gründen nicht machen zu müssen.
Was würden Sie nicht machen?
Lukas Lauermann: Dinge, die auch nur im Ansatz frauenfeindlich sind, zum Beispiel. Nach meinem Empfinden mache ich durchwegs gute Dinge, hinter denen ich stehen kann. Das hat sich in diese Richtung entwickelt und wird auch immer wichtiger. Wenn ich Teil einer Sache werde, hinter der ich nicht hundertprozentig stehe, wird mir übel. Das will ich in der Musik nicht. Das ist kein Job im herkömmlichen Sinn für mich, wo ich mich für alles zur Verfügung stelle, wenn die Kohle stimmt. Dafür finde ich das zu wertvoll, zu stark.
Sie haben schon das Setting für Ihre Musik angesprochen. Dass es in manchen Räumen besser funktioniert, in anderen schlechter. Wie sieht es live aus? Das werden doch unterschiedliche Räumlichkeiten sein. Ist es schwierig, sich darauf einzustellen?
Lukas Lauermann: Ich finde es spannend. Der Vorteil am Solospielen ist, dass ich auf den Raum spontan reagieren kann, wenn ich während des Spielens merke, dass es etwas ganz anderes braucht. Ich habe zwar immer einen Plan, stelle aber oft um, weil mir der durchgehende Bogen wichtig ist. Ich spiele ja ohne Pausen mit fließenden Übergängen. Wenn ich eine dreiviertel Stunde spiele, braucht es zum Beispiel etwas ganz anderes, als wenn ich eine Stunde lang spiele.
Wie viel ist dann Impro? Die Musik ist ja improvisatorisch entstanden. Wie viel wird dann so, wie es auf Tonträger festgeschmolzen wurde, gespielt und wie viel wird improvisiert?
Lukas Lauermann: Ich verwende das gleiche Material. Einmal habe ich das Album vorab eingespielt. Da war ich darauf aus, es so, wie es auf dem Album drauf ist, einmal durchzuspielen. Aber im Bewusstsein dessen, dass ich es dann live wieder aufmachen will. Die mehrspurigen Stücke versuche ich so umzusetzen, wie sie gedacht sind. Manchmal muss ich die Form aber ändern.
Um das Album an den Ort anzupassen. Oder auch, um sich selbst nicht zu langweilen?
Lukas Lauermann: Das auch. Auch weil es eine andere Reihenfolge hat als live. Beim Spielen kann es durchaus auch einmal länger ruhig sein. Es muss sich nicht ständig etwas tun.
Das Thema Stille spielt auch auf dem Album eine durchgehende Rolle, oder?
Lukas Lauermann: Ja, schon. Stille ist einerseits wichtig für mich, andererseits hat letzte Woche eine Hörerin gesagt, es komme bei meiner Musik alles aus der Stille und gehe wieder dorthin. Das finde ich sehr schön und trifft das, was ich tun will. Es kommt von wo und verschwindet dann auch wieder wohin.
Vielen Dank für das Gespräch.
Markus Deisenberger
Lukas Lauermann live
27.08. lab30, Augsburg (GER)
07.09. p.m.k., Innsbruck
08.09. FAQ, Bregenzerwald
13.09. Scherbe, Graz
14.09. Vinzenz Pauli, St. Pölten
16.09. Take The A Train, Salzburg
20.09. Music Lab, Brünn (CZ)
21.09. Stadtwerkstatt, Linz
22.09. Kulturhofkeller, Villach
27.09. TAG, Wien
28.09. Raj, Klagenfurt
29.09. Container25, Wolfsberg
10.10. Arts Club, Margate (UK)
12.10. Tin Music and Arts (UK)
13.10. Kanepes, Riga (LIT)
02.11. Kulturforum, Berlin (GER)