„AUF DER BÜHNE GEHT ES UM DAS GEMEINSAME GEWINNEN“ – VOLKMAR KLIEN IM MICA-INTERVIEW

Das linke Auge zwinkert mit, wenn der WIENTALER DREIGESANG seine Stimmen erhebt. Schließlich trällern CHRISTINE GNIGLER, JOACHIM RIGLER UND LORINA VALLASTER dem Kapitalismus ein Ständchen. Die Kompositionen stammen von VOLKMAR KLIEN. Als Teil des Elektronik-Duos MAHD (mit HANNES LÖSCHEL) hat er durch die Serenaden einen Raum eröffnet, „in dem nicht nur Kritik laut wird, wie er sagt, sondern „es auch elegant“ hergehe. „Capital must accumulate. It’s a Law of Nature“ sei Lobgesang mit doppeltem Boden – zwischen Cholera und kurzen Lieferketten.

„Schriebe man einen Punkrock-Song über das Böse des Kapitalismus, wäre das langweilig, so KLIEN. Warum er dafür elektronische Kübel über analogen Stimmen ausleert, was sich in der Planlosigkeit finden lässt und welche Faszination vibrierendes Fleisch auslöst, hat der Komponist im Gespräch mit Christoph Benkeser erklärt.

Volkmar Klien: Das Album setzt sich aus verschiedenen Projekten zwischen 2018 und 2021 zusammen. Sie unterscheiden sich von meiner vorigen Arbeit insofern, als ich in den vergangenen 20 Jahren weder Vokal- noch Tonalmusik geschrieben habe. Ausgangspunkt war deshalb die Medienoper „The Future of Demonstration“. Dafür habe ich  mit digitalen Klängen und Bühnenbild-Projektionen, aber auch mit unverstärkten Stimmennatürlicher Menschen gearbeitet. Was am stärksten wirkt, passt oft am wenigsten zusammen.

Die Stimme war zuvor selten Teil Deiner Arbeit, ihre Verwendung ist ein Bruch.

Volkmar Klien: Es ist nicht nur ein Bruch in meiner Arbeit, sondern auch dem Text gegenüber. Der letzte Track des Albums, „Additional Interest Shall Accrue“ ist zum Beispiel die Vertonung eines Schiedsspruchs der Amerikanischen Börsenaufsicht. Zwei Firmen haben über Highspeed-Trading-Methoden den Kurs beeinflussen und sich dadurch einen unfairen Wettbewerbsvorteil verschaffen können. Das ist absurd, gleichzeitig kann es viel. Mann muss den Kapitalismus nur in Vergleich stellen – die bisherigen Alternativen dazu waren nicht berauschend.

Deshalb singst Du dem Kapitalismus ein paar Ständchen.

Volkmar Klien: Es sind Lobgesänge, weil der Teufel das faszinierendste Wesen auf der Bühne sein muss.

Er ist der Wolf im Schafspelz?

Volkmar Klien: Oder ein Wolf im Nerzmantel, der stolz darauf ist, was er kann. Das muss hörbar zu fassen sein, deshalb sind die Inhalte der Texte wichtig. Jene von Ines Doujak und John Barker sind als Hörspiel-Podcast für die Liverpool Biennale entstanden. Die Inspiration stammt aus der Rückbesinnung auf eine Zeit, in der Radio noch als Zukunft galt. In diesem Kontext wird deutlich, dass es sich um ironische Loblieder handelt – auf die Cholera, kurze Lieferketten und Just-in-Time-Lagerhaltung.

Man könnte diese Texte auch einfach als Loblieder hören.

Volkmar Klien: Na ja, als Komponist setzt man eine Intelligenz im Publikum voraus. Das schließt Missverständnisse nicht aus, aber: Gerade das Spiel, dass der Inhalt kippen könnte, ist interessant. Schriebe man einen Punkrock-Song über das Böse des Kapitalismus, wäre das langweilig.

Warum?

Volkmar Klien: Weil man dadurch immer Teil der Guten ist. Wenn die Situation unübersichtlicher ist, entspricht das der Umgebung viel mehr.

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Du warst nie direkt in deiner Arbeit, hast immer die Zwischentöne gesucht.

Volkmar Klien: Blunzert will doch niemand sein, oder? Die Gefahr, dass man das eine Mal zu oft gespiegelt hat, besteht aber. Ich gebe zu: Die Idee, drei Gesänge mit elektronischer Musik zu mischen, kam von Hannes Löschel [Klien arbeitet mit ihm u.a. für das Projekt mahd; Anm.]. Ursprünglich hatten die harmonischen Gesangsgelüste der Stimmen nichts mit den Interventionen der Elektronik zu tun.

Die Elektronik wird zum Störfaktor des Ästhetischen?

Volkmar Klien: Dadurch eröffnet sich ein größerer Raum, in dem nicht nur Kapitalismuskritik laut wird, sondern es auch elegant hergeht.

Die Kritik darf sich im Schönen verstecken.

Volkmar Klien: Man steht inmitten der Kritik, nie außerhalb. Deshalb wäre es zu einfach, sich nur über ein konkretes Gegenüber zu mokieren. Die mangelnde Eindeutigkeit schafft mehr Möglichkeiten, als wenn man politische Lieder wie in den 70er Jahren schreiben würde.

„WIR SIND PLANLOS UND FREUEN UNS DARÜBER.

Die Elektroakustik ist in sich abstrakt – zumindest abstrakter als die menschliche Stimme.

Volkmar Klien: In der Elektronik muss man sich um nichts kümmern. Sie wird frei gespielt. Außerdem hat sie keine expliziten Referenzen zu unseren überkommenen Tonhöhensystemen. Deshalb machen wir einfach irgendwas. Das Projekt hat fein-ziselierte, kontrapunktische Gesänge. Dazwischen geben wir uns Raum, einen elektronischen Kübel auszuschütten – um zu schauen, wohin es rinnt.

Wie meinst du das?

Volkmar Klien: Als mahd [das Projekt mit Hans Löschel, Anm.] sind wir improvisierend planlos und freuen uns darüber.

Genialer Dilettantismus.

Volkmar Klien: Hannes Löschel ist Professor für Klavier, ich hab sogar ein Doktorat in Komposition …

Deshalb: genialer Dilettantismus.

Volkmar Klien: Wir erfreuen uns an der Musik und aneinander. Trotzdem ist unsere Art zu musizieren nicht geplant. Im Gegensatz zur klassischen Komposition: Sie hat immer einen Aspekt der dritten Person. Man schreibt eine Partitur und setzt die Stimmen zueinander. In der Improvisation bist du …

Im Moment?

Volkmar Klien: In Echtzeit, ja. Dadurch weiß man im Vorhinein nicht, wohin man kommen wird. Man geht durch die Zeit und reagiert auf das, was bereits passiert ist – und passieren kann.

Im Gegensatz dazu stehen die durchkomponierten Serenaden für drei Stimmen.

Volkmar Klien: Das Kompositionsstudium ist historisch-handwerklich gedacht. Es ist wie das Lernen des Schachspiels, weil man Regeln folgen kann. Außerdem hört man, ob das Komponierte funktioniert. Dadurch lernt man, mit Noten vor dem Hintergrund eines definierten Stils umzugehen, der neutrales Territorium ist. Gleichzeitig hatte diese Arbeit nie etwas mit meiner eigenen zu tun. Das Projekt ist daher auch der Versuch, die Frühphase meines Kompositionsstudiums fruchtbar erscheinen zu lassen. Das hat Spaß gemacht.

Ja?

Volkmar Klien: Ich konnte jedes ästhetische Bedenken ablegen und arbeiten, ohne der Angst anzuecken.

Die geplante Planlosigkeit.

Volkmar Klien: Nur haltlos herumzuirren, ließe nie das Fruchtbarmachen der Planlosigkeit zu. Der Plan, sich treiben zu lassen, ist allerdings großartig. Außerdem war es wie eine Ausgleichsbewegung, das ein oder andere fröhliche Liedchen rauszuknallen.

Darauf wollte ich zu Beginn hinaus. Läufst Du dadurch nicht Gefahr …

Volkmar Klien: Dass es als holde Kunst im Radio läuft und jede Form von Subversion verloren geht?

Na ja. Ich meine: Deine angesproche Planlosigkeit in der Elektroakustik steht der geplanten Ästhetik gegenüber.

cover Capital must accumulate. It's a Law of Nature
Cover “Capital must accumulate. It’s a Law of Nature”

Volkmar Klien: Auch in der Planlosigkeit ist etwas da: Aus schönen Lautsprechern föhnt dich der Klang angenehm an. Der Unterschied ist: Es gibt darin keinen Beipackzettel, der etwas vorgibt. Liegt ein Zettel bei, bedeutet das umgekehrt aber nicht automatisch, dass es etwas vorgeben muss. Siehst du dir das Cover von Ines Doujak an, erkennst du einen Polkadot-Regenschirm. Die roten Punkte sehen schön aus, sind aber Menschenblut. Dazu kommt der politische Titel „Capital must accumulate – it’s a Law of Nature“.

Der Zusatz ist wichtig. Es ist nicht Deine Meinung, sondern ein Naturgesetz.

Volkmar Klien: Das kommt in den Texten schön heraus, ja. Außerdem betten die elektronischen Klänge die Kompositionen ein. Sie beruhen nicht auf Improvisation, sondern auf Resynthese der Gesänge.

Das bedeutet?

Volkmar Klien: Man analysiert, was sich im gesungenen Spektrum abspielt und stellt es über Oszillatoren erneut dar. Dadurch bekommt man eine detaillierte Kontrolle über den Klang – eine ähnliche Technik, die ich auch bei Projekten für mahd anwende.

„WENN MENSCHEN AUF DER BÜHNE STEHEN, GEMEINSAM ATMEN UND SINGEN, IST DAS VIBRIERENDES FLEISCH.

Was nimmst Du aus den Stimmen mit?

Bild Wientaler Dreigesang
Wientaler Dreigesang (c) Igor Ripak

Volkmar Klien: Es geht nicht um den Klang, sondern um dessen Kontrolle. Wenn Menschen auf der Bühne stehen, gemeinsam atmen und singen, ist das vibrierendes Fleisch. Wenn man digitale Musik macht, hantelt man sich entlang von Metaphern. Instrumente, Stimmen oder klangliche Sachverhalte werden nachgebildet – Entwicklungen, wie wir sie aus der Natur kennen. Selbst wenn das nicht passiert, sucht unser Ohr nach natürlichen Referenzen. Deshalb habe ich Stimmen immer auch in rein elektronischen Stücken verwendet, um zeitliche Entwicklungen festzulegen und Orte aufzulösen. Das menschliche Bemühen um Harmonie und die Übereinstimmung in der Flüchtigkeit ist dem A capella-Gesang inhärent.

Damit meinst Du die Gleichzeitigkeit, das Im-Moment-Sein, oder?

Volkmar Klien: Man kann auf der Bühne nicht gegeneinander gewinnen. Es geht um das gemeinsame Gewinnen. Das ist ein Teil von Musik, der mich interessiert. Bei drei Stimmen ist das zentral. Deshalb muss ich mich bei unseren Konzerten zusammenreißen, nicht einfach nur zum Dreigesang dahinzuschmelzen.

Der Dreigesang könnte auch für sich stehen – ohne die digitale Einbettung.

Volkmar Klien: Ich mag aber das Element der Irritation. Natürlich beinhaltet bereits der Text ein irritierendes Moment. Gerade der stilistische Ausbruch lässt mich aber vertrauen, dass die Musik nicht zu einem Sound-of-Music-Erlebnis wird.

Deshalb brechen die elektronischen Sprenkel das Gesamtbild.

Volkmar Klien: Sie unterstützen es in der Brechung, sind Irritation. Dadurch passt man auf jedem Musikfestival – egal ob im elektroakustischen oder Vokal-Bereich – nur halb dazu. Das ist eine Bestätigung für das Projekt.

Danke für Deine Zeit.

Christoph Benkeser

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Links:
mahd & Wientaler Dreigesang (Bandcamp)
loewenhertz (Homepage)
loewenhertz (bandcamp)