Der Wiener Kulturstadtrat ANDREAS MAILATH-POKORNY über die musikalische Vielfalt in der Stadt Wien, die Initiativen der Stadt zur Förderung des musikalischen Lebens in der Bundeshauptstadt, die Musikausbildung und die Quotendiskussion. Die Fragen stellte Markus Deisenberger.
Sie gelten als großer Freund des Wienerlieds. Wie nahe stehen Sie junger österreichischer Musik?
Andreas Mailath-Pokorny: Ich bin tatsächlich ein großer Freund des Wienerlieds in allen seinen Ausformungen. Sei es das klassische Wienerlied im Stil der Schrammeln oder seine zeitgenössische Interpretation meines Grätzlnachbarns Ernst Molden oder eines Nino aus Wien. Die österreichische Musik hat aber darüber hinaus noch viel mehr zu bieten. Ich bin offen für unterschiedlichste Genres, freue mich aber immer, wenn ich etwas Neues aus Österreich für mich entdecke. Zuletzt WANDA.
Wir leben in Zeiten ständiger Budgetknappheit. Und wir erleben immer wieder, dass sich das Sparen vor allem im Kultur- und Bildungsbereich negativ niederschlägt. Wie stehen Sie zu diesem Thema?
Andreas Mailath-Pokorny: Das Sparen im Kultur- und Bildungsbereich halte ich für einen großen Fehler. Wer hier spart, muss das später teuer bezahlen. Es ist geradezu unverantwortlich, in Krisenzeiten ausgerechnet an der Kultur zu sparen. Kultur ist kein Luxusgut, sondern eine unverzichtbare Voraussetzung für Diskurs und Reflexion. Abgesehen von den soziokulturellen Folgen – Kultur erfüllt ja eine wichtige einende und diskursive Funktion für die Gesellschaft – würde es sich auch rein wirtschaftlich nicht lohnen. Denn jeder in die Kultur investierte Euro kommt 2,3-fach zurück. Zwei Drittel der Touristinnen und Touristen geben an, allein wegen der Kultur nach Wien zu kommen!
Anders gefragt: Viele junge Musikerinnen und Musiker finden sich nach ihrer Ausbildung in prekären Verhältnissen wieder, weil es aufgrund geänderter Rahmenbedingungen immer schwieriger wird, von der Musik zu leben. Wieso sollte man als in Wien lebende Musikerin beziehungsweise Musiker trotz schwieriger wirtschaftlicher Grundgegebenheiten frohen Mutes in die Zukunft blicken?
Andreas Mailath-Pokorny: Wien ist nicht nur wegen seiner Klassik Musikstadt, sondern sie ist auch immer mehr Pop-Stadt. Zahlreiche Bands aus ganz Österreich kommen nach Wien, weil es hier die Offenheit und die Möglichkeit zum Austausch gibt. Auch die verdichtete Lokalszene trägt zu diesem wichtigen Nährboden bei. In Wien gibt es mit zahlreichen Festivals wie dem Popfest und vielen anderen auch die geeigneten Plattformen und ein großes Publikum.
Welche Initiativen gibt es derzeit, welche wird es beziehungsweise sollte es geben?
Andreas Mailath-Pokorny: SHIFT ist eine der jüngeren Initiativen, um innovative Kunst zu fördern. Ebenfalls erst im vergangenen Frühjahr zum ersten Mal stattgefunden hat das Electric Spring Festival für aktuelle heimische elektronische Musik. Auch für die Zukunft gibt es eine Fülle an Ideen und Überlegungen, an denen wir gerade arbeiten: sei es die Frage neuer Infrastrukturen, seien es mehr und neue Studios für Musikschaffende und mehr Proberäume für junge Bands oder die Etablierung eines eigenen Aufführungsortes für zeitgenössische Musik. Die Förderung von Auftrittsmöglichkeiten junger Bands könnte beispielsweise auch mit dem Wiederaufleben der früheren Tradition der „Parkkonzerte“ unterstützt werden – was natürlich auch an jedem anderen öffentlichen Ort möglich wäre. Interessant wäre auch ein Mentoringprogramm „Künstler für Künstler“.
Viele Bands und Projekte klagen über eine eklatante Proberaumknappheit. Wie begegnet man diesem Mangel seitens der Stadtregierung?
Andreas Mailath-Pokorny: Dafür wäre die Nutzung von Leerständen eine zeitgemäße Antwort, um auf die dynamischen Veränderungen, die Wien derzeit erlebt, lösungsorientiert zu reagieren: Wir arbeiten derzeit ressortübergreifend daran, eine Serviceeinrichtung zur Leerstandaktivierung einzurichten, damit diese Anfang 2016 ihre Tätigkeit aufnehmen kann. Dabei sollen brachliegende Flächen im Sinne von städtischer Verdichtung und „Urban Renewal“ neu belebt werden. Die Agentur „Kreative Räume“ wird dabei als Ermöglicherin agieren, die die unterschiedlichen Akteurinnen und Akteure vernetzt, Initiativen koordiniert und wichtige Initialzündungen liefert.
Die freie Szene hat sich in der Vergangenheit oft darüber beklagt, dass sich Wien mehrere Opern- und Musicalhäuser leistet, während für freie Projekte zu wenig Geld vorhanden sei. Orten Sie da ein Missverhältnis? Und wird sich dieses Verhältnis zwischen Förderung „arrivierter“ und „suchender“ Kunst in Zukunft ändern?
Andreas Mailath-Pokorny: Diese strikte Trennung zwischen großen, etablierten Häusern auf der einen und der alternativen, freien Szene auf der anderen Seite gibt es schon lange nicht mehr. Vielmehr zeigt sich immer stärker eine Verschränkung und Kooperation, etwa wenn freie Ensembles engagiert werden. Des Weiteren zähle ich auch Häuser wie das brut und die über 100 freien Theatergruppen und kleinen Bühnen zur freien Szene. Ziel bleibt es aber selbstverständlich, innovative Kunst abseits bekannter Wege zu fördern, wie wir dies zuletzt mit SHIFT getan haben, wo 1,5 Mio. Euro für die freie Szene bereitgestellt wurden.
Wien ist bekanntermaßen eine Weltstadt in Sachen Klassik und Oper. Es gibt aber auch Zeitgenössisches wie zum Beispiel Wien Modern, das Popfest Wien oder Waves Vienna, aber eben in deutlich geringerer Zahl. Reichen einzelne Festivals dieser Art aus, um Wien ernsthaft auch als eine Stadt für Musik am Puls der Zeit zu positionieren?
Andreas Mailath-Pokorny: Kann es jemals genug Geld für Kulturförderung geben? Ich glaube nicht. Wien ist aber auch international eine durchaus ernstzunehmende Größe, wenn es um zeitgenössische Musik geht. Die Stadt unterstützt seit vielen Jahren verstärkt das Zeitgenössische in allen seinen Facetten. Die erwähnten Festivals und das Electric Spring, das Donauinselfest, das Hafen Open Air, Wean Hean, aber auch das Jazzfest und das Klezmore Festival bilden das aktuelle musikalische Geschehen sehr gut ab.
Viele Musikveranstalterinnen und Musikerveranstalter leiden unter den rigiden Magistratsvorgaben, was höchstzulässige Lautstärke anbelangt. Für so manche Clubbetreiberinnen und Clubbetreiber ist eine behördliche Drosselung der Lautstärke gleichbedeutend mit dem Ausbleiben von Kundschaft. Wie sehen Sie hier die künftige Politik und ihre Umsetzung?
Andreas Mailath-Pokorny: Da geht‘s noch mehr als anderswo um den Ausgleich von Interessen. Also jenen der Veranstalterinnen und Veranstaltern und jenen der Anrainerinnen und Anrainer. Denn selbstverständlich muss man bei aller Liebe zur Kultur auch die Bewohnerinnen und Bewohner vor Lärm schützen, angesichts der dichten Besiedelung in unserer Stadt. Hierfür gibt es kompetente Stellen, die auch anhand von Lärmmessungen aktiv werden. Aber klar ist: Eine Stadt ist lebendig und kein Museum.
In ländlichen Regionen funktioniert das Musikschulsystem als Ausbildungsschmiede für junge Musikerinnen und Musiker überwiegend gut bis sehr gut. Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen musikalischem Breiten- und musikalischen Spitzensport in Wien? Gibt es ein ausreichendes Förderangebot?
Andreas Mailath-Pokorny: Es gibt auch in Wien ein sehr gutes Angebot und eine große Nachfrage. Gerade auch die Volkshochschulen bieten kostengünstige Formate, die Gruppenunterricht bieten. In Schulen finden Kooperationen mit Musikpädagoginnen und Musikpädagogen statt. Das Thema betrifft jedoch nicht die Kulturförderung, sondern ist im Bildungsressort angesiedelt, nachdem es sich ja um Schulen handelt. Die Musikschule Wien ist eine Bildungseinrichtung für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene bis zum vollendeten 25. Lebensjahr. Sie ist mit 17 Musikschulen an 30 Standorten und der Singschule – an 54 Volksschulstandorten – in allen Wiener Bezirken vertreten. Ihre Aufgabe sieht die Musikschule Wien in einer ganzheitlichen Ausbildung auf Basis aktiven Musizierens. Der Zugang zum Erlernen eines Instruments ist einfach, das gilt ebenso für unterschiedliche Gesangsfächer und Tanz. Aber auch die Begabtenförderung ist ein wichtiges Thema in der Musikschule Wien.
Im Rahmen von „El Sistema“, dem von José Antonio Abreu gegründeten landesweiten Programm zur Förderung musikalischen Talents in Venezuela, werden unter anderem Kinder und Jugendliche mit kostenlosen Leihinstrumenten ausgestattet. Welche Initiativen setzt die Musikstadt Wien, um einerseits den Zugang von Kindern und Jugendlichen zur Musik zu fördern, andererseits durch Musik Verbesserungen in sozialer Hinsicht herbeizuführen?
Andreas Mailath-Pokorny: Dieses Projekt gibt es seit einigen Jahren auch in Wien. ((superar)) in der Ankerbrotfabrik in Favoriten ermöglicht Kindern und Jugendlichen Gesangs-, Tanz- und Orchesterstunden. Es war unglaublich für mich, ein Jugendorchester mit Kids zu hören, die ihr Instrument erst vor einem halben Jahr zu spielen begonnen hatten. Auch Cash for Culture ist ein erfolgreiches Projekt, mit dem Jugendliche bis 23 einfach und unbürokratisch Förderung erhalten – auch WANDA nutzte vor einigen Jahren diese Schiene, um ein Album aufzunehmen. Ein witzig-rührendes Dankesschreiben ist uns davon erhalten geblieben. Mit Go for Culture, Jeunesse und einem vielfältigen kostenlosen Kulturangebot an Konzerten und Events gibt es ein breites Angebot, um den Zugang zu erleichtern.
Dass eine Gruppe mit rechtslastigen oder frauenfeindlichen Texten in öffentlich subventionierten Häusern auftreten darf, sorgte im vergangenen Jahr für viel Diskussion. Wie gehen wir damit um, dass Kunst, die uns teilweise zuwider sein mag, aber gegen keine Gesetze verstößt, ein großes Publikum anspricht? Braucht es mehr Einschränkungen? Oder muss das eine demokratische Gesellschaft aushalten?
Andreas Mailath-Pokorny: Ich habe hier einen liberalen Zugang zur Freiheit der Kunst. Für Strafbestände sind Gesetze zuständig – und keine politische Zensur. Diese Zeiten sind Gott sei Dank vorbei und im Rechtsstaat besser definiert. Seitens des Fördergebers wird nicht auf die Kuratierung des Programms oder auf Personalentscheidungen in Kulturinitiativen Einfluss genommen. Es gilt die Freiheit der Kunst, solange nicht bestehendes Gesetz verletzt wird.
Würden Sie sich einen breiteren gesellschaftlichen Konsens darüber wünschen, was diesbezüglich möglich ist und was nicht?
Andreas Mailath-Pokorny: Es besteht wohl in der Kunst Einigkeit darüber, dass es von Kunst so viele Sichtweisen und Wahrnehmungen wie Menschen gibt. Konsens ist, dass Kunst durchaus kontrovers sein darf, ja Diskussion und Kritik hervorrufen soll. Das zählt ja zu einer ihrer vielen wichtigen Funktionen in der Gesellschaft. Ich glaube also, dass es solche Diskurse des Verhandelns darüber, was geht oder nicht geht, permanent stattfinden – und sie sind nur bedingt steuerbar.
Die Quotendiskussion ist hochaktuell und hat sich vor allem an Ö3 wieder entzündet. Radio Wien hat aber einen noch niedrigeren Österreich-Anteil in seinem Musikprogramm. Brauchen wir in Österreich eine Radioquote?
Andreas Mailath-Pokorny: Ich bin froh, dass der ORF sein „freiwilliges Abkommen“ wieder verlängert hat und somit die Ziele – 15 Prozent Anteil österreichischer Musik in Ö3 und Rückkehr zum Musikfonds – wieder eingehalten werden.
Wir haben das Jubiläum von mica – music austria unter das Motto „Zukunft der Musik“ gestellt. Wie sieht Ihre persönliche Vision der Musikstadt Wien in zwanzig Jahren aus?
Andreas Mailath-Pokorny: Wien ist international bekannt als Stadt der Musik, vor allem klassischer Musik – in Zukunft sollten wir ebenfalls daran arbeiten, dass sie auch als Pop-Stadt bekannt wird. Wie bereits angesprochen gilt es dabei auch, über Rahmenbedingungen wie mehr Proberäume und Programme nachzudenken. Und ich hoffe, dass es noch mehr Austausch mit internationalen Musikerinnen und Musikern gibt, die nach Wien – ins Herz Europas – kommen und den Kulturstandort durch neue Impulse bereichern.
Markus Deisenberger
Foto: Andreas Mailath-Pokorny © Sabine Hauswirth