„AUCH EIN ALBUM VON BILLIE EILISH IST EINE ZUMUTUNG” – THE STRIGGLES IM MICA-INTERIVEW

Samstagvormittag im trendigsten Viertel von Graz: Zwei der vier STRIGGLES hocken im Schanigarten eines „Bobo-Cafés”, wie ROBERT LEPENIK, der Eh-nicht-Übervater der sogenannten Experimentalrockband, sagt. SLOBODAN KAJKUT kichert und fasst sich an den Bart. „Bobo, weil: Du musst dir das Wasser zum Kaffee drinnen selber zapfen.” Also zapfen wir und da grüßt schon GOTTFRIED KRIENZER, der Dritte der Truppe, aus der Ferne Guten Morgen. „Du bist extra für uns nach Graz gefahren?”, fragt er und meint: „Sonst sind wir die, die nach Wien fahren, damit uns jemand hört.”

Das stimmt und auch nicht. THE STRIGGLES spielen am 28. Oktober eine falsche Doppelalbumpräsentation ihrer zwei neuen Platten im Wiener Spitzer. Ein paar Tage später stellen sie „Exotic Creatures” und „Movements” (via ROCKISHELL) auch im Grazer Orpheum vor. „Es sind zwei geworden, weil wir eigentlich kein Doppelalbum mehr machen wollten”, sagt LEPENIK. „Dann sind wir draufgekommen, dass es sich wieder nicht ausgeht”, meint KRIENZER. „Also haben wir sie wieder aufgesplittet”, so KAJKUT. 

Mit MARTIN PLASS setzt beim Gespräch in Graz zwar der Sänger der STRIGGLES aus, an Stimmgewalt fehlt es der Dreivierteltruppe aber nicht – zwei Stunden plaudern LEPENIK, KAJKUT UND KRIENZER über Ausdehnung und Dauer, Kalkül und Kitsch, die richtige Haltung und das falsche Lachen. Wo die STRIGGLES dort die Magie im Moment finden, kondensieren wir da das Gespräch. Um in der Kompression – wenn schon nicht zur Erkenntnis, dann immerhin – zu den STRIGGLES zu finden.

Vorhin im Zug: Der Schaffner scannt mein Ticket, deutet auf seine Ohren und fragt, was ich da höre. Ich geb ihm meine Kopfhörer, nach drei, vier Sekunden sagt er: Dafür braucht ma owa a Zeit, gö? 

Robert Lepenik: Das ist eine gute Kritik, oder? Zumindest keine schlechte und besser als: So a Scheißdreck!

Also stimmt es: Man braucht Zeit? 

Robert Lepenik: Na ja, bei Filmen oder Serien ist es doch viel ärger! Ich zähl immer zusammen, wie viel Zeit ich vor dem Fernseher verbringen müsste, wenn ich so und so viele Folgen schaue. Da kommt man schnell auf 60 Stunden Lebenszeit. 

Slobodan Kajkut: Außerdem weiß man davor nie, ob es eine Bereicherung ist. 

Robert Lepenik: Deshalb muss es schon ein Wahnsinn sein, damit diese Zeit dafürsteht. 

Ist dieses Zeitnehmen nicht auch eine Zumutung – gerade wenn um uns alles in Häppchen zerbröselt?

Gottfried Krienzer: Musik darf anstrengend sein, wenn man sie kapieren soll. Das ist aber nicht unser Alleinstellungsmerkmal. Klar mag es gerade viele geben, die ihre Musik auf TikTok-Länge zuschneiden. Ich seh aber auch viele, die immer noch konventionelle Alben produzieren und: Wenn man es nicht in sein Leben integriert, regelmäßig Zeit für die Musik zu nehmen, ist auch ein Album von Billie Eilish eine Zumutung. 

Robert Lepenik:  Es kann genauso eine Zumutung sein, wenn sich Zwölfjährige ihre Zwei-Minuten-Häppchen geben.

Wieso reduzierst du es aufs Alter?

Robert Lepenik: Tu ich nicht. Wenn du bei einem Noise-Festival eine harmonische Nummer spielst, ist es eine Zumutung. Ich meine: Es kommt auf den Kontext an.

Die hat aber nichts mit der Dauer zu tun – sie bezieht sich auf die Wahrnehmung.

Gottfried Krienzer: Man kann nie objektiv sagen, dass fünf Minuten lang oder zwei Minuten kurz sind. Ein Song …

Kann sich zehn Minuten wiederholen wie „Rich Kid” und doch zu kurz sein.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Gottfried Krienzer: Bei der Nummer gab es die Diskussion, ob wir sie auf ein kompakteres Format kürzen oder aber ausdehnen. Wir haben sie ausgedehnt …

Robert Lepenik: Weil das Repetitive kein Nebeneffekt, sondern das Wesen des Songs ist. 

Gottfried Krienzer: Das Sample ist auch wichtig. Es stammt aus einer bekannten US-amerikanischen Gameshow – dort wird die Bevölkerung zu verschiedenen Themen befragt. Im Studio raten Kandidaten, welche Antworten die Leute gegeben haben. Bei „Rich Kid” geht es um die Frage, welche Dinge ein reicher Mann mehr hat als man selbst. Die Kandidaten sagen: Money, Girls, Cars … Dahinter steckt also eine gewisse Sozialromantik, weil man in Randgruppen reinschnuppert. Man kann da eine Brücke zu den Striggles ziehen: Wir alle mögen den Roots-Blues, er fließt immer wieder in unsere Songs ein – obwohl wir aus einem anderen sozialen Milieu kommen, anders sozialisiert wurden. Daraus entsteht eine Diskrepanz.

Robert Lepenik: Dabei ist die Diskrepanz doch, dass es eine Nummer über Ausbeutung ist, die gleichzeitig Ausbeutung betreibt, indem sie sich etwas aneignet.

Bleiben wir kurz bei der Ausdehnung, wieso dehnt ihr euch aus?

Robert Lepenik: Wenn man sich mit einem Song beschäftigt, ihn probt und damit kennt, behandelt man sein eigenes Werk irgendwann ungerecht. Deshalb ist es wichtig, zur Anfangsintention zurückzukehren und auf sie zu vertrauen.

Slobodan Kajkut: Manche Phrasen verlängern sich automatisch – wir proben sie und merken, dass die längere Länge wichtig ist.

Gottfried Krienzer: Sobald man ein Riff findet, dass die Repetition nicht nur trägt, sondern auch aushält, ist das ein großer Glücksfall. Man hört es sich an und entdeckt darin Neues, ohne dass sich etwas am Riff ändert. Dieser Glücksfall verändert sich aber mit der Dauer der Beschäftigung. Man nimmt das Glück anders wahr – gerade bei einfachen Themen.

Slobodan Kajkut: Das Thema von „Rich Kid” ist aber komplex.

The Striggles
The Striggles (c) Max Wegscheidler

Komplex, aber nicht kalkuliert?

Slobodan Kajkut: Sind wir eine kalkulierte Band?

Robert Lepenik: Löst sich diese Frage nicht zwangsläufig auf? Manche Einteilungen der Musikindustrie – zum Beispiel jene, die uns als Math-Rock-Band bezeichnen – haben uns nie tangiert. Was bei uns kompliziert klang, war nie kompliziert, es klang nur so – weil wir einer Improvisationsstrategie gefolgt sind. Uns interessiert das Komplexe gar nicht …

Mehr?

Robert Lepenik: Wir haben uns gemorpht, unterschiedliche Dinge ausgelotet, eine andere Ästhetik probiert – das ist die eigentliche Zumutung.

Slobodan Kajkut: Und gleichzeitig unsere Qualität. Sie war und ist aber nicht Zweck unseres Tuns. 

Wie meinst du das?

Slobodan Kajkut: Ich frage mich komplexen Bands wie Mars Volta immer: Wollen sie absichtlich so komplex sein? Oder denken sie tatsächlich so komplex, dass es für sie also normal ist?

Robert Lepenik: Reden wir über Komplexität oder rhythmische Überlagerungen? 

Gottfried Krienzer: Dem Komplexen kann man auf unterschiedlichen Ebenen begegnen. Ein einzelner Klang kann auf seine Weise schließlich auch komplex sein.

Robert Lepenik: Wenn wir es darauf angelegt hätten, komplex zu klingen, hätten wir etwas ganz anderes gemacht – nämlich was Kompliziertes. Das haben wir nicht.

Gottfried Krienzer: Das ist ein Missverständnis, das automatisch passiert, sobald man kommuniziert. Jemand entdeckt zum Beispiel ein Riff, übt es und spielt es jemandem vor. Dieser Jemand hört es zum ersten Mal – es klingt für die Person komplizierter, als es ist. Bei Phrasen, die den Eindruck der Komplexität erwecken könnten, haben wir uns dieses Mal aber bewusst dagegen entschieden. 

Slobodan Kajkut: Vielleicht ist es deshalb poppiger geworden.

„DAS IST COOLERWEISE MAGIC.”

Robert Lepenik: Dabei sind wir nicht an Genres, sondern der Entwicklung interessiert. 

Slobodan Kajkut: Pop interessiert uns aber auch.

Robert Lepenik: Aber nicht sein Kalkül, weil Kalkül ein bisserl das Gegenteil von Leidenschaft ist – und wir alle sehr leidenschaftliche Forscher sind. Deshalb sind alle unsere Platten Abwendungen von unserem Davor.

Gottfried Krienzer: Diesmal haben wir die Ballade nicht zwischen Noiserock und Klickklack-Experimenten eingezwickt. Wir haben uns eher in ihrem Gefühl über eine Plattenseite gesuhlt. Deshalb erreicht die zweite Platte ihre Länge nicht durch Wiederholung, sondern durch das Langsame der Songs.

Slobodan Kajkut: Manche Themen erreichen eine besondere Tiefe, sie folgen einer seltsamen harmonischen Progression, die sie grooven lassen – das ist schön.

Schön sind aber viele Dinge, trotzdem nutzen sich manche ab, während andere schön bleiben.

Robert Lepenik: Das ist coolerweise magic – dieses Magische, das in einem Moment entstehen kann, ist schon in seiner Entstehung nicht kalkulierbar.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Das drückst du schön aus.

Slobodan Kajkut: Wieso sollten wir nicht? Wir haben ja kein Problem mit Klischees oder Kitsch.

Gottfried Krienzer: Magie ist der Moment, der funktioniert, ohne dass man davor weiß, dass er funktionieren wird. Man weiß nur, dass dieser Moment vergehen wird. Als Beispiel: Als ich „Terraform” von Shellac das erste Mal hörte, fand ich es magisch. Mittlerweile bekomme ich das gleiche Gefühl von damals nicht mehr. 

Robert Lepenik: Weil hinter der Nummer Kalkül steckt! Damals war es neu, ein Riff zehn Minuten lang zu wiederholen. Man hört dahinter aber die Theorie, die sagt: Wär es nicht cool, etwas zu basteln, das genau so funktioniert. 

Gottfried Krienzer: Eine Unterstellung! Es könnte ja auch sein, dass sie es so gespürt und deshalb so gespielt haben. Da ist die Außen- und Innenwahrnehmung sicher unterschiedlich.

Ob Assoziation oder Annahme – Shellac werden wohl drüberstehen.

Robert Lepenik: Ich mein das gar nicht abwertend. Wir haben ebenso mit dem, was wir als kollektive Empfinden bezeichnen, gespielt. Man setzt Dinge in andere Kontexte, verdreht sie – lässt etwas entstehen, das man nur versteht, wenn man schon darauf konditioniert ist. 

Das zeigt sich in eurem Fall auch in der Ironie, oder?

Robert Lepenik: Eine lustige Band waren wir nie, Humor haben wir aber immer wichtig gefunden.

Bild The Striggles
The Striggles (c) Max Wegscheidler

In brüllendes Gelächter bricht man bei euch aber nicht aus.

Slobodan Kajkut: Es gab schon Momente, zum Beispiel das letzte Mal in Wien. Wir kamen auf die Bühne und nahmen Platz. Martin Siewert hat gelacht, sich einen Stuhl genommen und vor die Bühne gesetzt. Das haben die anderen Leute auch getan. Alle haben gelacht, weil sie von einem angekündigten Rockkonzert nicht erwartet hätten, dass man sich hinsetzt. Die Dynamik während des Konzerts war dann ganz anders – die Leute haben tatsächlich zugehört.

Weil sie im Stehen nicht zuhören?

Robert Lepenik: Es ist eine andere Haltung. 

Slobodan Kajkut: In der ein paar sicher eingeschlafen sind.

Gottfried Krienzer: Morton Feldman ist bei seinen eigenen Stücken eingeschlafen und hat danach gesagt, gut war’s!

Robert Lepenik: So sollte man vielleicht die neue Striggles-Platte rezensieren: Schlafen ist schön!

Slobodan Kajkut: Weil alles schön ist, zu dem ich einschlafen kann. 

Danke für eure Zeit!

Christoph Benkeser

++++

The Striggles spielen am 28. Oktober im Wiener Spitzer und am 3. November im Orpheum in Graz.

++++

Links:
The Striggles (Homepage)
The Striggles (Facebook)
The Striggles (Bandcamp)