„AUCH DER TANZBODEN WIRD SICH IN EIN INSTRUMENT VERWANDELN.“ – ALEX FRANZ ZEHETBAUER UND CHRISTIAN SCHRÖDER IM MICA-INTERVIEW

Der Sänger und Performancekünstler ALEX FRANZ ZEHETBAUER und der Musiker und Klangkünstler CHRISTIAN SCHRÖDER tauchen in ihrer aktuellen Klangperformance „Hearing the Wild Heart“ durch ein „operatives Ökosystem“ aus experimentellen Instrumenten. Wie sie dualistische Vorstellungen wie natürlich und unnatürlich auflösen wollen, was es mit dem Konzept des „Worlding“ auf sich hat und warum wir alle Teil des „Hyper Sea“ sind, haben die beiden Michael Franz Woels vor den Proben im studio brut erklärt.

“Hearing the Wild Heart” (c) Franzi Kreis

„Hearing the Wild Heart“ ist die dritte Performance, die ihr nach „AyH“ und „Brunnentroll“ gemeinsam entwickelt habt. Worum geht es in dieser Klangperformance?

Alex Franz Zehetbauer: Es begann ursprünglich mit der Faszination an der Figur des Trolls. Nicht im Sinne des Subjekts Troll, sondern mehr im Sinne eines Körpers, der auch immer in seiner Umgebung eingebettet ist. In diesem Stück untersuche ich gemeinsam mit Performer*in Gergő D. Farkas die sonischen Relationen zwischen Körpern. Wie „embedded“ ist ein Körper in seiner Umgebung und wie kann diese Einbettung durch eine Ökologie von experimentellen Instrumenten verstärkt werden?

Christian Schröder: Bei dieser Ökologie von experimentellen Instrumenten, die Alex gerade beschrieben hat, ist es auch nicht immer ganz eindeutig, ob die Objekte an sich sonisch sind oder erst durch die Interaktion klanglich in Erscheinung treten. Zum Beispiel: Ein Glas kann durch das Betasten auch plötzlich zu einem sonischen Objekt werden. Oder der Theaterraum zu einer Resonanzkammer.

Alex Franz Zehetbauer: Daran haben wir intensiv gearbeitet: Am Aufspüren von sonischem Potenzial von im ersten Moment eher bedeutungslosen Gegenständen. Und wir haben auch den Theaterraum an sich wie ein Wasteland betrachtet. All diese verschiedenen Elemente und Oberflächen, den Tanzboden, den Off-Space, die sonst eher ungenutzten Bereiche. Nicht nur der Stage-Bereich war interessant für uns, sondern auch das Darunter oder Dahinter; auch das Spiel mit dem scheinbar durch den Bühnenvorhang definierten Bereich – und der Umgebung, die dann plötzlich wieder ins Spiel gebracht wird.

Ich finde die Figur des Trolls interessant. Im letzten Stück im öffentlichen Raum bist du ja in die Rolle eines „Brunnentrolls“ geschlüpft. Ist das ein Aspekt deiner Persönlichkeit, oder warum interessiert dich diese Figur des Trolls?

Alex Franz Zehetbauer: Ich fühle eine Troll-Energie in mir. Diese Figur des Trolls hat ja auch etwas Sensitives. Der Troll ist für mich sehr empathiefähig. Er steht in enger Verbindung mit seiner natürlichen Umgebung und mit unbelebten Objekten. Dieser spielerische, emotionale Charakter, weniger der aggressive Ausdruck davon, hat mich fasziniert.

Christian Schröder: Ich sehe in diesem aggressiven Potenzial vielleicht oft auch eher eine unbändige Risikofreudigkeit – und dadurch werden vielleicht auch Dinge zerstört. Bei der Performance „Brunnentroll“ ist diese Eigenschaft, finde ich, gut zu Tage getreten. Man konnte auch Kinder beobachten, die dieses seltsame Schauspiel beobachtet und dann auch nachgemacht haben. Es geht in der Performance weniger um Aggression, sondern viel mehr um das Überkommen von Konventionen.

Alex Franz Zehetbauer: Es geht um Disruptionen, um ein Überfließen an spielerischer Energie, die sich nicht daran hält, was in einem Raum sozial erlaubt wäre. Kinder reagieren darauf sehr stark, können freier agieren. Die Gruppe von Kindern hat dann auch gefragt: „Ist das ein Mensch, ist das ein Tier? Kann ich mit ihm sprechen?“ Ich mag das, wenn beim Performen die Wesenheit nicht eindeutig ist, wenn sich der Körper – durch die Interaktion mit der Umgebung und seinen unterschiedlichen „States of Being“ – expandiert und transformiert.

„WENN DU EINE STARKE BEZIEHUNG ZU DEINEM INSTRUMENT ENTWICKELST, SO IST DAS FÜR MICH AUCH EINE ART DES ‚WORLDING‘.“

Ihr verwendet auch die Begriffe „Worlding“ und „Operative Oecology“ von der kanadischen Philosophin Erin Manning. Was kann man sich unter der Aktivität „Worlding“ vorstellen?

Alex Franz Zehetbauer: Für uns ist das eine Art der physischen Annäherung an die Materialien, die wir verwenden, um etwas zu kreieren; um das Subjekt vom Objekt oder Körper zu trennen, der damit interagiert. Durch die Interaktion, die Beziehung der Körper zueinander, wird etwas Drittes erzeugt. Es entsteht eine Entität aus vormals separierten Dingen. Wir arbeiten zum Beispiel mit sehr vielen Schläuchen, und diese haben auf gewisse Art und Weise ihr Eigenleben. Durch das „Being with“ und das „Being together“ mit den Objekten entstehen interessante Komplikationen, Verwicklungen, Einschränkungen. Die Objekte können auch Erweiterungen des Körpers werden, diesen aber dann auch wieder konsumieren und verzehren. Verschiedenste Assoziationen können auftauchen und wieder verschwinden. Es kommt zu ständigen Umschichtungen, Verlagerungen, Verschiebungen, Verwerfungen: Das Dickicht an Schläuchen, durch das du dich durchgewunden hast, kann sich im nächsten Moment in einen Ozean verwandeln, in dem du schwimmst.

Christian Schröder: Ich weiß eigentlich nicht genau, was dieses „Worlding“ als konzeptionelle Idee bedeutet, sondern sehe es eher wie eine relationale Technik, die wir verwenden. Diese Technik kann man auch auf das Spielen eines Instruments umlegen. Wenn du eine starke Beziehung zu deinem Instrument entwickelst, so ist das für mich auch eine Art des „Worlding“.

Alex, du hast die Assoziation des Ozeans erwähnt. In vielen deiner Stücke ist eine starke Affinität zu Wasser oder aquatischen Umgebungen bemerkbar.

Alex Franz Zehetbauer: Ja, ich fühle mich mit Wasser sehr verbunden. Ein Grund dafür ist, dass dich dieses Element oder dieser Raum anders trägt. In diesen aquatischen Räumen gelten andere Regeln. Wir sind daran gewöhnt, uns in Luftumgebungen zu bewegen. Aber das Bewegen im Wasser unterscheidet sich davon. Das Wasser hat mehr Wirkkraft auf dich, es kann dich halten, und du kannst dich vom Wasser tragen lassen. Du sinkst darin langsam ab; wenn du abtauchst, umströmt dich das Wasser streichelnd. Ich mag diese aktive Energie dieses „haltenden Wassers“. Meine Mutter hat eine aquatische Bodywork-Technik namens „Watsu“ praktiziert. Als ich noch ein Kind war, hat sie diese Massage-Sessions auch mir gegeben.

Mittlerweile habe ich diese Technik, auch „Aquahara“ genannt, selber erlernt. Ich teile sie sehr gerne mit anderen Menschen. Obwohl du den anderen Körper im Wasser hältst, ist es so, als ob das Wasser die Masseuse ist. Der massierende Körper löst sich quasi im Wasserkörper auf, er wird zum Ausführenden der massierenden Wasserkräfte. Der massierte, bewegte Körper wird auch unter Wasser geführt – dafür trägt man eine Nasenklammer – und dein Atem kann sich so noch besser auf diese Massage einstellen. Dein Geist kann durch diese Tiefenentspannung tausende, weit entfernte Orte bereisen, und gerade weil du die Augen geschlossen hast, kann das zu einer Art psychedelischem Trip führen.

Brunnentoll
Brunnentroll by Alex Franz Zehetbauer

Ich kannte diese Art der Wassermassage bisher nicht. Das erinnert mich aber an eine neue wissenschaftliche Theorie bezüglich Fuß- und Handflächen, die im Wasser zu schrumpeln beginnen. Eine Vermutung ist, dass das evolutionär entstand, weil der Mensch durch die schrumpelige Oberfläche besser nasse Sachen greifen konnte und einen besseren Halt im Wasser hatte …

Alex Franz Zehetbauer: Das wiederum erinnert mich an diese wunderbare „Aquatic Ape Theory“ aus den 1950er-Jahren bezüglich der menschlichen Evolution. Diese Hypothese besagt: Wir waren ursprünglich stark behaarte Affen. Als diese Affen an Küsten lebten und sehr viel Zeit im Wasser verbrachten, verloren sie die Körperbehaarung. Außer die Haare am Kopf, weil sich daran die Babys gut festhalten konnten. Der Körper dieser Affen wurde durch das Leben im und am Wasser außerdem aerodynamischer und auch die Stimme hat sich stärker entwickelt. Aufgrund der Wellengänge konnte man sich nicht so gut nur auf die Sicht verlassen, dadurch wurde der Einsatz und die Entwicklung der Stimme stärker entwickelt.

Christian Schröder: Ist diese Performancefigur des Brunnentrolls nicht auch so ein Zwischenwesen, ein Wasser- aber auch ein Oberflächenwesen?

Du interessierst dich auch sehr stark für die Lebensweise von Walen. Was hat dich an diesen Meeressäugetieren so fasziniert?

Alex Franz Zehetbauer: Es gibt viele Dinge an ihnen, die unglaublich sind. Zum Beispiel ist ihr limbisches System im Hirn – dort werden Gefühle und Erinnerungen verarbeitet – dreimal so groß wie das des Menschen, und um vieles komplexer. Diese intensive Erfahrung von Emotionalität und diese unglaublichen Erinnerungsfähigkeiten sind für den Menschen nur schwer ergründbar. Ich stelle mir Wesen vor, die eine enorme Empathiefähigkeit besitzen. Versuchen wir einmal, diese Fähigkeit auf den Klimawandel zu übertragen: Wir Menschen sind zwar fähig, das alles logisch zu erfassen und zu verstehen. Aber mit dem limbischen System eines Wales könnten wir wirklich fühlen, was diese planetaren Veränderungen bedeuten.

Und eine weitere Eigenschaft von Walen ist sehr einzigartig. Sie können mit ihren Sonar-Wellen durch die Haut von anderen Tieren „durchsehen“, und haben so Zugang zum Innenleben, und auch eine Einsicht in den Gesundheitszustand von anderen Wal-Tieren, sowohl psychisch als auch physiologisch. Dieses Wissen scheint eine sehr empathische Beziehung zu fördern. Auch die Distanzen, über die Walstimmen übertragen werden können, sind erstaunlich. Die Reichweite einer Buckelwal-Stimme beträgt fast die Hälfte des gesamten Erdumfangs.

Wenn man sich die starke Sensitivität dieser Meeressäugetiere vor Augen führt, dann erscheint einem die Lärmverschmutzung der Meere noch dramatischer …

Christian Schröder: Zum Thema Sonic Pollution habe ich einen schrecklichen Artikel gelesen: Die Innenohren der Wale werden durch Schiffgeräusche und die Bewegungen der Schiffsschrauben zerstört.

Alex Franz Zehetbauer: Das führt zu diesem traurigen Phänomen des „Whale Beaching“.

Christian Schröder: Unter Wasser sind die physikalischen Verhältnisse ganz anders als in der Luft: Die Akustik, die Geschwindigkeiten, die Druckverhältnisse. Auch der Mensch hört ja unter Wasser nicht mit dem Trommelfell der Ohren, sondern mit dem Knochen unter dem Ohr. Wenn du zu einem Unterwasserkonzert gehst und die Ohren verschließt, hörst du alles genau so gut wie mit offenen Ohren.

Alex Franz Zehetbauer: Und so hören auch Wale – über die Knochen.

Die physikalischen Verhältnisse unter Wasser verändern sich natürlich auch, je tiefer man im Meer hinuntertaucht. Ein Phänomen in der Tiefsee unter anderem: Viele Prozesse laufen für unsere Begriffe unglaublich langsam ab. Tiefseewesen können auch sehr alt werden. War die Tiefsee auch ein Interessensgebiet von dir?

Alex Franz Zehetbauer: Ich war immer fasziniert von diesen durchsichtigen, farbintensiven Lebewesen. Aber ein spezielleres Interesse an Deep Sea, an der Tiefsee, oder dieser Mythologie des tiefsten Grabens im Meer, dem Marianengraben, hatte ich bis jetzt noch nicht.

Mir fällt da auch noch eine andere Evolutionstheorie ein. Dieses Konzept des „Hyper Sea“. Lebensformen, die an Land gingen, mussten den Ozean in sich einschließen. Das scheint auch der Grund zu sein, warum Körper an Land zu so einem hohen Prozentsatz aus Wasser bestehen. Wir „falten“ den Ozean in uns ein und tragen ihn nun in uns, mit uns herum. Der Terminus „Hyper Sea“ bezieht sich auf die gesamte Summe des Ozeans, der sich an Land und in unterschiedlichen Lebewesen befindet. Wir alle sind ein Teil dieses gigantischen „Hyper Sea“ Kreislaufs, weil dieses Wasser auch zwischen den einzelnen Lebewesen zirkuliert. Nicht nur der Planet, sondern auch unsere Körper sind Teil davon: durch das Schwitzen, durch unseren Metabolismus, durch das Berühren von anderen Stoffen. Dieses Wasser tritt ständig in uns ein und verlässt uns auch wieder. Wir bestehen ja aus rund 70 Prozent Wasser, auf der molekularen Ebene ist der Prozentsatz noch etwas höher.

Whalesong. Unter Wasser
Whalesong by Alex Franz Zehetbauer

Kommen wir nun zu dem ersten Stück, dass ihr gemeinsam entwickelt habt. „AyH“ beschäftigte sich mit der Mystikerin und Malerin Hilma af Klint.

Christian Schröder: Der Name „AyH“ ist ein Verb, dass in ihrer Geheimsprache so viel wie „finden“ bedeutet.

Alex Franz Zehetbauer: Das Stück begann mit einem Interesse an Spiralen. Ich habe mir eine Ausstellung von Hilma af Klint in Wien angesehen und diese Lebenskraft und Energie der Spiralen entdeckt. Und auch mehr über ihr Leben und ihre Art, wie sie ihre Gemälde erschafft, erfahren. Mit einer Gruppe von Frauen, sie nannten sich „The Five“, hat sie als Medium Botschaften durch Séancen erhalten und auch diese spezielle Sprache entwickelt. Sie hat diese Erfahrungen auch sehr gewissenhaft dokumentiert, und dann später auch in ihren Bildern inkludiert. Diese Wörter sehen wie Abkürzungen aus, sind aber ganze Wörter oder Verben oder auch ganze, bedeutungsvolle Sätze. Ich mochte dieses Kompositionselement, und wollte das auch nutzen, als wir mit experimentellen Instrumenten an unserer Performance zu arbeiten begannen.

Christian Schröder: Wir haben ja eigentlich sehr „klassisch“ zu proben begonnen. Ich habe Kontrabass gespielt, Alex hat dazu gesungen.

Alex Franz Zehetbauer: … und bin dann auch wie in einem Loop ständig spiralförmig im Raum herumgewandert.

Christian Schröder: Schließlich sind wir dann performance-technisch ganz wo anders gelandet. Es gab dann am Ende immer noch diese Verbindung zu Hilma af Klint. Denn man muss auch diese spezielle Zeit betrachten, während der Hilma af Klint gelebt hat: Die Telegrafie und das Morsen wurden gerade erfunden; Grammofone und das Radio entstanden. Und die Vorstellung, dass man sich mit weit entfernten Menschen in Amerika über dieses Kommunikationsmittel unterhalten konnte, hat auch dazu geführt, dass manche Menschen dachten: „Vielleicht kann man ja auch mit den Toten kommunizieren?“ Aber wir tauchten in „AyH“ nicht so sehr in dieses spirituelle Reich ein …

Alex Franz Zehetbauer: … aber für mich hat es schon auch diese spirituelle Komponente. Ich habe mich als Medium empfunden. Jede meiner Aktionen hat weniger mit der visuellen Kunst von Hilma af Klint zu tun, sondern mehr mit ihrer Séancen-Praktik. Unser Setup könnte als Vergeistigung der Musik verstanden werden. Wir haben in der Sonic Choreography „AyH“ sozusagen verschiedene „Ouija-Boards“ kreiert, um gemeinsam mit den Gegenständen ihren Botschaften zu lauschen. Die Natur eines Mediums ist ja das spiralförmige Zuhören und Reagieren, Zuhören und Reagieren, usw. …

Der große Unterschied zwischen der Sonic Choreography „AyH“ und unserem neuen Stück „Hearing the Wild Heart“ ist nicht so sehr, wie die Körper Sound produzieren, sondern auch, wie Sound räumlich choreografiert wird. Diese Überlegung ist in der neuen Arbeit sehr präsent. Natürlich hat auch schon das Spielen eines Cellos oder eines Kontrabasses durch die Körperbewegungen etwas Choreografisches. Aber wir wollen einen noch stärkeren Fokus darauf legen und diese Bewegungen dadurch noch mehr verdeutlichen, indem wir mit und auf „untypischen“ Instrumenten spielen, es sollte als ganzräumliche Erfahrung sichtbar und erlebbar werden. Es gibt auch Momente in der neuen Show, wo wir sozusagen in das Instrument hineingehen und damit von innen spielen.

„DU MACHST JA AUCH YOGA MIT DEM KONTRABASS.“

Warum habt ihr klassische Instrumente wie den Kontrabass oder das Cello für die Proben ausgewählt, die ihr nun in Kombination mit all den anderen Materialen verwendet?

Christian Schröder: Das ist mein Kontrabass. Ich habe schon öfter, auch immer wieder für meine Installationen, mit Kontrabass gearbeitet.

Alex Franz Zehetbauer: Als ich sah, wie Christian mit dem Kontrabass arbeitet, war das für mich schon eine Beziehung, die sehr einer Sonic Choreography entsprach. Der Produktion des Sounds wurde gleich viel Bedeutung beigemessen wie dem physischen Element des Instrumentenspiels. Ich habe Christian dann eingeladen, mit mir gemeinsam eine Performance zu erarbeiten.

Christian Schröder: Ein Kontrabass ist ein sehr prominentes Element in einem Raum: „It is definitely there.“

Alex Franz Zehetbauer: Deshalb sollte er ein guter Freund werden. Und du machst ja auch Yoga mit dem Kontrabass …

Christian Schröder: Genau. Und er ist auch ein Körper, den man ständig heben und tragen muss. Vielleicht ist es wichtiger, zuerst am Tragen des Instruments zu arbeiten – und dann erst am Spiel. Denn man muss ihn dann ja später ständig herumtragen. Ein Kontrabass-Spieler, mit dem ich einmal zusammengearbeitet habe, hat mir erzählt, dass er schon im Alter von fünf Jahren mit dem Kontrabass-Spielen bei einem Lehrer begonnen hat. Dafür musste er anfangs auf einem Stuhl stehen, und das erste Jahr haben sie überhaupt nur den Kontrabass gezeichnet. Aber so durchdringt man Dinge und kann sich ihnen nähern.

Alex Franz Zehetbauer: Wir haben für das neue Stück auch mit Cellos experimentiert, aber wir haben sie dann wieder von der Bühne verbannt. Unterwasser-Mikrofone, also Hydrophone, werden in einer sehr reduzierten Art und Weise als Lautsprecher präsent sein. Auch der Tanzboden wird sich in ein Instrument verwandeln.

Christian Schröder: Und auch der gesamte, sichtbare wie unsichtbare Theaterraum.

Alex Franz Zehetbauer: Und diese vielen Schläuche, die wir verwenden, sehe ich als die Eingeweide des Theaters. Etwas, das in diesem Wasteland des Theaterraumes zurückgelassen wurde.

Christian Schröder: Für mich sind Schläuche auch „trockene Reminiszenzen“ an Wasser. Denn ursprünglich haben sie einmal Wasser transportiert.

Alex Franz Zehetbauer: Wir versuchen nun, eine „wässrige Umgebung“ mit dieser Masse an Material zu kreieren. Im ursprünglichen Konzept wollten wir das Instrument Theremin sehr stark miteinbeziehen – für den gesamten Luftraum, sozusagen.

Christian Schröder: Leon Theremin hatte ja auch in den 1920er-Jahren ein eigenes Tanztheremin entwickelt. Die Tänzerin konnte durch ihre Bewegungen Sounds erzeugen. Massive Theremins wurden auch zur Überwachung, zur Grundstücksgrenzkontrolle eingesetzt. Aber das hat nicht so gut funktioniert.

Alex Franz Zehetbauer: Es hat für uns auch nicht so gut funktioniert. [lacht]

Christian Schröder: Die Geräte, die wir verwendet haben, waren aus den 1970er-Jahren, also sehr speziell, aber irgendwie technisch auch nicht so praktikabel. Jetzt haben wir eine sehr moderne Art der Theremin-Idee im Einsatz. Denn, was macht ein Theremin eigentlich: Es übersetzt Bewegung in Sound. Wir machen das gleiche, aber nicht mit einem Theremin, sondern mit Sensoren.

Alex Franz Zehetbauer: Wir arbeiten mit einer Smartphone-App, die Signale über die Rotation, die Geschwindigkeit, die Beschleunigung des Gerätes an Christians Computer sendet. Christian hat ein Programm entwickelt, das diese Information in Sound transferiert. Das Smartphone wird nicht sichtbar sein, es verschwindet in Schläuchen, Taschen oder unter Böden.

In dem Stück „Hearing the Wild Heart“ geht es ja auch stark um dieses Miteinander von belebten und unbelebten, von natürlichen und unnatürlichen Materialien. Welche Erkenntnisse habt ihr aus dieser Auseinandersetzung gewonnen?

Christian Schröder: Für mich ist die Vorstellung „unnatürlich“ schon irgendwie komisch. Diese Schläuche sind zwar aus Plastik und Gummi, aber wenn man sich an sie schmiegt, oder daraus ein Instrument bastelt, dann …

Alex Franz Zehetbauer: Es geht ja auch darum, diese Räume zwischen dem Binären zu erkunden, und diese zu vermischen – „to muddy the binary itself“. Es geht nicht darum, herumzusitzen und nachzudenken: „Was ist natürlich und was ist nicht natürlich?“ Oder: „Sollten wir natürlicher oder unnatürlicher werden?“ Vielmehr stellt sich mir die Frage: „Was kennzeichnet diesen seltsamen Raum zwischen all diesen Dingen?“ Sie sind hier, sie werden nicht verschwinden. Dieses ganze Plastik wird nicht so schnell verschwinden. Ist es überhaupt noch unnatürlich – es ist ja schon ein so großer Teil unserer Ökologie, unserer Lebenswelt?

Diese Performance „Hearing the Wild Heart“ ist also so eine Art Übungsanleitung, wie ein sinnliches Zusammenleben aussehen könnte?

Alex Franz Zehetbauer: Ja, es ist eine spielerische und empathische Annäherung an Dinge, die ich nicht verstehe. Das ist generell meine „cetaceane Herangehensweise“, ein Walverhalten. Es ist meine Lieblingsart, wie ich mich unbelebten Dingen im Raum annähere. Ich stelle mir vor, ich bin ein Wal und kann in die Dinge und ihr Innenleben hineinsehen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Michael Franz Woels

Termine:
05. bis 08. Mai 2022, 20:00 Uhr: „Hearing the Wild Heart“,
brut nordwest, Nordwestbahnstraße 8–10, 1200 Wien

Freitag, 05. und Samstag, 06. August 2022: „Brunnentroll“
La Strada, Innenstadt Graz

Links:
Alex Franz Zehetbauer
Christian Schröder