Das aktuelle Album der in Anatolien geborenen Sängerin Özlem Bulut samt Combo bringt wortgewandte Liebesbotschaften und Politisches in (türkischem) Schmäh verpackt. Ein Feuerwerk der Sinnlichkeit wird musikalisch entfacht, das bis zum letzten Ton in Bann zieht, berührt und zum Tanzen verführt.
Ein weißes Brautkleid trägt sie und hält einen „Tschik“ in der Hand. So positioniert sich die kurdische, studierte Opernsängerin, die ihre Heimat in Wien gefunden hat, selbstbewusst auf dem Cover ihrer zweiten CD: Oriental trifft Jazz, Folklore „meets“ Elektronik. Mit geschickten Händchen werden die Eigenkompositionen kreativ arrangiert und lustvoll von der Formation gespielt. Gemeinsam mit dem Wiener Komponisten Marco Annau entstand eine ansprechende Mischung aus türkischer (Volks-)Musik und Pop.
Manche Songs klingen in voller Besetzung mit kraftvollem, arabischen Sound durch Darbuka (arabische Trommel), Saz und Oud (Lauten) und Streichern, andere orientieren sich mehr am Pop, aber nie banal und immer von einem Hauch Melismen umgeben. Dem Arrangeur Annau war es wichtig, der Sängerin reichlich „Platz“ zu lassen damit ihre Stimme zur Geltung kommt und man die Texte versteht. Wer kein Türkisch kann, für den gibt es Übersetzungen ins Deutsche und Englische (Booklet), die auch blank wie Gedichte lesbar sind.
Das Ethnojazz-Ensemble in seiner momentanen Besetzung komplettiert sich mit Andrej Prozotorov (Sopransax), Jörg Mikula (Schlagzeug), Habib Samandi (Percussion), Joan Carlos Sungurlian Barsumian (Oud), Martin Berauer (Bass), an den Violinen Julia Pchler, Julia Ciesielska, Plamena Ivanova, Wie-Ya Lin an der Viola und Raimund Seidl am Cello. Zu Gast ist Werner Laher (Bass). Man spürt die Motivation dieser Profis und die Hingabe an diese leidenschaftliche Musik. Die Stilmischung ist technisch sehr anspruchsvoll. Das lassen sich die MusikerInnen aber nicht anerkennen.
„Özlem“ bedeutet Sehnsucht
„Nomen est“ Programm. Auftakt bildet das Lied „Ask bitmez“ (Liebe endet nicht). Es versetzt sofort in ein „1000 und eine Nacht“- Gefühl, geht aber gleich zur Sache: Hinterfragt werden traditionelle Bewertungen und Interpretationen. Beantwortet wird aus betroffener Sicht: „Wem soll ich zugezwinkert haben?“ Frau, die ihre Haare offen trägt und elegant mit den Hüften schwingt, klärt auf. Sehnsucht findet sich in Zeilen wie „Nur ich, der Zug und du in mir“. Lebenssituationen werden taktvoll aber unbeschönigt transportiert. Bspw. Existenz ohne Legalität ( „ID“), Abschied, Zwangsheirat … sowie erotische Intimität im Titel „Sürme“ (dt. Lidstrich).
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Ein Freund, der mehr sein möge („Was uns fehlt ist ein Zimmer“) und ein keckes Lied über eine schwarze Katze lässt Kino im Kopf entstehen. Generell erhält man einen erstaunlichen Blick in eine Kultur, die sich uns viel ähnlicher erweist, als manch schneller subjektiver Eindruck. Die Gefühle der Menschen sind überall ähnlich. Und wenn z. B. von einer Zehnjährigen („Fatma“), die heiraten muss, erzählt wird, schockiert das nicht einmal. „Irgendwie“ wissen wir „es“. Die KünstlerInnen schaffen, dass man nicht in trauriges Ohnmächtigkeitsgefühl sinkt, sondern sich erinnert, dass genügend verändert werden muss, wenn man sich Mitgefühl und Solidarität auf die Brust heftet.
Sinn und Sinnlichkeit
Hochpoetische Dichtkunst, die auch ohne Übersetzung wirkt, schmeichelt Ohr und Emotionszentrum und was könnte diesen beeindruckenden Reigen musikalischer Vielfalt besser abrunden, als ein zartes Schlaflied, das des Abends durch Stimme und Klavier in Schlichtheit leuchtet? Was das Cover verspricht, hält die Musik: Hohe Qualität und wesentliche Botschaften. Ein starkes Stück, das man durchgehend im Player laufen lassen kann, trägt und fasziniert. Liebe war noch nie so unkitschig.
Alexandra Leitner
Foto Özlem Bulut: Marco Mestrovic