Dass Hannes Sprenger (Saxophon) und Siggi Haider (Akkordeon) heute gemeinsam auftreten, ist dem Zufall oder – wenn man so will – der Vorsehung zu verdanken: Ein geplantes Quartett kam nicht zustande, also mussten die beiden zu zweit auf die Bühne. Seitdem sind sie Akkosax. Bei der Expo in Shanghai werden sie zum Trio erweitert auftreten. Ein Porträt von Markus Deisenberger.
Ein Saxophonist, der seine Wurzeln in der Rockmusik hat, ist eher selten. Noch seltener aber ist einer, der das auch noch zugibt und sich damit selbst von der Jazz-Historie, die zu diesem Instrument zu gehören scheint wie das Amen zum Gebet, abschneidet. Hannes Sprenger von Akkosax erzählt uns, er habe schon als Teenager angefangen Rock zu spielen und diese Richtung dann auch bis in die späten Zwanziger weiter verfolgt. Zuerst Schlagzeug und Gesang, erst viel später sei das Saxophon dazu gekommen. „Es war die Zeit der großen Rock-Bands mit symphonischen Anklängen“, erzählt er. Er selbst war eigentlich Schlagzeuger. In der Band allerdings, in der er anheuerte, gab es schon einen Schlagzeuger und der wiederum wollte nicht, dass man mit zwei Drummern spielt. So habe er halt zu singen begonnen. Aufgrund der Langatmigkeit der Nummern sei es dann, auch wenn er selbst kompositorisch beteiligt war, schon vorgekommen, dass er auf der Bühne nichts zu tun hatte und einfach nur herumstand, während die anderen Spaß hatten. Als er deshalb ein Instrument suchte, mit dem er sich mit der Gitarre verständige konnte, sei er beim Saxophon fündig geworden. „Ich hab es im Vorübergehen in einem Geschäft gesehen – ein Alt – und einfach gekauft. Es ist also purer Zufall, dass ich Saxophon spiele“, so Sprenger.
Ähnlich verhielt es sich auch bei Akkordeonist Siggi Haider: Als er als Fünfzehnjähriger in der Band seines ältesten Bruders anheuerte, war dort der Schlagzeugposten längst besetzt. Auch er also wollte am liebsten Schlagzeug spielen. Auch er musste auf ein anderes Instrument ausweichen: das Klavier. Und auch dort, wo er seine ersten musikalischen Lorbeeren einheimste, spielte man Rock.
Die Form erfinden
„Auch wenn ich längst damit aufgehört habe, klassische Rockmusik zu spielen, sehe ich mich nach wie vor als Rockmusiker“, so Autodidakt Sprenger. Was man nicht unbedingt vermuten würde, hört man die aktuelle CD von Akkosax, ein exquisites Tribute-Album für Werner Pirchner, mit dem man Musikliebhaber und Kritik gleichermaßen begeisterte. Darauf nämlich wird vieles nur kein Rock geboten. Mal ist es zeitgenössische Musik, mal Jazz, immer Weltmusik im besten Sinne des Wortes, selten oder nie aber Rock. Dennoch: Die Einfachheit der Rock-Improvisation mit ihrer Begrenztheit, die zu hoher Expressivität zwingt, sei es immer noch, die ihn am meisten interessiert. „Die Ausdrucksform, in der ich aufwuchs, war einfach der Rock“, sagt er. „Der Jazz und seine Intellektualität kamen erst viel später.“
Die Improvisation spielt in der Musik, die Hannes Sprenger und Siggi Haider heute machen, freilich immer noch eine herausragende Rolle. „Aber auf eine andere Art, weil wir gemeinsam improvisieren und in der Improvisation gleichsam die Form des Stückes erfinden“, sagt Sprenger. „Die vorgegebene Form, die im Jazz eine Rolle spielt, kam bei uns erst später. Wenn wir improvisieren, kann es sein, dass wir überhaupt keine Form haben. Das heißt, wir setzen uns hin und beginnen einfach zu spielen. Die Anzahl der Takte im harmonischen Ablauf ist uns erst einmal völlig egal. Das ergibt sich irgendwie.“ Nur bei der aktuellen Pirchner-CD sei das anders gewesen. „Da haben wir uns einer für uns ungewöhnlichen formalen Strenge befleißigt.“ Platz für Improvisation blieb freilich trotzdem, auch wenn sie angesichts der kompositorischen Vorgaben Pirchners im Vergleich zu den eigenen Stücken in den Hintergrund gedrängt wurde.
Der Drehbuchautor und Dramatiker Felix Mitterer, ein enger Freund des verstorbenen Komponisten, sieht das ein wenig anders: Er findet die Interpretationen von Akkosax unter anderem deshalb so gut, „weil sie sehr frei mit seiner Musik umgehen und fast schon improvisieren, Paraphrasen spielen. Dadurch und weil die beiden den Werner gut kannten – vor allem der Siggi Haider hat ja 1982 zu „Stigma“ die Musik gespielt – ist das sehr toll geworden. Eine sehr schöne und wichtige CD.“ Die „Sonate vom rauhen Leben“ etwa werde als eine der berührendsten Kompositionen der Musikweltliteratur für immer Bestand haben, so Mitterer. In Akkosax´ Version der Sonate kann man in den leiseren Passagen der Sonate oft hören, wie der Bass des Akkordeons zu schnarchen beginnt: Kaputte Ventile des alten Akkordeons von Werner Pirchner, das sich Siggi Haider für die Aufnahmen lieh, sind dafür verantwortlich. Die Ventile wurden bewusst nicht repariert und entgegen dem Trend, im Studio alles wegzufiltern, was nur annähernd nach Nebengeräuschen klingt, wurde der Klang auch nachträglich so belassen.
Porgy & Pirchner
Den Anstoß für das Pirchner-Projekt gab der World Music Award, der den beiden Musikern 2008 im Wiener Porgy & Bess verliehen wurde. Der Preis sei nicht nur ein besonderer Ansporn gewesen, eine wichtige Bestätigung, dass das was wir damals schon fünfzehn Jahre lang machten, auch außerhalb unseres Bekanntenkreises zu einem Erfolg führt, erzählt Siggi Haider. Als man auf der Bühne stand und ankündigte, mit einem Stück von Werner Pirchner beginnen zu wollen, habe der Saal getobt. Ohne dass auch nur eine Note gespielt worden wäre. Grund genug für die beiden darüber nachzudenken, ob man dem lieben Werner nicht mit einer CD die Ehre erweisen sollte. Insofern haben wir Musikliebhaber der Preisverleihung auch sehr viel zu verdanken, denn sie war Geburtsstunde für ein wirklich außergewöhnliches Album. Und der Startschuss für eine lange und sehr aufreibende Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit. Denn vor allem für Siggi Haider war die Begegnung mit Werner Pirchner entscheidend für seinen späteren Werdegang: „Er hat mich bestärkt, weg von der Tanzmusik zu gehen und mir neue Welten zu erschließen.“ Der Gedanke nach Wien zu gehen und dort Akkordeon zu studieren, sei zwar auch vorher schon einmal im Raum gestanden, angesichts der massiven Widerstände von Seiten seiner Eltern aber, erzählt Haider, sei er auch ebenso schnell wieder verworfen worden.
Schon mit vier Jahren hatte ihm der Vater ein Akkordeon geschenkt, auf dem er sich einige Stücke in völlig falscher Technik beigebracht hatte.
Als Zehnjähriger war dann er zu einem Lehrer gekommen, der ihn dazu verdonnerte, alle fünf Finger einzusetzen. Da er nun mühsam umlernen musste, war ihm der Unterricht schnell zu „verschult“ und er brach wieder ab. Zum Beruf wurde das Akkordeon-Spiel erst viel später. Zuerst unfreiwillig, indem die Wochenend-Jobs, bei denen man auf Hochzeiten, Bällen und Parties spielte, immer mehr und immer besser bezahlt wurden. Und dann schließlich freiwillig: Dadurch dass man Werner Pirchner und mit ihm Musik kennen lernte, die so grenzenlos war, wie man es sich vorher nie vorstellen hatte können.
Gemeinsamer Nenner ohne Kompromiss
Dass zwei verhinderte Schlagzeuger heute in einem Duo spielen, das ganz ohne Schlagzeug auskommt, ist für beide so ungewöhnlich nicht. Denn erstens gebe er, erzählt Hannes Sprenger, wenn er Bariton-Sxophon spiele, manchmal mit den Klappen den Takt vor. Aber auch sonst, wenn Sprenger also gerade nicht Bariton spielt, seien, meint Haider, die Drums bei den beiden Schlagzeug-Liebhabern immer präsent. „Im Kopf.“ Ganz allgemein, ergänzt Sprenger, könne man das Schlagzeug ja auch fühlen, ohne dass man es spielt. „Wie Melodien, die nicht gespielt, sondern nur gedacht werden.“
Unabhängig voneinander sagen sie dann auch beide, sie seien in gewisser Weise sehr verschieden, hätten ganz unterschiedliche Temperamente. Gerade das aber sei das Reizvolle, da sich diese gegensätzlichen Temperamente beim Musizieren aufs Beste ergänzen würden. Was damit gemeint ist, wird klar, wenn Akkosax erzählen, wie die Musik, die sie etwa zu einem Theaterstück komponieren, zustande kommt. Zunächst schaue man sich einfach nur intensiv an, was auf der Bühne passiert. Dann mache sich jeder unabhängig vom jeweils anderen seine Notizen. Und erst in einem dritten Schritt versuche man sich gemeinsam in die Szenen hineinzuspielen. „Wir probieren immer, improvisatorisch an die Sache ranzugehen, Gemeinsamkeiten zu verschmelzen, und bei verschiedenen Ansätzen schauen wir, was besser passt, ergänzen, verwerfen. Versuchen einen gemeinsamen Nenner ohne faule Kompromisse zu finden“, so Haider.
„In gewisser Weise sind wir uns daher auch wieder sehr ähnlich. Dadurch nämlich, dass wir beide darauf aus sind, den spannenden und ungewissen Weg zu gehen“, verdeutlicht Sprenger. Oft sei es dann so, dass das Ergebnis so nie zustande gekommen wäre, hätte sich einer alleine mit dem Thema beschäftigt.
Sensibilität und Spontanität
Obwohl sich die beiden untereinander eigentlich kaum über Literatur unterhalten, werden seit jeher außergewöhnlich viele Projekte aus der Literatur-Szene an sie herangetragen. „In der Regel waren das interessante Sachen, die sich ohne unser Zutun ereigneten. Und wir haben uns jedes Mal mit Freude darauf eingelassen“ so Haider.
Die Beliebtheit der beiden in der Literaturszene liegt wohl zum einen an einer bestimmen Grundsensibilität, die sie mitbringen. Viel entscheidender dürfte aber die Spontanität des Duos sein. Oft habe man bei einer Lesung kaum Zeit, sich vorzubereiten, erzählt Sprenger, und so gehe es letztlich darum, schnell etwas Tragendes auf die Füße zu stellen. „Dass wir quasi aus dem Nichts improvisieren können, ist da sehr von Vorteil.“ Da passiere es dann auch oft, dass man mit dem lesenden Literaten interagiert. So entsteht ein spontanes Trio. Das ist natürlich etwas ganz anderes, als wenn bloß in starrer Abfolge gelesen und gespielt würde. Diese Möglichkeit, mit uns zu interagieren, finden die meisten toll.“
Auch bei der Expo in Shanghai wird man zum Trio erweitert auftreten. Der Dritte im Bunde ist dieses Mal allerdings kein Literat, sondern Siggi Haiders Tochter, die derzeit Musik und Tanzpädagogik in Salzburg studiert und das väterliche Duo schon des Öfteren mit Stimme, Geige und Saxophon verstärkte. Insgesamt werden die dortigen Auftritte in eine etwas andere Richtung gehen, als man es vom Duett vielleicht gewöhnt ist. „Einfach weil wir zu dritt nicht so viel improvisieren können wie sonst“, weiß Sprenger. „Deshalb müssen wir und ein wenig strikter organisieren.“
Volksmusik, die lokal geprägt und für eine lokale Szene gemacht wäre, machen Akkosax zwar nicht und als speziell österreichisch wird die Musik auch nicht wahrgenommen, da gehen die hergestellten Bezüge doch zu weit darüber hinaus. Dennoch spielt man oft auch am Land – zuletzt etwa bei den Rauriser Literaturtagen – und das Akkordeon und sein Klang sind doch sehr stark in der Volksmusik verwurzelt. Wie wir man da wahrgenommen? „ Mit Interesse und Verwunderung als eine nicht ganz eindeutig definierbare Mischung aus allem Möglichen“, sagen Akkosax. Die beiden Instrumente inszenieren auf der Bühne ein Verwirrspiel, das nicht kalkuliert und gerade deshalb so wirkungsvoll ist. Mit anderen Worten: Akkosax machen einfach ihr Ding. Auf der Expo mit Texten von Grünmandl und Valentin, drei Stimmen und zwei Saxophonen.