„Analog hat einen anderen Sound, eine andere Greifbarkeit.” – DAVID PIRIBAUER im mica-Interview

DAVID PIRIBAUER ist eine schillernde Figur der österreichischen Musiklandschaft. Er betreibt das MUSHROOM STUDIO in Pinkafeld, das allen ein Begriff ist, die auf gute, handgemachte Pop- und Rockmusik stehen. Und er blickt auf eine langjährige Erfahrung als Studiomusiker in den USA zurück. Er war nicht nur Session-Drummer für Christine Mc Vie (Fleetwood Mac) und Solange Knowles, er hat auch in der Band von Alice Cooper gespielt.

Als ich ihn via Zoom erreiche, geht es gerade hoch her, weil sein Studio für einen Künstler adaptiert wird, dessen Album er die nächsten Tage aufnehmen wird. Sample-Pads und Gitarrenverstärker, wohin man blickt, und Matthias Simoner, Gitarrist u.a. bei Christina Stürmer, rennt durchs Bild. Trotzdem nimmt er sich Zeit für ein ausführliches Gespräch über seine Zeit als Profimusiker in L.A., den kalifornischen Way of Life, und weshalb Studioarbeit für ihn gleichbedeutend mit der Arbeit am Kern der Musik ist.

Die Sängerin Verena Wagner meinte einmal in einem Interview, du hättest ihrem Sound den internationalen Touch verliehen, den sie suchte. Das von jemandem, der Kärntner Dialektrock spielt, und über einen Producer, der im burgenländischen Pinkafeld sitzt, klingt erst mal im doppelten Sinne widersprüchlich, aber eigentlich auch nicht, oder?

David Piribauer: Eigentlich auch nicht, genau. Es gibt zu diesem Ort nämlich einen mehrfachen internationalen Bezug. Eigentlich ist das Tonstudio, das hier 1993 als Gebäude und als Infrastruktur gebaut wurde, von kalifornischen Studio-Designern entworfen worden und hat einen Amerikaner beinhaltet, der Teil der Gründungsgarde war, dann aber wieder in die USA zurückging. Eine Art L.A.-Studio in Pinkafeld also.

Was gut passt. Immerhin warst du ja selbst lang in Los Angeles.

David Piribauer: Ja, ich habe fast dreizehn Jahre in Kalifornien gelebt bzw. bin nach wie vor in den Staaten aktiv.

Wie kam es dazu, dass du in die Staaten gingst?

David Piribauer: Ich bin 1981 im südlichen Niederösterreich geboren und habe dort die Musikhauptschule besucht. Es gibt in meiner Familie zwar keine Profi-Musiker, aber im Dorf gab es einen Gesangsverein und die gesamte Familie war musikalisch vorbelastet. Ich habe relativ früh gewusst, dass ich Musiker werden möchte, dass ich in diese Richtung gehen möchte, habe dann die Krankenpflegeschule gemacht, aber immer mit der Absicht gespielt, zwar eine reguläre Ausbildung zu absolvieren, mich dann aber in der Kunst zu versuchen.

In der Jugend habe ich in vielen Bands gespielt und auch schon zuhause ein Studio gehabt, habe mich an möglichst vielerlei Ecken und End herumgetan, und dann durch einen Bekannten vom “Musicians Institute” in Los Angeles gehört. Am Konservatorium hier hatte ich nur die Möglichkeit, Jazz-Drums zu studieren oder Musikschullehrer zu werden, d.h. in den pädagogischen Bereich zu gehen, und das ist jetzt überhaupt nicht als Abwertung gemeint.  Aber das wollte ich nicht. Dieses Institut wirkte auf mich sehr ansprechend. Wenn ich dorthin gehe, kann ich viel lernen und mein Schlagzeugspiel verfeinern, dachte ich. Und dann komme ich nach einem Jahr wieder zurück – so der ursprüngliche Plan.

Wie so oft kommt es dann aber anders, als man es sich vorgestellt hat. Die Schule war zwar irgendwie cool, aber ich war nicht so richtig begeistert. Allerdings habe ich relativ bald durch die Schule viele andere Profimusiker und Leute kennengelernt, die mich, vereinfacht gesagt, an einen Agenten weiterempfohlen haben – einen Menschen, der schon seit Jahrzehnten in der Szene dort tätig ist, bei verschiedenen Plattenfirmen gearbeitet hatte, ein netter Kerl, der alle kennt. Dieser Agent organisierte damals eine Audition für eine Band namens Revis, eine US-amerikanische Rockband, in der ich heute nach wie vor bin. Wir waren damals bei Epic Records unter Vertrag und haben 2003 unser Debutalbum veröffentlicht. Das war mein Start in der amerikanischen Musikszene.

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Das heißt, du bist ungeplant in eine Musikerkarriere geschlittert?

David Piribauer: Ich hatte nicht vor, mich in Kalifornien niederzulassen und dort als Profimusiker zu arbeiten, nein, aber nachdem sich Möglichkeiten ergeben haben, habe ich sie ergriffen und bin dortgeblieben. Aus dem einen geplanten Jahr wurden so fast dreizehn. Anfänglich habe ich bei Revis gespielt, dann auch bei einer Band namens She Wants Revenge, die auf Geffen veröffentlicht haben. Das war eher Indie-Goth, etwas völlig anderes als Revis also. She Wants Revenge haben damals multi-platin geholt. Daneben habe bei den verschiedensten Sängern als Session Drummer gespielt, z.B. mit Christine McVie (Fleetwood Mac) und dann in weiterer Folge mit Solange Knowles, der Schwester von Beyoncé. Mit der habe ich jahrelang gespielt und gearbeitet.

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Das klingt doch sehr gut. Wieso bist du nicht geblieben?

David Piribauer: Naja, nach ungefähr zwölf Jahren kam der Punkt, an dem ich mir nicht mehr sicher war, ob ich mein ganzes Leben lang in den USA verbringen will. Die Lebensqualität in Kalifornien ist zwar gut, aber enorm teuer…

… und es gibt kein soziales Auffangnetz

David Piribauer: Das auch, ja, und es macht wirklich nur Spaß, wenn man viel Geld hat, das nur dann kommt, wenn man entsprechend gute Gigs hat. Das ist mir für den ganzen Zeitraum, in dem ich dort war, zwar gelungen, nur irgendwann kommst du an den Punkt, wo du vielleicht ein Haus kaufen, dir etwas im Leben aufbauen möchtest. Da stellt sich dann die Frage, ob man in den amerikanischen Lifestyle einsteigen möchte. Dann bist du ortsgebunden und in dem finanziellen Hamsterrad gefangen. Wenn du das Rad vorausdrehst, sieht es sehr oft so aus:

Leute, die sich in einem Ballungszentrum über ein Leben lang eine Existenz aufgebaut haben, verkaufen ihr Haus, wenn sie in Pension gehen, für 1,5 Mio, ziehen nach Washington State, kaufen dort ein Haus, das genauso groß und schöner ist für 250.000 und leben dann vom Rest des Geldes. So machen das viele. Aber wollte ich das? Mit berühmten Leuten zu spielen ist super und das, was jeder Musiker machen möchte, um seiner Arbeit den nötigen Wirkungsgrad zu geben. Aber wenn ich in dem Rad bleibe, bin ich lange in diesem Rad, und ich war mir einfach nicht mehr sicher, ob es das war, was ich wirklich wollte. Meine amerikanische Exfrau hat dann ziemlich darauf gedrängt, dass wir nach Österreich gehen, weil sie Halbdeutsche ist. Und es kamen dann persönliche Umstände dazu – mein Vater starb früh – die mich beeinflussten. Mir persönlich hat mein Leben in den USA zu wenig Selbstbestimmung gehabt. Deshalb habe ich mich vom Touring verabschiedet und mich mehr auf ein anderes Gebiet fokussiert, das Recording. Musik verewigen, indem man sie aufnimmt.

Ich habe angefangen, mein Haus als Studio zu nutzen – bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich angefangen habe, dieses Studio hier wiederzubeleben. Seither bin ich hier im Studio. Verena Wagner war eine der ersten, die kam. Ich arbeite schon acht Jahre mit ihr zusammen.

Die Studioarbeit ermögliche dir, am Kern der Musik zu arbeiten, hast du einmal in einem Interview gesagt. Ist das der große Unterschied zur Arbeit als Session-Musiker?

David Piribauer: Klar. Wenn du Touring-Drummer bist, bist du mehr ein Performer als jemand, der in die Erschaffung der Musik involviert ist – was auch monetär langfristig gesehen mehr Sinn macht.

Du hast immer noch in den USA zu tun, hast du gesagt. Was genau tust du?

Bild David Piribauer
David Piribauer (c) Eva Ruiz Art

David Piribauer: Die Band Revis hat sich nie aufgelöst, und wir haben vor kurzem eine EP releast. Nach all den Jahren verfügen wir immer noch über eine sehr solide Hörerschaft. Unsere Spotify-zahlen schwanken zwischen 80.000 und 200.000 Hörern. Im Mai/Juni haben wir eine kurze Tournee gespielt und einige Angebote für Oktober/November bekommen. Jetzt gerade arbeiten wir an einem neuen Album – ein sehr schöner Zustand, weil wir wirklich Hörer:innen haben und wir das Ganze wirklich professionell und sinnstiftend umsetzen können.

Was du hier in diesem Studio produzierst, hat eine enorm große Bandbreite. Ein anderer Produzent hat mir davon erzählt, dass er Rockbands zum Freundschaftstarif produziert und das wirkliche Geld mit Werbung verdient, also ein solchermaßen zweigeteiltes Berufsleben führt. Wie ist das bei dir? Gibt es bei dir diese Zweiteilung auch oder womit machst du dein Geld?

David Piribauer: Zu 100% mit professionellem Recording bzw. Produzieren von Musik. Ich habe schon längere Zeit nebenbei auch kommerzielle Sachen gemacht wie Mixes für Werbung, aber das habe ich jetzt auch schon Jahre lang nicht mehr praktiziert. Hauptsächlich Solokünstler, Bands, Musikprojekte, was, wie der Kollege dir sicher erzählt hat, das Schwierigste ist.

Wie kommt es zu der enormen Bandbreite von Thorsteinn Einarsson über christliche amerikanische Bands bis hin zum Dialektrock einer Verena Wagner?

David Piribauer: Ich habe voriges Jahr auch Buntspecht produziert und werde heuer ihr nächstes Album produzieren, Eagle versus Shark und die Bloodsucking Zombies. Ich kann es gar nicht erklären, ich denke auch nicht so viel darüber nach, aber ich glaube, die Bandbreite kommt von der Mundpropaganda, und ich sehe mich auch nicht als genrespezifischen Musikmenschen. Mir gefallen sehr viele verschiedenen Dinge. Ich komme halt professionell vom Schlagzeug und war stilistisch immer an vielem interessiert. Ich habe auf einem Album von Alice Cooper gespielt, bis hin zu Solange Knowles, was eher Soul und R&B ist. Ich habe mit Glen Campell gespielt, der eher im Country zuhause ist. Mir gefällt qualitativ hochwertig produzierte Musik, die unter die Haut geht.

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Bist du jemand, der sich viel in den Produktionsprozess involviert oder eher weniger? Und arbeitest du lieber eher analog oder auch mit Plug-Ins?

David Piribauer: Ich sehe mich als musikalischen Geburtshelfer. Manchmal bin ich auch Elternteil. Es kommt darauf an. Bei der Verena zum Beispiel passiert viel vom Songwriting gemeinsam. Sie bringt Songideen, die teilweise weiter oder weniger weit entwickelt sind, und wir machen das dann gemeinsam fertig. Ich helfe, es in die richtige Form zu bringen. Manchmal schreibe ich auch Sachen für sie oder wir schreiben gemeinsam. Das ist bei Künstlern, wo ich auf Produktionsebene dabei bin, meistens gern gesehen und gewünscht. Ich versuche aber immer, die Leute nicht zu verfälschen, das zu nehmen, was da ist und im Charakter zu belassen. Ich versuche den Leuten in der Umsetzung ihres Vorhabens eine gute rechte Hand zu sein. Ich bin jetzt 43 Jahre alt und mache das seit mehr als dreißig Jahren.

Spielt KI bei deiner Produktionsweise eine Rolle?

David Piribauer: Für mich nicht wirklich. Wenn du in den Aufnahmeraum schaust, stehen dort ein Schlagzeug und ein Flügel. Das ist wie ein richtiges Music Recording Studio gebaut. Ich verwende schon auch viele virtuelle Instrumente, mal dies, mal das, aber in der Regel nehmen wir das meiste hier auf. Als ich das Studio übernahm, war das Mischpult schon hier. Vieles war kaputt, ich habe es reparieren lassen und eigenes Geld investiert. Ich habe viel Leidenschaft und Zeit reingesteckt, damit es so funktioniert, wie es jetzt funktioniert. Wenn man Analogtechnik in dieser Dimension verwenden will und ein Studio so führen möchte, wie ich das hier tue, und eine ortsübliche Gage dafür verlangen muss, dann muss alles funktionieren. Da darf es kein Gesuche geben und auch keine Totzeiten. Wie es heute ist, ist meiner Leidenschaft geschuldet. Gewisse Dinge, die schon hier waren, haben mich dazu gebracht, weiterhin viel mit Analog-Equipment zu arbeiten. Und ich sage nicht, dass man das zwingend so machen muss, aber meiner Meinung nach hat das schon einen anderen Sound, eine andere Greifbarkeit. Ob das jetzt besser oder schlechter ist, sei dahingestellt, es ist einfach anders. Die Arbeitsweise birgt gewisse Vorteile, aber auch Nachteile in sich. Ich habe beides, ich habe super Pro-Tools und halt auch das Analoge. Im Endeffekt sind es nur Tools. Man muss wissen, was die Stärken der verschiedenen Sachen sind und ob man es wirklich braucht.

Bild David Piribauer
David Piribauer (c) Eva Ruiz Art

Das heißt, wenn etwas releast wird, das mit KI gemacht wurde, und so echt klingt, dass kein Unterschied mehr zu einem menschlich verursachten Sound hörbar wäre, wärst du nicht generell dagegen? Verstehe ich das richtig?

David Piribauer: Angenommen ich verwende Plug-Ins, die ein File analysieren und umrechnen, dann ja. Was ich nicht mache, ist, Stimme oder ein Instrument durch KI erzeugen zu lassen. Das ist witzlos. Ich mache das Ganze ja aus einem Grund: Ich will Spaß haben an der Sache. Ich mache es nicht nur, um irgendein Resultat zu liefern. Ich habe Freude am Kreieren. Musk ist Kunst und Kunst hat mit Fähigkeiten zu tun. Wenn jemand Klavier spielt und die Luft schwingt hier im Raum oder eine Band spielt super gemeinsam und das schwingt, dann ist das unique. Vielleicht kann eine KI auch etwas Einzigartiges machen, aber das sind dann halt nicht diese Leute, die mit so viel Herzblut dabei sind. Ich bin halt mehr in der analogen Recording-Welt zuhause und nutze die Räumlichkeiten hier, um Musik zu machen. Ich bin weit weg vom KI-Ding. Man muss auch sagen, dass es verschiedene Produktionsarten gibt. Wenn eine Produktionsweise schon in der Vergangenheit hauptsächlich “in the box” war – das ist generell etwas, was ich kaum mache – dann hast du zur KI eine größere Nähe.

Wenn ich Werbung machen würde, wäre es sicher anders, dann würde ich wahrscheinlich KI einsetzen. Wenn du aber so wie ich mit Künstler:innen arbeitest, geht es ums Persönliche, d.h. nicht um die Schaffung eines Hintergrund-Tracks, sondern um die wirklich individuelle Produktion einer Künstler:in, die das geschrieben hat, das vertritt und dann auch live performt.

Würdest du sagen, dass die Zurückgezogenheit in Pinkafeld ein Vorteil ist, weil die Leute, wenn sie zum Aufnehmen kommen, vom stressigen Großstadtleben ein wenig runterkommen?

David Piribauer: Ja, das hat sicher einen gewissen Faktor. Das ganze Gebäude, das Layout und der Platz, den man hier hat, und die Möglichkeiten, die man hier vom Einzelkünstler bis zur Bigband vorfindet, kann man in kleinem Set Up gar nicht bewerkstelligen. Wenn du zuhause vierzig Signale aufnehmen willst, dann hast du eh ein Riesenstudio. Es kommen wie gesagt auch Bands wie Buntspecht, wo wir dann wochenlang am Album arbeiten. Die schätzen die Ruhe, die gebotene Qualität und die Umsetzungsmöglichkeiten.

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Wie war es, mit Alice Cooper zu spielen?

David Piribauer: Komplett leger. Ein Bekannter von mir, Danny Saber, der schon an ziemlich vielen guten Platten von Leuten wie Madonna, Ozzy Osbourne und Bridges to Babylon gearbeitet hat, hat mich angerufen. Ich sitze zuhause in meinem Studio. Das Telefon läutet. Danny ist dran und fragt: “Hey, you wanna come up and play on the Alice-record?” “Okay” hab´ ich geantwortet, bin raufgefahren und hab ein paar Songs eingespielt. Alice Cooper ist ein extrem bodenständiger, normaler und cooler Mensch.

Woran arbeitest du jetzt gerade?

David Piribauer: Jetzt gerade arbeite ich mit Verena Wagner an einem neuen Album. Ein neues Buntspecht-Album steht an. In den letzten beiden Jahren habe mit einem Sänger namens Evan Rose gearbeitet, der im Herbst ein neues Album veröffentlichen will. Im September kommen ein schweiz-amerikanisches Blues-Projekt, eine Indie-Band aus Wien und der Gitarrist Estas Tonne, der im Bereich World Music und Improvisation tätig ist. Ich sehe mich da überall zuhause. Das ist alles echt gespielte Musik – da sehe ich meine Expertise. Ich verwende auch kaum programmiertes Schlagzeug, selbst wenn es elektronisch klingen soll.

Vielen Dank für das Gespräch.

Markus Deisenberger

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Links:
Mushroom Studio
David Piribauer (Instagram)