AMOPERA – eine dystopische Ballade

Eine Produktion des Klangforum Wien in Kooperation mit der Needcompany (BE) und dem Festspielhaus Erl (Tirol) – die Meta-Oper gelangt am 5. November 2022 im Festspielhaus Erl in Tirol zur Uraufführung.

Meta-Oper 

„AMOPERA“ steht für Beziehungen, Kontraste, Ausweglosigkeiten und Ekstasen, mit denen das glühende und doch unwirtliche Gelände der Liebe durchquert wird. Das Klangforum Wien mit Dirigent Bas Wiegers erzählt gemeinsam mit der Needcompany von Jan Lauwers eine Geschichte der LIEBE in Form einer Meta-Oper. 

In einer einzigartigen Konstellation von musikalischer Zeitreise durch die letzten 100 Jahre Operngeschichte und der szenisch-performativen Arbeit der belgischen Compagnie werden wir Zeugen des neuen Formates Meta-Oper, mit dem das Klangforum Wien einen neuen Zugang zu den Opern der Moderne und Gegenwart sucht. 

Von der letzten Szene aus Lulu von Alban Berg über „Ach ich fühl´s“ von Bernhard Lang bis hin zu „A respirar ritorno“ aus Luci mie traditrici von Salvatore Sciarrino spannt sich ein Bogen über die rezente Operngeschichte. Mit der Technik der Montage, der Bearbeitung und Verdichtung werden einzelne Momente aus unterschiedlichsten Opern ineinander verschränkt und bringen diese zu einer neuen Wirkungskraft. 

Entstehung und Künstler:innen 

Die Arbeit an der Metaoper hat bereits während dem ersten Lockdown 2020 begonnen. Das Ensemble des Klangforum hat sich in über 90 Opern der letzten 100 Jahre vertieft und nach den tieferen Zusammenhängen schöpferischen Arbeitens gesucht, das über die komponierende Einzelperson hinausweist. Die Suche nach dem tieferen Sinn einer musikalischen Botschaft nicht nur mit den Augen der jeweiligen Komponist:innen, sondern nach einem Ganzen, an dem viele mit unterschiedlichen Sprachen und Haltungen gearbeitet haben, stand im Zentrum der Erkundungen. Inspiriert durch das Buch „Liebesverrat“ von Peter von Matt, der damit eine Literaturgeschichte aus dem Blickwinkel der Treulosigkeit, des Täuschens und Enttäuschens entwirft, entwickelt das Klangforum Wien mit dieser META-OPER eine Geschichte des Neuen in der Musik. 

AMOPERA ist eine intensive Begegnung zwischen dem Klangforum Wien und der belgischen Needcompany rund um Grace Ellen Barkey, Maarten Seghers und Jan Lauwers. Gemeinsam mit dem Bariton Holger Falk und der Sopranistin Sarah Maria Sun suchen die Künstler:innen zwischen Konfrontation und Symbiose nach einer menschlichen Darstellung der Unmöglichkeit und der Tragödie der Liebe zwischen zwei Menschen. Die Künstler:innen stehen dabei im Dienst der Performance und werden so selbst zum Material der Darstellung. Die Sängerin Sarah Maria Sun spielt etwa nicht mehr Lulu oder Lucretia, sondern kämpft mit der Herausforderung des schnellen Wechselspiels zwischen vielzähligen Rollen und wird so selbst zur Figur in ihrer Rolle als Sängerin. 

Bühne 

Amopera findet in der Installation MALAM / NIGHT von Grace Ellen Barkey statt, die das Publikum in die Welt der Künstlerin hineinzieht. MALAM / NIGHT ist inspiriert von ihren indonesischen Vorfahren und bringt ihre koloniale Geschichte zum Vorschein. Entsprechend firmiert die Künstlerin für diese Installation unter dem Namen ihrer Großmutter als Grace Tjang. Sie begibt sich auf die Suche nach Erinnerungen im Dunkel der Nacht. Die Nacht ist der privateste Moment. Die Nacht, die durch Rausch vermieden wird. Die Nacht, die von Schlaflosigkeit geplagt ist. Die Nacht, in der niemand willkommen ist. Tjang bricht mit diesen Wahrnehmungen. Die Nacht wird einladend. Tjang heißt die Betrachter willkommen, macht aber keine Anstalten, sich zu verdeutlichen. Sie öffnet die Türen und schließt sie nie: So spielt “Amopera” in einer Nacht voller Silhouetten und Schatten, in der die Liebe zu einer Halluzination wird, in der Assoziationen freien Lauf haben, was “Amopera” wiederum zu einer Erinnerung an die zeitgenössische Oper werden lässt. 

Jan Lauwers über die Zusammenarbeit mit dem Klangforum Wien und AMOPERA 

„Wir als Künstler stellen jeden Akt in Frage, den wir setzen. Zweifel ist wichtig und das ist mein Konflikt; oder warum ich Amopera so liebe. Dass diese Musiker:innen sehr schwere Musik spielen müssen – man muss sich auf der höchsten Ebene der Virtuosität befinden. Man muss das können und es tun – und dort darf es keinen Zweifel geben. Gleichzeitig sind sie in der Lage, alles in Zweifel zu ziehen. Dann ist man ein super-toller Künstler, denke ich. Ich finde, das ist eine einzigartige Gruppe. Um ehrlich zu sein: wir haben mit vielen Ensembles gearbeitet; aber ich habe noch nie ein derart freies getroffen. Nie. Nicht in der Welt der Klassik.“ – Jan Lauwers 

„What Klangforum Wien and Needcompany have in common is their investigation of the twentieth century as a time of deconstruction, excessive speed and excess in general. We do not pretend to be parsing the archive of modern and contemporary music, but do demand he right to interact for a while without shame.“ – Jan Lauwers 

Peter Paul Kainrath über AMOPERA und das Format Meta-Oper 

„Die Meta-Oper fußt auf den tiefen Zusammenhängen schöpferischen Arbeitens, das über die komponierende Einzelperson hinausweist. Die Autonomie einerseits und die Unantastbarkeit andererseits eines in sich geschlossenen Kunstwerkes bleiben unbestritten und dennoch kann es völlig überraschende Perspektiven geben, wenn wir aus einem Momentum einer einzigen Oper heraus das Geschehen transzendieren und nach Anknüpfungspunkten suchen, die sich in einer anderen Oper finden. Wir suchen hörend aus der Innenperspektive heraus den tieferen Sinn einer musikalischen Botschaft nicht nur mit den Augen der jeweiligen Komponistin oder Komponisten, sondern stellen das Ganze in ein einziges großes Bild, an dem viele mit unterschiedlichen Sprachen und Haltungen gearbeitet haben – eben eine Meta-Oper. Farbenreich, kurzweilig und tiefgründig ist sie eine Geschichte der Opernliteratur im Zeichen des Neuen, des Schamlosen und voll der Überraschungen.“ – Peter Paul Kainrath 

Hundert Jahre sind ein Abend – Über AMOPERA
Von Jakob Schermann 

Im deutschsprachigen Titellied der erstmals 1980 ausgestrahlten Zeichentrickserie „Es war einmal … der Mensch“ beantwortet Udo Jürgens die nur scheinbar triviale Frage „Was ist Zeit?“ mit den Zeilen: „Ein Augenblick / Ein Stundenschlag / Tausend Jahre sind ein Tag“. Gerade Musik und nicht zuletzt jene Musik, die vor Jahren, Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten in Form einer Partitur niedergeschrieben worden ist und sich durch klingende Realisierung in einem gänzlich neuen Kontext vergegenwärtigen lässt, macht uns immer wieder auf das menschliche Potential aufmerksam, kreativ mit unterschiedlichen Phänomenen und Dimensionen der Zeit umzugehen. Dies ist auch bei AMOPERA der Fall – einer Meta-Oper, die aus der ‚radikalen Zusammenarbeit‘ zwischen der belgischen Needcompany rund um Jan Lauwers, Grace Ellen Barkey und Maarten Seghers sowie dem Klangforum Wien entstanden ist und Bruchstücke aus den letzten hundert Jahren Operngeschichte in eine gänzlich neue, rund eineinhalbstündige Form zusammenführt. Die ausgewählten Fragmente beschränken sich dabei nicht ausschließlich auf die Gattung Oper: AMOPERA verbindet heterogenes Material wie Opernarien, Lieder, Ausschnitte aus Monodramen und experimentellere Verbindungen von Musikinstrument und Gesang. Der Titel AMOPERA weist auf zwei zentrale Ideen hin, wie Maarten Seghers zu bedenken gibt: „Amor opera. I am opera.“ Zum einen geht es also um Liebe – ein roter Faden, der sich selbstverständlich nicht erst seit dem 20. Jahrhundert durch die Operngeschichte zieht. Den Anstoß zu dieser Meta-Oper gab jedoch eine Inspirationsquelle, die gerade nicht durch die sprichwörtliche rosarote Brille blickt, sondern die Schattenseiten der Liebe erkundet: Liebesverrat heißt der Band, den Peter von Matt den „Treulosen in der Literatur“ widmet und der, so der Autor, die drei eigentlichen Themen der Literaturgeschichte verhandelt: Hochzeit, Tod und Wahnsinn (für Matt wiederum austauschbar mit Suizid). In diesem Begriffsgespann ließen sich in der Tat auch jene Opernlibretti verorten, die in AMOPERA verarbeitet werden: Man denke etwa an den Plot von Salvatore Sciarrinos Luci mie traditrici (1996–98), der vom mutmaßlichen Mord des Madrigal-Komponisten Carlo Gesualdo an seiner Ehefrau Maria d’Avalos sowie deren Geliebtem erzählt, oder auch an Benjamin Brittens The Rape of Lucretia (1946) – deren geläufige deutsche Übersetzung als Der Raub oder Die Schändung der Lukrezia einen zumindest bitteren Nachgeschmack hinterlässt –, worin Lucretia infolge ihrer Vergewaltigung durch den etruskischen Prinzen Sextus Tarquinius Suizid begeht. 

Zum anderen schwingt im Titel eine Form von Selbstermächtigung mit: „I am opera.“ Wie die Künstler:innen der Needcompany betonen, transzendiert die Narration von Amopera jene der Vorlagen: Die Protagonist:innen sind nicht mehr Kassandra, Lulu oder Mr. Punch, sondern die Sänger:innen Holger Falk und Sarah Maria Sun sowie die Musiker:innen des Klangforum Wien, in all ihren verschiedenartigen, niemals abgeschlossenen Identitäten und in ihrer materiellen Präsenz auf der Bühne. Auch in Momenten, in denen die Musiker:innen nicht an ihren Instrumenten gebraucht werden – die vorgetragenen Stücke decken in ihren Besetzungen das ganze Spektrum vom Solostück bis zur groß besetzten, 23-köpfigen Kammeroper ab –, widmen sie sich unter vollstem Körpereinsatz der Performance. Das zeichnet sich bereits in den ersten Sekunden von AMOPERA ab: Die Musiker:innen irren mit ernster Miene umher und nehmen erst nach und nach ihre Plätze auf der Bühne ein. Dort setzen sie mit den fragilen Klängen aus Sciarrinos Luci mie traditrici ein; nur kurz darauf sind die freien Musiker:innen sofort wieder umtriebig und präsentieren sich, wie lebende Skulpturen, paarweise auf Podesten. Anstatt also die Musiker:innen aus dem Sichtfeld des Publikums in den Orchestergraben zu verbannen, werden sie in Amopera auf der Bühne exponiert und in den Fokus des performativen Geschehens gerückt. In unter anderem diesem Sinne ist Amopera als Meta-Oper zu verstehen – als eine Oper über genau jene Menschen, die Oper ‚machen‘. 

Einen gewissen Hang zum Konzept der Meta-Oper, zur Reflexion auf die Kunstform Oper im Medium der Oper, mag man bereits in einigen jener Werke vernehmen, deren Material in AMOPERA eingeflossen ist: Die Arie „Ach ich fühl’s“ aus Bernhard Langs I Hate Mozart (2006) auf ein Libretto von Michael Sturminger nähert sich beispielsweise der gleichnamigen Arie aus Mozarts Zauberflöte in einem Grenzbereich zwischen kritisch-ironischer Distanz, Hommage und radikaler Dekonstruktion an und zerlegt die Wortschöpfungen Emanuel Schikaneders in ihre Einzelteile – Worte, Silben und Buchstaben. Ähnlich verhält es sich mit Luciano Berios Recital I (for Cathy) (1972), gewidmet der Ausnahmesängerin Cathy Berberian, mit der Berio von 1950 bis 1964 verheiratet war: Das Stück ist eine Tour de Force durch die Musik- und Operngeschichte, zitiert unzählige Stücke von Monteverdi bis Strawinsky, von Meyerbeer und Donizetti, von Bach und: Berio. AMOPERA greift also Material auf, das teilweise selbst bereits mit Zitaten, Anspielungen und Reflexionsmomenten auf das Medium Oper gespickt ist und kombiniert es wieder neu – „mit der Technik der Montage, der Bearbeitung und Verdichtung“, wie das Klangforum ankündigt. 

Keine Partitur, sei sie auch noch so akribisch ausgearbeitet worden, ist somit vor Montierung und Rekontextualisierung gefeit: Sowohl Berios Recital als auch Langs I Hate Mozart werden etwa mit je einem Lied aus Peter Maxwell Davies‘ Monodrama Eight Songs for a Mad King (1969) verflochten. Sara Glojnarićs Artefacts #2 für Sopran, Schlagzeug und Tape (2019), das Drum-Intros aus bekannten Rocksongs der 1980er und 1990er Jahre verarbeitet, wird nahtlos mit dem über 30 Jahre älteren Kassandra (1987) von Iannis Xenakis verknüpft. In AMOPERA finden sich mehrere solcher „Konstruktionen“, wie die Künstler:innen der Needcompany diese Musikcollagen nennen, die etwa auch mittels ostentativer Tonwiederholungen oder improvisierter Soundmanipulationen in Echtzeit verbunden werden. Erzählt Peter von Matt die Geschichte der „Treulosen in der Literatur“, so könnte man in Amopera augenzwinkernd die „Werktreulosen in der Opernliteratur“ am Werke sehen. Der kreative Umgang mit den Opernvorlagen findet freilich nicht nur auf klanglicher Ebene statt: Neue Assoziationen und Bedeutungen ergeben sich auch aus der Verbindung von musikalischen, sprachlichen, visuellen und performativen Elementen. Während Rebecca Saunders‘ Oh yes and I (2017–18) für Sopran und Bassflöte formieren sich die Musiker:innen zu einer Art Spinnennetz: Zu Beginn ballen sie sich, einander an den Händen oder Armen haltend, auf engstem Raum zusammen und beginnen langsam auseinander zu gehen, sodass ein weitgespanntes Netz ausgetreckter, miteinander verbundener Körper entsteht. Das performative Spiel von Attraktion und Repulsion trifft so auf die Musik von Rebecca Saunders sowie auf den dem Stück unterlegten und von Sarah Maria Sun gesungenen Monolog Molly Blooms aus James Joyces Ulysses – einen Text, den Jan Lauwers zusammen mit der Schauspielerin Viviane De Muynck ebenfalls in seinem Solotheaterstück Molly Bloom aufgegriffen hat. Sowohl die Opernfragmente als auch die verschiedenen Ebenen und Medien der Darstellung gehen in AMOPERA neuartige Konstellationen ein und zeigen verborgene Verbindungslinien auf. Dabei steht immer die Frage nach Identität im Raum – ein Konzept, das etwa auch Michael Wertmüllers Oper Diodati. Unendlich (2018) mit Grace Ellen Barkeys installativer Performance Malam / Night verbindet, deren visuelle Gestaltung in AMOPERA aufgegriffen wird. 

Vieles an AMOPERA weist ins Offene: Nicht nur sind die Probenarbeiten für die heutige Premiere zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Textes noch nicht vollständig abgeschlossen – auch über das Erlebnis, das sich für uns aus der Zusammenarbeit aus Holger Falk, Sarah Maria Sun, der Needcompany und den Musiker:innen des Klangforum unter der Leitung von Bas Wiegers ergeben wird, lassen sich vor der Uraufführung von AMOPERA letztlich nur Mutmaßungen anstellen. Der Intendant des Klangforum Wien, Peter Paul Kainrath, nennt AMOPERA „eine Geschichte der Opernliteratur im Zeichen des Neuen, des Schamlosen und voll der Überraschungen.“ Hier deutet sich eine Haltung an, mit der es lohnenswert erscheint, in AMOPERA einzutauchen: sich schamlos vom Neuen überraschen zu lassen. 

Besetzung und Leading Team

NEEDCOMPANY
Regie: Jan Lauwers
Bühne: MALAM / NIGHT – Installation von Grace Tjang
Choreographie: Jan Lauwers, Grace Tjang, Paul Blackman
Licht: Jan Lauwers, Koen de Saeger
Musikdramaturgie: Maarten Seghers
Dramaturgie: Elke Janssens
Regieassistenz: Emily Hehl
Needcompany Performers: Grace Tjang, Paul Blackman

MUSIKALISCHE LEITUNG UND SÄNGER:INNEN
Dirigent: Bas Wiegers
Assistenzdirigent: Tim Anderson
Sopran: Sarah Maria Sun
Bariton: Holger Falk Cover
Sopran: Sophia Körber Cover
Bariton: Felix Heuser

KLANGFOURM WIEN
Vera Fischer, Flöten
Wendy Vo Cong Tri, Flöten
Markus Deuter, Oboe
Bernhard Zachhuber, Klarinette
Elena Arbonies Jauregui, Klarinette
Lorelei Dowling, Fagott
Daniel Dundus, Saxofon
Christoph Walder, Horn
Anders Nyqvist, Trompete
Ivo Nilsson, Posaune
Krassimir Sterev, Akkordeon
Tina Žerdin, Harfe
Florian Müller, Klavier
Lukas Schiske, Schlagwerk
Björn Wilker, Schlagwerk
Alex Lipowski, Schlagerk
Sophie Schafleitner, Violine
Gunde Jäch-Micko, Violine
Annette Bik, Violine
Dimitrios Polisoidis, Viola
Benedikt Leitner, Violoncello
Andreas Lindenbaum, Violoncello
Javad Javadzade, Kontrabass
Tontechnik: Jakob Palfrader

Link:
Klangforum Wien