Die Argumente von Amazon und Youtube

Wie internationale Konzerne a la AMAZON und YOUTUBE versuchen, das Urheberrecht zu ihren Gunsten zu beugen und was es für MusikerInnen bedeutet.

1. Der Streit zwischen GEMA und Youtube

Wer Youtube verwendet, hat in den letzten Jahren auch irgendwann einmal die Fehlermeldung mit dem roten Anti-Smile kennengelernt: „Dieses Video ist in Ihrem Land leider nicht verfügbar, weil es möglicherweise Musik enthält, für die die erforderlichen Rechte von der GEMA nicht eingeräumt wurden. Das tut uns leid.”

Der Hintergrund: Ein jahrelanger Rechtsstreit zwischen Youtube und der deutschen Verwertungsgesellschaft GEMA über die Vergütung von Videoabrufen.

Schon 2009 war es, als der zwischen beiden bestehende Lizenzvertrag verlängert werden sollte und man sich auf kein Modell einigen konnte, zum Bruch gekommen. Grundsätzlich bestand die GEMA auf eine Vergütung pro abgerufenes Video. Youtube dagegen versuchte, eine Beteiligung an erzielten Werbeeinnahmen durchzusetzen. Wie das genau funktionieren soll, wusste man allerdings nicht einmal bei Youtube. Eine Unternehmenssprecherin gab gegenüber den Medien zu Protokoll, dass es aufgrund der Komplexität des Algorithmus, der entscheidet, welche Werbung bei welchem Video läuft, schlicht und ergreifend unmöglich sei, einem Youtube-Abruf direkt einen bestimmten Geldbetrag zuzuweisen. Das aber hieße dann, dass für die genaue Höhe der auszuzahlenden Tantiemen Parameter ausschlaggebend sind, die letztlich auf Zufall beruhen. Transparenz lässt sich so freilich nicht erzielen. Abrechnungen sind für den/die MusikerIn schlichtweg unkontrollierbar. Klar, dass der GEMA dieses Abrechnungsmodell nicht gefiel.

In Geldwert ausgedrückt bedeutete die Auseinandersetzung in etwa Folgendes: Statistiken zufolge zahlte Youtube in den USA zuletzt 0,0018 Dollar an die jeweiligen  Plattenfirmen, davon erreichten aber nur 0,0003 Dollar den oder die KünstlerIn. Die GEMA hatte von Youtube aber zwischenzeitlich 0,375 Cent pro Abruf verlangt, was mehr als dem 208-fachen entspricht. Die Vorstellungen lagen also – gelinde gesagt – weit auseinander, was auch die Länge und Härte der Auseinandersetzung erklärt.

Für den User, der Titel abrufen wollte, an denen die GEMA Rechte hielt, war die Situation daher die letzten Jahre unbefriedigend: Die so genannte Sperrtafel ließ sich zwar mit Tricks umgehen, für den durchschnittlichen Youtube-User aber, der über kein entsprechendes Know-How verfügte, waren die Titel schlicht nicht abrufbar. Damit war weder dem User noch dem/der UrheberIn geholfen, der/die so gar keine Tantiemen bekam.

Das GEMA-Dilemma

Noch im Juni dieses Jahres hatte Youtube dann einen Etappensieg errungen: Das Landgericht München hatte eine Schadenersatzklage der GEMA abgewiesen und den Status von Youtube als sogenannten Hostprovider – d.h. als technische Onlineplattform, die nicht unmittelbar verantwortlich für die von Nutzern hochgeladenen Inhalte ist – bestätigt. Das Gericht sprach aus, dass die GEMA deshalb von Youtube keine Vergütungen für auf und über deren Plattform verbreitete urheberrechtlich geschützte Musik einfordern könne, sondern sich an die Nutzer von Youtube wenden müsse. Das GEMA-Dilemma schien also zu sein: An die User will sie nicht, weil schlichtweg unadministrierbar, an Youtube kommt sie nicht heran.

Nur einen Tag später aber dann die Kehrtwende: In einem Parallelverfahren entschied das Oberlandesgericht Hamburg, dass Youtube haftbar gemacht werden kann, wenn es bestimmten Kontrollen auf Urheberrechtsverletzungen nicht nachkommt. Zusammenfassend kann man (vereinfacht) sagen, dass den Schadenersatzprozess Youtube gewann, in Bezug auf einzelne Titel aber ein Haftungsanspruch von Youtube bejaht wurde.

Die GEMA-„Lösung“

Diese beiden gegensätzlichen Entscheidungen veranlassten die Parteien offenbar, sich noch einmal an den Verhandlungstisch zu setzen. Denn nun, beinahe ein halbes Jahr später, haben sich GEMA und Youtube doch noch geeinigt. Nach sieben Jahren gerichtlicher Auseinandersetzung wurde eine Lösung gefunden, wie KomponistInnen, TextdichterInnen und VerlegerInnen angemessen vergütet werden sollen. Künftig werden Inhalte von MusikverlegerInnen, SongwriterInnen und KomponistInnen, die von der GEMA vertreten werden, also auch für deutsche Nutzer (oder österreichische Nutzer) wieder abrufbar sein.

Gut für die Nutzer, weil es keine Sperrtafeln mehr geben wird. Aber ist die Einigung auch für die UrheberInnen gut? Die entscheidende Frage ist leider nicht beantwortbar, weil das genaue Verhandlungsergebnis nicht publik gemacht wurde. D.h. die UrheberInnen werden für die Youtube-Klicks entschädigt. Anzunehmen ist auch, dass die Entschädigung über den bislang kolportierten Werten liegen wird. Wie hoch aber genau, ist unbekannt.

Der Nachteil der außergerichtlichen Einigung besteht natürlich auch darin, dass die Rechtslage weiterhin ungeklärt ist, es also kein definitives und letztgültiges Urteil gibt, auf das sich MusikerInnen berufen könnten.

2. Der Amazon-Prozess

Der Branchenriese Amazon und die österreichische Verwertungsgesellschaft AUME (Austro Mechana) kämpfen gleich an mehreren Fronten gegeneinander.[1]

Worum es geht: Amazon weigerte sich, die aus der Festplattenabgabe entstehenden Ansprüche zu bezahlen. Um die Rechte aller KünstlerInnen auf Vergütung für privates Kopieren in Österreich durchzusetzen, klagte die AUME den Konzern Amazon daraufhin. Diese Klage der AUME und der prozessuale Ausgang sind für fast alle europäischen Länder von großer Relevanz, weil die Klage bis vor den Europäischen Gerichtshof geführt wurde und somit in Folge viele europäische Systeme betreffen. Wenn man so will, blickt Europa derzeit nach Österreich und bangt, wie die anhängigen Verfahren letztlich entschieden werden.

Schon 2013 hatte der EuGH entschieden, dass Amazon für nach Österreich gelieferte CD- und DVD-Rohlinge sowie Speicherkarten eine Abgabe entrichten müsse. Amazon hatte damals argumentiert, dass die österreichische Gesetzgebung gegen EU-Recht verstoße. Mittlerweile wurde das Urheberrecht in Österreich reformiert und die Festplattenabgabe noch deutlicher bestätigt.

Der europäische Gesetzgeber sagte dabei sehr deutlich, dass es auf das Ausmaß der Nutzung ankomme. Die Höhe der Entschädigung hängt also vom  durchschnittlichen tatsächlichen Privatkopieren ab. Deshalb müssen auch regelmäßig Studien darüber angestellt werden, wie viel z.B. auf einem Handy im Durchschnitt privat urheberrechtlich geschütztes Material gespeichert wird. Von diesen Zahlen, einem repräsentativen Gesamtumfang ausgehend sollte der tatsächliche Tarif gebildet werden. Sobald feststeht, wie viele Kopiervorgänge es gibt, weiß man auch, welcher Schaden, der den UrheberInnen entsteht, vergütet werden muss. Je mehr kopiert wird, desto höher wird der Tarif. So die Theorie.

In der Praxis hat der österreichische Gesetzgeber mit der Novelle zum Urheberrechtsgesetz allerdings eine Obergrenze eingezogen. Alle Überlegungen, dass die erhobenen Vervielfältigungshandlungen im Tarif abgebildet werden müssen, seien damit obsolet geworden, meinte der Jurist Paul Fischer von der AUME in einem Interview mit mica – music austria.

Warum? „Weil man jetzt von einem Richtwert runter rechnen muss“, so der Jurist. Von insgesamt 29 Millionen Euro (Obergrenze), die allerdings zwei Ansprüche beinhalten, die papierene Kopie, die sogenannte Reprographievergütung, und die digitale Kopie, die Speichermedienvergütung. Nun gibt es einen parlamentarischen Entschließungsantrag, in dem ein Verhältnis von 20 Mio. (für die Speichermedienvergütung) zu 9 Mio. (für die Reprographievergütung) erwähnt wird. D.h. man kann davon ausgehen, dass 20 Mio. für die Speichermedienvergütung vorhanden sein sollen. Im Ergebnis, so Fischer, sei die tatsächliche Nutzung damit zwar ein Indiz für den anzuwendenden Tarif, aber aufgrund der Obergrenze bei weitem nicht mehr so wichtig wie eigentlich einmal angedacht.

Fraglich ist auch, ob die österreichische Rechtslage überhaupt noch EU-rechtskonform ist. Das könnte man aus den genannten Gründen durchaus in Zweifel ziehen.

Zurück zur Auseinandersetzung zwischen AUME und Amazon: In weiterer Folge hatte sich der Konzern dann geweigert, eine Festplattenabgabe auf SD-Karten und Mobiltelefone mit eingebauten SD-Karten abzuliefern und war daraufhin neuerlich von der AUME vor Gericht gebracht worden. Strittig war dabei auch die Frage, ob der Gerichtsprozess überhaupt in Österreich stattfinden dürfe, weshalb der Oberste Gerichtshof (OGH) als Letztinstanz den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um eine Einschätzung bat. Amazon argumentierte etwa, dass der Konzern lediglich Mobiltelefone in Österreich verkaufe, was keine strafbare Handlung sei. Daher fühle sich Amazon für die Abgabe der Entschädigung für private Vervielfältigungen nicht zuständig.

EuGH: Amazons Argumente unbegründet

Henrik Saugmandsgaar Oe, Generalanwalt des europäischen Gerichtshofs, hielt diese Argumente nun “für unbegründet”. “Dass Verkäufer von Festplatten – und eine solche sei ja nun einmal auch eine SD-Karte – eine pauschale Vergütung einheben, sei durch die EU-Gesetzgebung gedeckt”, so der Jurist.[2]

So weit so gut. Der EuGH hat demnach im Sinne der AUME, der Festplattenabgabe und der dadurch begünstigten UrheberInnen entschieden. Wer aber nun denkt, die Sache sei damit letztgültig erledigt und das vom OGH noch ausständige und im Sinne der zitierten EuGH-Meinung zu fällende Urteil nur noch Formsache, irrt. Denn ein weiterer Prozess beschäftigte sich vor dem Handelsgericht Wien mit Aspekten des Verwertungssystems und der Kulturförderung an sich.

Das hat folgenden Hintergrund: Der EuGH hatte 2013, wie bereits erwähnt, die Rechtmäßigkeit des Systems der AUME grundsätzlich bestätigt, aber er hat sie auch von einigen Voraussetzungen abhängig gemacht, die noch von den nationalen Gerichten zu klären seien. Diese Möglichkeit hat Amazon aufgegriffen und attackiert nun im fortgesetzten nationalen Verfahren die Rechtmäßigkeit und überhaupt den Anspruch von Kunstschaffenden auf Privatkopiervergütung.

Ist die SKE-Förderung diskriminierend?

Amazon argumentiert, bisher seien europäische Systeme – wie auch jenes des SKE-Fonds als Teil der AUME – von Gesetzes wegen darauf ausgerichtet, die Mitglieder der jeweiligen Gesellschaft zu unterstützen. Diese Kulturförderung im allerweitesten Sinne auch regionaler oder heimischer KünstlerInnen aber könnte  – obwohl die Vergabe durch den SKE-Fonds de facto nie an eine Staatsbürgerschaft gebunden war und aus einer Vergütung, die den UrheberInnen jedenfalls gebührt, passierte – diskriminierend sein, meint Amazon.

Das Handelsgericht Wien hat diesem Standpunkt Amazons – aus juristischer Sicht eher unerwartet – Recht gegeben. Das Oberlandesgericht Wien hat diese Entscheidung im Berufungsverfahren auch bestätigt. Die endgültige Klärung in Österreich erfolgt nun durch den Obersten Gerichtshof (OGH) in dritter und letzter Instanz. Eine Entscheidung wird noch für den Winter 2016 erwartet.

Brigitta Zöchling-Jud vom Institut für Zivilrecht Wien geht davon aus, dass eine mittelbare Diskriminierung nicht vorliegen kann. In einem Artikel (in Medien & Recht 1/16) nimmt sie dabei Bezug auf die Entscheidung des EuGH in Sachen Amazon, und die Ausführungen des Generalanwaltes Mengozzi, wonach eine Diskriminierung nur dann vorliege, wenn ausländische UrheberInnen von den sozialen und kulturellen Einrichtungen rechtlich oder tatsächlich ausgeschlossen werden, was – wie schon angedeutet – de facto nicht der Fall ist. Ob der Zugang von ausländischen UrheberInnen auch in gleichem Maße genutzt wird, ist dagegen unerheblich.

Zöchling-Jud hält aber auch fest, dass selbst für den Fall, dass die SKE ausländische UrheberInnen mittelbar diskriminieren, daraus keineswegs ein Entfall der Vergütungspflicht zu folgern wäre. Mit anderen Worten: Selbst wenn man – wider Erwarten – zum Urteil gelangt, die sozialen Einrichtungen diskriminieren, bringt das Amazon nicht viel, denn die durch den EuGH ja bestätigte Einhebung der Festplattenabgabe, um die es dem Konzern ja eigentlich geht, bleibt ihnen nicht erspart.

Trotz dieser eindeutigen Rechtsmeinung von profilierter Seite bleibt allerdings – bis die Entscheidung vorliegt – streng genommen unklar, ob die Vergütung für alle Kunstschaffenden rechtskonform eingehoben wurde oder nicht. Daran aber schließt sich die Frage, ob die AUME diese Gelder überhaupt verteilen darf, sei es individuell oder über die SKE.

Das aber hatte wiederum ganz konkrete Auswirkungen auf österreichische UrheberInnen, denn die AUME sah sich aufgrund der geschilderten Unwägbarkeiten aus unternehmerischer Sorgfalt und Vorsicht rechtlich gezwungen, mit einem Stopp aller neuen Zahlungen aus der Speichermedienvergütung zu reagieren. Beirat und Generalversammlung haben beschlossen, dass die SKE bis zur Entscheidung des OGH keine neuen Förderzusagen geben dürfen.

Die Beiratssitzungen des SKE-Fonds der AUME, in deren Rahmen über Fördervergaben entschieden werden, mussten vorerst verschoben werden. Anträge an die SKE können aktuell nicht (gültig positiv) entschieden werden. Konkret bedeutet das: Anträge können weiter eingereicht werden, entschieden wird aber erst dann, wenn eine für die UrheberInnen positive Entscheidung des OGH vorliegt, eine Entscheidung also, die die Entscheidungen der Vorinstanzen nicht bestätigt.

Auch der Österreichische Musikfonds sagte seinen aktuellen Call ab. Begründung: Der ungewisse Ausgang des Amazon-Verfahrens. „Sollten die Urhebergesellschaften das Verfahren gegen Amazon in letzter Instanz verlieren, hätte das dramatische Folgen für die gesamte Branche”, meldete sich Musikfonds-Geschäftsführer Harry Fuchs laut einer Presseaussendung zu Wort. Entscheidet der OGH im Sinne Amazons, würden laut Musikfonds-Chef Fuchs „die aus der Privatkopievergütung dotierten Fördersysteme zusammenbrechen”. Viele Musikproduktionen könnten nicht mehr verwirklicht werden, Tourneen würden massiv gekürzt, warnt Fuchs.

Ganz ähnlich verhält es sich mit Förderansuchen an die LSG Interpreten. Auch die können derzeit nicht behandelt werden, hieß es in einer Aussendung. Grund dafür: Das laufende Gerichtsverfahren der AUME gegen Amazon. Die LSG Interpreten ersuchte, bis auf Widerruf keine neuen Förderansuchen einzureichen.

Wenn man so will, sind österreichische UrheberInnen also gleich mehrere Male vom Ausgang des Verfahrens betroffen: Einmal durch die Festplattenabgabe selbst, dann aber auch durch mögliche Förderungen durch die SKE, den Musikfonds oder die LSG Interpreten. Ob MusikerInnen und wenn ja ob weiterhin in den Genuss dieser Gelder kommen, ist derzeit noch ungewiss.

Wie man daher zu diesem Rechtsstreit auch stehen mag, Faktum ist, dass wichtige Strukturen, die MusikerInnen in Österreich – ob nun über Ausschüttungen der SKE oder Förderungen des Musikfonds bzw. der LSG – Produktionen ermöglicht und Tourneen finanziert haben, durch das beim OGH anhängige Verfahren gefährdet sind. In einem strukturschwachen Land wie Österreich, in dem nur die wenigsten von ihrer Musik leben können, sind aber genau diese Förderungen für MusikerInnen und deren Produktionen unterschiedlichster Genres überlebensnotwendig.

Markus Deisenberger

[1] siehe Markus Lidauer, Das Gerichtsverfahren Austro Mechana gegen Amazon führt zu Verschiebungen der SKE-Beiratssitzungen, Mai 2016: https://www.musicaustria.at/das-gerichtsverfahren-austro-mechana-gegen-amazon-fuehrt-zu-verschiebungen-der-ske-beiratssitzungen/
[2] http://derstandard.at/2000031288412/Festplattenabgabe-Amazon-droht-Niederlage-vor-EU-Hoechstgericht

Danke

Dieser Beitrag wurde von der Kulturabteilung der Stadt Wien (MA 7) gefördert.