Heimischer Pop auf elektronischem Fundament hatte in den letzten zehn Jahren viele Gesichter. Grenzen wurden überschritten, Dogmas fielen, die Künstler reichten sich untereinander die Hände, der Generationenvertrag wurde berücksichtigt und auch das Theater spielte eine gewichtige Rolle. Die Altvorderen schlugen sich ausgezeichnet, die Jungen rückten nach. Von Tiz Schaffer
Es war im Jahr 2000, da hatte Christian Fuchs ein Schlüsselerlebnis. Der Frontmann der mittlerweile aufgelösten Wiener Electro-Pop-Formation Bunny Lake war auf Besuch beim Sónar Festival in Barcelona. „Es waren alle elektronische Spielarten zu hören. Aber auch eine Musik, deren Spirit schon wieder mehr mit Rock´n´Roll zu tun hatte. Elektronische Musik mit einer gewissen Fuck-You-Attitude“. Es wurde dort also ein Gemisch zusammengebraut, das bald darauf mit dem Begriff Electro-Clash seine offizielle Zertifizierung erhielt.
Heute ist dieser Neologismus, wie auch viele andere, schon wieder aus der Nomenklatur verschwunden. Abzulesen ist an dieser Begebenheit allerdings, dass um die Jahrtausendwende die Zeichen im elektronischen Musiksektor auf Öffnung standen. Während in den neunziger Jahren der Austausch zwischen Genres wie Techno, House, Drum and Bass oder Electro eher osmotisch funktionierte, die Dämme selten brachen, schien jetzt alles schön langsam Richtung großes Auffangbecken Pop zu rinnen.
Während also in Barcelona bereits gefeiert wurde, musste sich die Bundeshauptstadt Wien noch von ihrem Post-Hype-Kater erholen. Ein Hype, der Mitte der Neunziger Labels wie Cheap Records, G-Stone Recordings oder Mego ereilte und Wien plötzlich zum Mekka elektronischer Tanzmusik ausgerufen wurde. Nachdem wieder der Normalzustand eingekehrt war, brauchte die elektronische Szene, so scheint es, ihre Zeit, um sich wieder zu konsolidieren. Patrick Pulsinger etwa, der als Betreiber von Cheap Records eines der Aushängeschilder der Vienna Electronica war, suchte sich neue Betätigungsfelder. Er frönte seiner Liebe zum Jazz („Easy To Assemble. Hard To Take Apart“, 2001), zog sich 2002 von Cheap Records zurück, begann zunehmend auch andere Künstler zu produzieren und machte aus seinem Wiener Feedback Studio einen florierenden Betrieb.
Die Plattenverkäufe allerdings gingen in den Nullerjahren zurück, die digitale und oft kostenlose Verfügbarkeit von Musik ließ die Musikindustrie ächzen und stöhnen. Professionelle Musiker waren mehr oder weniger gezwungen, sich neu zu orientieren. Nicht zuletzt bedeutete das auch, mitunter aus dem Betriebssystem Pop auszuscheren. „Mit einem Album Geld zu verdienen ist ja mittlerweile so gut wie unmöglich geworden“, meint Pulsinger. Und so suchten sich Musiker und Musikerinnen – wie etwa Pulsinger, Wolfgang Schlögl, der Elektroniker bei den Sofa Surfers, die Art-Pop-Chanteuse Eva Jantschitsch alias Gustav, der Popelektroniker Bernhard Fleischmann oder der Schlagzeuger und Produzent Rainer Binder-Krieglstein, Kopf hinter dem Popeklektizismus-Projekt Binder & Krieglstein – Aufgabengebiete abseits des ihnen vertrauten Popschaffens.
Eine bevorzugte Andockstelle war das Theater. Über die Jahre hinweg zeichneten die erwähnten Kunstschaffenden immer wieder verantwortlich für die musikalische Ausgestaltung unterschiedlichster Produktionen. Auch in anderen Gewässern wurde gefischt: Pulsinger etwa kuratierte für das Festival Wien Modern und trat auch selber mit seinem Modularsynthesizer dort auf (Pulsinger/ Kurstin/ Jeffery/ Heggen: „Besides Feldman“, 2011). Jantschitsch war nicht nur bei den Salzburger Festspielen zu sehen, ihr Score für den Film „Grenzgänger“ von Florian Flicker wurde unlängst für den Österreichischen Filmpreis ausgezeichnet. Die Sofa Surfers taten sich unter anderem als Filmkomponisten für die Zelulloid-Fassungen der Wolf-Haas-Krimis hervor. Und Anja Plaschg alias Soap&Skin war nicht nur in Theateraufführungen zu sehen, im Spielfilm „Stillleben“, der voriges Jahr den Großen Preis der Diagonale erhielt, bekleidete sie ein kleinere Rolle und komponierte die Filmmusik.
Während es lange Zeit üblich war, zumindest alle zwei Jahre ein Album zu veröffentlichen, wurde dieser Zyklus von vielen der Künstler wenig bis gar nicht beachtet. Jantschitsch etwa, die Anfang des letzten Jahrzehnts als Ein-Frau-Unternehmen mit Gustav an den Start ging, nahm es locker und veröffentlichte ihr erstes Album „Rettet die Wale“ im Jahr 2004, „Verlass die Stadt“ folgte im Jahr 2008, das dritte Album ist für Ende 2013 anberaumt. Nichtsdestotrotz hat Jantschitsch es geschafft, sich nachhaltig zu etablieren. Was den Zyklus betrifft, gibt sie sich pragmatisch: „Die Arbeit braucht eben ihre Zeit“. Und ihr Engagement in zahlreichen Nebenprojekten hatte für sie keinen vorrangig wirtschaftlichen Aspekt. Vor allem seien die gemachten Erfahrungen stets auch eine Bereicherung für das Projekt Gustav gewesen. Aber Jantschitsch wie auch Wolfgang Schlögl wissen schon auch davon zu berichten, welche Qualität es hat, wenn man als Künstler(-in) konzentriert ein halbes Jahr an einem Projekt arbeiten kann und dafür auch mit einem fixen Honorar rechnen darf. Rainer Binder-Krieglstein hat dazu ebenfalls eine eindeutige Meinung: „Am Anfang habe ich ‘Nein danke’ zur Theatermusik gesagt. Da war die Popidentifikation so stark, dass ich es mir nicht vorstellen konnte. Mittlerweile nehme ich Angebote dankend an. Es gibt einen klaren Plan, ein fixes Gehalt und man kann daraus auch Inspiration schöpfen.“
In einem Interview, dass der Autor des Textes vor einiger Zeit mit dem der gebürtigen Burgenländer Avant-Elektroniker Christian Fennesz führte, sagte dieser: „Ich denke, das größte Problem bei uns ist diese wahnsinnig dämliche Unterscheidung in U- und E-Musik“. Was die öffentliche und mediale Kategorisierung betrifft, hat dieses Urteil zweifelsohne seine Richtigkeit. Was man allerdings auch sehen kann, ist, dass sich nicht wenige Künstler in den letzten Jahren auf beiden Seiten der Front scheinbar recht wohl gefühlt haben. Für Schlögl etwa haben sich gewisse Parameter einfach verändert: „Popmusik ist nach wie vor interessant für mich, allerdings nicht mehr so wie früher. Ich bin eben auch schon vierzig. Aber Popkultur prinzipiell, auch eine, die in Richtung der sogenannten Hochkultur geht, interessiert mich schon sehr. Ich muss aber dazusagen, dass ein René Pollesch (deutscher Regisseur und Dramatiker; Anm.) für mich genauso Popkultur ist wie Deichkind.“
Auch wenn manche nur in sehr unregelmäßigen Abständen Popalben unter der Eigenmarke veröffentlichten – ganz verzichten wollte niemand. Sei es aus Gründen der Leidenschaft, um einen Schlussstrich unter eine künstlerische Phase zu setzen, oder nicht zuletzt deshalb – da sind Pulsinger, der im letzten Jahrzehnt als Solokünstler nicht mehr als drei Alben herausbrachte, und Schlögl einer Meinung –, um sich eine Visitenkarte zuzulegen, die viele Türen öffnen kann. „Ich finde ja das Album als Veröffentlichungsform immer noch super. Man sagt: Da stehe ich musikalisch, das ist, was mich interessiert, das sind die Leute, mit denen ich zusammenzuarbeiten“, so Pulsinger.
Ja, es wurde viel zusammengearbeitet im letzten Jahrzehnt. Wer in einer Bandformation verankert war, setzte sich zumindest solo ab, es entwickelten sich Splittergruppen, Duos oder Trios, man half sich mit Remixen aus. Fungierte der eine als Produzent, stand ihm der Produzierte dafür als Musiker zur Verfügung. Und so weiter. Einige Beispiele: Pulsinger bastelte zusammen mit dem Wiener Elektropop-Shooting-Star Wolfram einen Track für dessen erstes, selbstbetiteltes Album im Jahr 2011. Schlögl machte nicht nur unter dem Pseudonym I-Wolf Karriere, sein Album „Soul Strada“ aus dem Jahr 2003 war Meilenstein und internationaler Erfolg zugleich, man fand ihn auch in Formationen wie Paradies der Tiere oder zuletzt Team Tool Time. Trotzdem blieb auch immer Zeit für die Sofa Surfers: Zuletzt erschien der gelungene Release „Superluminal“ (2012). Das Wiener Trio Elektro Guzzi, das dafür bekannt wurde, alleine mit Bass/Schlagzeug/Gitarre technoide Tracks anzufertigen, nahm bei Pulsinger im Studio auf und beteiligten sich im Gegenzug auf dessem feinen Album „Impassive Skies“ (2010).
Bei „Impassive Skies“ wirkte auch Christian Fennesz mit. Jener österreichische Avantgardepop-Solitär, von dem, um nochmals auf die E/U-Diskrepanz zu sprechen zu kommen, der Wiener Musiker und Komponist Burkhard Stangl einmal behauptete: „Würde es wie in der bildenden Kunst laufen, dann müsste Christian Fennesz in Österreich einen ähnlichen Stellenwert wie Peter Weibel haben.“ Tatsächlich scheint der Name Fennesz im Ausland ein größeres Gewicht als in Österreich zu haben. Allerdings wird die hochkonzentrierte, kompromisslose und subtile Gitarren/Laptop-Kunst von Fennesz zumindest unter Auskennern auch hierzulande geschätzt: Als das mica am Ende des vorigen Jahrzehnts hundert Musiker, Journalisten und Meinungsträger nach den besten österreichischen Pop-Alben der Dekade befragte, machte das meisterliche „Endless Summer“ (2001) von Fennesz das Rennen. Auf dem zweiten und dritten Platz: „Rettet die Wale“ und „Verlass die Stadt“ von Gustav.
Aber nicht nur E und U kamen sich näher, auch die Musikergenerationen untereinander hatten wenig Berührungsangst. Fennesz remixte die österreichische Newcomerin des letzten Jahrzehnts Soap&Skin, Pulsinger stand mit Wolfram im Studio, Binder & Krieglstein durfte sich über Gustav als Gastsängerin auf dem Album „Alles verloren“ (2007) freuen, Bernhard Fleischmann setzte für sein Album „Angst Is Not a Weltanschauung“ auf die Stimme von Marilies Jagsch und auch der Altersunterschied der Bunny-Lake-Verantwortlichen Christian Fuchs und Teresa Rotschopf betrug doch einige Jahre. Das obwohl die nachfolgende Generation ihre Arbeit teilweise auch mit einem ganz anderen Verständnis für die Popgeschichte aufzäumte. So war es lange Zeit undenkbar, an einem Genre wie Eurodance anzustreifen. Wolfram Eckert allerdings, der lange Zeit als DJ Marflow unterwegs war und nun als Wolfram für Furore sorgt, hatte auf seinem Debütalbum jenen Haddaway als Gastsänger geladen, der Anfang der Neunziger ein sehr bekanntes Eurodance-Gesicht war.
Auch andere, wie etwa Bunny Lake, hatten keine Scheu, auf der Popklaviatur mitunter die einst verbotenen Töne zu suchen. Über die Jahre werkten bei Bunny Lake die verschiedensten Produzenten im Hintergrund: Dr. Nachtstrom, Gerhard Potuznik, Christopher Just oder zuletzt der international renommierte Gareth Jones. Während das Debütalbum „The Late Night Tapes“ (2006) die Discothèque als dunklen Ort des Exzesses und der Ausschweifung definierte und die Songs dementsprechende Titel wie „Disco Demons“ oder „High Heel Voodoo“ trugen, so richtete die Band in Folge ihr Haupt immer mehr in Richtung Sonne. „Follow The Sun“ nannte sich der Eingangstrack auf ihrem letzten, 2011 erschienen Album „The Sound Of Sehnsucht“. Ein Album, das wenig Scheu vor den kleinen Peinlichkeiten des großen Pop zeigte. Nicht zuletzt ist die Entwicklung von Bunny Lake auch bezeichnend für das letzte Jahrzehnt: Genres und Lager, die sich einst wie die Pole zweier Magnete abgestoßen haben, verschmolzen ineinander, Dogmas und Tabus fielen. Bunny Lake gaben aus „künstlerischen Differenzen“ voriges Jahr ihre Auflösung bekannt. Während sich Sänger Christian Fuchs eine musikalische Auszeit nahm, arbeitet Sängerin Teresa Rotschopf zur Zeit mit Patrick Pulsinger an ihrem Debütalbum.
Dass es künstlerisch zumeist fruchttragend ist, wenn man Grenzen, nicht zuletzt die eigenen, verschiebt und erweitert, lässt sich etwa gut an den Werdegängen von Bernhard Fleischmann oder Binder & Krieglstein veranschaulichen. Während Fleischmann als b.fleischmann auf seinen ersten Alben wie „Pop Loops For Breakfast“ (1999) oder „Welcome Tourist“ (2003) noch auf adrette Elektronik, Instrumental-Tracks mit Frickel-Appeal und die Groovebox setzte, sprach er bei darauffolgenden Werken wie „Angst Is Not A Weltanschauung“ (2008) oder zuletzt bei „I´m Not Ready For The Grave Yet“ (2012) dem Songformat zu, lies die Gitarre gewähren, schrieb Texte, lud Gastsänger wie die Outlaw-Folk-Legende Daniel Johnston oder Sweet William van Ghost (vormals bei Aber das Leben lebt), und griff auch selber zum Mikrofon. Ohne dabei aber seine Handschrift zu verwischen oder überkommenen Traditionalismen das Wort zu reden.
Stets auf der Suche nach neuem Ausdrucksformen war auch der Grazer Produzent Rainer Binder-Krieglstein, Mastermind von Binder & Krieglstein. Der Titel seines Albums „Trip“ (2004) geriet ihm zum Arbeitsmotto für die kommenden Jahre: Auf einer Odyssee durch das Unterholz der populären Musikgeschichte versuchte er nicht nur etwa den steirischen Dialekt mit Clubsounds kurzzuschließen, sondern forschten auch in Volksmusikarchiven, um heimische Traditionen wieder auf der aktuellen Landkarte des Pop einzutragen. „New Weird Austria“ (2010) war nicht nur eine Hommage an die Blasmusik, sondern zeigte auch, dass volksmusikalische Versatzstücke im Lichte des Stroboskops eine eigentümliche Wirkung entfalten können. „Ein lokales Phänomen in die internationale Popmusik einfließen zu lassen, das finde ich spannend“, erzählt Binder-Krieglstein. Und Gustav veranschaulichte auf ihrem Album „Verlass die Stadt“, dass die Blasmusik ihren Platz im Pop auf eine Art und Weise finden kann, dass es zum Weinen schön ist – der Song „Alles renkt sich wieder ein“ entstand unter Mitwirkung der Trachtenkapelle Dürnstein.
Großes Geschick spricht der Mittvierziger Binder-Krieglstein der nachrückenden Musikergeneration von heute zu: „Gerade die Jungen finden ganz selbstverständlich in zeitgenössische Musiken hinein und denken sie zusammen. Die Generation über zwanzig hört gleichzeitig ganz alte aber auch die neueste Musik. Und wenn das in ihre Produktionen einfließt, dann ergibt sich meist ein stimmiges Bild. Das wirkt nicht aufgesetzt, wie etwa bei einem Jazzer, der dann eben einmal ein bisschen Techno macht“. Damit spricht Binder-Krieglstein nicht zuletzt das in Wien beheimatete Label Affine Records an, eine hybride Beatmanufaktur, die zuletzt mit Acts wie Ogris Debris oder Sixtus Preiss von sich reden machte und als deren Aushängeschild wohl Dorian Concept gelten darf. Mit seinen fiebrigen und flirrenden Synthesizer-Bricolagen und Keyboard-Extravaganzen, schon als „Sci-Fi-Jazz“ bezeichnet, spielte er sich in die vordersten Reihen. Nach der Veröffentlichung seiner E.P. „Her Tears Taste Like Pears“ (2011) durfte er auch Amon Tobin, The Cinematic Orchestra oder Coldcut zu seinen Labelkollegen zählen – die Platte erschien nämlich auf dem wohl- und altbekannten Londoner Label Ninja Tune.
Die herausragende Erscheinung innerhalb einer jüngeren Musikergeneration war aber sicher Anja Plaschg alias Soap&Skin. Die gebürtige Steirerin, mittlerweile 22 Jahre alt, schaffte es, mit ihrem Debütalbum „Lovetune for Vacuum“ nicht nur die Herzen der Feuilletonisten höher schlagen zu lassen. Und das weit über die Landesgrenzen hinaus. Ihre tiefmelancholischen Klavierballaden zeichneten sich nicht nur durch eine Feierlichkeit und Ernsthaftigkeit aus, sie wusste ihrem Liedgut mit widerborstig eingesetzten Laptopsounds einen zusätzlich dramatischen Drall zu geben. Wurde sie anfänglich noch gerne als „Wunderkind“ tituliert, so konnte sie letztes Jahr mit dem Album „Narrow“ ihre Stellung als künstlerische Ausnahmeerscheinung zementieren.
Aber nicht nur mit Balladenkunst im Zeichen der Melancholia, wie Soap&Skin sie pflegt, oder mit euphorischen Poptunes, wie Wolfram sie kredenzt, konnten österreichische Acts im Ausland für Aufsehen sorgen. Neben Christian Fennesz sei vor allem das Wiener Trio Radian erwähnt. Mit einem streng formalisierten Ansatz im Graubereich von Avantgarde, Postrock und Elektronik fanden ihre Alben wie „Juxtaposition“ (2004) oder „Chimeric“ (2009) zum einen auf dem US-amerikanischen Vorzeige-Label Thrill Jockey eine Heimat. Zum anderen wurde Radian auch die Ehre zuteil, dass ihnen John McEntire (Tortoise, The Sea and Cake) in seinem Studio in Chicago den letzten Schliff verpasste. Für die intellektuelle Maßarbeit des Trios interessierte sich schließlich auch der legendäre Folk-Eigenbrötler Howe Gelb (Giant Sand), voriges Jahr standen Radian und Gelb für einen Auftritt in Tirol gemeinsam auf der Bühne.
Und auch Elektro Guzzi, so wurde berichtet, waren gern gesehene Gäste in Clubtempeln wie dem Berliner Berghain oder auf Festivals wie dem Sónar. Auf dieser kleinen retrospektiven Bootsfahrt hier sind Elektro Guzzi allerdings so etwas wie blinde Passagiere. Denn ihre „Elektronik“ basiert nicht auf Bits und Bytes, Samples oder Synthesizern, sondern sie stellen Techno rein biologisch her. Mit herkömmlichem aber sehr wohl präparierten Instrumentarium sorgten Bernhard Hammer (Gitarre), Jakob Schneidewind (Bass) und Bernhard Breuer (Schlagzeug) auf ihrem selbstbetitelten Debütalbum im Jahr 2010 für ein – im besten Sinne – knochentrockenes und präzises Techno-Reenactment. Dass hier nicht bloß der Novelty-Effekt zum Tragen kam, ihr Konzept auch zukunftsfähig ist, stellten sie mit dem Folgealbum „Parquet“ (2011) und der beinahe schon dubbigen E.P. „Allegro“ (2012) unter Beweis.
Nicht zuletzt Elektro Guzzi legen den Schluss nahe, dass das Heilsversprechen der Innovation, welches lange Zeit an elektronische Musikschaffen gekoppelt war, sich nicht mehr in ungehörten, futuristischen Klangwelten erfüllt. Heutzutage ist das Neue wohl eher im Aufbrechen alter Denkweisen, im Beschreiten ungewöhnlicher Wege auf altbekanntem Terrain zu finden. So erfuhr man mit Elektro Guzzi, dass Rhythmusmaschinen auch menschlichen Ursprungs sein können. Binder & Krieglstein oder Gustav zeigten, dass Blasmusik mehr sein kann, als bloß Sinnbild des Reaktionären. Wolfram wusste zu verhindern, dass Eurodance in der Hipster-Disco verlacht wird. Bunny Lake führten vor, dass Electro-Pop ordentlich Zuckerguss verträgt und Soap&Skin, dass auch die klassischen Balladenkunst mit dem Laptop eine Mesallianz eingehen kann. Sicher wird vielerorts die Retroseligkeit im zeitgenössischen Pop zu Recht beklagt. Man könnte es aber mit einem Vergleich aus der Architektur auch ein wenig anders sehen: Findige Architekten schaffen aus den immer gleichen Baustoffen Beton, Stahl, Holz und Glas auch stets aufs Neue originäre Bauwerke.
Foto Gustav: Thomas Degen
Foto Patrick Pulsinger: Elsa Okazaki
Foto Soap&Skin: Marco Prenninger
Foto Christian Fennesz: Maria Ziegelboeck
Foto Burkhard Stangl: Sepp Dreissinger
Foto Bunny Lake: Bunny Lake
Foto Elektro Guzzi: Klaus Pichler