„ALS BRÜCKENBAUER BEZEICHNET MAN MICH SCHON LANGE“ – ROMAN GRINBERG (YIDDISH CULTURE FESTIVAL VIENNA) IM MICA-INTERVIEW

Ab 23. März 2025 läuft in Wien das Yiddish Culture Festival Vienna: dessen Leiter ist seit 8 Jahren ROMAN GRINBERG. Im Interview mit Jürgen Plank spricht Grinberg über jüdischen Humor und über die Festival-Reihe „Spot On Yiddish Divas“, die Sängerinnen aus der ganzen Welt versammelt. Heuer sind etwa KAROLINA TRYBAŁA und LEA KALISCH live in Wien zu sehen. Das Festival wird im Ehrbar-Saal mit einem Chor-Konzert und einer Lesung von CORNELIUS OBONYA eröffnet. Den Schlusspunkt setzt ROMAN GRINBERG selbst, mit einem Konzert im Metropol, das er gemeinsam mit der YIDDISH SWING BIG BAND bestreitet.

Seit wann sind Sie im Leitungsteam des Yiddish Culture Festival Vienna?

Roman Grinberg: Das Yiddish Culture Festival Vienna gibt es seit dem Jahr 1989, seinerzeit wurde es als Jüdische Theaterwochen gegründet. Ich habe die Leitung im Jahr 2017 übernommen, ab 2016 gab es eine Art Übergangszeit. Seinerzeit hat Professor Kurt Rosenkranz das Festival gegründet, um Jiddischals Sprache in Wien am Leben zu erhalten und der Sprache einen Raum zu bieten. Damals hat das mit den Theaterwochen sehr gut funktioniert, aber mit der Zeit ist das Publikum immer weniger geworden, einfach weil es immer weniger Jiddisch sprechende Menschen in Wien gab. Irgendwann habe ich mit Rosenkranz gesprochen und gesagt: Wenn ich das Festival übernehme, müsste es ein anderes Konzept geben, weil ich glaube, dass wir die Musik benötigen, um die jiddische Sprache als Geschenk und die Musik als Transportmittel zu betrachten.

Bild des Schauspielers Cornelius Obonya
Cornelius Obonya © U. Hölzel

Heuer gibt es zur Eröffnung Musik und Sprache.

Roman Grinberg: Am 23. März 2025 eröffnen wir im Ehrbarsaal, da wird der Wiener Jüdische Chor singen. Mit einem breiten Repertoire an jüdischen Liedern, angefangen mit Volksliedern aus dem osteuropäischen Schtetl bis zum Yiddish Theatre New York und dem amerikanisch-jüdischen Musical, etwa Anatevka. Und da trifft es sich ganz gut, dass Cornelius Obonya Texte jüdischer Autoren lesen wird. Er ist ja selbst gerade mit Anatevka in der Volksoper zu sehen, da gibt es eine Überschneidung.

Obonya wird an diesem Abend auch humorvolle Texte lesen.

Roman Grinberg: Humor ist in der jüdischen Kultur fest verankert, das ist ein Teil unseres Lebens und Denkens. Deshalb ist es meiner Meinung nach unumgänglich auch humoristische, speziell satirische Texte zu bringen und das wird Cornelius Obonya machen.

Die französische Gruppe Les Marx Sisters wird bei ihrem Auftritt Chansons und jüdische Traditionen miteinander verbinden. Wie sind Sie auf diese Gruppe gekommen?

Roman Grinberg: Das ist tatsächlich ein reiner Zufall, dass Les Marx Sisters in Wien auftreten werden. Ich war letztes Jahr mit meiner Frau in Frankreich auf Urlaub und wir haben ein Konzert der Band besucht, weil wir eine Plakatankündigung gesehen haben. Und das Konzert war vom Soundgefüge her spannend gemacht, von den beiden Marx-Sisters wurden die Geschichten auf spannende Art und Weise erzählt. Beide sind Schauspielerinnen und ich habe sie gleich dort angesprochen und gefragt, ob sie Lust hätten für einen Auftritt nach Wien zu kommen. Sie waren noch nie hier und ich freue mich sehr auf dieses Konzert, weil es durch diesen französischen Sound einen eigenen Zugang gibt. Zum Teil ist auch Gypsy-Swing eingebunden, das finde ich sehr spannend, ich habe das so zuvor noch nie gehört.

Bild der Musikgruppe Les Marx Sisters in einer Gasse stehend
Les Marx Sisters © A. Stock

„ICH MÖCHTE ZEIGEN, DASS AUFGEKLÄRT ZU SEIN UND DINGE NEU ZU DENKEN AUCH SEINEN PLATZ IM JUDENTUM HAT“

Eine Reihe des Festivals trägt den Titel „Spot on – yiddish divas“ und featured etwa die Sängerin Karolina Trybała. Wie haben Sie diese Reihe programmiert?

Roman Grinberg: Das ist eine spannende Geschichte. Es gibt den Begriff kol isha, das ist die Frauenstimme im Judentum. Und es wird oft gesagt, dass es den jüdischen Frauen nicht erlaubt ist, öffentlich zu singen. Aber so ist es nicht. De facto ist es anders: es ist den Männern nicht erlaubt, Frauenstimmen zu hören. Das hat einen religiösen Hintergrund und ist eine ganz alte Tradition. Ich habe ganz bewusst weltweit Sängerinnen gesucht: wer singt auf Jiddisch? Wer hat jüdische Musik im Repertoire und möchte hier auftreten? Jedes Jahr gibt es dazu drei Konzerte. Ich möchte zeigen, dass aufgeklärt zu sein und Dinge neu zu denken auch seinen Platz im Judentum hat.

Welche Konzerte wird es heuer noch geben?

Roman Grinberg: Für mich ist der bulgarische Chor am spannendsten. Letzten Juni waren wir bei einem Chor-Festival in Sofia eingeladen und dort habe ich den Bulgarischen Jüdischen Frauenchor, den Nikolai Kaufman-Chor, gehört. Das ist der einzige derartige Frauenchor der Welt, er wurde erst vor kurzem gegründet und ist so neu, dass er noch keine eigene Webseite hat. Es gibt ein bekanntes Phänomen, das nennt sich vox bulgaria. Das ist eine spezielle Gesangsfarbe des bulgarischen Frauengesangs, die einmalig auf der Welt ist. Dieser jüdische Chor wird von Maria Kaufmann geleitet, der Tochter von Nikolai Kaufman und vereint Volkssängerinnen der vox bulgaria mit ausgebildeten Sängerinnen. Und das ergibt einen Klang, der einmalig ist. Wenn man so etwas hören möchte, diese Gelegenheit gibt es in Wien nicht sehr oft.

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Sie kommen immer wieder auf Acts, die Sie auf Reisen entdecken. Ich könnte mir vorstellen, dass auch schon Auftretende aus New York City zum Festival angereist sind. Dort gibt es ja auch eine starke jüdische Szene.

Roman Grinberg: Ja, es gab immer wieder mal Gäste aus New York. Es gibt dort eine sehr lebendige, große Szene der jüdischen Musik, der Klezmer-Musik, aber auch der jüdischen Sprache. Angefangen von entsprechenden Theatern bis hin zu Club-Konzerten. Es wird sicher auch in Zukunft bei unserem Festival Gäste aus New York geben.

Gibt es eine Programm-Idee, an die Sie schon seit längerer Zeit denken? Ein Wunschtraum, den Sie verwirklichen möchten?

Roman Grinberg: Ja, so eine Idee gibt es schon seit Jahren. Die Idee ist im ersten Corona-Lockdown-Jahr entstanden. Das ist also auch schon 5 Jahre her. Damals kam mir die Idee, einen Marathontag mit jüdischer Musik zu machen. In einem großen Saal könnte man, in der Früh beginnend, die unterschiedlichsten Arten der jüdischen, sephardischen, hebräischen Musik zeigen. Man kann sich ein Tagesticket kaufen und solange dabei sein wie man möchte. Diese Idee gibt es, die ist noch nicht umgesetzt. In meiner Vorstellung würde es mit einer Matinee beginnen. Am Abend könnte es Auftritte von einzelnen Sängern und Sängerinnen geben, die jeweils von einem Orchester in verschiedenen Stilen begleitet werden.

Bild des Wiener Jüdischen Chors mit Chorleiter Roman Grinberg
Wiener Jüdischer Chor © K. Kolev

Am 14. Mai 2025 sind Sie mit der Yiddish Swing Big Band im Metropol zu sehen. Was werdet ihr auf die Bühne bringen?

Roman Grinberg: Das Konzert steht unter dem Titel „Bay mir bistu sheyn – die schönsten jiddischen Liebeslieder“. Diese Band gibt es schon seit vielen Jahren, ich musiziere regelmäßig mit der Band, die ein ganz spezielles Anliegen meinerseits ist: heute verbinden die Menschen mit Klezmer-Musik meist die Klarinette und das Akkordeon. Aber das ist nicht der Ursprung. Der Ursprung waren Saiteninstrumente wie Geigen, Zimbel, Kontrabass oder Cello. Später, als die Pogrome Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in Ost-Europa überhand genommen haben, kamen sehr viele Musiker aus Ost-Europa, aus dem zaristischen Russland oder aus Polen, in die U.S.A.. Darunter waren gut ausgebildete, geschulte Musiker, Komponisten und Dirigenten. Die kamen nach Amerika und erlebten, wie gerade der Swing entsteht.

Zwischen den 1920er und den 1950er-Jahren entstanden sehr viele Hits der jüdischen Musik. Dazu muss man sagen: das sind nicht sephardische, sondern aschkenasische, sprich jiddische Lieder, die in dieser Zeit entstanden sind. Die wurden nicht für ein kleines Klezmer-Ensemble geschrieben, sondern für große Big Bands. Und so wurden sie in den Theatern auch aufgeführt. Und ich möchte dem Publikum in Wien die Möglichkeit bieten diese Musik so zu hören, wie sie seinerzeit komponiert und gedacht wurde. Nicht bloß mit Akkordeon, Klarinette oder Klavierbegleitung, sondern diese Musik war opulent und so soll sie auch klingen. Wenn das auch nicht oft passiert, aber ein bis zwei Mal im Jahr kann man in Wien so einen Sound erleben und sich 80 und 100 Jahre zurückversetzen lassen und das fühlen, was die Menschen gefühlt haben als sie diese Lieder gehört haben.

Das Lied „Bay mir bistu sheyn“ gibt den Titel für den 14. Mai im Metropol. Das ist ein Welthit, der von so verschiedenen Künstler:innen wie Zarah Leander, Herman van Veen und Sisters Of Mercy gecovert wurde. Durch die Andrew Sisters wurde der Song bekannt. Ist das der größte jiddische Hit?

Roman Grinberg: Dieses Lied ist ein Jazz-Standard geworden, deshalb ist es auf der ganzen Welt gut bekannt. Entstanden ist es in den U.S.A., wo gerade der Swing entstanden ist und zu einer Hochblüte gelangt ist. Und natürlich haben sich die Kulturen gegenseitig bereichert und so ist dieses Stück von Jazz-Ensembles und von Swing-Big Bands aufgenommen worden, ohne dass das jüdische Bands waren. Das ist über Jahrzehnte ein Teil des Repertoires geblieben. Das bekannteste jüdische Stück ist wahrscheinlich „Hava Nagila“. Das hat für mich nicht die Qualität von „Bay mir bistu sheyn“, es ist ein rein folkloristisches Lied. Das würde ich vielleicht vergleichen mit „Rosamunde“, das man auch überall in Österreich und im ganzen deutschsprachigen Raum und darüber hinaus kennt. „Bay mir bistu sheyn“ ist ein Jazz-Standard geworden und deswegen ist es bekannt. Es hat auch eine wunderbare Melodie, das muss man schon zugeben.

Bild der Künstlerin Karolina Trybala Tate Mame
Karolina Trybala Tate Mame © M. Bader

Gibt es noch ein mit „Bay mir bistu sheyn“ vergleichbares Liebeslied, das am 14. Mai im Metropol zu hören sein wird?

Roman Grinberg: Es gilt als das schönste yiddische Liebeslied und wurde von Alexander Olshanetsky komponiert: „Ikh hob dikh tsufil lib“ (Anm: „I love you so much“). Das hat so eine wunderbare Melodie, das haben sogar Tom Jones und Carlos Santana gespielt. Es ist vielleicht nicht so bekannt wie „Bay mir bistu sheyn“, hat aber eine wunderschöne Melodie und wird so erklingen wie es einst geschrieben worden ist: für ein großes Ensemble. Olshanetsky hat das Lied in den U.S.A. komponiert.
Dazu gibt es noch eine spannende Geschichte: Vor etwa fünf Jahren hat mich der amerikanische Dirigent Michael Alexander Willens angerufen, der heute in Köln lebt und dort die Kölner Akademie leitet. Das ist ein klassisches Orchester, das alte Werke einspielt und veröffentlicht, die bisher noch nie veröffentlicht worden sind. Er hat mich gefragt, ob ich bei einem Projekt mit dem Motto „Lieder meiner Großväter“ mitwirken möchte. Der Gedanke war mir klar: es geht um alte jüdische Musik. Ich habe sofort zugesagt und dann hat sich herausgestellt, dass er das wörtlich gemeint hat. Denn er ist der Enkel von zwei der bedeutendsten jüdischen Komponisten, nämlich von Alexander Olshanetsky einerseits und von Herman Yablokoff andererseits. Der hat zum Beispiel das Lied „Shvayg mayn harts“ (Anm: „Schweig mein Herz“) geschrieben, das viele Jahre später unter dem Titel „Nature Boy“ von Nat King Cole aufgenommen wurde.
Die Kölner Akademie unter Michael Alexander Willens spielt also die Musik, die seine Großväter geschrieben haben. Das ist eine spannende Geschichte.

Wer sind die Besucher:innen eures Festivals?

Roman Grinberg: Aufgrund der Registrierungen sehen wir, dass wir auch Gäste aus der Slowakei und aus Ungarn haben. Wir haben aus ganz Österreich Buchungen, viele kommen aus dem Burgenland, aus Niederösterreich und der Steiermark nach Wien. Das ist großartig.

In den letzten Jahren gab es leider eine steigende Anzahl von antisemitischen Vorfällen in Europa. Inwiefern kann das Yiddish Culture Festival Vienna in diesem Zusammenhang sozusagen eine Brücke bauen?

Roman Grinberg: Als Brückenbauer bezeichnet man mich schon lange. Aber mir ist das ehrlich gesagt zu wenig. Wenn man sich das ganz bildlich anschaut: eine Brücke hat keinen Wert, wenn die Menschen nicht darüber gehen. Mir ist es wichtig, den Menschen diese Möglichkeit zu geben, sich auf jüdische Kultur, Musik und auf jüdischen Humor einzulassen. Dieses Festival möchte ich als Brücke anbieten, aber die Menschen müssen über die Brücke gehen und sich das Festival anschauen.

Herzlichen Dank für das Interview.

Jürgen Plank

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Yiddish Culture Festival Vienna
23.3.-14.5.2025
Programm

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Roman Grinberg