„Alles was gut ist, lebt von der Vision“ – Martin Schelling im Interview

Martin Schelling ist vielen als Soloklarinettist des Symphonieorchesters Vorarlberg, als Musikpädagoge und Kapellmeister sowie als Mitglied des Ensembles „Die Schurken“ bekannt. Kürzlich hat er das neueste Werk „Canti Notturni“ von Richard Dünser, mit dem er seit Studienzeiten freundschaftlich verbunden ist, erfolgreich zur Uraufführung gebracht. Doch nur wenige wissen, dass Martin Schelling  auch eine kompositorische Ader hat. Einige Werke hat er bereits komponiert, darunter den Marsch „Kennidi-wohl, kennidi-net“ den die Jugendkapelle Lauterach zur Uraufführung gebracht hat. Achtzehn Jahre lang hat der nunmehrige Ehrenkapellmeister die Bürgermusik Lauterach geleitet. Derzeit betreut Martin Schelling gemeinsam mit den Kollegen Thomas Jäger und Mathias Schmidt die Jugendkapelle. Im Gespräch mit Silvia Thurner berichtet Martin Schelling über imponierende musikalische Projekte in Vorarlberg, erzählt über seine Kompositionen, gibt Einblicke in seine pädagogische Arbeit  und erwähnt die Jugendförderung in Musikvereinen.

Wie siehst du die Szene der zeitgenössischen Komponisten in Vorarlberg und welche Projekte imponieren dir besonders?
Ich bin ein neugieriger Mensch und deshalb interessiert mich, was anderen einfällt und warum ihnen das einfällt. In Vorarlberg existiert eine kleine, aber durchaus schlagkräftige Komponistenszene. Es gibt einige Komponisten, die tätig sind und die es auf sich nehmen, auf’s Geratewohl zu produzieren. Alles was gut ist, lebt von der Vision, nicht nur im Hinblick auf zeitgenössische Komponisten.

Um nur ein paar Beispiele aus Vorarlberg zu nennen: Klaus Christa und Thomas Engel mit der Reihe „musik in der pforte“, Andreas Ticozzi mit dem „ensemble plus“, Guntram Simma mit dem Jugendsinfonieorchester, Bernhard Lampert mit dem „Concerto Stella Matutina“ und Stefan Dünser mit dem Ensemble „Sonus Brass“ und „Die Schurken“. Die Produktion „Marie im Buchenwald“ mit Musik von Stefan Meusburger und Thomas Ludescher hat mir sehr imponiert. Derart kreative Projekte sollten vermehrt stattfinden.

– Mit neuen Werken Neues vermitteln

Du hast schon einige Werke komponiert, darunter auch Solowerke für Klarinette. Was hat dich dazu veranlasst?
Die Werke wurden meistens aus der Not geboren, weil ich für Schüler, die am Wettbewerb „prima la musica“ teilgenommen haben, passende Werke benötigt habe. Meine Kompositionen nutze ich auch dazu, um den Schülern außergewöhnliche Spieltechniken zu vermitteln. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass die Werke auf viel positive Resonanz gestoßen sind.

– Spielerischer Zugang

Wie ist dein Selbstverständnis als Komponist und was möchtest du mit deinen Werken vermitteln?
Ich bin ein Gelegenheitskomponist, den es im Augenblick der Arbeit unglaublich drängt. Stets gibt es einen pädagogischen Hintergrund, der mit einem spielerischen Zugang vermittelt wird. Für mich als Instrumentalist ist die Frage wichtig, wie ich einen Effekt erzielen kann, der auch für die Spieler einen Reiz hat. Ein Stück muss eine Emotion haben und es muss originell sein.

– Werktitel mit Aussagekraft

Die Werktitel sind meistens humorvoll und sagen Einiges über deinen Zugang zum Komponieren aus, beispielsweise „Nächtlich-nüchtern grüßt eisig die Kanisfluh“ und das Werk „Pantomime“. Was hat es damit auf sich?
„Nächtlich-nüchtern grüßt eisig die Kanisfluh“ ist eine musikalische Übersetzung des Videos „Vo Mello bis ge Schoppornou“ des HMBC. Am Schluss wird das Thema vierteltönig zitiert.

„Pantomime“ ist als Stimmungsbild zu verstehen. Der Spieler muss auf der Bühne drei Charaktere darstellen, den Nervösen, den unglücklich Verliebten zu mancher Zeit und den Zerstreuten. Im dritten Satz bedient der Spieler während seiner Darbietung ein Handy, denn er wird auf der Bühne angerufen. Es ist immer wieder amüsant zu beobachten, wie irritiert und belustigt das Publikum auf diese Szene reagiert.

– Achtung – Fertig – Marsch

Aktuell hast du einen Marsch mit dem Titel „Kennidi-wohl, kennidi-net“ komponiert. Was reizt dich an der Marschmusik?
Ich hatte Zeit meines Lebens immer Probleme mit dem Marschieren. Inzwischen kann ich das Marschieren als Form akzeptieren, um als Blasmusikkapelle geordnet von einem Ort zu einem anderen zu gelangen. Im Genre der Marschmusik gibt es schöne Kompositionen, vor allem die Konzertmärsche op. 99 von Sergej Prokofjew und „Valdres“ von Johannes Hanssen schätze ich sehr.

Der Marsch „Kennidi-wohl, kennidi-net“ ist mit einem Augenzwinkern zu verstehen, denn er soll eine Aufforderung an die Jugendlichen zu einem maßvollen Umgang mit Alkohol sein.

– Künstler und ihr Umfeld sehen –

Hast du eine Vorliebe für die „Groupe de Six“, Eric Satie oder John Cage?
Ich möchte mich auf keinen Musikstil festlegen, denn mir gefallen viele unterschiedliche Stilrichtungen. Interessant finde ich es, den Künstler in seinem Umfeld zu sehen und spannend ist stets auch die Reaktion des Publikums auf die Musik.

Wie führst du deine SchülerInnen an die moderne Musik heran?
In der klassischen Ausbildung geht es hauptsächlich darum, Spieltechnik und Klangschönheit zu vermitteln. Ich gebe den SchülerInnen gerne ab und zu auch Musikstücke, die außergewöhnliche Spieltechniken verlangen. Das schafft mitunter eine Verunsicherung, aber die ist immer gut und wichtig, weil sie zum Denken anregt und Kreativität schafft.

– In die Zukunft investieren –

Welche Zukunft hat die aktive Blasmusikszene in Vorarlberg?
Ich glaube, dass nur jene Vereine auf lange Sicht eine Chance zum Überleben haben, die intensiv in ihre Jugendarbeit investieren. Musikkapellen, die in diesem Bereich nicht tätig sind, werden aussterben.

Danke für das Gespräch.
Foto 2: Martin Schelling im Gespräch mit dem befreundeten Komponisten Richard Dünser anlässlich der Uraufführung “Canti Notturni”, Ende Oktober 2012. Dem Klarinettisten ist das Werk “Canti notturni” für Bassetthorn und Streichquartett auf den Leib geschrieben und auch gewidmet.

Link:
Musikdokumentation Vorarlberg