„Alles, was da ist.“ Uraufführung von Peter Jakobers Messe

Der Klang von mehr als 50 Stimmen schwingt am Sonntag, 2. Oktober 2022 in der Sonntagsmesse im Raum der Konzilsgedächtniskirche in Lainz-Speising. Wer vermutet, es könnte sich um mittelalterliche Werke etwa eines Thomas Tallis handeln, liegt falsch, denn komponiert wurde sie von Peter Jakober, der 1977 in der Südsteiermark geboren wurde. Das Aufwachsen in der katholisch geprägten Gemeinde, in der er regelmäßig die Messe besuchte, reflektiert Jakober in dieser Messe, die auf seinen eigenen Wunsch hin entstanden ist: „Ich weiß nicht, ob ich ein katholischer, religiöser Mensch bin, aber ich bin davon geprägt. Damit wollte ich mich auseinandersetzen.“ Über seinen eigenen Zugang sagt er: „Ich glaube schon, dass ich etwas Spirituelles in mir trage, dass ich in gewisser Weise ein gläubiger Mensch bin, aber die Auseinandersetzung ist eine andere. Jury Everhartz [der die Messe mit Jakober einstudiert hat] hat das einmal schön gesagt: ‚Man glaubt an alles, was da ist. Man kann daran glauben, dass die Leute hier zusammenkommen, man kann glauben, dass sie beten.‘ Ich will mit meiner Messe niemanden kirchlich erziehen, aber in der Kirche kommen betende Menschen zusammen.“

„Es war wahnsinnig berührend zu sehen, dass mit dem monotonen Beten, das etwas Meditatives hat, plötzlich eine Art Ruhe eingekehrt ist …“

Zu dieser Auseinandersetzung zählen auch ganz persönliche Erlebnisse, etwa als sich die Gemeinde nach dem plötzlichen Unfalltod seiner Cousine zum Rosenkranzbeten bei sich zuhause einfand: „Meine Tante war aufgelöst in Schmerz und konnte keine Ruhe finden, mit dem Schmerz umzugehen. Und auch meine Mutter war vom Tod ihrer Nichte unfassbar betroffen. Es war wahnsinnig berührend zu sehen, dass mit dem monotonen Beten, das etwas Meditatives hat, plötzlich eine Art Ruhe eingekehrt ist und meine Tante während dieser knappen Stunde einmal durchatmen konnte. Das finde ich wahnsinnig stark.“ Und so findet auch das Gemeinschaftliche Eingang in die Messe.

Konzilsgedächtniskirche
Konzilsgedächtniskirche

„Die gesamte Messe folgt einem dramaturgischen Konzept, da steckt so viel dahinter. Dem nachzuspüren, finde ich eine schöne, spannende Sache.“

Die Auseinandersetzung mit der musikalischen Tradition der Messe führte zu Bachs h-Moll-Messe und Messen von Monteverdi. „Als ich mit der Arbeit angefangen habe, habe ich lange gebraucht, bis ich hineingefunden habe, obwohl ich gar nicht damit gerechnet habe. Die klassische Form der Messe ist dann mit einer Wucht auf mich zugekommen und hat mich zuerst einmal lahmgelegt.“ Um dann tatsächlich hineinzufinden, ließ er die Geschichte hinter sich: „Ich habe versucht mich in gewisser Weise von der Tradition zu lösen.“ Und so besann er sich auf seine eigene Kompositionsweise, die er inzwischen in seinen Stücken anwendet: die Überlagerung unterschiedlicher Geschwindigkeiten. Um diese gleichzeitig ablaufenden Tempi zu realisieren, hören die Sängerinnen und Sänger via MP3-Player und Kopfhörer Klicks. „Das Credo besteht aus einer riesigen Tempopolyphonie. Die Sängerinnen und Sänger sprechen das große Glaubensbekenntnis Achtel für Achtel, das sich immer mehr überlagert. So baut sich ein Sprachgeflecht auf. Dann kommt noch eine zweite Schicht, in der ohne Absetzen durchgebetet wird. In diese Sprachwolke spricht auch einmal die Gemeinde mit dem Pfarrer das Glaubensbekenntnis.“ Und so besinnen sich in diesem gemeinschaftlichen Moment auch alle darauf, was sie selbst sagen. Für ihn war die Vorstellung interessant: „Es beten 50 Menschen, man hört alle in ihrem eigenen Tempo beten, und dieser Gesamtklang interessierte mich. Der Zuhörende wird dabei zum Mitwirkenden, dieser Perspektivenwechsel fasziniert mich immer wieder.“

Zum Einsatz kommen auch Orgelpfeifen, die von den Sängerinnen und Sängern im Sanctus am Labium angeblasen werden. Generell arbeitet Jakober gerne mit Laienmusikerinnen und -musikern. Denn nicht nur, dass so Gemeinschaftliches transportiert wird, ist es ihm auch ein großes Anliegen, dass Neue Musik auch von Nicht-Expert*innen aufgeführt wird. Bei der Probe zu einem anderen Werk hat eine Teilnehmerin entdeckt: „‚Ich wusste ja gar nicht, dass ich Klang machen kann!‘ Ich will auf keinen Fall Lehrer sein, aber wenn jemand entdeckt, dass sie bzw. er Klänge erzeugen kann, dass wir ständig Klang produzieren, freut mich das sehr.“

Termin:
Sonntag, 2. Oktober 2022, 10:00 Uhr
Konzilsgedächtniskirche; Pfarre Lainz-Speising
Kardinal-König-Platz 1, 1130 Wien

Link:
Pfarre Lainz-Speising
Peter Jakober (music austria Datenbank)
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