„Alles kommt wieder zurück zur Musik.“ – Gobi Drab im mica-Interview

GOBI DRAB kam aus Oberösterreich nach Wien, um dort Blockflöte und Vergleichende Literaturwissenschaften zu studieren, landete im neu gegründeten Schwerpunkt für Improvisation, ist Gründungsmitglied von SNIM, dem spontanen Netzwerk für improvisierte Musik und leitet heute die Reihe „Neue Musik in St. Ruprecht“.

Auffällig ist deine schalkhafte Art, wenn es um Begriffe wie „Ernste Musik“ oder „Aufführungspraxis“ geht. Hast du einen ironischen Zugang zur zeitgenössischen Musik?

Gobi Drab: Wenn ich spiele, wehre ich mich dagegen, einfach nur Ausführende zu sein, denn dafür bin ich nicht Musikerin geworden. Ein Computer kann das viel besser abspielen als ich. Verlangt jemand von mir, ausschließlich zu tun, was da steht, wird der Mittelfinger sanft hochgekurbelt. Und meine eigenen Kompositionen sind so offen, dass es die Performerin bzw. den Performer braucht, sonst wäre sie eine leere Hülle. Ich habe ja eine ganz solide, brave Renaissance-Barock-historische-Aufführungspraxis-Ausbildung. Nur liegt mein Talent in der zeitgenössischen Musik und Impro. Aber von der Barockmusik bin ich gewohnt, eine Partitur zu hinterfragen. Und wird mir eine Komposition vorgelegt, bei der wirklich alles ausformuliert wird, werde ich schon mal ein bisschen trotzig.

Was weckt dein Interesse?

Gobi Drab: Meist ist das eine Bauchentscheidung, wo es mich gerade hinzieht. Das sind dann Erlebnisse, in denen ich mich wohlfühle und glaube, dass daraus interessante Dinge entstehen können, ohne dass irgendetwas forciert werden muss.  Dafür braucht es einen gewissen Willen beider Personen, sich da hineinzuspüren und zu -hören.

Du unterrichtest auch Yoga. Wie bringst du das zusammen?

Gobi Drab: Mir wird wahrscheinlich fad im Kopf, wenn ich mich nur auf ein Ding konzentriere. Deswegen kommt bei mir so vieles vor: Musik machen, komponieren, Musik kuratieren, Musik unterrichten, Yoga unterrichten. Ich mag es, mich in vielen Bereichen zu realisieren.

Und wie kamst du zur Musik?

Gobi Drab: Ich habe eine ganz klassische Musikausbildung absolviert. Während dem Erlernen des Flötenspiels als Kind bzw. Jugendliche entschied ich mich, Musikerin zu werden. Ich habe in diesen jungen Jahren zeitgenössische Musik außerordentlich furchtbar gefunden und bin an der Musikuni in Wien eher zufällig im Impro-Schwerpunkt gelandet. Konnte dort aber entdecken, dass das unglaublich offene, schöne, bereichernde Musik sein kann. Und darüber kam ich dann zurück zur zeitgenössischen Musik und als Blockflötistin natürlich unweigerlich zur Paetzold-Blockflöte.

Das erklärt noch nicht die anderen Disziplinen …

Gobi Drab
Gobi Drab (c) Stefanie Luger

Gobi Drab: Kuratieren und Organisieren begann mit der Gründung von snim, das auch das Festival Das kleine Symposion beinhaltet. Beschäftigt man sich in Wien mit zeitgenössischer Musik, ist es eigentlich fast automatisch gegeben, dass man viel selbst organisiert. Durch die Bekanntschaft und Freundschaft mit Angélica Castelló kam es dann außerdem 2016 zur Übernahme der Neuen Musik in St. Ruprecht. Sie hatte die Konzertreihe vor etwa zwanzig Jahren gegründet und fühlte den Zeitpunkt gekommen, die Reihe in andere Hände zu geben. Ich habe mich riesig gefreut, von ihr gefragt worden zu sein. Dieser Ort ist derart fantastisch, die Akustik so schön, dass man quasi alles darin veranstalten kann.

„Je besser wir die Kirche kennenlernen, desto besser werden die Projekte.“

Hast du konzeptionelle Ideen dafür entwickelt?

Gobi Drab: Im Manifest von Burkhard Stangl kommt der wunderschöne Begriff der peripheren Musik vor, der beständig in meinem Hinterkopf wohnt. Zusammen mit Klaus Haidl haben wir beschlossen, jeder Saison ein Thema zu geben und dazu mittels Call einzuladen. Je besser wir die Kirche kennenlernen, desto besser werden die Projekte. Das letzte Konzert war zum Beispiel eine Stunde Toypiano. Immer präziser stellen wir diese Frage: Was passt in diesen Raum, was lässt sich da wirklich gut realisieren?

Wie sehen deine eigenen kompositorischen Projekte aus? Komponiert man improvisierte Musik?

Gobi Drab: Bis zu einem gewissen Grad ja. Und wie weit improvisiert eine Komposition ist, wäre dann die nächste Frage … Ich mache sehr körperliche Musik. Wenn ich komponiere, gehe ich oft von einem Text aus, wobei gar nicht so wichtig ist, was dessen Aussage ist. Ich spüre nach, wie sich der Text anfühlt, dessen Mundgefühl und was er im Körper auslöst. Genauso beobachte ich beim Improvisieren, was mein Körper macht, wie sich das anfühlt, was sich da gerade ausdrückt. Am liebsten spiele ich in Duobesetzungen, weil da dieser Austausch besonders intensiv möglich ist. Deswegen geht meine Entscheidung für ein Zusammenspiel mit anderen Musikerinnen und Musikern auch immer über dieses Gefühl beim Musizieren.

„Musik ist Bewegung.“

Zeitgenössischer Tanz und Bewegungsimpro gehören ja ebenfalls in deinen Disziplinenkanon. Performance, Bewegung – du legst Körperlichkeit in alles. Wie ist für dich die Brücke zwischen deinem eigenen Musikschaffen, -spielen und Bewegung.

Gobi Drab: Musik ist Bewegung. Entweder ergeben die entstehenden Klänge eine gewisse Klangchoreografie für mich oder es ergibt sich in meinem Kopf beim Musikhören eine gewisse Choreografie.

Gibt es Stücke, in die dieser Zugang mit eingeschrieben ist?

Gobi Drab: „About Movement“ ist noch am nächsten an der Performancepraxis zu verorten. In einer Vierer-Besetzung waren Réka Kutas am Cello und ich an der Blockflöte, Manon Bancsich habe ich an eine Klaviatur mit Mechanik, aber ohne Saiten gesetzt und Julia Danzinger kam als Performerin dazu. Es ist eine gleitende Scale, wo sich Impro, Konzept bzw. Komposition entwickeln.

Wir haben diese Begriffe …

Gobi Drab: … und die Einteilung bei der AKM.

Wie kam es zu „A Body of one’s own“?

Gobi Drab: … mit dem Untertitel „you need a body of your own, if you want to make art.“ Das ist ein Projekt mit Tamara Friebel, entstanden auf einen Open Call hin. Adaptiert von Virginia Woolfs Buchtitel „A room of one’s own“ geht es in dem Stück darum, welche Dinge an mir zu hören sind, die man nicht hören soll. Mit einem Mikro am Herzen, einem an der Kehle und einem ganz nah beim Mund, einem Mikro am Sessel und zwei Mikros für die Flöte. In der allerersten Version im Sonic Lab der Queen’s University Belfast wurden diese meine intimsten Geräusche auf vierzig Kanälen raumfüllend verteilt. Anschließend wurde das Stück je nach Aufführungsort adaptiert, weil Räume und deren Bedingungen einfach unterschiedlich sind.

Ein anderes Stück nach einer Textvorlage von Virginia Woolf ist „The muffin was invented and the crumpet“ …

Gobi Drab: … ein Stück für fünf Bläser*innen. In „Orlando“ von Virgina Woolf steht am Anfang des fünften Kapitels auf zwei Seiten das gesamte 19. Jahrhundert des Vereinigten Königreichs beschrieben. Dort ist der Text tatsächlich die Partitur: Ich habe beschrieben, wie der Text zu lesen und was mit den Blasinstrumenten entsprechend zu tun ist. Den Spielerinnen und Spielern steht dann frei, ob sie sprechen, spielen, singen oder irgendetwas dazwischen wollen. Es gibt bestimmte Sätze, die gesprochen werden müssen, zum Beispiel der Titelsatz. Geschwindigkeit und Art und Weise sind aber frei.

Für „Wassermusik“ war die Vorlage aber nicht literarischer Natur …

Gobi Drab: „Wassermusik“, ein Stück, das im Studium als eine Hommage an Händel entstanden ist. Manchmal verstöre, manchmal amüsiere ich das Publikum damit. Burkhard Stangl wies uns im Studium an, unser Instrument mit einem anderen Medium zu kombinieren. Also versenkte ich meine Kunststoffblockflöten im Wasser und konnte beeindruckende Effekte damit erzeugen: schöne Multiphonic-Glissandos beispielsweise. Je tiefer ich die Flöte tauche, desto kürzer wird die Luftsäule und der Ton verändert sich.

„Ideen sind meist Klangvorstellungen im Kopf.“

Was war die Idee für „AUT“, das für ein snim-Symposium entstand?

Gobi Drab: Ideen sind meist Klangvorstellungen im Kopf. Die Herausforderung ist also, diese Idee jemandem zu vermitteln, eine Klangvorstellung auf Papier zu schreiben. Zu dem Stück gab es gar kein klares Thema, sondern ich wusste einen Klang und um fähige Interpretinnen und Interpreten.

Wie findest du deine Form, kompositorisch zu notieren?

Gobi Drab: Das variiert von Stück zu Stück und hängt auch von den Interpretierenden ab. Es sind oft sehr viele verbale Anweisungen dabei, um zu erklären, wohin sich der Klang, der Ton, das Gebilde entwickeln soll.

Gab es schon Wiederaufführungen durch andere Interpretierende, die deine Aufforderungen anders verstanden haben?

Gobi Drab: Bis jetzt war ich immer dabei. Bei „The muffin was invented and the crumpet“ kam das wohl am häufigsten vor. Es gibt davon noch ein Schwesternstück, „Ophelias mouth“, gleiches Prinzip mit dem Monolog von Ophelia aus „Hamlet“ und ein bisschen theatralischer, was sich die Interpretierenden oft nicht trauen und was ein bisschen schade ist. 2021 gab es „Of a night“ von mir für die Magisterprüfung einer Kollegin, die über österreichische Komponistinnen zeitgenössischer Blockflötenmusik diplomierte und eben auch mich zu meiner Aufführungspraxis befragte. Mein Vorschlag, für sie ein Stück zu schreiben, war ganz konkret inspiriert vom Buch „Circe“ von Madeline Miller. Diese Circe und die Beschreibungen, wie sie ihr Leben verbringt, wecken ein ganz bestimmtes Gefühl in mir. Ein Textausschnitt aus diesem Buch, aber auch ganz viel Geräusch mit Paetzold–Blockflöten und Geigenbögen sollen die Atmosphäre, das Gefühl rekreieren, das ich hatte, als ich in dieser Geschichte drinnen war. Da ich dieses Stück für uns beide geschrieben habe und es in diesem Kontext nicht vor einer Öffentlichkeit präsentiert wurde, harrt es noch seiner Uraufführung.

Was geschieht bei „Fettgewebe“?

Gobi Drab: „Fettgewebe“ ist mit dem Duoprojekt mit Veronika Mayer entstanden. Wir hatten es für die „Fraufeld Compilation Vol. 3“ aufgenommen und „Nahfeld“als Fortsetzung dessen für das Konzert im Herbst zur um ein Jahr verspäteten Albumpräsentation entwickelt. Es entstand beim Proben und dem Nachdenken darüber, was das gerade Gespielte war bzw. sein soll.

Fraufeld wurde 2016 von der Pianistin Verena Zeiner und der Flötistin Sara Zlanabitnig gegründet …

Gobi Drab: … als Verein zum Sichtbarmachen von Frauen in der Musik. Eine Person kuratiert den Sampler und fragt Musikerinnen, die wiederum Musikerinnen fragen, ob sie mitspielen. So hat Veronika Mayer mich gefragt, weil wir uns als Duo bereits gut kennengelernt hatten. In den Proben und Vorbereitungen dafür habe ich nur meine Paetzold-Subgroßbassblockflöte gespielt und sie hat ganz viele Samples mit elektronischen Werkzeugen von mir da „hinverwoben“.

Wenn der Antrieb für dein Schaffen ist, den inneren Klang nach außen in die Umsetzung zu bringen, ist es dann überhaupt noch gegeben, solche Errungenschaften zu wiederholen?

Gobi Drab: Wenn ich Kompositionen fix notiere, ist die wiederholte Aufführung schon wünschenswert. Richtung Impro ist zu unterscheiden, ob sich Menschen treffen und schauen, was passiert, oder, wie im Duo mit Veronika Mayer oder jetzt neu mit Margarethe Maierhofer-Lischka, man wirklich versucht, einen Sound und ein ganz spezifisches Zusammenspiel zu entwickeln. Improvisation ist nicht reproduzierbar und das ist auch genau das Schöne daran, aber auf der Bühne gibt es einen anderen Fokus, wenn bereits eine Vorarbeit, ein Vorhören und Vorüberlegen stattgefunden hat.

Gobi Drab
Gobi Drab (c) Matej Grgic

Komponierst du für dich selbst, also interpretierst deine eigenen Stücke? Komplett ohne sich selbst und sein Instrument zu komponieren, stellt manchmal ja eine andere Dimension dar.

Gobi Drab: Ich bin in einigen meiner Stücke dabei. Allein„AUT“ läuft ohne mich, da bin ich wirklich nur Komponistin. Aber eine Begebenheit hat mich sehr geprägt: Ich wollte „4 Variazioni sul Ritmo del Venot“ von Fausto Romitelli, geschrieben für Antonio Politano, spielen und studierte sogar für ein Jahr bei Antonio. Im Stück war alles in einer Legende formuliert, aber erst Politanos Erläuterungen und Klangvorführungen ließen mich verstehen, was die Legende meint. Und es wurde ein komplett anderes Stück. So braucht es meiner Meinung nach immer noch den Input vom Komponisten bzw. von der Komponistin.

Und deine Bewegung im Feld von musizierenden und überhaupt agierenden Frauen ist bewusst?

Gobi Drab: Ja, natürlich. Ich achte beim Kuratieren beispielsweise sehr auf ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis. Spannenderweise war das dieses Jahr beim Open Call für St. Ruprecht total schwierig, weil es insgesamt weniger Einreichungen und gleichzeitig wesentlich mehr von Männern gab.

Aber können wir nicht langsam mit Programmen und Konzepten nur von Frauen aufhören?

Gobi Drab: Das können wir dann, wenn es niemandem mehr auffällt, dass nur Frauen agieren.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Sylvia Wendrock (Sprechgold)

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Termine:

Donnerstag, 29. September 2022
knusp, neue musik in st. ruprecht
Ruprechtskirche, Wien

Mittwoch, 9. November 2022
fraufeld @ Wien Modern
Wiener Konzerthaus

Freitag, 2. Dezember 2022
Duo mit Veronika Mayer
echoraum

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Links:
Gobi Drab
Gobi Drab (music austria Datenbank)
Gobi Drab Yoga