„Voices“ lautet das heurige Thema der SALZBURG BIENNALE, die am 6. März startet. Als tragende Stimme übernahm HEIKE HOFFMANN 2010 das erst ein Jahr zuvor erstmals durchgeführte Festival mit der Ankündigung, drei Ausgaben des Festivals zu leiten. Über ihr drittes Programm, ihre Salzburger Erfahrungen und künftige Herausforderungen gab die versierte Kennerin der Neuen Musik und erfahrene Kulturmanagerin in einem E-Mail-Interview mit Doris Weberberger Auskunft.
Das heurige Programm dreht sich um die Verbindung von Musik und Stimme – eine Thematik, die einerseits sehr allgemein gefasst ist, sich andererseits aber sehr konkret und auch sehr unterschiedlich in den einzelnen Werken manifestiert. Was hat für Sie den Ausschlag für diese Wahl gegeben und was war Ihnen in Zusammenhang mit den ausgewählten Werken wichtig?
Heike Hoffmann: Ein Thema hilft in erster Linie der Konzentration beim Programmmachen und bewahrt einen vor Beliebigkeit. Ich überlegte mir diese Thematik schon, als ich zu Beginn der Arbeit für Salzburg meine drei Biennalen grob konzipierte. Denn die Stimme als die ureigenste menschliche Ausdrucksform, ja gewissermaßen als das älteste Instrument überhaupt, übt auf Komponistinnen und Komponisten wie Publikum seit jeher eine große Faszination aus. In den letzten 100 Jahren, seit Schönbergs „Pierrot Lunaire“ – der seinerzeit beim Publikum vor allem Unverständnis hervorrief –, ist ja enorm viel passiert. Längst ist die Stimme nicht mehr nur Träger semantischer Bedeutung, sondern wird wie ein eigenständiges Instrument eingesetzt, die elektronischen Möglichkeiten haben das Ausdrucksspektrum nochmals entscheidend erweitert. Neue Formen des Musiktheaters haben einen großen Raum in meinem Programm und da ist die Stimme immer dabei. Ich glaube, unser Programm gibt einen ganz guten Überblick darüber, was Stimme heute alles kann. Dazu braucht man natürlich auch hervorragende Sängerinnen und Sänger, und die konnten wir gewinnen.
Zum anderen steht der Begriff „voices“ (im Plural) aber auch für den Anspruch, sehr verschiedenen Stimmen heutigen Komponierens, ganz unterschiedlichen Ästhetiken und Verfahren im Festivalprogramm Raum zu geben, und das scheint mir dieser Begriff auch zu transportieren.
„DIE Neue Musik gibt es nicht mehr“
Stellt der Bezug zur Sprache auch den Versuch da, ein Publikum an die Neue Musik heranzuführen, das bisher mit ihr noch nicht so vertraut ist?
Heike Hoffmann: Nicht explizit. Das mag ein schöner Nebeneffekt sein, über den ich mich selbstverständlich sehr freuen würde. Aber meine Erfahrung ist, dass man ein Publikum so nicht ködern kann. Für die Entscheidung, sich ein Ticket zu kaufen, spielt vieles eine Rolle: die beteiligten Künstlerinnen und Künstler in erster Linie, die programmierten Werke, aber auch der Spielort, die Uhrzeit und das Wetter. Ein Festival kann ja, wenn es einen guten Start gibt (von dem gehe ich sicher aus) und eine freundliche Begleitung durch die Medien, eine enorme Sogkraft entwickeln. Und vielleicht geraten dann Menschen in ein Konzert, wo es ihnen durch die Verbindung mit Sprache leichter möglich ist, ein Werk gründlicher zu erfassen.
Und außerdem: DIE Neue Musik gibt es nicht mehr, sondern das Spektrum ist außerordentlich vielfältig und kaum in Schubladen zu ordnen. Das reicht von ganz kulinarisch bis ganz hermetisch, und alles hat seine Berechtigung, solange es gut ist. Und dafür hat gerade das Publikum in Salzburg ein untrügliches Gespür.
Schulprojekte und Ateliergespräche ergänzen die Aufführungen – so gut wie jede größere Institution und fast jedes Festival bietent Vermittlungsprogramme an. Wie sehen Sie den Bedarf an Vermittlung insbesondere in der Neuen Musik, der ja hartnäckig der Ruf des Unzugänglichen anhaftet?
Heike Hoffmann: Kaum eine Institution kommt noch ohne Vermittlungsprojekte aus, sie sind auch durchaus wichtig, aber, das ist zumindest meine Erfahrung, vielfach auch überschätzt. Zumindest kurzfristig hat das meiner Beobachtung nach nicht dazu geführt, dass in kulturfernen Zusammenhängen aufgewachsene Kinder zum Publikum von morgen werden, das sich bruchlos in die Abonnementstrukturen einordnen lässt und die öffentliche Kulturförderung legitimiert. Die Gemengelage ist komplizierter und der Erfolg – wenn er dann überhaupt eintritt – erst nach Jahren messbar. Aber ich bin durchaus optimistisch, wenn ich sehe, wie vielerorts ein junges, an Neuem, nicht nur in der Musik, interessiertes Publikum in die Veranstaltungen strömt. Ich nenne sie die „Kulturnomadinnen und Kulturnomaden“, weil sie sehr informiert sind, sich bewusst aussuchen, welche Theaterinszenierung, welche Ausstellung oder welches Konzert sie besuchen, und dafür auch reisen. Und die postulierte Unzugänglichkeit neuer Musik spielt da plötzlich gar keine Rolle …
Aber natürlich können Workshops und Künstlergespräche ein Programm sinnvoll ergänzen, eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Werk und Begegnungen mit den Künstlerinnen und Künstlern ermöglichen.
„Sinnvolle Bezüge zwischen Nationalem und Internationalem“
Heimische Musikschaffende finden im Programm neben international renommierten Vertreterinnen und Vertretern ihren Platz. Welche Bedeutung hat für Sie das Verhältnis zwischen lokalen Bezügen und internationalem Renommee und wie beschreiben Sie Ihre Beziehung zur Salzburger Szene?
Heike Hoffmann: Ein Festival ist ja in gewisser Weise eine Eintagsfliege, nach drei Wochen ist es vorbei. Der biennale Rhythmus kommt in unserem Fall gewissermaßen erschwerend dazu und ich finde, in dieser Konstellation, noch dazu in einer kleinen Stadt mit einer reichen, aber übersichtlichen Kulturszene, hat ein international ausgerichtetes Festival auch die Aufgabe, Impulse zu setzen, die in der festivalfreien Zeit weiterwirken. Insofern war es mir wichtig, zum Beispiel das in Salzburg beheimatete Ensemble oenm intensiv einzubeziehen und hier auch Beziehungen zu Komponistinnen und Komponisten zu stiften, die hoffentlich zu künftiger weiterer Zusammenarbeit führen. Ebenso wichtig fand ich, die Preisträger des Musikpreises Salzburg immer wieder einzubeziehen, damit dieser Preis nachhaltiger in die Stadt hineinwirkt, als das im Vergabeprocedere angelegt ist. So wird es dieses Jahr ein neues Stück des Förderpreisträgers von 2013, Aureliano Cattaneo, geben, uraufgeführt vom oenm und dem Vokalensemble Schola Heidelberg, die auf diese Weise erstmals zusammenarbeiten. Oder: Die in Salzburg lebende und wirkende Schaupielerin Dorit Ehlers arbeitet mit dem DissonART Ensemble aus Thessaloniki in einem Projekt von Manos Tsangaris. Der Däne Simon Steen-Andersen hat gerade im Museum der Moderne Salzburg eine neue Version seines Videospektakels „Run Time Error“ produziert. Marino Formenti macht ein auf unsere Thematik zugeschnittenes Programm mit Studierenden der Uni Mozarteum. Wir klinken uns ein in die Ateliergespräche, die Sabine Coelsch-Foisner an der Universität etabliert hat. Das sind für mich sinnvolle Bezüge zwischen Lokalem und Internationalem.
Das Programm zieht sich über drei (verlängerte) Wochenenden, was es für ein auswärtiges Publikum unwahrscheinlich werden lässt, das gesamte Festival zu überblicken – eine Schwierigkeit oder eine willkommene Herausforderung?
Heike Hoffmann: Beides. Ich will nicht verschweigen, dass ich mir diese Konstruktion nicht ausgesucht habe und sie unter anderem aus den von Ihnen genannten Gründen auch nicht für optimal halte. Da gibt es durchaus verschiedene Interessen und Argumente bei den Beteiligten. Andererseits ermöglicht diese Streckung über die drei Wochen, eine Vielzahl von szenischen Produktionen in Salzburg zu zeigen, was in einem kompakten Zeitraum wegen der notwendigen Auf- und Abbauzeiten nicht möglich wäre.
„Die Schmerzgrenze ist überschritten“
Als Sie die Salzburg Biennale 2010 übernommen haben, sind Sie vor überraschenden finanziellen und organisatorischen Tatsachen gestanden. Wie stellen sich die budgetäre Situation und das Verhältnis zu den politischen Partnern und Beteiligten wie dem Altstadt Tourismus nun vor der dritten Ausgabe für Sie dar? Konnten Sie nun, da Sie die Bedingungen besser kannten, Ihren Erwartungen gemäß darauf reagieren oder haben sich weitere Komplikationen aufgetan?
Heike Hoffmann: Das Budget ist kontinuierlich geschrumpft, zuletzt durch die Reduzierung der Landesförderung um 50 Prozent und die Abschaffung – oder wie es offiziell heißt, Aussetzung – des Internationalen Kompositionspreises, den das Land Salzburg in Kooperation mit der Biennale vergeben hat. Stadt und Altstadtverband haben ihre Förderung stabil gehalten, aber Kostensteigerungen sind nicht ausgeglichen worden. Ich habe die Struktur auf ein Minimum heruntergefahren, Drittmittel in sechsstelliger Höhe eingeworben und kaum zu beziffernde Kosten durch internationale Koproduktionen gespart. Meines Erachtens ist die Schmerzgrenze, wenn man ein international angelegtes Festival dieser Größenordnung will, überschritten.
Sie haben angekündigt, drei Ausgaben der Salzburg Biennale zu leiten, letzte Woche wurde bekannt gegeben, dass Sie zu den Schwetzinger Festspielen wechseln. Wie sieht Ihr Resümee über Ihre Zeit hier aus und mit welchen Bestrebungen und Erwartungen blicken Sie in die Zukunft?
Heike Hoffmann: Ich verlasse Salzburg mit einer künstlerisch guten – manche sagen, hervorragenden – und einer finanziell ausgeglichenen Bilanz. Die Salzburg Biennale ist jetzt eine fixe Position auf der Landkarte der größeren europäischen Festivals für zeitgenössische Musik. Meiner Nachfolgerin beziehungsweise meinem Nachfolger wünsche ich, mit einem klaren Auftrag, einem verlässlichen Budget und einer längerfristigen Perspektive planen zu können. Ohne die kann man bei einem Festival gar nichts erreichen, kein künstlerisches Profil entwickeln, keine Partnerschaften aufbauen und keine Eigenproduktionen initiieren. Diese Möglichkeiten sind für mich bei den Schwetzinger Festspielen durch einen langfristigen Vertrag, ein definiertes Budget und eine angemessene personelle Ausstattung des Teams gegeben und natürlich freue ich mich sehr auf die Arbeit. Aus Salzburg nehme ich viele positive und auch weniger positive Erfahrungen mit, aber die positiven werden am Ende bleiben.
salzburgbiennale.at