Inzwischen in Wien und Berlin ansässig, zeichnet das Label „col legno“ schon seit mehr als dreißig Jahren erfolgreich „new colors of music“ und beschreibt Gegenwartsmusik mit Bezug auf die europäische Musikgeschichte. „col legno“ bedeute „mit dem Holz“ und markiere als eine einst unkonventionelle Spielanweisung für Streicher die Klangvielfalt des Zeitgenössischen, wie es auf der Website von „col legno“ heißt. Was das im Detail bedeutet, erzählte Labelchef ANDREAS SCHETT im Gespräch mit Sylvia Wendrock.
Seit 2015 bist du Geschäftsführer, künstlerischer Leiter und auch Inhaber von „col legno“ – welche Veränderungen brachte das mit sich?
Andreas Schett: Ich war von Anbeginn, seit das Label nach Österreich gekommen ist, Teil des Eigentümerkreises – ich bekam Anteile für das Know-how, das ich einbrachte. Nachdem ab 2005 der Markt schon kriselte, mussten die Investorinnen und Investoren immer wieder Geld zuschießen. Ich hatte aber keines, konnte „nur“ Ideen reingeben, daher wurde mein Firmenanteil, wie es so schön heißt, „verwässert“ und ich stand am Schluss mit nur mehr wenigen Anteilen da. Als die Umsätze immer weiter einbrachen, überlegten die Miteigentümerinnen und -eigentümer dann, das Label entweder in Konkurs zu schicken oder es großzügigerweise mir zu überlassen. Ich habe Letzteres dankend angenommen, obwohl es auch ein gewisses Risiko war. Es steckt mein Herzblut darin, meine eigene Musik ist bei „col legno“ verlegt [die der Musicbanda Franui; Anm.] und ich habe viele meiner musikschaffenden Freundinnen und Freunde zum Label gebracht. Das konnte ich ja nicht einfach alles fallen lassen.
Wie bist du die Neuausrichtung angegangen?
Andreas Schett: Ich wollte nicht ein Garagenlabel werden, das irgendwo Kartons voller Platten hortet, die Tonaufnahmen auf Spotify und bei Amazon anbietet und das Paket zur Post bringt, wenn eine Bestellung reinkommt. Ich wollte weiter einen weltweiten Vertrieb physischer Produkte haben und dazu einen umfassenden Digitalvertrieb. Wir sind stolz darauf, dass bei uns eine Veröffentlichung an einem bestimmten Tag auch tatsächlich weltweit stattfindet. Und bei alledem habe ich versucht, die Kosten so sehr einzudämmen wie nur irgend möglich. Zu meinem Glück habe ich sehr gute Mitarbeiter gefunden, die das Label mit mir gemeinsam aufgebaut haben. Denn es war klar, dass nicht weiter jedes Jahr Geld reinfließen kann, wie es in den Jahren zuvor geschehen ist.
Inwiefern hat das das Programm, die Identität des Labels beeinflusst?
Andreas Schett: Es ist vielfältiger geworden! Wenn wir zeitgenössisches Musikschaffen konsequent denken, dann muss die sensationelle neue Leseart eines frühen Werks von Pierre Boulez neben der eigensinnigen Musik des dänischen Komponisten Christian Winther Christensen, einem Song der Geigerin Emily Stewart und einem von der Musicbanda Franui rekomponierten Schumannlied Platz haben. Es gibt so viel tolle Musik, die gerade entsteht! Nur muss sie dementsprechend dokumentiert werden. Dazu sind Labels wie „col legno“ da. Wenn jedes Stück nur mehr mit einem Mobiltelefon aufgenommen wird und irgendwo im Netz herumgammelt, haben wir den Untergang des Abendlandes erreicht. Nur haben die politisch Verantwortlichen das noch nicht gerafft!
Wer wählt die Künstlerinnen und Künstler aus bzw. welche Kriterien entscheiden über deren Auswahl?
Andreas Schett: Als Debussy gefragt wurde, wie er komponiere, soll er gesagt haben: „Ich nehme alle Töne, die es gibt, lasse diejenigen weg, die ich nicht will, und verwende alle anderen.“ Uns freut es zunächst einmal, dass die Nachfrage, bei „col legno“ zu erscheinen, nach wie vor groß ist. Es kommen viele interessante Leute auf uns zu, nicht nur aus dem deutschsprachigen Raum, paradoxerweise in den zurückliegenden Monaten während des Corona-Lockdowns besonders viele. „Stallgeruch“ ist für uns alle wichtig, für die Musikerinnen und Musiker und für das Publikum. Oder vielleicht sollte man besser sagen: Der Kontext ist wichtig, nämlich die Frage nach dem Zusammenhang, in welchem meine Musik erscheint. Niemand will auf Dauer im Eigenverlag erscheinen. Ein befreundeter Verleger sagte mir: „Auch der erfolgreichste Self-Publisher bei Amazon will irgendwann in einem richtigen Verlag erscheinen.“
Ein Label ist ja wie ein Dach über dem Kopf, ein Zuhause für die Künstlerinnen und Künstler, die dort veröffentlichen. Wie sieht sich das Haus „col legno“? Ist es überhaupt ein Haus?
Andreas Schett: Bleiben wir beim Vergleich mit der Verlagswelt. Unlängst habe ich gelesen, dass in den USA das Geschäft mit den E-Books stagniert, die Buchhandlung ums Eck hingegen stark boomt. Mehrere Hundert Buchhandlungen eröffnen jährlich. Das wird mit einer gewissen „Bildschirmmüdigkeit“ erklärt. Und mit dem Vorteil eines kuratierten Angebots. So sehe ich auch „col legno“. Wir sind Kuratoren. Wir arbeiten gemeinsam mit den Musikerinnen und Musikern an einem kuratierten Angebot. Man erkennt es auch sofort an der einprägsamen grafischen Gestaltung.
Der visuelle Auftritt hat euch oft den Vergleich mit der berühmten Regenbogenreihe von Suhrkamp eingebracht. Wie kam es dazu und wie kommt ihr zu den Varianten in der Covergestaltung, beispielsweise bei der „Edition III“ oder der „BRIGHT Colors Edition“?
Andreas Schett: Eigentlich entstand das Konzept aus einer Not heraus, weil die meisten Künstlerinnen und Künstler nur unzureichendes Bildmaterial haben und kein Geld für richtig gute Fotoproduktionen. Also gibt es unendliche Diskussionen, welches Bild aufs Cover soll. Und jede und jeder kennt eine Grafikerin bzw. einen Grafiker. Wir haben gesagt: „Lasst uns doch einfach zwei Farbtöne nehmen – und zwar Echtfarben, keine Mischung wie im Vierfarbdruck üblich –, die der Musik auf dem Album entsprechen! Dazu schönes Papier, gute Texte, perfekte Typografie, eine insgesamt bibliophile Ausstattung.“ Damit haben wir auch ein anderes Ziel erreicht: maximale Auffälligkeit im Kaufhausregal. Auch am Bildschirm haben die Cover eine ikonografische Qualität. Und die Varianten sind unendlich, wie die erwähnten Editionen beweisen. Sie sehen anders aus und doch ist auf den ersten Blick klar: Das ist von „col legno“!
Hast du auch eine Neuformulierung für den Auftrag des Labels neben der Dokumentation gegenwärtiger Musik und der Vermittlung derselben gefunden?
Andreas Schett: Die schwierigste Frage bleibt die der Finanzierung. Wir Musikerinnen und Musiker sowie Labels verdienen kein Geld mehr mit unseren Aufnahmen. Der Verkauf physischer Tonträger geht rasend schnell gegen null, von den Streamingdiensten bekommen wir Peanuts-Beträge. Da wird es erst ab ein paar Hunderttausend Klicks interessant. Das heißt: Alles, was nicht als Mainstream funktioniert, wird verschwinden. Alles Nichtetablierte, Unangepasste, Abseitige, Junge hat keinen Platz mehr. Den Künstlerinnen und Künstlern bleibt nichts anderes, als die gesamte Produktion selbst zu finanzieren, mit den Gagen, die sie bei Auftritten bekommen. Schließlich ist das ja ihre Visitenkarte und nur aufgrund der Dokumentation gibt es sie und ihre Arbeit. Das können aber lange nicht alle so machen. Paradoxerweise sind für uns Labels heute also nicht die potenziellen Hörerinnen und Hörer auf der Welt unsere wichtigsten Kundinnen und Kunden, sondern die Musikerinnen und Musiker, die wollen, dass ihre Musik in einem interessanten Zusammenhang erscheint. Die öffentliche Hand müsste da dringend reagieren! Stattdessen sagen Politikerinnen und Politiker: „Ah, das mit den CDs funktioniert ja nicht mehr so richtig.“ Niemand hat verstanden, dass unser Produkt die Tonaufnahme ist und wir die heute eben auf anderen Kanälen vertreiben als noch vor dreißig Jahren. Dass das eine kulturvermittelnde Tätigkeit ist, die genauso gefördert gehört wie zum Beispiel ein Buchverlag. Stattdessen heißt es: „Wendet euch an den Österreichischen Musikfonds, das nahezu einzige existierende Förderinstrument, das es bei uns gibt.“ Und wenn du dort einen Antrag ausfüllst, kannst du alle Kosten als potenziell förderungswürdig reinschreiben, Tonstudio, PR, Grafik, Honorare für Arrangement etc. – nur nicht fürs Label. In den Köpfen der Verantwortlichen ist wohl noch immer: Die Kosten für das Presswerk soll das Label bezahlen. So kann das nicht bleiben!
Gäbe es ein Fest zum fünfjährigen Jubiläum deiner Leitung dieses Jahr, wie sähe das aus, wer würde spielen?
Andreas Schett: An ein Fest ist im Moment nicht zu denken. Wir arbeiten aber gerade an mehreren Veranstaltungsformaten, weil wir unsere Künstlerinnen und Künstler auch als Veranstalter präsentieren wollen. Aber dazu ein andermal mehr.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
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