Adieu, Hans Landesmann. Nachruf auf Österreichs wichtigsten Ermöglicher Neuer Musik

Sein Verständnis von Musik war das Gegenteil von museal. Vieles in diesem Land gäbe es ohne ihn vermutlich nicht. “Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum“ ist der Titel seines 2011 erschienenen autobiographischen Buches. Seiner Liebe zu Musik konnte er von früh auf nachkommen. Ohne seine Verantwortung für das Familienunternehmen zu vernachlässigen, mischte er, angefangen vom Konzerthaus bis hin zur Schaffung der Salzburg Biennale, das Musikleben mit großem Verstand auf. Über den Tod des innovativen und aufgeschlossenen, des im besten Sinn des Wortes hervorragenden Musikmanagers Hans Landesmann (1932 – 13.9.2013) herrscht nicht nur in Österreichs Musikszene Betroffenheit.

Überall in den Nachrufen ist die Überraschung zu spüren, dass es mit seinem Ableben jetzt doch so schnell ging, zwei Wochen nach dem Tod seiner Frau Elaine. Die Eckdaten seines Wirkens und seiner Arbeit sind noch einmal durch alle Zeitungen gegangen. Gerade auch, weil sich Hans Landesmann stets „zu viel Lob“ verbeten hat, sollen diese Meilensteine natürlich auch hier genannt werden: In Wien geboren, als Sohn eines Viehhändlers in Budapest aufgewachsen, überlebte er den NS-Terror gerade noch rechtzeitig, kehrte nach Wien zurück und musste dort erst wieder Deutsch lernen. Schon mit sechs Jahren hatte er Klavier spielen gelernt,  absolvierte in Wien ein Klavierstudium an der Hochschule für Musik, studierte dann aber Chemie an der Pariser Sorbonne und an der Columbia University New York und musste 1957 den Familienbetrieb in St. Marx übernehmen.

Wien …

Ab 1964 war er im Direktorium des Wiener Konzerthauses, von 1977 bis 1984 dessen Generalsekretär. Was er allein in den achtziger Jahren dort alles zuwege brachte, erzählte der noble Herr freundlich 2009 im mica-Interview. Gefragt, was für ihn subjektiv die Höhepunkte seiner Tätigkeit gewesen sind, leitete er die Aufzählung mit einem bescheidenen  „Naja …“ ein.

„Naja, die ‚Wege in unsere Zeit’ mit der reihe, das war für die damalige Zeit sehr wichtig, das ist glaube ich vier Jahre gegangen und war sehr erfolgreich beim Publikum. Dann gab es die ersten Kinderkonzerte (die Reihe “Für Kinder und Kenner” mit dem Prikopa), dann ist es mir nach und nach teilweise gelungen, die Neue Musik auch in den ganz normalen Konzertbetrieb in den Programmen einzubauen. Es war immer mein Wunsch, diese Ghettoisierung zu durchbrechen. Ich habe einen Berg-Schumann-Zyklus mit den Symphonikern gemacht, das ist zum Beispiel überhaupt nicht gegangen. Da habe ich Schwierigkeiten gehabt, die Schumann-Orchesterwerke sind ja auch nicht ganz einfach, das Publikum war sichtlich überfordert. Sehr gut waren vielleicht auch die Festwochen-Konzerte, die ja an das Hauptmotto und -thema der Festwochen angepasst werden sollten. Das Webern-Fest von 1983 habe ich in komprimierter Form vor einigen Jahren wiederholen können, leider stand da vielleicht zu wenig in den Zeitungen darüber. Es wurden auch einige Künstler von mir sehr gefördert, der András Schiff hat bei mir angefangen, und andere, die mir jetzt gar nicht einfallen, die ganz klein im Konzerthaus anfangen haben und dann zu großen Stars geworden sind.“

1986 gründete er mit Claudio Abbado das Gustav Mahler Jugendorchester: „Da bin ich dann nach London mit dem Abbado, die haben dort ein Festival gemacht mit dem Titel ‚Gustav Mahler, Wien und das 20. Jahrhundert’. Das war offenbar ein großer Erfolg, auch weil es als meine Spezialität gilt, miteinander verfeindete Gruppen an einen gemeinsamen Tisch zu bringen, wir kriegten sogar einmal einen Leitartikel in der Londoner “Times”“. 1988 initiierte er die „Mondseer Musiktage“, war von 1984 bis 1988  künstlerischer Leiter des Jugendorchesters der Europäischen Gemeinschaft, 1986/87 Beauftragter für Musik für die österreichische „Europalia“ in Brüssel. Außerdem war er als Berater tätig, etwa für das Barbican Center London und die Alte Oper Frankfurt.

Als mutiger Innovator bewies sich Landesmann auch als eine Kraft hinter dem Festival „Wien Modern“, das binnen kurzer Zeit zu einem der wichtigsten zeitgenössischen Musikfestivals wurde.

… und Salzburg

Dann kam 1988 schon Salzburg. Ab 1989 war Hans Landesmann Mitglied des Direktoriums der Salzburger Festspiele. An der Strukturreform der Salzburger Festspiele war Landesmann federführend beteiligt, nicht nur zur Freude von Herbert von Karajan, der Landesmanns Vorschläge als „Seifenblasen eines Dilettanten“ kritisierte. Er war dann Mitglied der Findungskommission für eine neue Leitung und prägte an der Seite von Intendant Gerard Mortier von 1991 bis 2001 als kaufmännisch-organisatorischer Leiter und Verantwortlicher des Konzertbereiches die Salzburger Festspiele. Mit Konzertprojekten um Pierre Boulez, Maurizio Pollini, György Ligeti und György Kurtág setzte er moderne Akzente, ermöglichte das von Markus Hinterhäuser und Thomas Zierhofer-Kien ausgerichtete „Zeitfluss“-Festival. In seine Zeit als Konzertchef  fiel auch 1993 eine Aufführung von Luigi Nonos „Prometeo“, die Feier eines Geburtstags von Friedrich Cerha mit einem Schwerpunkt von Konzerten („wo seine Musik international wirklich gefeiert wurde“). Die Doppelfunktion als Konzertchef und kaufmännischer Leiter betrachtete Landesmann rückblickend als sehr nützlich: „Das war natürlich sehr wichtig, der Markus [Hinterhäuser] ist nicht im Direktorium, denn er ist ja nicht kaufmännischer Leiter und das ist wahrscheinlich auch ein Nachteil.“

Mit dem Ende der Ära Mortier verließ Hans Landesmann ebenfalls die Festspiele und war von 2001 bis 2004 im Team von Luc Bondy Musikdirektor der Wiener Festwochen. Hans Landesmann arbeitete am Konzept des Musikprogramms des Wiener Mozartjahres 2006 mit, wo er sich intensiv der Förderung neuer Musik widmete und sich im Auftrag der Stadt auch Gedanken über die Bespielung des Theaters an der Wien nach Beendigung der Zeit als Musical-Bühne machte. Erfolgreich, wie man weiß.

Noch 2009 folgte die Rekonstruktion des Salzburger „Kontracom“-Festivals mit der Ausrichtung einer neuen Musikreihe im Zwei-Jahresrhythmus, die das „Kontracom“-Festival ablösen sollte. Landesmann sprang in die Bresche und gründete die Salzburg Biennale, die im Zwei-Jahresabstand stattfinden kann. Die erste “Salzburg Biennale” stand unter dem Motto „Wahlverwandtschaften“ und war musikalischen Dialogen gewidmet, als Ko-Kurator konnte von Hans Landesmann Beat Furrer gewonnen werden.  Auch bei den „Dialoge“ genannten Neue-Musik-Tagen des Mozarteums hatte Landesmann mitprogrammiert, im Dezember 2006 mit hervorragenden Projekten der besten Interpreten, von Pierre Laurent Aimard über das Klangforum und dem oenm bis hin zu Harnoncourt.

Landesmanns Konzept für die Salzburg Biennale: Eines, „das für Salzburg nicht alltäglich ist, denn es gibt Gott sei Dank in der Stadt ohnehin so viele Veranstaltungen, also das musste was anderes werden. Und ich hab mich an meine ganz frühe Jugend erinnert, wo ich in Budapest Musik gehört hab’ und natürlich sehr viel Bartók und Kodály. Deren Verdienst war nicht nur, dass sie große Komponisten waren alle beide, sondern auch, dass sie die Wurzeln der ungarischen Musik studiert und im eigenen Komponieren angenommen haben. Die sind, wie Sie wissen, von Dorf zu Dorf gegangen und haben die Volksmusik erforscht und erreicht, dass es in der ungarischen Musik zum Beispiel auch wieder eine Zigeunermusik gibt: zwei eigenständige Sachen und nicht irgendwie ein Mischmasch. Das hat mich dann in der Nachkriegszeit sehr interessiert und ich habe diese Sachen auch auf dem Klavier gespielt.

Mir ist beim Konzept-Erstellen der Biennale die Idee gekommen, warum man nicht wirklich einmal zeigt, was zeitgenössische Komponisten von der Welt woanders und vor allem von der „östlichen“ Musik übernommen und daraus ihre eigene Musik geformt haben. Und dass daraus neue Richtungen in der Musik entstanden sind. Die vier ausgewählten Komponisten waren da von Anfang an sehr dafür, als wir sie fragten, was ihnen denn am nächsten liegt. Das führte zu keinen Überraschungen bei Hosokawa, Steve Reich und Klaus Huber, der sich als großer Humanist mit arabischer Musik wirklich auseinandersetzte.

Bei Furrer war ich ehrlich gesagt ein wenig überrascht. Ich wusste überhaupt nicht, dass er sich gerne mit spanischer Musik, mit Flamenco und cante jondo [Anm.: älteste Flamenco-Form, Übersetzung etwa “tief empfundener Gesang”] beschäftigt. Das hat großen Spaß gemacht und wir haben in Madrid Repräsentanten dieser Musik getroffen. So haben wir die Programme zusammengestellt, Künstler engagiert“. Altersbedingt zog sich Hans Landesmann von der Biennale-Intendanz nach der erfolgreichen ersten Ausgabe zurück.

Anfang März 2012 veranstalteten Konzerthaus und das Klangforum ein Geburtstagskonzert für Hans Landesmann im Schubert-Saal, bei der der Jubilar mit einer Laudatio von Sven Hartberger gefeiert wurde. Auf dem Programm standen das Horntrio von György Ligeti und Werke von Beat Furrer, Georg Friedrich Haas, Johannes Maria Staud und Bernhard Gander – lauter Komponisten, um die sich Landesmann verdient gemacht hatte. So hatte er etwa Haas von der Komposition der Oper „Melancolia“ überzeugen können.

Genug der Würdigung. Zum Beschluss soll hier zum Ende des Nachrufs der nochmalige Abdruck seiner Antworten von „11 Fragen“ an ihn erfolgen, die ihm bei einer Talkshow (etwas, woran er ungern bzw. nicht teilnahm) im Bayerischen Rundfunk über die Biennale gestellt wurden und die in der nmz abgedruckt wurden.

Welche Musik macht Sie stark?
Johann Sebastian Bach, Matthäus-Passion.

Bei welcher Musik werden Sie schwach?
Frédéric Chopin, Nocturno (Pollini).

Bei welcher Musik stellen Sie sofort das Radio ab?
Schnulzen.

Mit welcher Melodie sollte Ihr Handy klingeln?
Mit keiner.

Wenn Sie „König von Deutschland“ wären: Was würden Sie als Erstes tun?

Die Monarchie abschaffen.

Wie hieß Ihre erste Schallplatte?
Klaviermusik von Liszt (Horowitz).

Welches ist Ihr Lieblingslied von den Beatles?
Yellow Submarine.

Auf wen oder was können Sie am ehesten verzichten?
Auf den Versuch, in die Politik zu gehen.

Welches Musikstück erinnert Sie an das erste Rendezvous oder den ersten Kuss?
Edith Piaf.

Woran starb Mozart?
Nierenversagen.

Welche Musik soll zu Ihrer Beerdigung erklingen?
Franz Schubert, Quintett C-Dur.

Hans Landesmann begegnete man noch in der letzten Saison öfter bei Klangforum-Konzerten im Konzerthaus oder ganz zuletzt bei einer Aufführung bei den Salzburger Festspielen. Er wird uns allen sehr fehlen.

Heinz Rögl