40 Jahre Aspekte Salzburg – Ludwig Nussbichler im Interview

Am Mittwoch, den 1. Juni, eröffnet das MOZARTEUMORCHESTER SALZBURG mit den „Reflections / Reflets“ von Tristan Murail die ASPEKTE SALZBURG 2016. Philip Röggla führte mit Ludwig Nussbichler, dem künstlerischen Leiter des Festivals ein Interview zu Tradition und Aufbruch, Tradition und Gestaltungswillen.

Sehr geehrter Herr Nussbichler, die Aspekte Salzburg feiern diesmal das 40. Jahr ihres Bestehens seit ihrer Gründung 1977. Sie kennen das Festival seit ihrer Studentenzeit und haben 2006 die künstlerische Leitung übernommen. Wie hat sich ihr Bild von den Aspekten seither geändert?

Ludwig Nussbichler: Ich habe die Aspekte ab 1989 intensiver wahrgenommen, also mit dem Beginn meines Kompositionsstudiums in Salzburg. Für mich war das Festival eine der wenigen Möglichkeiten Neue Musik kennen zu lernen. Es gab schon einmal die eine oder andere Exkursion nach Wien zu Konzerten im Konzerthaus, aber das war es dann auch schon. Heute kann man sich übers Internet zumindest informieren, Aufführungen anhören, ja sogar Partituren einsehen.
Jedenfalls verdanke ich den Aspekten erste Aufführungen von Ensemblestücken durch Oswald Sallaberger, der damals das Neue Musik Ensemble der Universität Mozarteum geleitet hat. Auch war es für uns Studenten eine großartige Erfahrung, neben Musik von Anton Webern oder Isang Yun, also im Kontext mit den Meistern ihres Fachs aufgeführt zu werden, ja es gab sogar Konzertmitschnitte durch den ORF. Das Programm gab jedenfalls immer wieder Anlass zum Staunen und Diskutieren.
1991 war John Cage composer in residence bei den Aspekten. Ich kann mich noch gut an das Konzert erinnern, in dem die Pianistin Grete Sultan (sie wäre heute 110!) ein wenig verloren das Klavier auf der Bühne gesucht hat, bevor sie die Etudes Australes von John Cage von überdimensional großen Notenblättern interpretierte. Der Komponist saß wenige Meter von mir entfernt das ganze Stück über wie versteinert und nach und nach verließen die Menschen kopfschüttelnd den Konzertsaal, nur noch wenige hörten das dreistündige Werk bis zum Ende an. Ich möchte diese Musik nicht zerreden, sie war für mich jedenfalls eine vollkommen neue Hörerfahrung, zwischen Ablehnung und Faszination hin und hergerissen war es für mich eine besondere Begegnung mit Zeit und ihrer Wahrnehmung.
Die Aspekte waren also ein Ort, an dem ich Neue Musik unterschiedlichster Stilrichtungen erleben durfte und wirklich große Komponisten zum Teil persönlich kennen lernen konnte, darunter Mauricio Kagel (1989 und 1998), Iannis Xenakis (1982), Alexander Knaifel (1983), Brian Ferneyhough (1996) Giya Kancheli (2000), Sofia Gubaidulina (2010), und Robert Moran (2014). Friedrich Cerha besuchte das Festival mehrmals, auch wurden Werke von ihm gespielt, auch Uraufführungen.
Die Lust am Neuem, an neuen Spieltechniken und neuen Werken war eine unglaublich treibende Kraft für die Musikerinnen und Musiker, die sich die neuen Texte sozusagen erarbeitet haben. Namen wie Andor Losonczy, Oswald Sallaberger, Kai Röhrig, Frank Stadler und Ferenc Tornai sind nur einige von vielen Musikern mit faszinierendem Pioniergeist. Diese Energie war deutlich zu spüren.

„Der Fokus liegt in der Tat oft bei den arrivierten Meistern oder den jungen Hoffnungen. Vergessen wird aber oft auf die KomponistInnen dazwischen.“

Dieses Jahr steht mit dem französische Komponist Tristan Murail ein Altmeister im Rampenlicht. Die von ihm geprägte Musique spectrale ist in etwa so alt wie die Aspekte Salzburg. Wie positionieren sie sich zwischen Kanonisierung und Uraufführungswahn?

Ludwig Nussbichler: Für die KomponistInnen, die MusikerInnen und das Publikum ist beides wichtig, die Balance muss stimmen. Uraufführungen sind für mich Ausdruck einer lebendigen und spannenden Musikproduktion, sie zeigen, wie KomponistInnen im Hier und Jetzt denken. Wiederaufführungen bestätigen ein Werk in gewissem Sinne, wobei sie in den meisten Fällen einem Publikum präsentiert werden, für das das Stück eine neue Hörerfahrung darstellt – Problematisch finde ich nur den Prozess des Komponierens hin auf ein konkretes Uraufführungsdatum. Die damit verbundene Belastung, der Zeit- und Erfolgsdruck, das kann eigentlich nicht wirklich gut für die KomponistInnen und den kreativen Prozess sein. Immer öfter werden noch nicht veröffentlichte aber schon fertige Werke für Uraufführungen angeboten, aus meiner Sicht eine kluge Vorgehensweise.
Von einem „Uraufführungswahn“ kann man in Österreich meiner Meinung nach generell nicht sprechen, da gibt es noch viel Luft nach oben, was die aktuelle Musikproduktion betrifft.
Der Fokus liegt in der Tat oft bei den arrivierten Meistern oder den jungen Hoffnungen. Vergessen wird aber oft auf die KomponistInnen dazwischen. Für mich sind alle Stadien eines KomponistInnenlebens interessant, vom jungen achtjährigen Kompositionsschüler bis zum 90-jährigen Doyen. Musik ist Ausdruck unterschiedlicher und persönlicher Sichtweisen, Erfahrungen und gesellschaftspolitischer Einstelllungen und hat ja somit unmittelbar mit unserem Leben zu tun.  So war Tristan Murail 1978 mit dem Ensemble L´Itinéraire mit einem eigenen Werk und 1981 als Interpret eines Werkes von Edgar Varèse (er spielte Ondes Martenot). Nun, 35 Jahre später ist er unser composer in residence – eine schöne Klammer, wie ich meine.

Mit dem exxj (Ensemble XX. Jahrhundert), dem oenm . österreichisches ensemble für neue musik, dem ICE (International Contemporary Ensemble New York) und dem Ensemble L´Itinéraire haben sie vier namenhafte Ensembles für das Festival gewonnen. Was bedeuten diese Ensembles und ihre Residenzstädte für das Festival?

Ludwig Nussbichler: Mit einem Festivalprogramm werden Signale gesetzt. So auch mit der Auswahl der Musik und der Ensembles. Das oenm . österreichisches ensemble für neue musik ist mit dem Festival eng verbunden und wird auch in Zukunft eine wichtige Rolle bei den Aspekten spielen. Das Festival ist ja ursprünglich aus dem Ensemble hervorgegangen, somit verbindet uns eine jahrzehntelange Zusammenarbeit.
Das exxj steht für die Ensembles, die zwar in Salzburg nicht so bekannt sind, aber in Österreich, vorwiegend in Wien Neue Musik auf hohem Niveau interpretieren. Es gibt noch einige Ensembles aus Österreich, die in Zukunft beim Aspekte Festival eine Rolle spielen werden.
Die Ensembles ICE und L´Itinéraire habe ich stellvertretend für die internationale Ausrichtung eingeladen, wobei für die Aspekte 2016 die Verbundenheit mit Paris und New York mit dieser Fusion zum Ausdruck kommen soll.

Was verbindet die Aspekte denn mit Paris und New York?

Ludwig Nussbichler: Klaus Ager, der das Festival 30 Jahre lang geleitet hat, hat nach seinem Studium in Paris MusikerInnen und KomponistInnen nach Salzburg eingeladen. Das Ensemble L´Itinéraire spielte dabei eine wichtige Rolle, mit dabei war auch Tristan Murail. Diese Verbindung wurde in den letzten Jahren durch die Lehrtätigkeit von Tristan Murail an der Universität Mozarteum wieder aktiv. Die beiden Komponisten verbindet vor allem der gemeinsame Lehrer: Olivier Messiaen.
Die enge Freundschaft von Klaus Ager mit Joel Sachs war sozusagen der Anknüpfungspunkt in New York und mit der Julliard School. Der Dirigent war eine wichtige Figur der Neuen Musik in New York und war mehrmals bei den Aspekten mit dabei. Die Hauptrolle als Vertreter der amerikanischen Metropole spielte John Cage nicht nur mit seinem Besuch in Salzburg, von keinem anderen Komponisten wurden so viele Werke bei den Aspekten gespielt.

„Jedes unserer Konzertprogramme ist so gedacht, dass es für ein Publikum mit offenem Geist und Ohren ein besonderes Hörerlebnis sein kann“

Welchen Stellenwert hat Musikvermittlung bei den Aspekten Salzburg? Handelt es sich hier um Zusatzangebote, oder sind sie integraler Teil des Festivals?

Ludwig Nussbichler: Die Musikvermittlung ist generell eine zentrale Zielsetzung des Festivals. Jedes unserer Konzertprogramme ist so gedacht, dass es für ein Publikum mit offenem Geist und Ohren ein besonderes Hörerlebnis sein kann.
Die Musikvermittlung für Kinder und Jugendliche habe ich 2008 eingeführt und sehr schnell hat sich herausgestellt, dass die Motivation und Förderung junger KomponistInnen und MusikerInnen in den Fokus unserer Bemühungen rücken müssen. Daher auch der Aspekte Sonderpreis bei Prima la Musica Salzburg und die Zusammenarbeit mit Jugend komponiert eine schon langjährige erfolgreiche Kooperation mit dem ÖKB (Österreichischer Komponistenbund) und Musik der Jugend. Die Vermittlungsarbeit findet im Gegensatz zum Festival jährlich statt. Dem Stellenwert der Vermittlungsarbeit entsprechend ist das Konzert Spielräume keine Sonderveranstaltung oder ein Zusatzangebot, sondern ein Hauptprogrammpunkt.

Wie wird es mit dem Festival in Zukunft weitergehen? Welche Visionen haben Sie und welche Herausforderungen sehen Sie? Wofür stehen die Aspekte, was macht sie speziell?

Ludwig Nussbichler: Eine große Chance für die Zukunft der Aspekte sehe ich in der Art und Weise, wie Programme entstehen und kuratiert werden. Ich bin der Meinung, dass gerade in der Neuen Musik junge MusikerInnen und KomponistInnen zumindest mitgestalten können sollten. Meine Aufgabe sehe ich in der Entwicklung von übergeordneten Ideen, der Verbindungslinien, der Auswahl der InterpretInnen und darin, kreativ im Diskurs mit den MusikerInnnen Programme zu entwickeln. Auch möchte ich Konzertformate anbieten, die das Hörerlebnis atmosphärisch unterstützen. So haben beispielsweise die drei Pianistinnen, die ich für Au Poisson rouge eingeladen habe, große Freiheit in der Auswahl der Werke erhalten – ich hatte zwar einige Wünsche, auch wollte ich natürlich Bezüge zum Festivalthema, doch so sind drei individuell sehr unterschiedliche und stimmige Programme entstanden. Vielfalt ist eine große Stärke der Neuen Musik, den unterschiedlichen Qualitäten möchte ich entsprechend Raum geben.
Ursprünglich waren die Aspekte eine Initiative einer Gruppe rund um Klaus Ager, die aktiv Neue Musik bekannt machen wollten. Die Zukunft jedenfalls soll wieder verstärkt den jungen InterpretInnen und KomponistInnen gehören.

Zur Person:
Ludwig Nussbichler ist Komponist und lebt und arbeitet in Salzburg. Seine Lehrtätigkeit am Musikum Salzburg umfasst die Fächer Komposition und Musiktheorie, am PRECOLEGE der UNIVERSITÄT MOZARTEUM unterrichtet er Improvisation und Komposition. 1997 wurde er zum städtischen Musikschuldirektor bestellt. Sein Werk ist von der Wiener Schule und Einflüssen der französischen Tradition geprägt.

Eckdaten

Wo: Kavernen 1595 (Gstättengasse 27–29), republic  (Anton-Neumayr-Platz 2 ) und Atelier im KunstQuartier (Bergstr. 12a) –  Salzburg

Wann: 1. bis 04. Juni, 2016

Link:
Aspekte Festival Salzburg